Mittwoch, 25. August 2010

Wer fehlt beim "Appell"?

Der "Energiepolitische Appell" fordert nicht nur die Kanzlerin heraus, sondern auch die Wirtschaft. "Viel interessanter ist, wer den Appell nicht unterzeichnet hat und warum", stellt die Zeit richtig fest. Auch das Manager Magazin glaubt, der in Anzeigen veröffentlichte Brief spalte die Wirtschaft.

Es fehlen: Die Vorstandschefs von 22 der 30 DAX-Unternehmen, obwohl die Initiatoren "auf breiter Basis" Unternehmen angefragt hätten, so MM. Beispielsweise Siemens -- immerhin ein Platzhirsch auf dem Gebiet der Energietechnik und des Kraftwerkbaus. "Wir verfolgen diese Diskussion und beteiligen uns an ihr im direkten Austausch und Gespräch mit der Politik", sagt Siemens nur.

Es fehlt: der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Das sind immerhin die Leute, die Kraftwerke bauen, und hohes Interesse an der Energiepolitik haben. Nur haben sie nicht dasselbe Problem mit dem Atomausstieg wie die Energiekonzerne, im Gegenteil. EON, RWE, Vattenfall und EnBW bekamen beim wichtigen Verband einen Korb. "Der VDMA teilt den Gesamttenor des Aufrufs nicht – uns geht es in erster Linie um Planungssicherheit, wir haben uns auf den Atomausstieg eingestellt und dementsprechend investiert", sagt Geschäftsführer Thorsten Herdan.

Heißt im Klartext: Der Atomausstieg bedeutet Neugeschäft, nämlich bei konventionellen Kraftwerken und bei den erneuerbaren Energien. Eine Laufzeitverlängerung würde das Neugeschäft ausbremsen.

Es fehlen: Zwei von neun Präsidiumsmitgliedern des BDI. Das sind neben dem VDMA-Präsidenten Manfred Wittenstein auch der Präsident von Bitkom, Wilhelm Scheer. "Wir respektieren den Aufruf, unterstützen ihn aber nicht", lässt Bitkom die Zeit wissen. "Lieber betont der Verband, dass seine Mitglieder doch Produkte zum Energiesparen anbieten würden."

Es fehlt: die regioale Energiewirtschaft. Beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) heißt es: "Für uns sprechen die nicht." Auch die VKU-Firmen, vor allem Stadtwerke, sorgen sich offenbar um die Investitionen in erneuerbare Energien und hoffen dabei auf Gewinne bei der Dezentralisierung der Energieversorgung.

Es fehlt: die Gewerkschaft IGBCE. Die Initiatoren hatten versucht, auch diese an Bord zu ziehen. Kurioserweise wurde IGBCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis in einer ersten Version des Briefs als Mitunterzeichner präsentiert, doch der sei gar nicht gefragt worden, weiß Manager Magazin. "Wir sind extrem verärgert", so ein Sprecher der Gewerkschaft. "Wenn Herr Vassiliadis den Appell als inhaltlich sinnvoll und zweckdienlich angesehen hätte, hätte er sich beteiligt."

Die Kampagne polarisiert die Wirtschaft. Offenbar rumort es kräftig bei den Unternehmen, auch wenn die Manager sich überwiegend nicht öffentlich zu Wort melden. Es gilt ja nach wie vor als unschicklich, über die Medien andere Manager anzugreifen. Nicht zuletzt geht es um den Schutz von Aufträgen und Geschäftsbeziehungen mit den Unternehmen, die unterzeichnet haben. Vor allem will man sich nicht hineinziehen lassen in parteipolitische Intrigen, denn der "Energiepolitische Appell" lässt sich auch als unionsinternes Kräftemessen interpretieren.

So ist nun fraglich, ob nach dem "Appell" noch etwas kommt. Die Initiatoren haben es aber nicht bei einer gemeinsamen Anzeigenschaltung belassen, sondern haben einen Verein gegründet -- was man so deuten kann, dass nicht nur eine Ad-hoc-Koalition, sondern eine mittelfristig aktive strategische Allianz beabsichtigt ist. Im Impressum der "Appell"-Seite heißt es:
Der Verein „Energiezukunft für Deutschland e.V. i.G.“ wurde auf Initiative der Energieversorgungsunternehmen E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall Europe im August 2010 gegründet. Gründungsmitglieder sind Mitarbeiter dieser vier Unternehmen. Ziel des Vereins ist es, die gesamtgesellschaftliche Diskussion zum Thema Energiezukunft in Deutschland konstruktiv zu begleiten und als Plattform zur Formulierung grundsätzlicher energiewirtschaftlicher und energiepolitischer Vorstellungen zu fungieren.
"Gründungsmitglieder sind Mitarbeiter dieser vier Unternehmen" -- das sichert, dass der Verein genau das tut, was die Konzernchefs für richtig halten. Aber die Vorstände selbst haben sich nicht als Vereinsmitglieder hergegeben. Das sichert, dass man den Verein ohne viel Aufhebens auch wieder einsargen kann, ohne dass es für die Unternehmensspitze persönlich peinlich wird.

Als Vorstand des Vereins werden Gerrit Riemer (Vorsitzender), Manfred Haberzettel und Stephanie Schunck angegeben. Riemer ist bei EON Vice President "Energy Mix, Climate Protection, Energy Efficiency" und war zuvor Vice President "Power & Gas II - Security of Supply, Nuclear Economic and Public Affairs". Schunck arbeitet für die Unternehmenskommunikation/Energiepolitik der RWE Power.

Haberzettel ist bei EnBW Ressortleiter Technik und Politik, er war früher Mitarbeiter von Rolf Linkohr (SPD), Ex-MdEP, Ex-Direktor der Beratungsfirma Centre for European Energy Strategy (CERES) und vor allem Sonderberater des EU-Energiekommissars (2005-07), eine Position, die offenbar aufgrund von Interessenkonflikten aufgegeben wurde -- Linkohr war in Bei- und Aufsichtsräten tätig und dadurch auch mit EnBW und Vattenfall verbunden. Linkohr und Haberzettel selbst gehörten zu den Unterzeichnern eines SPD-internen Diskussionspapiers zur Energiepolitik "Realitäten annehmen ... ehrliche Fragen stellen!", das 2005 in Brüssel auch von Norbert Glante MdEP (Brandenburg), Barbara Fischer (Büroleiterin von Glante), Rainer Knauber (Leiter Konzernbereich Politik und Gesellschaft, Vattenfall Europe), Bernhard Rapkay MdEP, Jens Rocksien (damals RWE-Büroleiter in Berlin, heute Lei­ter „Politik und Verbände“ bei Hochtief) und Beatrix Widmer (damals Brüsseler Büroleiterin VKU, heute Geschäftsführerein des Bundesverbands öffentliche Dienstleistungen BVÖD) präsentiert wurde. Auch so eine Art offener Brief, nur damals auf die Sozialdemokraten in der großen Koalition zielend. Dessen Unterzeichner fehlen allerdings beim neuen "Appell".

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