Donnerstag, 30. Dezember 2010

Handelsblatt: Lobbyisten des Jahres

"Diskrete Lenker: Die Lobbyisten des Jahres" überschreibt das Handelsblatt einen Jahresrücklick eigener Art. Die Nummer 1: RWE-Chef Jürgen Großmann. Es folgen Josef Ackermann (Deutsche Bank), Investor August von Finck (Mövenpick-Hotels), Ex-SAP-Chef Henning Kagermann ("Mister Elektroauto") und der frühere Journalist Fritz Pleitgen (Vorsitzender Ruhr 2010 GmbH).

Die Laudatio auf Großmann lässt das Handelsblatt Jürgen Trittin halten. "Er hat das letzte Jahrhundert ins neue hinübergerettet. Ein dicker, fossil-nuklearer Brocken liegt seit dem Herbst 2010 dampfend und strahlend quer auf den Gleisen in die erneuerbare Zukunft", schreibt Trittin:
In einer staunenswerten Leistung aus jovialer Hinterzimmer-Diplomatie und trickreicher Information der Öffentlichkeit hat Jürgen Großmann die Energiewende zugunsten von RWE, Eon und Co. ausgebremst - zumindest vorläufig. (...) Großmann zeigt Premium-Lobbyismus aus dem Bilderbuch. In seinem nahenden Ruhestand sollte er sich einen Stiftungs-Lehrstuhl für effektive Durchsetzung von Privatinteressen gegen das Gemeinwohl und die demokratische Öffentlichkeit gönnen - vielleicht in seiner Lieblingsstadt Osnabrück.

Zwei kommunikative taktische Meisterstücke für das Lobby-Lehrbuch seien hier erwähnt. Nur mit einer erdrückenden Medien- und Anzeigenmacht kann man Jahr für Jahr mit seinen Monopolkollegen Strom der Jahresleistung von sieben Großkraftwerken netto exportieren, damit Milliarden verdienen, dann das Märchen namens "Stromlücke" in die Welt setzen und dafür nicht ausgelacht werden. Jürgen Großmann gelang dies zum Schaden der deutschen Stromkunden in Haushalten und Unternehmen, die unter der oligopolistischen Situation auf dem deutschen Strommarkt leiden und dafür kräftig bezahlen.

Doch das zweite Beispiel ist fast noch gelungener. Nachdem er mit dem Bluff der Stromlücke Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Vize Guido Westerwelle gezeigt hatte, wer die energiepolitische Richtlinienkompetenz in Deutschland hat, nachdem der Atomputsch seinem Konzern rund 25 Milliarden Euro Zusatzgewinne verschafft hatte, erklärte er in einem Interview, das sei das Äußerste dessen, "was wir gegenüber unseren Aktionären überhaupt noch vertreten können". Jürgen Großmann kann Dividendenausschüttung zur Gesundheitsgefährdung erklären und wird dafür nicht einmal ausgelacht. Meisterlich. (...)

Lobbyist des Jahres wird man aber heute nicht mehr ohne menschliches Antlitz. So beschloss der Großmeister, ein paar Windräder an die Schornsteine zu montieren. Mit dem Windrad im Knopfloch macht selbst Jürgen Großmann eine bessere Figur - besonders, wenn diese Turbinen möglichst weit weg in Schottland oder Irland stehen.
Über Josef Ackermann sagt das Handelsblatt, er habe 2008 den deutschen Bankenrettungsschirm mitgeformt und 2010 die neuen internationalen Eigenkapitalvorschriften für die Banken geprägt. "Dass das Regelwerk "Basel III" mit sehr langen Übergangsfristen versehen wurde, ist wesentlich auf die Arbeit des Großbanken-Lobbyverbandes Institute of International Finance (IIF) zurückzuführen, dem Josef Ackermann vorsitzt. Beharrlich warnte der 62-Jährige vor wirtschaftlichen Schäden durch eine zu strenge Bankenregulierung. Und er fand damit Gehör bei den Staatschefs der G20, allen voran bei Bundeskanzlerin Angela Merkel."

August von Finck zählt die Zeitung zu den Lobbyisten des Jahres wegen der "ungewöhnlich hohen Spende" an die FDP und der prompten Senkung der Besteuerung für Hotels. Davon profitiert auch Finck durch die Beteiligung an der Mövenpick-Kette.

"Angela Merkels obersten Technologieberater" nennt das Handelsblatt Henning Kagemann. Der langjährige SAP-Chef ist Präsident der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften Acatech und Vorsitzender des "Innovationsdialogs" der Bundeskanzlerin. An der Spitze der Plattform Elektromobilität sorgte "Mister Elektroauto" für einen "gewissen Druck, scheiterte aber bislang mit dem Vorhaben, der Regierung zusätzliche Fördermilliarden für das Mega-Zukunftsprojekt abzuringen."

Fritz Pleitgen schließlich ist als Vorsitzender der Ruhr 2010 GmbH dabei, mit der "Kulturhauptstadt" einen Imagewandel für das Ruhrgebiet anzuleiten. Trotz Love-Parade-Katastrophe sei er erfolgreich gewesen, die Ruhr in den Medienmittelpunkt zu rücken. Bemerkenswert findet das Blatt, dass die sonst oft zerstrittenen Kommunen an der Ruhr, im Dezember trotz leerer Kassen ihren Anteil am Kulturhauptstadtjahr von 2,4 Millionen Euro weiter für Projekte bereitstellten – das Bundesland NRW schieße die gleiche Summe zu.

Montag, 27. Dezember 2010

Einzelhandel: "Responsible Lobbying" und ein Traum von Graswurzel-Politik

In der Lobby der Einzelhandelskonzerne nimmt die Metro-Gruppe (Metro, Real, MediaMarkt, Saturn, Galeria Kaufhof) eine besondere Stellung ein. Das liegt nicht nur an der Größe. Metro schlägt seit knapp einem Jahr hörbar neue Töne an. "Dialog" und "Transparenz" kommen in der Rhetorik häufig vor, ebenso wie "Verantwortung" und "Nachhaltigkeit". Metro hat reichlich mit seinem Konzernumbau zu tun (dazu: WirtschaftsWoche vom 23.12.), widmet sich aber dennoch energisch dem Imagewandel.

Metro will sich positiv abheben in einer Branche, die in puncto Öffentlichkeit und positiver Positionierung in der Politik nicht eben als vorbildlich gilt. Eine Branche, die von Verbraucherschützern, Umweltgruppen und Gewerkschaften massiv kritisiert wird, die selbst (und gerade) in der Krise die öffentliche Nichtkommunikation pflegt, die mit dem Kartellamt und anderen Behörden öfters im Clinch liegt, die intern oft zerstritten ist und auf die Politik lokal, regional wie national und international – dank ihrer hohen Bedeutung für Arbeitsplätze und Konsum – doch erheblichen Einfluss hinter verschlossenen Türen ausübt.

Der Wille zur Veränderung der verschlossenen Branchenkultur hat sich auch gezeigt, als Metro im Januar eine eigene Hauptstadtrepräsentanz eröffnete. Mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle an seiner Seite, erklärte Vorstandschef Eckhard Cordes: "Transparente permanente Zusammenarbeit und das Gespräch ohne Scheuklappen sind für ein Unternehmen heute wichtiger denn je."

Viele Herausforderungen wie die Folgen der andauernden Wirtschafts- und Finanzkrise, aber auch Fragen wie Jugendarbeitslosigkeit, Umweltschutz oder der Kampf gegen den Hunger, brauchten "eine neue Verantwortungspartnerschaft von Politik und Wirtschaft." Konkret hätte er auch den Streit um die Lebensmittelkennzeichnung ("Ampel"), die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel, Mindestlohn oder Klimawandel nennen können, LKW-Maut, grüne Gentechnik, Ladenöffungszeiten, Leiharbeit, regionale Probleme bei Bauvorhaben und Raumplanung oder Datenschutz.

Eine Fehde zwischen Metro und HDE

Bei der Gelegenheit macht sich Cordes allerdings "keine Freunde damit, den Aufbau eines eigenen Büros wiederholt mit mangelnder Professionalitätder Branchenverbände zu begründen", bemerkte die Lebensmittelzeitung Anfang Dezember. Gemeint war unter anderem der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE), dessen größtes Einzelmitglied Metro ist, und die Ende 2009 aufgelöste Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels (BAG).

Das Branchenblatt schrieb 2009, Metro lasse "kaum ein gutes Haar" am HDE, der Verband habe eine "amateurhafte Außenwirkung". Die Eröffnung eines eigenen Büros sei als "Affront gegen den HDE verstanden werden und nicht als konzertierte Aktion, um gemeinsam Brancheninteressen zu vertreten."
Das Problem ist latent - und augenscheinlich. Ob es die leidigen Diskussionen um den Milchpreis oder die jüngsten Vorwürfe des Markenverbandes sind, der Handel nutze seine Marktmacht über Gebühr: Während die Lobbyisten von Herstellern und Milchbauern in der Öffentlichkeit breite Zustimmung finden, steht der Handel mit dem Rücken an der Wand und muss sich rechtfertigen. Die Branche zu inszenieren fehlt dem HDE offenbar das passende Konzept.

Auch die Fusion mit der BAG [Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels] wird nicht den gewünschten Effekt haben. Die öffentlichkeitswirksame Geburt eines einheitlichen Handelsverbandes, die HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth zu seiner Chefsache erklärt hat, kommt nicht zustande, weil die BAG Auflösungserscheinungen erkennen ließ und die eigene Liquidierung beschließt - ein halbes Jahr vor der geplanten Verbandsfusion. Den politischen Flurschaden stufen Handelsmanager als immens ein.

Nicht einmal zu einem Konjunktur-Gipfel hat es für den Verband gereicht. Zwei Tage vor dem Termin wurde die mit viel medialem Aufwand angekündigte Tagung abgeblasen. Zu wenig Teilnehmer. Und das, obwohl die Wirtschaftskrise wie kaum ein anderes Thema auch den Handel beschäftigt. (...)
Seit Jahren ärgern sich die Metro-Oberen, dass Metro zwar der größte Beitragszahler im HDE ist, in den Regionen und in den Gremien aber der Mittelstand das Sagen hat - und die Branche durch seine Brille spiegelt. Eine Perspektive, die mit dem internationalen Anspruch der Metro kaum zusammenpasst.
Deutschlands größter Einzelhändler macht schon seit Jahren keinen Hehl daraus, dass er den Chefposten beim HDE lieber mit eigenen Managern besetzt hätte. Doch die Kandidatur von Metro-Aufsichtsrat Erich Greipl scheiterte 2006 am Votum der HDE-Basis.

Inzwischen übt man sich in Harmonie. "Kooperative und glaubwürdige Interessenvertretung im Verbund" soll die Repräsentanz leisten, heißt es in einer Präsentation des Leiters, Michael Wedell, vor der IHK Berlin im Mai 2010. "Eigene" und "kooperierende Lobbyarbeit" halten sich dort die Waage, und die Metro-Gruppe sieht sich in einem größeren Verbändenetzwerk integriert, einem "starken Netzwerk".


 
Immer wieder mittwochs

Die neue Zusammenarbeit zwischen Metro und HDE hat seit einiger Zeit ein öffentliches Symbol. Das Salon-Veranstaltungsformat "Berliner Mittwochsgesellschaft des Handels" wird von den Metro und HDE gemeinsam getragen. Beide wollen bevorzugte Gastgeber für ein populäres Format sein, da streitet man sich nicht öffentlich vor den Gästen.

Politische Salons mit historischen Vorbildern sind in Berlin seit rund einem Jahrzehnt etabliert, aber für den Handel ist die Idee neu, und sowohl die Einbeziehng von NGOs und von Web 2.0-Begleitkommunikation scheint interessant zu sein.

„Wir sind hier angetreten, um das Gegenteil von Hinterzimmer-Lobbyismus zu betreiben“, zitiert die LZ Metro-Kommunikationschef Michael Inacker. Mit Hilfe von namhaften Referenten sollen offene Diskussionen „ohne Scheuklappen“ entstehen, wobei die eigenen Interessen nicht versteckt werden sollen („Man kann sich nicht immer gegenseitig überzeugen“). Der Austausch mit politischen Entscheidungsträgern solle kontinuierlicher werden, damit auch wirkungsvoller. „Man
kann nicht immer erst dann ankommen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, zitiert das Blatt einen anderen Handelslobbyisten.

"Responsible Lobbying"

Organisiert wird die Mittwochs-Veranstaltung von Kai Falk (HDE) und Michael Wedell, dem Leiter der Berliner Metro-Repräsentanz. Wedell erläutert das Konzept seiner Repräsentanz in einem Artikel "Die Verantwortung des Wachstums: Interessenvertretung als Kerndisziplin nachhaltiger Wirtschaft" (überarbeitete Version für den BBE Newsletter 19/2010 eines Beitrags zum jüngst erschienenen Buch "Public Affairs – Strategien und Instrumente der Interessenvertretung für Wissenschaft, Wirtschaft und Institutionen").

Inhaltlicher Dreh- und Angelpunkt sind Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR)
"Die METRO GROUP strebt an, ein Impulsgeber des nachhaltigen Wirtschaftens zu sein. Dabei soll der Rolle der politischen Kommunikation und der verantwortlichen Interessenvertretung („Responsible Lobbying“) bei der Umsetzung nachhaltigen Wirtschaftens zukünftig noch mehr Beachtung geschenkt werden. Die METRO GROUP baut kontinuierlich Kompetenzen auf, um in diesem komplexen Umfeld strategie- und dialogfähiger zu werden. Denn: Wer diese Disziplinen beherrscht, verfügt zweifellos über einen enormen Wettbewerbsvorteil."
Wedell versteht das aus dem Umfeld des UN Global Compact und AccountAbility stammende Konzept "Responsible Lobbying" als "Kernkompetenz unternehmerischer Nachhaltigkeit". Das bedeute, durch Mitsprache bei der Gestaltung der Rahmenordnung die „Spielregeln“ so zu verändern, dass eine gesamte Branche, ein Sektor oder die Wirtschaft insgesamt auf der Grundlage gemeinsamer Regeln nachhaltiger werden. "Dass eine verantwortliche Interessenvertretung transparent und fair ausgeübt wird, ist dabei selbstverständlich."

Repräsentanz als "strategischer Raum"

"Um Ordnungsverantwortung wahrzunehmen, müssen Unternehmen zwei Disziplinen besser als heute beherrschen: Dialogfähigkeit und Strategiefähigkeit", meint Wedell. Handelsunternehmen müssten immer schneller und besser darin werden, die Bedürfnisse ihrer Stakeholder – Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, Politik, Verwaltung, NGOs u. a. - besser zu verstehen, oder wie es sein CEO Cordes, formulierte: „Wir müssen von einem Leistungsriesen zu einem Wahrnehmungsriesen werden.“

Das sei nun die Aufgabe einer Repräsentanz. Sie stelle einen "strategischen Raum zur Verfügung, der sich als Netzwerkknoten, Dialogplattform und Think Tank versteht."

"Lobbying war gestern", spitzt Wedell sogar zu. Man müsse "politische Kommunikation neu erfinden". Anstatt kurzfristig nur eigene wirtschaftliche Interessen zu verfolgen, könnten Unternehmen
ihren Einfluss im wohlverstandenen Eigeninteresse zum Zwecke gesellschaftlicher Belange einsetzen. „Responsible Lobbying“ unterscheide sich von der klassischen Form des Lobbyismus vor allem dadurch, wie mit politischen Entscheidungsträgern kooperiert wird (Prozess) und was Inhalte der Lobbyarbeit sind (Inhalte).
  • Prozesse: Die politische Kommunikation eines Unternehmens muss transparent und konsistent sein. Die Ziele, die ein Unternehmen mit der Lobbyarbeit verfolgt, und die genutzten Werkzeuge müssen klar erkennbar sein. Allen Gesprächspartnern gegenüber muss die gleiche Botschaft kommuniziert werden. 
  • Inhalte: Die Ziele der Lobbyarbeit müssen mit gesamtgesellschaftlichen Zielen vereinbar sein und dürfen nicht dem Erwerb von Privilegien dienen. Sie müssen mit der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens im Einklang stehen.
 (Abbildung aus Wedell, BBE Newsletter 2010, S. 5)

Die Repräsentanz werde stärker den Dialog mit Journalisten und Vertretern von Parteien, Ministerien, Verbänden und NGOs im politischen Berlin suchen und Themen mit konzerneigenen CSR-Maßnahmen verbinden – beispielsweise bei der Diskussion um die zukünftige Lebensmittelkennzeichnung, "in der es letztlich um Fragen geht, die bisher außerhalb des Kerngeschäfts lagen: Wie viel Mündigkeit wird dem Verbraucher zugetraut, wie viele Informationen
will er eigentlich, und welche Art von Kennzeichnung (insbes. der Nährwerte) führt letztlich zu einer gesünderen Ernährung? Und es geht um Fragen wie: Was sind die Lebensmittel wirklich wert, die wir kaufen und essen? Was ist der reale Wert unserer Kleidung?"

Ein erstes handfestes Ergebnis: Ein Kochbuch "Das Gute essen", bei dem ein Euro aus dem Verkaufserlös zur Spende für Die Tafeln verwendet wird. Da geht es nicht nur um Rezepte, sondern auch um die Rohprodukte und Nachhaltigkeit im Handel.

Vom Salon zur Web 2.0-Community


Wedell will die Aktivitäten der Repräsentanz und der CSR auch im Kontext von Social-Media-Projekten verankert wissen, wie man an der Internetplattform der "Mittwochsgeselschaft" sieht.

Wer sich auf der Website registriert, bekommt zu den Veranstaltungen jeweils ein Thesenpapier der Referenten und kann online darüber mit anderen diskutieren. Und hinterher reflektieren. Das soll die – gut besuchten – Veranstaltungen nachhaltiger machen als andere politische Events in Berlin.
"Diese Diskussionsrunde wird durch Verwendung von Web 2.0-Formaten intensiver, qualitativ hochwertiger und ermöglicht einen schnellen und produktiven Wissensaustausch, der die Transparenz und somit die Glaubwürdigkeit einer verantwortungsvollen Interessenvertretung unterstützt", schreibt Wedell in einem Beitrag zum im Dezember erschienenen Buch "Digital Public Affairs (Hg. Bender/Werner).

"Die Integration IT-gestützter Verfahren erweist sich als Beteiligungsinstrument zum Wissensaustausch als besonders relevant. Die Internetplattform der Berliner Konzernrepräsentanz wird bereits von vielen Beteiligten als Diskussionsforum genutzt und unterstützt so ideal den Offline-Diskurs, indem sie auch vor und nach Veranstaltungen durch ein gemeinsames Forum vernetzt und so kollektiven Wissensaustausch erst möglich macht. Die Plattform stellt zudem Referenten im Stile gängiger Web 2.0-Formate vor und integriert offline Vorträge per Videosequenz („Youtubes“)."
Hintergrund: Seit 2010 hat die Metro Group eine Social Media Steering Group, die fach- und konzernübergreifend die Web 2.0-Aktivitäten steuert. Bisher war Metro vor allem mit einem Personal-Recruiting-Blog "Meeting Metro" unterwegs. Für CSR, Produktverantwortung, Marketing, Konzernkommunikation, IT sollen Online-Kommunikationsmittel von (Projekt-) Blogs über Facebook bis Twitter und YouTube entwickelt werden. Stakeholder sollen über diese Kanäle informiert und integriert werden, der Dialog online verstärkt werden.

Grassroots und Kampagnenfähigkeit

Wedell denkt aber schon weiter, konkret an Grassroots-Kampagnen und Grassroots-Lobbying mit Hilfe von Mitarbeitern, von Kunden und sonstigen Freunden ("Follower") seiner Unternehmensgruppe:
"Unternehmen können Graswurzel-Konzepte für sich nutzen; sie können Nachfragemacht für nachhaltige Märkte schaffen und sie können in diesem Sinne Einfluss auf die Politik nehmen. Wenn einem Unternehmen das dafür notwendige Vertrauen entgegengebracht wird, muss es nur die technische Plattform schaffen, um Politik und Medien zu erreichen." (...)
Unternehmen, denen es gelingt, in Social Media-Angeboten einen offenen Dialog zu entwickeln und Nutzer als überzeugte „Follower“ zu gewinnen, verfügen über die Chance, diese Online-Community auch offline in eine verantwortliche Interessenvertretung einzubinden. Ebenso wie Kunden, die von einem Produkt überzeugt sind, durch Mundpropaganda als glaubwürdige (weil freiwillige) Multiplikatoren fungieren, können Stakeholder – egal ob Kunden, Wissenschaftler, Politiker o. a. – in Maßnahmen einer verantwortlichen Interessenvertretung eingebunden werden.
Dies setzt neben den bereits genannten Kompetenzen in Sachen Kommunikation zukünftig regelrecht eine Kampagnenfähigkeit voraus, beispielsweise durch das Organisieren von politischen Flashmobs oder vorpolitischer Willensbildung." (Buchbeitrag zu "Digital Public Affairs")
Starke Worte, erstaunlich sogar. Passt das wirklich zur Kultur des deutschen Einzelhandels, zur Wirklichkeit an der Kasse bei Real, Kaufhof und MediaMarkt? Zumindest passt es zur Vorgeschichte Wedells. Der studierte Theologe und Politologe Wedell ist kein Kind des Einzelhandels, sondern Ex-Politikmanager der Grünen und im Lobby- und CSR-Kommunikationsbereich in anderen Branchen erfahren (Vodafone, Dresdner Bank), zudem freiberuflicher Supervisor und Coach. Die Besonderheiten psychologischer und sozialer Prozesse hat er sicherlich verinnerlicht. Wer sein Denken verstehen will, dem sei sein Artikel "Ethik in prekären Zeiten - Versuch über eine politische Kultur des Versprechens" (2009) empfohlen.

Falls jemand im Konzern zu mutig werden sollte, aggressive Kampagnen zu starten, hier ist Wedells Mahnung: Auch wenn Unternehmen in diesem Rahmen Wortführerschaft übernehmen könnten, sei der "Dialog auf Augenhöhe" zentrale Voraussetzung. Kunden dürften nicht bevormundet werden. "Ihr Engagement in der politischen Kommunikation – beispielsweise für nachhaltigen Konsum (Stichwort: Carrot Mob) – muss sich ein Unternehmen durch die glaubwürdige Übernahme von Verantwortung immer wieder neu verdienen."

Sonntag, 26. Dezember 2010

Satire: Angela M. hat Lobbyismus

Satire darf alles, auch handgemachte. Eine "Betroffenheitsdoku" über die schwer erkrankte Patientin Angela M. Heilmittel sind schwer zu bekommen, sagen die Fachärzte.

Bundestag: Sicherheitsrisiko Hausausweis?

Einen Hausausweis für den Bundestag haben viele, nicht zuletzt viele Lobbyisten. Wirklich exklusiv ist das nicht. Derzeit seien „circa 18.400 gültige, persönlich zugewiesene Bundestagsausweise (...) im Umlauf“, meldet die Berliner Morgenpost.

Die Zeitung beruft sich auf ein Papier aus dem Referat „Polizei und Sicherungsaufgaben“ der Bundestagsverwaltung vom 8.12.2010. Mit dem Hausausweis ist ein „privilegierter Zutritt“ verbunden, die Sicherheitsbeschränkungen für Tagesgäste fallen weg, es gibt weder Anmeldung, Ausweispfand noch Begleitung. 8500 Bundestagsausweise bekamen alle möglichen Beschäftigten von Abgeordneten, Fraktionen und Verwaltung, darunter „592 unentgeltlich beschäftigte Praktikanten sowie 178 ‚freie Mitarbeiter’“. Dann sind da noch 3500 Handwerker, Lieferanten und andere Dienstleister sowie 3700 Hausausweise für andere Behörden und Diplomaten, schließlich 2700 Bundestagsausweise an EU-Parlamentarier sowie Lobbyisten. Mit Presseakkreditierungen u.a. soll die Zahl der Ausweise bei rund 23.000 liegen.

Nun scheint die Terrorgefahr ein Umdenken zu bringen. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sagte der Zeitung, es werde künftig eine deutlich restriktivere Vergabepraxis der Hausausweise geben: „Wir werden überlegen müssen, wie wir die Zahl der Menschen reduzieren können, die mit einem allzu leicht erreichbaren Hausausweis in den Gebäuden des Parlaments herumlaufen“, sagte er. Offenbar gibt es unter den Bundestagsfraktionen bereits eine erste Verständigung darauf, die Zahl der Hausausweise wegen der Terrorgefahr drastisch zu reduzieren.

Militärforschung im EU-Rahmenprogramm Forschung?

Die EU-Forschungspolitik hat ein gigantisches Budget: 54 Mrd. € sind für den Zeitraum 2006-13 eingestellt, das 7. Forschungsrahmenprogramm. Die Vorbereitungen für das 8. FRP (2014-2020) laufen längst, und zahlreiche Lobbyisten sind unterwegs, um für Unis, Forschungsinstitute und forschungsintensive Konzerne und KMU ein Stück vom Kuchen zu sichern. Ein großer Teil des Etats fließt in angewandte Forschung, sprich: Technologieentwicklung.

So ist nicht überraschend, dass auch militärische High-Tech-Unternehmen ihre Forschung und Entwicklung daran Interesse haben. Da die EU die europaweite Zusammenarbeit bei der Rüstung forciert (siehe Blogbeitrag vom 11. November, "Schwere Zeiten für die Rüstungslobby"), liegt das nahe.

Die Nichtregierungsorganisation IPS berichtet, dass EU-Beamte und Rüstungsunternehmen "hinter verschlossenen Türen" darüber beraten, ob das Forschungsrahmenprogramm auch militärische Projekte einschließen kann. IPS zitiert den heutigen Politikberater und ehemaligen Leiter der strategischen Unternehmensentwicklung der Rheinmetall AG (Defence), Burkhard Theile, mit der Aussage, er wünsche sich die Einbeziehung von Projekten wie Aufklärungs- und Kampfdrohnen (Unmanned Air Vehicles, UAV). Solche Drohnen hätten sowohl zivilen wie auch militärischen Nutzen und sollten durch die EU finanziert werden, so Theile zu IPS. Sie könnten für Grenzkontrollen oder für militärische Missionen wie in Afghanistan Verwendung finden.
Nachtrag vom 9.5.12: Dr. Burkhard Theile bestreitet diese IPS-Darstellung. Er habe diese Aussage nicht nicht gemacht. Er erläutert: "Dem IPS Journalisten, der mich telefonisch befragt hatte, habe ich gesagt, dass es gar keine Gemeinsamkeiten zwischen militärischer und ziviler Forschung geben kann und habe diese meine nach wie vor gültige Überzeugung auch begründet. Als einziges Gebiet, in dem es zu einer Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Stellen kommen muss, habe ich die Regelung der Teilnahme von unbemannten Fluggeräten am Luftverkehr genannt. Über Anwendungsbereiche wie Grenzkontrollen habe ich gar nichts gesagt. IPS hat dann eine Pressemitteilung mit völlig entstelltem und in der Tat erfundenen Aussagen von mir veröffentlicht. Ich hatte IPS aufgefordert, diese Veröffentlichung zurückzuziehen. Eine Antwort habe ich von IPS nie bekommen. Ich habe die Sache auch nicht weiter verfolgt, da meine Erfahrung ist, dass unsolide Agenturen als solche allgemein bekannt sind und nicht von denen Ernst genommen werden, deren Meinung zählt."
(Hervorhebungen von mir. Aussagen lt. Email Dr. Theile vom 8.5.12)

Militärische Forschung war bisher nur in Randbereichen möglich, nämlich dort, wo zivile und militärische Nutzungsmöglichkeiten vorliegen ("dual use"). Ein Grund dafür liegt darin, dass Regierungen der Mitgliedstaaten der EU-Kommission, die die Forschungsgelder verwaltet, keinen zu großen Einfluss in militärischen Angelegenheiten gestatten will. Außen- und Sicherheitspolitik ist bisher weitgehend Sache des Rates der EU gewesen. Zwar hat die EU jetzt mit Catherine Ashton eine "Außenministerin", die neben dem Amt einer Vizepräsidentin der Kommission auch Chefin der Europäischen Verteidigungsagentur EDA ist, die den europäischen Militärbeschaffungsmarkt koordinieren soll. Allzu weitgehende Befugnisse wollen die Staaten Brüssel aber nicht einräumen. Die Erfahrung zeigt, dass Brüssel schnell auch in den Politikbereichen Einfluss gewinnt, für die rechtliche Befugnisse gar nicht vorgesehen sind, wenn die EU ihre Finanzmittel ausspielt.

"Sicherheitsforschung" (Security Research) ist gleichwohl ein Teil des 7. Forschungsrahmenprogramms (Beschreibung auf der Website des BMBF). 2006 war dies erstmals ein prioritärer Themenschwerpunkt mit Querschnittscharakter, der andere Politikbereiche wie Transport, Gesundheit, Energieversorgung und Umweltschutz berührt. Für die Sicherheitsforschung wurden 1,3 Mrd. € zur Verfügung gestellt. Allerdings lagen die Schwerpunkte bei Bedrohungen wie Terrorismus, Grenzsicherheit, organisierter Kriminalität, Naturkatastrophen sowie Industrieunfällen.

Der Fokus auf zivile und innere Sicherheit schloss bisher klassische Waffenforschung mit militärischem Charakter aus. Nun ist die Not in der wehrtechnischen Industrie aber groß, denn die meisten EU-Staaten haben große Schwierigkeiten mit der Finanzierung notwendiger Modernisierungen ihrer Streitkräfte. Für Großprojekte fehlt den Regierungen sowohl das Geld als auch der politische Wille. Umso verlockender ist Brüssel als Geldquelle.

IPS weist auf die zentrale Rolle des EU-Projektnetzwerks SANDERA (Security and Defence policies in the European Research Area) hin. Sandera wird eigentlich aus dem EU-Fördertopf für Sozialwissenschaften finanziert; nun sei es die Plattform, auf der auch über die Einbeziehung militärische Projekte gesprochen werde.

Nach einer im Oktober veröffentlichten Studie des Europäischen Parlaments (“Review of security measures in the Research Framework Programme”, Politikbereich Bürgerrechte und Verfassungsfragen) erhält die wehrtechnische Industrie bereits heute erhebliche Subventionen aus dem EU-Haushalt unter dem Etikett der Sicherheitsforschung.

Die Studie weist darauf hin, dass Unternehmen wie BAE Systems, Diehl, EADS, Ericsson, Finnemecanica, Sagem, Siemens und Thales schon bei der Vorbereitung des Themenschwerpunkts Sicherheitsforschung beteiligt waren (so über den Beirat European Security Research Advisory Board 2005-2006). Sie hätten die Empfehlungen für den Zuschnitt des Bereichs Sicherheitsforschung beeinflussen können, und sie profitierten auch von ersten Pilotprojekten und ab 2006 von der Bereitstellung der regulären Fördergelder.

In der Auswertung der Projektfinanzierungen aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm stellt die Studie fest, dass Unternehmen und Organisationen aus nur fünf EU-Staaten (Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden und Israel, das seit den 1990ern an der EU-Forschungspolitik beteiligt ist) den Großteil der Fördermittel vereinnahmten. Transnationale Unternehmen der Sicherheitswirtschaft, Institute der angewandten Forschung (wie z.B. die deutsche Fraunhofer-Gruppe) sowie Regierungseinrichtungen hätten den weitaus größten Anteil, während Universitäten und NGOs nur marginale Finanzierung erhielten.

Klassische sozialwissenschaftliche Fragestellugen zu rechtlichen, politischen, sozialen und ethischen Problematiken der Sicherheitsforschung erhielten daher geringe Aufmerksamkeit, während die Technologieentwicklung klar im Vordergrund stehe. Sozialwissenschaftliche und Technikprojekte würden im Regelfall auch nicht zusammengeführt.Die Studie kritisiert weiterhin, dass bei der EU-Kommission oftmals nicht die Generaldirektion Forschung, sondern die Generaldirektion Unternehmen der zentrale Motor für die geförderten Projekte darstelle.

Privilegierter Zugang: Stiller Gast im Bundestagsausschuss

„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit…“, heißt es in einem einem Kirchenlied, das in der Weihnachtszeit oft erklingt. Das scheint auch Hans-Michael Goldmann (FDP), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, beseelt zu haben. Zumindest selektiv. Wie der Spiegel berichtete, hatte ein Lobbyist mehrmals Zugang zu nichtöffentlichen Sitzungen des Ausschusses. Offenbar hat ihn ein Mitarbeiter der FDP-Bundestagsfraktion hineingeschmuggelt. Das sollte nicht sein.
  • Erstens, weil die Nichtöffentlichkeit von Ausschusssitzungen (die man kritisch sehen darf) nun einmal eine ernst zu nehmende Spielregel des Parlaments ist – §69 der Geschäftsordnung ist ziemlich eindeutig, die GOBT kennt nur die Ausnahmen von §§69a und (Erweiterte öffentliche Ausschussberatung) und 70 (Öffentliche Ausschusssitzung). 
  • Zweitens, weil es beim Zugang gleiche Chancen für alle Interessenvertreter geben muss.Wenn ein Lobbyist hinein darf, darf auch ein anderer hinein, und das kann man dann überhaupt nicht auf Lobbyisten beschränken, sondern auch Presse und allgemeine Öffentlichkeit müssen Zugang haben.

Der Ausschuss hat 34 Mitglieder; während einer Ausschusssitzung sind meist auch Mitarbeiter des Ausschusssekretariats, der sonstigen Bundestagsverwaltung, von Fraktionen, Abgeordneten und Ministerien anwesend. Während der Sitzung treten immer mal wieder Leute hinein und hinaus. Das wird dann schnell unübersichtlich. Ein weiterer junger Anzugträger wie Patrick Alfers, Consultant bei der Berliner Agentur hbpa, fällt dabei nicht weiter auf. Dass er und seine Agentur für die Lebensmittelbranche arbeiten, muss man wissen. Sein Gesicht fiel offenbar erst vor kurzem auf, und die Grünen ließen ihn vor die Tür setzen.

Interessant wird die pikante Angelegenheit durch die Aussage Alfers, er habe sich "immer ordentlich angemeldet", und das Büro des Auschussvorsitzenden sei informiert gewesen. Nun gibt es aber kein Routineverfahren, mit dem sich Interessenvertreter einfach so als Gäste "ordentlich anmelden" könnten. Jedenfalls nicht bei nichtöffentlichen Sitzungen. Wenn der Ausschussvorsitzende das wusste, hat er dann tatsächlich generös zugestimmt? Was hat sich der FDP-Fraktionsmitarbeiter gedacht, dass er den Interessenvertreter quasi als Mitarbeiterkollegen der Fraktion hinein geleitet hat?

Zudem: Als Food-Lobbyist dürfte Alfers eine ganze Menge Bekannte im Ausschuss und den dort anwesenden Mitarbeitern haben, nicht nur bei der FDP, der er angehört. Er ist ja schon seit zwei Jahren bei hpba und für Bundestagskontakte zuständig. Aufgefallen dürfte Alfers daher einigen schon früher sein, so unauffällig er sich auch verhalten haben mag. Da fragt man sich, ob die Abgeordneten und anderen, die ihn kannten, einfach weggeschaut haben.

"Nicht mit Ruhm bekleckert" habe sich die FDP, meint der Politikberater und Lobbyist Udo Sonnenberg in seinem Blog Fette Henne:
Wenn die Sitzungsteilnahme des Lobbyisten für die Ernährungsindustrie Alfers dem Vorsitzenden Goldmann verborgen geblieben ist, dann ist das bedenklich. Wenn es gar mit seinem Wissen geschah, umso bedenklicher. Denn es wird  der Hinweis geliefert, dass ein FDP-Fraktionsmitarbeiter dem Lobbyisten Zugang verschafft hat. Die Fettnäpfe lauern überall und da hat sich offenbar der kleine Koalitionspartner mal wieder nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Leider ist das erneut ein Beitrag in Richtung Wasser auf die Mühlen derjenigen, die externe Interessenvertretung am besten ganz unterbinden wollen. Die Frage ist schlicht wozu? Jedem erfahrenen Lobbyisten mit entsprechendem Kontaktnetzwerk erschließen sich Quellen und legale Informationszugänge. Da muss man sich nicht in Sitzungen schleichen, in denen man nichts verloren hat.
Stimmt. Gerade hbpa ist in FDP-Kreisen gut verdrahtet, man wundert sich schon etwas über den Vorgang. Zudem ist die von Hans Bellstedt geführte hbpa recht sichtbar und ist keine Schattenmänner-Agentur, sondern wirbt für einen offenen Umgang mit Public Affairs und Respekt für die Spielregeln. Erst am 1. Dezember hat sie eine öffentliche Veranstaltung zum Thema „Immer diese Lobbyisten..!? – Spielräume und Grenzen der Interessenvertretung“ aufgelegt, in der mehrfach kritisch diskutiert wurde, dass Intransparenz und allzu flexible Regeln an der Schnittstelle zwischen politischen Institutionen und Lobby am Ende schädlich fürs Geschäft sind.


Panel-Diskussion am 1. Dezember 2010 from hbpa on Vimeo.

Hinweis: Die Veranstaltung fand aus Anlass des Erscheinens des von Hans Bellstedt herausgegebenen Buches "Public Affairs: Strategien und Instrumente der Interessenvertretung für Wissenschaft, Wirtschaft und Institutionen" statt. Der Autor dieses Blogs ist einer der Autoren.

Freitag, 24. Dezember 2010

Strategische Planer in deutschen Regierungszentralen

Vom Münsteraner Politikwissenschaftler Dominic Schwickert ist vor kurzem im VS Verlag das Buch "Strategieberatung im Zentrum der Macht: Strategische Planer in deutschen Regierungszentralen" erschienen (Auszug bei der NRW School of Governance).

Zum Hintergrund des Buches erschien jüngst auch ein interessantes Interview mit Schwickert auf Spreerauschen.net. Er sagt darin mit Bezug zu jüngeren Studien über Politikberatung:
"Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass sich die Debatte zu stark auf die Arbeit von externen Organisationen wie Agenturen, Stiftungen, Unternehmensberatungen und Kanzleien fokussiert. (...) Die externe Politikberatungsbrache ist dynamisch und boomt. Und natürlich erregt es die Gemüter, wenn irgendwelche Kreativköpfe aus einer knalligen Werbeagentur oder die hochbezahlten McKinseys und Roland Bergers im Nadelstreifen in die heiligen Regierungshallen einmarschieren. Das hat etwas Glamouröses und gleichzeitig gerade im Hinblick auf Steuergelder etwas Unanständiges. Und obwohl diese Beratungsbeispiele viel Aufmerksamkeit erzeugen, spiegeln sie meines Erachtens nur einen sehr kleinen Teil des deutschen Regierungsalltags wider. So haben es in Deutschland viele externe Politikberater immer noch schwer, im Zentrum der politischen Macht Fuß zu fassen. Grund dafür ist insbesondere der Faktor Vertrauen im Dunstkreis der Regierungschefs.

Interne Beratung besitzt deshalb einen großen Loyalitätsvorschuss gegenüber externer Beratung, weshalb letztere immer nur ergänzend aber niemals ersetzend sein kann. (...) Der Einfluss dieser öffentlichkeitsfernen und geräuschlosen Form der Politikberatung auf die Entscheidungen einer Regierung ist kaum zu überschätzen. Deswegen wollte ich mich tiefergehend mit dem Innenleben von Regierungsorganisationen auseinandersetzen. Ich habe mich gefragt: Wie gelangen innovative Ideen und zukunftsweisende Konzepte zu den politischen Entscheidungsträgern? Wie laufen die regierungsinternen Beratungsprozesse konkret ab? Wer sind die regierungsinternen Strategieberater der Regierungschefs und wie arbeiten sie? Mein erklärtes Ziel war es zunächst, die regierungsinternen Strukturen und Abläufe besser zu verstehen. Darauf aufbauend habe ich mich der Frage gewidmet, wie die Strategieberatung der Regierungschefs optimiert werden kann."

Das Buch geht also davon aus, dass Regierungschefs in den Ländern für eine zukunftsfähige Politikgestaltung  auf anspruchsvolle Strategieberatung durch regierungsinterne Vordenker angewiesen sind. Schwickert hat vor allem Interviews mit den Leitern von Grundsatz- und Planungsreferaten durchgeführt. Den theoretischen Hintergrund bilden die von Praktikern wie Wissenschaftlern geführten Debatten um politische Steuerung und Strategie (z.B. das Buch von Joachim Raschke und Ralf Tils, Politische Strategie: Eine Grundlegung).

In der Berliner Republik hat Dr. Carsten Stender, vormals SPD-Justiziar und in diversen Planungsfunktionen beschäftigt, heute Büroleiter der brandenburgischen Wissenschaftsministerin Martina Münch, das Buch unter dem Titel "Glanz und Elend politischer Planung" rezensiert. Er meint, "offene Worte einiger Planungsreferenten bringen Licht in die Black Box des politisch-administrativen Systems".

Ein namentlich ungenannter Planer bekennt: „Ich glaube, es wäre der Tod einer jeden Planungseinheit, wenn alles, was einmal angedacht wurde, auf den Markt getragen würde.“ Der Leiter eines anderen Planungsreferates ergänzt: „Jeder im Haus weiß, dass es uns Planer gibt. Aber so genau weiß keiner, was wir machen.
Schwickert schöpfe "jede Menge Anschauliches" über die Denkweise der Kernexekutiven: „Die Politik muss ein gewisses populistisches Element innehaben, weil man einfache Geschichten erzählen muss, die den Einzelereignissen Sinn verleihen. Ein interessierter landespolitischer Beobachter sollte auf Anhieb einen Zusammenhang erkennen können. Drei, vier, fünf Projekte, mehr dürfen es nicht sein. Dann sagt man: Aha, bürgerschaftliches Engagement oder Jugend oder demografischer Wandel, dafür macht sich doch unser Ministerpräsident stark.“

Wer eine kohärente Regierungspolitik formulieren wolle, müsse die einzelnen Spiegelstriche der Vorhabenlisten mit langfristigen, übergreifenden Zielen verbinden. Regierungshandeln solle so kommuniziert werden, dass Handlungsfähigkeit und „Themenschneisen“ erkennbar werden. Nun zwängen solche „Leitmelodien“ zur Beschränkung auf zentrale Botschaften, Planungsakteure betrieben daher das Geschäft der „Priorisierung“. Sie reduzierten Komplexität und trennen Wichtiges von Unwichtigem. Auf diese Weise erfährt auch erratisches Geschehen die Anmutung von Ordnung.
Im Idealfall bildeten Planungsreferate eine leistungsfähige Schnittstelle zwischen Verwaltung, Politik und Wissenschaft, so dass neue Ideen in den politischen Prozess diffundieren können. „Ich fordere meine Mitarbeiter auf: Zieht alleine los, hört euch um und macht und tut! In den täglichen Morgenrunden wird dann immer alles zusammengetragen und ausgewertet“, so ein Interviewpartner. „Wir haben eine Antenne in die Ministerien, die Regierungsfraktion und Regierungsparteien, aber auch in Stiftungen, Verbände, Unternehmen und Universitäten.“

Eine zu große Autonomie der Ressorts führe zu Planlosigkeit und Stückwerkspolitik. Andererseits ziehe eine Übersteuerung durch die Staatskanzlei jede Menge interner Konflikte nach sich.

Das Geschäft erfordere also politisches Gespür für das rechte Maß. Häufig beschränke sich die Rolle der Staatskanzleien im Gesamtgefüge der Landesregierung auf Moderation und Konfliktmanagement. Es gelte, regierungsinterne Zentrifugalkräfte in Schach zu halten.
Glaubt man Schwickerts Interviewpartnern, so sind sich die Staatskanzleien dieser Gefahr durchaus bewusst. Machtworte geraten rasch zum Ausdruck von Ohnmacht: „Man muss konsensual arbeiten und die Ressorts mitnehmen, um Erfolg zu haben.“ Es ist vor allem die geringe eigene Problemverarbeitungskapazität der Staatskanzleien, die zum freundlich-kooperativen Dialog mit den Ressorts mahnt: „Die Zentrale kann es sich nicht leisten, gegen die Ressorts zu arbeiten. Dafür reichen die Kapazitäten nicht.“ Unter Hinweis auf die fachliche Expertise und das Detailwissen der Ressorts werden direkte Interventionen in die Ressortzuständigkeiten vermieden. Stattdessen ziehen sich die Planer auf „Querschnittthemen“, „Antreiben“ und „Ideentransport“ zurück.

Haben neue politische Konzepte der Zentrale einen gewissen Reifegrad erreicht, wandert die Federführung in die Ressorts. Wie stellt man aber sicher, dass die von der Regierungszentrale ausgegangenen Impulse nach Auflösung der interministeriellen Arbeitsgruppen nicht versanden? „Je nachdem, mit wem Sie es zu tun haben, ergibt sich ja das Problem, dass die Ressorts das alles gar nicht so spannend finden. Dann müssen Sie die Implementierung schon einigermaßen eng begleiten, damit das nicht in dem Moment ‚abschmiert’, wo die Kollegen in den Häusern denken, sie seien unbeobachtet und könnten das schnell begraben.“ Im operativen Geschäft beweist sich hier die Kontaktpflege zu den Ministerbüros: „Erfolgreiche Steuerung basiert meist auf möglichst langjähriger guter Zusammenarbeit mit den M-Büros. Das kann man nicht anweisen, das kann nur dadurch funktionieren, dass sie im Laufe der Jahre gute und vertrauensvolle Netzwerke aufbauen.“ 
Wer den Berufswunsch „Planungsreferent“ verfolge, sollte eine gewisse charakterliche Schussfestigkeit mitbringen. Mit Ja-Sagern sei der politischen Führung nicht geholfen. Mit notorischen Rechthabern allerdings auch nicht. Ansonsten zählten Eigeninitiative, Diskussionsfreude und eine gewisse Unkonventionalität. Gesucht würden „fundierte Generalisten“, die sich schnell in Themen einarbeiten können und politisches Feingefühl besitzen. Weniger gefragt seien Leute, „die den letzten Kieselstein umdrehen und sich in allen Details auskennen“. Es brauche die Perspektive von gut ausgebildeten Laien, die widerspiegeln können, was in der Bevölkerung ankommt. Der Schlüssel ist die Fähigkeit, die maßgeblichen Informationen zu sammeln, zu strukturieren und zu verdichten.

Das Leitbild sei der wissenschaftsaffine Praktiker: Wissenschaftler im eigentlichen Sinne seien eher ungeeignet, denn – anders als im Wissenschaftsbetrieb – zählten in den Staatskanzleien vor allem Verwertbarkeit und Praxistauglichkeit der Ideen. „Wir betreiben hier keine Forschung. Das machen andere besser. Da gibt es politische Stiftungen und entsprechende Lehrstühle, die produzieren wunderbare Forschungsergebnisse, die wir nutzen können.“

Die Rekrutierungsziele für den Planungsnachwuchs seien: Verwaltungsexterne Befruchtung („keine Verwaltungskarrieren“), Interdisziplinarität („kein Juristenmonopol“), eine hohe Fluktuationsrate („häufige Durchmischung“) und ein möglichst junger Altersdurchschnitt („Team unter 40“).

Das sei zumindest der Anspruch. In der Realität kämpften die Planungsreferate aber mit fehlenden „monetären Leistungsanreizen“, dem Mangel an leistungsgerechter Bezahlung und einer harten Konkurrenz mit attraktiven privaten Arbeitgebern um die kreativen Köpfe.
In den Personalreferaten herrsche demnach oft „ein total überkommenes Denken vor. Viele sind der Auffassung, dass ein Angebot aus dem Öffentlichen Dienst das allergrößte ist, worauf junge Hochschulabsolventen gewartet haben.“

Im Tagesgeschäft angekommen, rängen die Planungsakteure um den Zugang zum Ministerpräsidenten und die gefühlte Länge des Dienstweges. „Wie ernst etwas innerhalb des Hauses genommen wird, hängt immer davon ab, wie der Zugang zum Ministerpräsidenten ist.“  Der Draht zum Büroleiter entscheide, stellt Stender (selbst Büroleiter einer Ministerin) fest. Es zeige sich beispielhaft das Zusammenspiel von Formalität und Informalität in der Kernexekutive: „Wenn jemand ein ganz besonderes Verhältnis zum Büroleiter des Ministerpräsidenten hat und ihm Informationen steckt, wird ein Abteilungsleiter, der von Amtswegen eigentlich Zugriff hätte, ausgebremst. Das ist der diskret-trügerische Charme der Bürokratie.“

Wichtiger noch als die formale Aufhängung sei, so Stender, offenbar die Planungs- und Strategieaffinität des Regierungschefs. Weise der Ministerpräsident selbst eine Neigung zu strategischem Denken auf, stärke dies die Planungseinheit im hausinternen Machtgefüge. Andere Ministerpräsidenten regierten dagegen eher aus dem Bauch heraus oder orientierten sich an der Abarbeitung des Regierungsprogramms. Solche nicht-strategischen Regierungsstile erwiesen sich oft als Sargnägel jeder konzeptionellen Arbeit.

Unter Hinweis auf Brandenburg und Sachsen formuliere Schwickert die These, dass gerade Zeiten großer Herausforderung durch Haushaltskonsolidierung und demografischen Wandel auch Chancen für Erneuerungsprozesse bieten. In deren Windschatten könne sich eine Renaissance der politischen Planung vollziehen.

"Eine solche stärkere Hinwendung erscheint durchaus nötig", meint Stender. Er zitiert aus dem Buch den ehemaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Heinrich Tiemann: politische Grundsatzarbeit und strategische Planung fänden in der heutigen Regierungspraxis kaum noch statt. Seit Jahren gebe es einen fortschreitenden Aderlass an einschlägigen Ressourcen. Im Arbeitsalltag würden die Kapazitäten operativ gebunden. Anschließend fehle es an der strategischen Regierungsplanung.
Planungsakteure scheinen bisweilen so tief in die Tagespolitik involviert, dass sie ihre Kernkompetenz – die professionelle Strategieentwicklung – nur ungenügend einbringen können. In diese Kerbe schlagen auch andere Interviewpartner: „Ich würde mir wünschen, dass wir mehr von diesem Kleinzeug ferngehalten werden, das so etwa 20 Prozent unserer Ressourcen frisst.“ 
Die Praktiker stöhnen, dass ihre Hausspitze immer dann reflexartig auf die Planungsakteure zurückgreife, wenn kein idealer Ansprechpartner im Apparat für ein Querschnittsthema zu finden sei. Sie leiden unter faktischer Allzuständigkeit. Zugespitzt nehmen die Praktiker wahr, dass die Regierungsplanung in ein „Pflicht versus Kür“-Verhältnis gedrängt werde: Strategische Planung finde statt, soweit das operative Tagesgeschäft dafür Raum lässt. Eine Renaissance der politischen Planung müsste dieses Verhältnis umdrehen. Mit Egon Bahr könnten die heutigen Planer dann wieder schwärmen: „Der köstliche Luxus, insgesamt die Themen selbst zu wählen, weitgehend unbelastet von administrativen Pflichten. Die schönste Zeit meines Berufslebens habe ich im Planungsstab genossen.“
Auch Oliver Liedtke von der Robert-Bosch-Stiftung hat das Buch rezensiert. Er kommt zu dem Schluss:
Offen bleibt die Frage, wie viel Anteil ein strategischer Akteur durch Talent, Geschick und Erfahrung an einer guten Strategie eigentlich hat. Hier stößt die politikwissenschaftliche, stark institutionell geprägte Perspektive wahrscheinlich an ihre Grenzen. Dies führt bei Schwickert jedoch keineswegs zu Lücken im Analyseraster, die einen blinden Fleck vermuten ließen. Im Gegenteil: Durch die Dichte des Rasters und die konsequente Anwendung des institutionellen Paradigmas in den Interviews gewinnt die Arbeit an Wert. (...)
In einigen Passagen erkennt man bei Schwickert die gedankliche Nähe zu den beiden Strategieforschern Joachim Raschke und Ralf Tils, die bereits viel Mühe darauf verwendet haben, das weite Feld der politischen Strategie grundlegend und vor allem theoretisch aufzuarbeiten. Insbesondere ihre detaillierte Begriffsbegründung hat zu Recht große Beachtung gefunden. Schwickerts empirische Analyse der strategischen Akteure in den Regierungszentralen auf Länderebene fügt sich nahtlos in diese aktuelle Strategieforschung ein und die im Fazit abgeleiteten fünf Thesen bieten Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungsfragen in diesem wachsenden Forschungszweig.

Donnerstag, 16. Dezember 2010

"Geben und Nehmen. Das Prinzip Wolfsburg"

Mit einem außergewöhnlichen langen Feature hat die Welt das "Prinzip Wolfsburg" beleuchtet – die Funktionsmechanismen jener "Hauptstadt von VW", in der sich Weltkonzern, regionale Unternehmen, Stadtpolitik und IG Metall stets die Hände reichen:
Nirgendwo sonst lassen sich Stärken und Schwächen der sozialen Marktwirtschaft, das konstruktive Miteinander von Kapital und Arbeit, die Konsensrepublik und die Filzrepublik modellhaft auf engstem Raum besser beobachten als hier.
Der Beitrag behandelt die Stadtwerke-Affäre und die Wut des Oberbürgermeisters Rolf Schnellecke, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, aber geht weit darüber hinaus – bis nach China. Lesenswert.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Transparenz: Wie man ein dichtes Regelwerk für Lobbyisten baut – das Beispiel Wisconsin

50 Staaten haben die USA, und so viele amtliche Definitionen von "Lobby", "Lobbying" und "Lobbyist" gibt es auch. Von Alabama bis Wyoming sind die Definitionen in einer Tabelle der National Conference of State Legislatures (NCSL) aufgelistet.

Da professionelle Interessenvertreter sich in den meisten Staaten registrieren müssen und teilweise sehr strengen Offenlegungspflichten unterliegen, die bisweilen deutlich über die Bundesvorschriften in Washington hinaus gehen, definieren regionale Staatsparlamente die Tätigkeit relativ genau in eigenen Gesetzen.

Im vergangenen Jahrzehnt haben zahlreiche US-Staaten ihre Lobby-Gesetze substanziell verändert und verbessert, auch als Antwort auf zahlreiche Skandale und Affären (siehe Untersuchungen des Center for Public Integrity).

Eine Schwierigkeit besteht stets darin, Profi-Lobbyisten von normalen Bürgereingaben und ehrenamtlicher Amateur-Lobby abzugrenzen. Fast immer bezieht sich die Lobbyisten-Definition daher über das Salär. Also: Wer für Geld lobbyiert, ist ein Lobbyist – und fällt unter die Vorschriften. Einige Staaten machen es allerdings komplizierter und definieren Schwellenwerte: wer so-und-so-viel Geld bekommt und so-und-so-viel Stunden Lobbyarbeit betreibt, ist ein Lobbyist.

Interessant sind die vielen Ausnahmen, die nicht Lobbying darstellen. Wer z.B. an Ausschussanhörungen als Betroffener oder Sachverständiger teilnimmt, an allgemeinen Versammlungen und Treffen teilnimmt, Briefe schreibt oder nur Smalltalk mit einem Politiker macht, fällt aus der Definition.

In einigen Gesetzen werden Vertreter von Behörden beim Gespräch mit anderen Institutionen explizit ausgenommen, ebenso wie Pressevertreter. Aus europäischer Sicht klingt das selbstverständlich – ist es aber nicht.
  • In einigen US-Staaten fallen Vertreter von staatlichen Institutionen durchaus unter die Lobbyisten-Rubrik.
  • Nicht jeder Vertreter einer Publikation ist ein unabhängiger Journalist; um zum Beispiel zu verhindern, dass sich Verbands- und Unternehmensvertreter mit dem Presseausweis ihres Hausblatts Zugang verschaffen (auch davon hat man in Europa und Deutschland schon gehört) und sich an den Lobby-Vorschriften vorbeimogeln, wird genau geprüft.
Anders als deutsche Landtage haben US-Parlamente in den Einzelstaaten noch sehr viel als Gesetzgeber zu sagen. Dementsprechend viele Lobbyisten sind daher in den Staatshauptstädten präsent – und die Regulierung hat für einige der Staaten eine sehr lange Tradition.

Beispiel Wisconsin –
Von der Lobby-Lizenz bis zum amtlichen Tagesbericht


Der stets fortschrittliche Staat Wisconsin gilt als Vorreiter bei der Lobby-Überwachung mit seiner Datenbank "Eye on Lobbying". Wer mehr als vier Tage pro Halbjahr lobbyiert und mit anderen als den eigenen Wahlkreisabgeordneten spricht, fällt unter ein umfassendes Registrierungs- und Überwachungssystem.

Profis benötigen eine Lobby-Lizenz und müssen halbjährlich Protokolle ihrer Aktivitäten einreichen, und zwar tagesgenau.
Damit das gut klappt, bietet das Government Accountability Board sogar von Amts wegen Lobby-Seminare an.

Rund 800 Organisationen haben sich registriert, fast 900 Lobbyisten haben eine amtliche Lobby-Lizenz. Gesamtbudget der Staats-Lobbyisten: über 60 Mio. Dollar. Gesamte Zeit, die diese Interessenvertreter für Lobbyaktivitäten amtlich meldeten: Fast eine halbe Million Stunden Arbeitszeit.

Die Historie:
  • Erste gesetzliche Vorschriften für Interessenvertreter beim Staatsparlament gab es schon 1858 (!). Hintergrund war die massive Einflussnahme der Eisenbahngesellschaften auf die Landverteilung. Ein handfester Skandal sorgte für Regulierung, “to protect the people against corrupt and secret influences in matters of Legislation”, so formulierten die Parlamentarier damals.
  • Seit 1899 gibt es ein Pflicht-Register für Lobbyisten, einschließlich der verpflichtenden Offenlegung der Budgets für die Lobby-Tätigkeiten.
  • 1947 wurde es für Lobbyisten zur Pflicht, sich alle zwei Jahre eine Lizenz zu besorgen. Übrigens gebührenpflichtig (heute $400 bzw. $650 für Vertreter mehrerer Interessen).
  • 1989 Das Wisconsin Ethics Board wird eingerichtet und übernimmt sämtliche Registrierungs- und Überwachungsaufgaben (seit 2008: Government Accountability Board).
  • 1997 Auftraggeber von Lobbyisten müssen innerhalb von 15 Tagen nach erster Kommunikation zu einem Gesetz- oder Vorschriftenentwurf ihr Interesse offiziell eintragen lassen und kontinuierlich angeben, wen und wie sie zu welchem Thema lobbyieren.
  • 1999 Die Vorschrift wird auf Vorentwürfe ausgedehnt, die noch gar nicht im Parlament eingebracht worden sind – gleiches gilt für Vorschläge von Verwaltungsvorschriften.
Welche Vorschriften in Wisconsin gelten, kann man beim Government Accountability Board einsehen. Guter Startpunkt: Das Tutorial als PowerPoint-Präsentation.
Und die Übersicht mit zahlreichen Berichten und Statistiken, wer zu was wen lobbyiert und wer wen bezahlt, lässt kaum noch Wünsche offen.

Die Definition, was Lobbying und was ein Lobbyist in Wisconsin sind, lässt sich im "Lobbying Law", Subchapter III, Chapter 13, Wisconsin Statutes, nachlesen:
LOBBYING means the practice of attempting to influence legislative or administrative action by oral or written communication with any elective state official, agency official or legislative employee, and includes time spent in preparation for such communication and appearances at public hearings or meetings or service on a committee in which such preparation or communication occurs.

LOBBYING COMMUNICATION means an oral or written communication with any agency official, elective state official or legislative employee that attempts to influence legislative or administrative action, unless exempted under s. 13.621.

LOBBYING EXPENDITURE means an expenditure related to the performance of lobbying, whether received in the form of an advance or subsequent reimbursement. The term includes an expenditure for conducting research or for providing or using information, statistics, studies or analyses in communicating with an official that would not have been incurred but for lobbying.

LOBBYIST means an individual who is employed by a principal, or contracts for or receives economic consideration, other than reimbursement for actual expenses, from a principal and whose duties include lobbying on behalf of the principal. If an individual's duties on behalf of a principal are not limited exclusively to lobbying, the individual is a lobbyist only if he or she makes lobbying communications on each of at least 5 days within a reporting period.
Der Berufsverband, die Association of Wisconsin Lobbyists, begleitet die Regulierung des GAB natürlich kritisch. In den Verband aufgenommen kann gleichwohl nur, wer beim Staat auch als Lobbyist eingetragen ist.

Wisconsin ist nicht frei von Lobby-Skandalen, und der bürokratische Aufwand für Registrierung, Reporting und Beachtung der Vorschriften ist enorm.

Die Transparenz ist allerdings auch beachtlich.
Unter anderem ist der Staat stolz darauf, dass er durch die Vorschriften den großen, ressourcenstarken Lobbies ein wenig den Vorteil nimmt – die meisten registrierten Organisationen sind klein, genießen einige Vorteile (z.B. reduzierte Gebühren und Erleichterungen bei den Berichtspflichten) und können viel leichter nachvollziehen, an was die "Großen" arbeiten – und das, dank der Regelungen von 1999, Wochen, bevor im Parlament die Entwürfe eingebracht werden. Das will der Staat als Herstellung von etwas Waffengleichheit verstanden wissen.

Zugleich sind die Vorschriften so konstruiert, dass Nicht-Profis, also einfache Bürger und ehrenamtliche Organisationen, keine Hindernisse in den Weg gelegt werden, wenn sie lobbyieren wollen. Solange sie die Schwellenwerte nicht überschreiten, werden sie amtlich auch nicht als Profis behandelt und werden mit dem Aufwand der Meldepflichten nicht belastet.

Es gibt andere Staaten, die manches besser machen als Wisconsin. Die Watchdog-Gruppe Wisconsin Democracy Campaign beispielsweise hat vieles auszusetzen und zu verbessern, im Zweifelsfall mit mehr Vorschriften. Auf der anderen Seite fühlen sich viele – etwa Rechtsanwälte – durch die Regel- und Formularflut eingeengt und in die Ecke des Lobbyisten gedrängt, wo sie ihrer Meinung nach gar nicht hingehören.

In seiner historischen Tradition als Heimat der "progressive politics" – nicht zufällig verbunden mit dem starken Einfluss skandinavischer und deutscher Einwanderer – versteht sich Wisconsin aber als Schrittmacher der Integrität in öffentlichen Angelegenheiten.

"Political Market" — Karikatur aus der Zeitschrift
Harper’s Weekly (12. Juni 1858) zum Eisenbahn-Land-Skandal:

Conscientious Rail-road President to Dealer: “Ah! Let me see. I think I’ll take this bunch of Legislators at $5000 a head. The Senators, at - what price did you say?”

Dealer:
“Can’t afford ‘em less than $10,000 each.”

R.R.P.:
“Well, hand them over. I suppose I’ll have to take the lot.”

Dealer:
“Anything else to-day? I have a lot of Editors, at various prices, from a Thousand down to Fifty Cents.”

R.R.P.:
“No, nothing in that way, to-day. But I want a Governor very much indeed, and will stand $50,000 for him. Get me a Wisconsin one, if possible!”

Wenn der Bürgerprotest ermüdet, kehrt die Lobby zurück

Viel ist 2010 über die "neuen", "bürgerlichen" Protestbewegungen geschrieben worden. Von Stuttgart 21 über Schulreformen in Hamburg bis zu Flughafenprotesten in Berlin. Länger, intensive und breiter als früher nahmen Bürger ihr Recht war, lautstark "dagegen" zu sein.

Die FAZ stellt sich die Frage, was daran "neu" und "bürgerlich" war – und was man von der These zu halten hat, die Republik befinde sich in einer neuen Ära politischer Partizipation.

Im Vergleich zu früher gebe es schon Unterschiede, insbesondere da sich
der Überdruss sich an ziemlich überschaubaren politischen Fehlleistungen reibt: Brücken über Flüsse, Tiefbahnhöfe, Bologna-Reformen, jahrgangsübergreifende Illusionen an Schulen, das achtjährige Gymnasium. Das dokumentiert, im Vergleich mit älteren Themen wie „Vietnam“ oder der Abschaffung des Kapitalismus durch die Gruppenuniversität, den Pragmatismus dieser Art von Demonstrieren. Man denkt kommunal, was bei Bahnstrecken und Schulreformen, an denen die Leute vor allem stört, dass ihre eigenen Kinder betroffen sind, auch kirchturmspolitische Einstellungen in Kauf nimmt. Aber immerhin hält es den Protest im Bereich entscheidungsfähiger Fragen.
Dem Protest fehle damit allerdings auch der Streit um das Grundsätzliche, "ein Begriff der Gründe dafür, warum falsch läuft, was falsch läuft." Die größeren Herausforderungen für die deutsche Politik treibe den typischen Protestlern keine Tränen der Empörung in die Augen, und das Abstrakte werde durchgehend vermieden. Denn dort ende die Möglichkeit, per Einfühlung Politik zu machen. Man halte sich an die eigene Lebenswelt und blende die komplizierteren, weitergehenden Probleme der "wissbaren Zukunft" aus:

Die jüngsten Proteste halten sich an leicht fassliche Vorgänge: ein Objekt soll verschwinden, ein anderes nicht schnell genug, Brennstäbe machen Angst, Kinder sollen kein Instrument sozialer Nachhilfe sein.

Sobald die Probleme jedoch unanschaulicher werden und das Einfühlungsvermögen nichts mehr ausrichtet, erlischt der Protest.

Dort, wo es um abstraktere Fragen geht, um Strukturprobleme, wird man darum nach wie vor auf die Lobbys, auf den Kapitalismus und seine Funktionsverwandten in Verwaltung, Wissenschaft und Recht hoffen müssen. Oder einfach gar nicht hoffen.

Montag, 13. Dezember 2010

BMW-Politikchef Becker im Interview

Zum "Kopf der Woche" hat das Wirtschaftsmagazin €uro den BMW-Politikchef Thomas Becker erklärt - und ein Interview mit ihm publiziert (BMW-Lobbyist: "Der nächste Trip geht nach Sacramento")

Der promovierte Volkswirt arbeitete beim Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), war stellvertretender Geschäftsführer beim Verband der Automobilindustrie (VDA) und leitet seit 2007 bei BMW die Funktion Politik, koordiniert also die weltweiten politischen Repräsentanzen des Münchner Konzerns.

Auszüge:
€uro am Sonntag: Herr Becker, stört es Sie, wenn man Sie als Lobbyist bezeichnet?
Der Begriff Lobbyist wurde von einem US-Präsidenten in einer Hotellobby erfunden – also einem Raum, in dem Interessenvertreter und Politiker miteinander reden. Somit hat der Begriff eigentlich nichts Anrüchiges. Ich verstehe meine Tätigkeit aber eher als Kommunikationsdienstleister. Denn es reicht schon lange nicht mehr, mit breiter Brust aufzutreten und zu sagen, ich will das jetzt aber so. Oder zu sagen: Das geht nicht. Sie müssen mit Fakten, Transparenz und Lösungen argu­mentieren. Nur so überzeugen Sie.

Allein in Brüssel sollen 25 000 Interessenvertreter arbeiten. Welchen Einfluss hat da überhaupt ein Einzelner?
Gerade in der Autoindustrie kommunizieren die Unternehmen zum Beispiel bei Regulierungsthemen ihre Sichtweise gebündelt über die Verbände. Im Fall von Europa ist das beispielsweise die European Automobile Manufacturers’ Association, kurz ACEA.

Wie argumentieren Sie?
Es ist entscheidend, Glaubwürdigkeit und Plausibilität konkret darzustellen. Politische Positionen werden erst dann glaubwürdig, wenn die Hersteller zunächst zukunfts­weisende Technologien in ihren Produkten umsetzen und damit einen Beitrag zur Lösung der gesellschaftlichen Herausforderungen leisten. Da hat gerade die BMW Group eine Menge zu bieten. (...)

Welche Aufgabe kommt Ihnen bei einem solchen Thema konkret zu?
Die Aufgabe unserer Abteilung ist eine Radarfunktion. Wir ­vermitteln zum einen als eine Art Frühwarnsystem die möglichen künftigen Anforderungen der Regierun­gen und anderer politischen Einfluss­größen in unser Haus. Langfristige Verantwortung und Profitabilität machen es erforderlich, frühzeitig künftige politische Themen zu erkennen. Deshalb arbeiten wir auch sehr eng mit den Strategiefunktio­nen, unseren Entwicklern und den Kommunikatoren zusammen. Und um­gekehrt versorgen wir Regierungs­stellen mit Fachinformationen.

Wie sieht das im Alltag aus? Reisen Sie um den Globus, speisen mit den Mächtigen der Welt und versuchen, en passant die BMW-Interessen zu platzieren?
Nein, so läuft das nicht. Wir vermitteln Ansprechpartner und Experten zu den anstehenden Themen aus unserem Unternehmen – übrigens meistens in die mittlere Hierarchieebene, die ja die Entscheidungen vorbereitet. Und wir übersetzen technische Sachverhalte und wirtschaftliche Bewertungen in politische Argumente. Das Verdichten von Fakten und das Vermitteln von Know-how leisten wir übrigens nicht nur ausschließlich für Politiker, sondern auch für nichtpolitische Institutionen und Forschungseinrichtungen. Dabei bieten wir auch eine Plattform für die Diskussion. So haben wir vor Kurzem in Berlin bei einer Veran­staltung mit Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle unsere Ko­operation mit dem weltweit größten Stromversorger State Grid aus China präsentiert. (...)

Ist es schwieriger, die Regierenden in China als beispielsweise die Amerikaner zu überzeugen?
Nein, die Chinesen sind sehr offen für Sachargumente und orientieren sich stets an internationalen Standards – im Fall der Emissions­reduzierung übrigens sehr stark an den kalifornischen und denen der EU. Gerade in China schauen sich die Behörden vor einem eigenen Gesetz häufig erst mal gründlich an, was ­anderswo zu dem Thema bereits gemacht wurde. Wenn das zu mehr Konvergenz bei der Regulierung führt, erleichtert das natürlich auch unser Leben.

Kann man Ihre Tätigkeit ökonomisch messen?
Nein, das geht nicht – wie wollen Sie den Wert von Information oder umgekehrt den Preis einer nicht getroffenen Fehlentscheidung beziffern? Der Job meines Teams ist ein Beitrag von ganz vielen dazu, am Ende mit unseren Produkten erfolgreich zu sein.

Samstag, 11. Dezember 2010

Kein Glück mit dem Spiel: Ringen um einen neuen Staatsvertrag und eine Affäre in Kiel

In wenigen Tagen werden die Ministerpräsidenten am Glücksspielstaatsvertrag der Länder von 2008 operieren; möglicherweise kommt eine Öffnung des deutschen Markts für private Wettanbieter – insbesondere via Internet – dabei heraus, zumindest als Minimallösung.

Ganz vorbei kommen die Länder daran nicht, da der Europäische Gerichtshof im September das bisherige Staatsmonopol geknackt hat. Er bestätigte zwar, dass es die in der EU üblichen Staatsmonopole geben darf, aber nicht in der bisherigen deutschen Version. Und auch das Bundesverwaltungsgericht hat kürzlich Vorgaben gemacht.
  • Im Branchenportal ISA-Guide lässt sich die wachsende Zahl rechtlicher Vorgaben nachlesen, die den Politikern die Weiterführung der bisherigen Glücksspiel-Politik schwer machen.
Auf dem Spiel stehen die Lotto-Einnahmen der Länder – und gesundheitspolitisch die Linie der Suchtprävention. Beides ist schwer vereinbar: Einerseits soll ein Staatsmonopol die Spieler vor zu viel Spiel bewahren, andererseits hat der Staat ein hohes finanzielles Interesse an mehr Spiel (Jahreseinnahmen ca. 2,8 Mrd. Euro, rund 40 Prozent der Glücksspieleinnahmen) – und hat daher zugelassen, dass seine Lizenzgesellschaften massiv Werbung machen. Auch wenn das stark eingeschränkt wurde (mit erheblichen Konsequenzen für die Staatseinnahmen), hatten die privaten Wettbewerber Erfolg vor den Gerichten.

Die CDU/FDP-Koalition in Schleswig-Holstein hat in den vergangenen Jahren stets die Fahne der privaten Wettanbieter hochgehalten, die politisch und rechtlich gegen das staatliche Monopol vorgegangen sind.

Das Land darf sich nun allerdings auch mit dem Vorwurf beschäftigen, zu große Nähe zur Glücksspiel-Branche zu haben.

Der Spiegel berichtet vorab, dass sich der CDU-Wirtschaftspolitiker und Glücksspiel-Experte Hans-Jörn Arp im März 2010 gratis zur Branchenkonferenz "World Gambling Briefing" (früher: European Gambling Briefing) auf die schöne Mittelmeerinsel Malta einfliegen ließ:
Der schleswig-holsteinische CDU-Landtagsabgeordnete Hans-Jörn Arp hat sich eine mehrtägige Reise auf die Mittelmeerinsel Malta bezahlen lassen. Dort besuchte Arp im März das sogenannte World Gambling Briefing, eine internationale Konferenz, bei der Spitzenkräfte der Glücksspielindustrie auf Vertreter der Politik trafen. Als Teilnehmer einer Podiumsdiskussion diskutierte Arp, der seit langem für eine Liberalisierung des deutschen Glücksspielmarkts kämpft, unter anderem die Frage "Sollten Regierungen mehr tun?" Die Kosten für die Malta-Reise, so räumte Arp gegenüber dem SPIEGEL ein, hätten die Organisatoren des World Gambling Briefing" übernommen. Der Abgeordnete musste weder die Kongressgebühr (1001,82 Euro) noch die Übernachtungen im Hilton Hotel und auch nicht den Flug (517,28 Euro) bezahlen. Lediglich für seine Getränke, so Arp, sei er "selbst aufgekommen". Bei der Konferenz habe er "Anregungen aus anderen europäischen Ländern in Erfahrung bringen können" und mit privaten Wettanbietern gesprochen, die sich für die "Voraussetzungen einer möglichen Lizenzierung in Schleswig- Holstein interessierten". Arp berät seine Fraktion in glücksspielpolitischen Fragen.
Es geht zwar nur um kleines Geld, und von Korruption wird man da nicht sprechen können. Doch andererseits gilt wohl das Prinzip "Die Lobby belohnt ihre Freunde und bindet sie ein".

Wie intensiv die Debatte geführt und das Lobbying beider Seiten aussieht, darüber berichtet der Spiegel auch ausführlich im aktuellen Beitrag "Jackpot für Lobbyisten".

In der Vergangenheit hatten Online-Sportwettenanbieter wie Bwin und ihr Verband, die European Gaming and Betting Association (EGBA) – in Zusammenarbeit mit großen Sportligen, Sportklubs und Privatsendern – Politiker durch Lobbykampagnen massiv unter Druck zu setzen versucht, etwa mit der Grassroots-Kampagne "MoNOpol - Bündnis gegen das Wett-Monopol" (2006/7). Die Mobilisierung war allerdings wenig erfolgreich gegen die Finanzinteressen der Länder und die Gesundheitspolitiker. Neben Öffentlichkeitsarbeit setzten die Befürworter der Liberalisierung daher wieder stärker vor den Verwaltungsgerichten mehrerer Bundesländer auf ein rechtliches Argument: dass das deutsche Glücksspielmonopol gegen das EU-Binnenmarktrecht verstoße. Nämlich gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Dem ist der EuGH gefolgt (Urteile zu C-316/07; C-358/07; C-359/07), C-360/07; C-409/07; C-410/07; C-46/08) .

Videoquelle: Bild.de

Neben anderem geht es bei der Lobbyarbeit und der Litigation auch um die Ungleichbehandlung privater Glücksspielanbieter, denn der Staat betreibt Lotterien und Sportwetten (Oddset), konzessioniert aber private Spielbanken (vertreten durch den Verband Bupris), duldet private Wetten im Pferderennsport sowie private Spielhallen (Automatenglücksspiel, vertreten durch die Lobbygruppe AWI). Ironischerweise halten Experten diese Glücksspielvarianten für deutlich suchtgefährdender als Lotto.

Nach dem EuGH-Urteil vom September machten sich Länder wie Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen an eine "Fortentwicklung des Glücksspielstaatsvertrags", allerdings nicht mit der Stoßrichtung Liberalisierung. Um an einer Marktöffnung vorbei zu kommen, sollen sich die Länder mehr um die Suchtprävention und Spielerschutz kümmern. Denn nur das rechtfertigt das Staatsmonopol.

Da ziehen andere Länder allerdings nicht mehr mit. Die CDU/FDP-Koalition in Niedersachsen etwa hält das Modell des Staatsvertrags von 2008 für gescheitert. Schleswig-Holstein hatte zwischenzeitlich mit einem Alleingang bei der Reform gedroht. Ideal wäre für das Bundesland eine Lösung, die den Markt für Sportwetten und Online-Casinos öffnet, während das Lotto bei den Ländern bleibt. So ist es auch in Nachbarländern wie Dänemark oder Frankreich. Ob so eine teilweise Liberalisierung rechtlich wasserdicht ist, ist allerdings offen. In Niedersachsen wie Schleswig-Holstein ist die FDP die treibende Kraft.

Klar ist nur, dass sich vieles nicht mehr solide regulieren lässt. Das Internet hat inzwischen gewaltige Marktanteile, und wer wetten will, sucht sich halt ausländische Wettanbieter online. Die Vorschrift des Staatsvertrags „Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist verboten" greift schlicht nicht so, wie sie sollte.

Zudem ist durch die Verbote auch im Inland ein Schwarzmarkt entstanden, von Hinterzimmer-Poker bis zu neuen Spielhallen, die es mit den Regeln nicht so genau nehmen und den konzessionierten Spielbanken die Umsätze streitig machen – wiederum zu Lasten der Landesfinanzkassen.

Die Zeit drängt. Der alte Staatsvertrag sollte ohnehin Ende 2011 auslaufen, eine Verlängerung hätte von 13 der 16 Bundesländer beschlossen werden müssen. Die Gerichtsurteile verkomplizieren die Reform nun noch einmal. Die Regelung des Staatsvertrags darf „nicht weiter angewandt werden“, eine neue, mit EU-Recht kompatible, muss dringend her – im Moment steht das Glücksspiel quasi in einer rechtsfreien Zone.

Freitag, 10. Dezember 2010

Lobby-GAU der Luftfahrt gebiert neuen Verband

Eigentlich hätte 2010 ein gutes Jahr für die Luftfahrt werden sollen. Die Wirtschaftskrise verzog sich, Passagier- und Frachtraten zogen wieder an.

Aber politisch war 2010 ein Desaster.
Auf die Vulkanaschewolken vom April/Mai folgte eine bilanzstörende Luftraumsperrung, und dann kam - angeblich als Vorgriff auf den Start des ebenfalls erfolglos bekämpften EU-Emissionshandelssystems für die Flieger - die Luftverkehrsabgabe. Und der Radau um Flugrouten und Nachtflugverbote wie in Frankfurt und Berlin/BBI kam noch dazu.

Die Ticket-Steuer war nicht nur deshalb ärgerlich, weil die Bundesregierung da eine nur plump mit Öko-Etiketten kaschierte Extrasteuer durchsetzte. Sondern weil im Lobby-Hickhack äußerst klar wurde, dass die betroffene Branche nicht in der Lage war, mit einer Stimme für den "Luftverkehrsstandort" zu sprechen. Nicht einmal Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) stellte sich dem Finanzminister in den Weg; wahrscheinlich, weil ihn die Airlines wegen seiner überschnellen Luftraumsperrung massiv kritisiert hatten.

Ein "Lobby-GAU", resümierte das Handelsblatt im August. Einige Wochen später zitierte die Zeitung einen hochrangigen Lufthansa-Manager: "Wir sind stinksauer und enttäuscht. Während die Atomkonzerne ihre Laufzeitverlängerung bekommen haben, müssen wir die Luftverkehrsabgabe berappen", sagte der. "Unsere Lobbyarbeit hat versagt." Die Schockwellen seien gewaltig gewesen, dennoch zogen die Spitzenmanager nicht an einem Strang. "Sie laufen den Politikern in den folgenden Wochen zwar die Türen ein, aber jeder mit eigenen Wünschen und eigenen Interessen." Allgemein lautete in den Chefetagen der Airlines das Urteil über die eigene Lobbyarbeit: "Völlig vermurkst."

So kommt es nun zum 1. Januar zu einer Neuformation mit dem Namen Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL).

Über die Pläne murmelte die Branche schon seit ein paar Jahren. Dem Vernehmen nach wollte vor allem die Lufthansa einen übergreifenden Verband, aber vor allem der Flughafenverband ADV zierte sich lange.

Kein Wunder: Flughäfen befinden sich weit überwiegend in öffentlicher Hand oder sind trotz Privatisierung unter staatlicher oder kommunaler Dominanz. Der ADV rechnet sich überwiegend dem öffentlichen Sektor zu, während die Airlines und Dienstleister viel stärker privat geprägt sind und daher auch ein anderes Lobby-Verständnis haben. Natürlich hat man schon oft kooperiert, beispielsweise bei der Initiative "Luftverkehr für Deutschland", aber wiederum nicht bei der Kampagne "Die Fracht braucht die Nacht".

Wenn's ums Geld geht, herrschen raue Sitten zwischen den Komplementären der Branche.
  • So haben sich die Flughäfen und die Fluggesellschaften zwischen 2007 und 2009 wahrlich nichts geschenkt, als es in Brüssel beim "Flughafenpaket" um die Airport Charges Directive (2009/12/EG) in Europa ging – die Richtlinie zu Flughafenentgelten sollte die Praxis der Flughäfen beschneiden, mit intransparenten, gleichwohl ständig steigenden Lande- und Abfertigungsgebühren ihre Kosten für Modernisierung und Erweiterung auf die Airlines abzuwälzen. Heraus kam Anfang 2009 ein klassischer EU-Kompromiss. Aber die Statements und Pressemitteilungen der streitenden Allianzen waren von so hoher Aggressivität, wie sie bis dahin nicht für möglich gehalten wurden.

  • Für weiteren Ärger sorgte über die Jahre, dass die Flughafen-Gemeinde dann auch noch gern Rabatte für Billigflieger einräumt,
  • die hohen Subventionen für defizitäre Provinz-Flughäfen deckt und zudem
  • Nicht-EU-Airlines (z.B. aus arabischen und asiatischen Ländern) in den Heimatmarkt der inländischen Flieger lockt.
Alles vergessen? Wohl kaum. Dass außer Fraport kein weiterer Flughafenbetreiber Mitglied im neuen BDL ist, sondern nur der Verband ADV, lässt tief blicken. Die wirtschaftlichen Interessen von Airlines und Airports sind immer noch sehr unterschiedlich.

Am Donnerstag fanden sich auf der Gründungsversammlung in Berlin zwei altbekannte Verbände sowie Unternehmen ein, denn beide dürfen Mitglieder sein:

Mit an Bord auf Seiten der Verbände sind die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADF) und der Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften (BDF). Unter den Unternehmen finden sich die Lufthansa, Air Berlin, Condor, Cirrus, Augsburg Airways und TUIfly, weiterhin der Flughafenbetreiber Fraport und die Deutsche Flugsicherung (DFS). Von der teilprivatisierten, bundeseigenen DFS, die wohl zwischen den beiden misstrauischen Hauptfraktionen moderieren soll, stammt auch der Gründungspräsident Dieter Kaden (66), dienstältester Flugsicherungschef der Welt und international hochgeachtet. Kaden, der bis 2012 der DFS vorstehen wird, soll allerdings im nächsten Halbjahr einem hauptamtlichen (!) Präsidenten Platz machen.

Wer da ganz offensichtlich fehlt, sind die Hersteller. Offenbar war der Bundesverband der Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) nicht bereit, den BDL mitzgründen. Warum eigentlich? Sind Airbus/EADS, Rolls-Royce, MTU & Co. nicht auch für den Luftverkehrsstandort Deutschland? Unter der Rubrik "Mitgliedergruppe Luftfahrtindustrie" teilt der Verband nur mit: "Gespräche mit potentiellen Mitgliedern laufen", ebenso in der "Mitgliedergruppe sonstige Dienstleister im zivilen Luftverkehr".

"Übergreifend, einstimmig und durchsetzungsstark" soll die Interessenvertretung sein, eine "schlagkräftige Organisation" haben, "das Sprachrohr für die zentralen Themen der Luftverkehrsbranche sein". Ums angeschlagene Image der Branche wird es wohl auch gehen, in der reputationssteigernden Kommunikation war sie zuletzt nicht gerade ein Vorbild.

Man wird sehen, was Gründungspräsident Kden daraus macht. Die Financial Times Deutschland kommentiert, "Da ist noch Luft nach oben".
Es kann keiner behaupten, Dieter Kaden wüsste nicht, auf was er sich da einlässt. Allein die jüngsten Diskussionen: Die Lufthansa streitet sich mit dem Betreiber des Frankfurter Flughafens wegen des jüngsten Schneechaos. Air Berlin (Hannover: AB1000 - Nachrichten) wiederum ist empört, weil der neue Berliner Riesenairport BBI vermeintlich zu hohe Start- und Landeentgelte verlangt. Und der BBI-Chef zankt seinerseits mit Kadens Unternehmen, der Deutschen Flugsicherung (DFS), über die geplanten neuen Flugrouten über der Hauptstadt. (...)

Kenner bescheinigen ihm zumindest gute Chancen, dass ihm der schwierige Start gelingen könnte. Kaden ist angesehen. Von allen Beteiligten bietet er am wenigsten Angriffsfläche, da die DFS als eine Art neutrale öffentliche Stelle gilt. Zudem hat er einen direkten Zugang zur Politik.
Eine "Mammutaufgabe" sei der Verbandsaufbau für Kaden. "Die Gründung des BDL ist ein Schnellschuss, um endlich Fakten zu schaffen."

Die WirtschaftsWoche kommentiert, das sei "noch kein großer Wurf", "eher eine Absichtserklärung". Immerhin sei die Verbandsgründung
ein richtiger Schritt – und sei es nur, dass die Interessenkonflikte, die es naturgemäß zwischen Geschäftspartnern gibt, die wie Flughäfen und Fluglinien gegenläufige Interesse bei vielen Dingen wie Gebühren haben. Diese für uns Journalisten hoch interessanten bis unterhaltsamen Grabenkämpfe können nun besser hinter verschlossenen Türen ausgefochten werden.

Doch ein richtig schneller Erfolg wird der Verband wahrscheinlich nicht. Für die nötige Durchschlagskraft braucht der Verband einen prominenten und eloquenten Präsidenten. Und den hat man trotz einer monatelangen Suche offenbar noch nicht gefunden. Die großen Köpfe wie Wolfgang Mayrhuber, der zum Jahresende seinen Job als Lufthansachef aufgibt, haben offenbar alle abgewinkt.

Bei aller fachlichen Wertschätzung für den Gründungspräsidenten Dieter Kaden, Chef Deutsche Flugsicherung: Als Cheflobbyist, der mit markigen Worten und flexibler Diplomatie größere Schicksalsschläge von der Branche fernhält, ist er sicher nicht die erste Wahl.

Doch vielleicht ist eine Notlösung für den Verband auch erstmal ganz gut. Denn um wirklich erfolgreich zu sein, muss der der Verband auch eine kompetente Geschäftsstelle aufbauen, die es an Sachkenntnis mit den Mitgliedern – allen voran dem Flughafenverband – nicht nur aufnehmen kann, sondern diese möglichst noch übertrifft. Das wird nicht leicht, denn die Mitglieder werden ihre besten Leute nur ungern in den Verband schicken, so lange nicht klar ist, dass sie dort ihrer Sache mehr bringen als in ihrer heutigen Funktion. Nur wenn der Verband mit denen der Autoindustrie oder noch besser der Pharmabranche aufnehmen kann, schafft die Branche die Herausforderungen.
Schon wahr. Trotz ihrer wachsenden Bedeutung und durchaus belastbaren politischen Kontakte hat die Luftfahrtbranche noch längst nicht aufgeschlossen zu anderen Transportsektoren.

Vielleicht hat sie sich in den vergangenen Jahren auch zu sehr als internationale Branche gefühlt, die sich zwischen Montreal (Sitz der ICAO), Brüssel und Genf positionierte, aber nicht mehr ausreichend in nationalen Hauptstädten wie Berlin. Dass man auch den nationalen Wirtschaftsstandort verteidigen und dafür lobbyieren muss, dass auch nationale Politik und sogar regionale entscheidend für die Rahmenbedingungen des Geschäfts sein kann, daran haben die hochfliegenden Vorstände wohl lange nicht gedacht. Nun, das Jahr 2010 war die letzte nachdrückliche Quittung dafür.

Dem BDL ist zu wünschen, dass er nach dem Take-off seinen Zielen gerecht wird. In den Mitgliedergruppen Fluggesellschaften, Flughäfen, Flugsicherung, Hersteller und Sonstige Dienstleister sollen sich die Akteure zusammenfinden. Solange die BDL-Strukturen noch im Aufbau sind, sprechen allerdings für BDL-Themen erst einmal die Verbände ADV und BDF und die DFS. Im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wird der BDL auch Mitglied sein. Allgemein verspricht der BDL:
Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft wird für Parlamente, Parteien, Regierungen und Ministerien, Medien, gesellschaftliche Institutionen und Organisationen sowie die Öffentlichkeit zentraler Ansprechpartner in Fragen des Luftverkehrs sein.
Der Verband tritt jederzeit sachlich und dialogorientiert auf. Er bezieht alle gesellschaftlichen und politischen Akteure in die Arbeit ein und festigt oder etabliert den Dialog des Luftverkehrs auch mit kritischen Gesprächspartnern. Der Verband kooperiert eng mit anderen Verbänden und Interessengruppen.
Merke: Er "festigt oder etabliert den Dialog des Luftverkehrs auch mit kritischen Gesprächspartnern". Das dürfte insbesondere auf die Umwelt- und Verkehrspolitiker, die Klimaschützer und Bürgerinitiativen zugeschrieben worden sein, die die Reputation des Luftverkehrs in den letzten Jahren auch reichlich beschädigt haben. Der neue BDL-Präsident wird auch hier einiges aufbieten müssen. Wer wird's?

Nachtrag 2011
Der BDL überraschte alle: Hauptamtlicher Präsident ist seit Juni 2011 der bekannte ZDF-Journalist Klaus-Peter Siegloch, der zuletzt das ZDF-Büro in New York leitete.

Seit Juli 2011 ist der frühere Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer beim BDL. Zuvor war er seit 2009 Bevollmächtigter des Vorstands bei Air Berlin, verantwortlich für Political Affairs, Internationale Verkehrsrechte sowie Nachhaltigkeit/Corporate Social Responsibility.