Donnerstag, 17. Mai 2012

Am Boden: Luftfahrtbranche beendet Kampagne "Die Fracht braucht die Nacht"

Nach zwei Jahren ist jetzt Schluss für die Kampagne "Die Fracht braucht die Nacht", die für den Erhalt und Ausbau von Nachtflugrechten an deutschen Flughäfen stritt. Unter dem "Schock" eines Bundesgerichtsurteils beschlossen die Initiatoren vergangene Woche das Ende der Initiative.

Die Lufthansa Cargo hatte mit Luftfahrt- und Logistikverbänden im Juni 2010 die Initiative gestartet. Ihr Ziel war u.a. eine Novelle des Luftverkehrsgesetzes, um Flughäfen „wettbewerbsfähige Betriebszeiten“ zu garantieren. Im Mittelpunkt stand dabei Frankfurt/Main. Anfang April bestätigte das Bundesverwaltungsgericht Leipzig jedoch ein dauerhaftes Nachtflugverbot für Frankfurt (Az. BVerwG 4 C 8.09).

Im jüngsten Newsletter (3/2012) der Initiative nennt Kampagnenchef Ewald Heim die "gesamte Logistikbranche noch immer geschockt von dem Urteil und den dramatischen Einschränkungen an Deutschlands größtem Flughafen."  Das Nachtflugverbot zwischen 23 und 5 Uhr verschlechtere "die Rahmenbedingungen durchschlagend".

Die Mitglieder der Initiative entschieden, "die Initiative in der bestehenden Form nicht weiter fortzuführen", teilte Heim mit. 

Die Kampagne im Rückblick


Mag die Koalitionskampagne der Luftfahrt- und Logistikbranche nun im Hinblick auf das konkrete Ziel gescheitert sein, so war sie doch im Rückblick eine bemerkenswerte und innovative Anstrengung, die weit über konventionelle Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen und Verbände hinausging. Sie reagierte auf die massiven Bürgerinitiativen und Kampagnen gegen Fluglärm und Flughafenausbau mit dem Versuch, Firmen, Manager, Betriebsräte, Mitarbeiter und Sympathisanten zu mobilisieren.

Die Forderung nach einer (von der Bundesregierung bereits angekündigten) Novelle des Luftverkehrsgesetzes sollte als Gegengewicht zum Ruhebedürfnis der Anwohner im Gesetz verankert werden. Im Kern geht es um die Rolle der Gerichte, deren Urteile bisher Fluglärmregelungen prägen. Diese hätten zu „zunehmend einseitiger Interessensabwägung geführt“; daher sollten Politik und Öffentlichkeit für die Bedeutung der Luftfracht für die exportabhängige Wirtschaft „sensibilisiert“ werden.

Neben Lufthansa Cargo wurden noch 17 andere Organisationen, vor allem Logistikverbände, als „Mitglieder“ einbezogen. Davon hob sich allein das Mitglied Bürgeraktion Pro Flughafen ab, eine von Mittelständlern dominierte Initiative im Rhein-Main-Gebiet.

Betriebsräte und der Lufthansa-Cargo-Vorstand übten im Oktober 2011 an einer Demonstration von 500 Lufthansa-Cargo-Mitarbeitern in Frankfurt den kämpferischen Schulterschluss gegen das vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof verhängte Nachtflugverbot.

Die Initiative publizierte einen monatlichen Newsletter sowie Presseanzeigen und veranstaltete Tagungen. An einer Unterschriftenkampagne beteiligten sich 100 Unternehmen und 10.000 Einzelpersonen. Die Petition wurde Ende 2010 auf dem Berliner Luftverkehrskongress an die Regierung übergeben.

Regionalkampagne "Ja zu FRA"


Jetzt wird's bunt:
Gesichter gegen Proteste bei
https://www.ja-zu-fra.org/
Regional schlossen sich Lufthansa, Condor und Fraport im Rhein-Main-Gebiet zudem zur Initiative "Ja zu FRA" zusammen, die am 1. März 2012 Tausende Bürger zu einer Pro-Flughafen-Kundgebung auf dem Frankfurter Römerberg mobilisierten -- vor allem Arbeitnehmer und ihre Familien.

Laut Fraport sollen es 10.000 Demo-Teilnehmer gewesen sein (Polizei: 8.000).  

Eine Million Euro, behaupteten die Landtags-Grünen, sollen regionale Kampagne und Kundgebung gekostet haben -- das wurde zwar von den Initiatoren bestritten, genaue Angaben machten sie aber nicht (Frankfurter Rundschau, 1.3.12).

Die "Ja zu FRA"-Website wurde inzwischen interaktiv aufgerüstet: Wer sich für FRA öffentlich aussprechen möchte, kann dort Fotos und Bekenntnisse einstellen.



Auch auf dem Flughafen selbst wird offensiv geworben. Seit Mitte präsentiert sich am Gebäude 162 ein 24 Meter hohes Megaplakat mit 200 Mitarbeiterfotos: „Wir sagen: Ja zu FRA!“. Das soll der Auftakt zur Aktion „1000 Gründe für FRA“ sein, die "in den kommenden Monaten verschiedene Menschen zeigen wird, die sich positiv zum zukunftssichernden Ausbau des Luftverkehrsstandortes Frankfurt bekennen", heißt es bei Fraport.

Augenscheinlich gelingt es der FRA-Standortinitiative, effektiver für den Flughafen und allgemeinen Luftverkehr zu mobilisieren, als der Initiative "Die Fracht braucht die Nacht". Die Botschaft ist positiver, emotionaler, weniger abstrakt -- und natürlich spontan einsichtiger und bezugsfähiger als die der Frachtlobby.

Neuer Kontext, neues Risiko


Es ist viel Bewegung in die politische Kommunikation und Interessenvertretung der Luftfahrtbranche gekommen. Solche Kampagnen mit Grassroots-Mobilisierung gab es früher nicht. Sie sind aber offenbar notwendig geworden, weil die anderen Instrumente nicht mehr hinreichend funktionieren.

Der Kontext des Public-Affairs-Managements hat sich stark geändert, die öffentliche Meinung ist gekippt und polarisiert. Zugleich sind die konventionellen Vertretungs- und Kommunikationsformen der Branchenverbände an ihre Grenzen gestoßen, was u.a. zur Neugründung des Verbands BDL geführt hat, aber eben auch zu Spezial-Themenkampagnen wie "Die Fracht braucht die Nacht", bei der eben ein Unternehmen (LH Cargo) und nicht ein Verband die Regie übernahm.

Das Problem der Luftfahrtunternehmen ist, dass sie die "schweigende Mehrheit" bisher nie organisieren und mobilisieren konnte. Wenn es mit den politischen Konflikten aber so weitergeht wie bisher, ist es zwingend, dass die Branche auch eigene Leute "auf die Straße" bringen kann. (Natürlich nicht mit Astroturf-Methoden, sondern mit legitimer Kampagnenarbeit.)

Eine Erkenntnis der Stuttgart-21-Episode ist, dass kämpferisch auftretende Protestinitiativen sehr starken Einfluss auf Medien, Politik und öffentliche Agenda gewinnen und den Eindruck erwecken können, die Mehrheitsmeinung zu vertreten. Bei Stuttgart 21 wissen wir inzwischen, dass der Eindruck nicht korrekt war. In der Wirtschaft kommt man daher zunehmend zu dem Schluss, dass eigene Kampagnen notwendig sind, um genau das zu verdeutlichen.

Ein Stück weit ist dies auch ein Eingeständnis, dass klassischer Bürgerdialog und Mediation scheitern können. In der Rhein-Main-Region waren viele darauf stolz, dass das aufwändige Mediationsverfahren das Protestpotenzial ein Jahrzehnt lang befrieden konnte. Die Frankfurter Erfolge sind nun, wie die lautstarken Proteste zeigen, aufgeribbelt und verloren. Die Polarisierung ist so hoch wie lange nicht mehr.


Das ist ein hohes Risiko für die Weiterentwicklung der Luftfahrtbranche. Sie ist ein Opfer ihres eigenen Erfolgs: Das rasche Wachstum der vergangenen zwei Jahrzehnte und die Liberalisierung der Luftverkehrsmärkte geben ihr heute eine große Bedeutung; aber die Proteste gegen Umwelt- und Klimafolgen, gegen Infrastruktur- und Standortentwicklung sind ebenfalls ungleich größer als früher.

Politik, Regulierungsbehörden und Gerichte reagieren auch darauf mit wachsender Sensibilität. Hinzu kommt, dass die Luftfahrt durch das Wettbewerbswachstum immer weniger mit einer Stimme sprechen, steuern und sich wehren kann. Die Interessengegensätze im eigenen Lager sind groß. Die internationalen Verflechtungen steigern sie noch.

Das macht es für die Politik einfacher, der Branche Belastungen zuzumuten. Im Ergebnis steht der Luftverkehr, so populär er bei den Kunden auch ist, politisch immer häufiger in der strategischen Defensive. 

Das gesamte Feld der Beziehungen zwischen Luftfahrt und Gesellschaft ist ungleich komplexer geworden. Umso wichtiger ist es, dass die Branche neue Instrumente entwickelt und erprobt: beim direkten und indirekten Lobbying, durch Kampagnen unterschiedlichen Typs, durch neue Kommunikationskanäle, durch CSR-Aktivitäten der Unternehmen und eine Neuorientierung ihrer Verbände. Nicht zuletzt wird immer bedeutender, dass die Aus- und Weiterbildung der Führungskräfte für diese öffentlichen Angelegenheiten - Public Affairs  eben - verbessert und profiliert wird. Die Branche hat viel zu verlieren.

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Mittwoch, 9. Mai 2012

Die Flottenlobby mit dem Propaganda-Kino


Teil 10 der Serie zur Geschichte der politischen Kommunikation "P&K HISTORIE": Wie der Deutschen Flottenverband das neue Medium Film einsetzte




Als um 1900 die Bilder laufen lernten, erkannte der Deutsche Flottenverein als erster das Potenzial des Mediums Film. Damit rekrutierte die Lobby eine Massenbasis – und wurde zum unberechenbaren Machtfaktor. Alfred Tirpitz, Admiral im Reichsmarineamt, „erster Propagandaminister modernen Stils“, hatte ab 1897 die Aufgabe, eine Hochseeflotte zu bauen – und in der Öffentlichkeit zu verkaufen. Das war eine ungeheuer schwierige Aufgabe. Konstanter Druck aufs Parlament war bei dem Vorhaben
essenziell. Entfalten sollten ihn Presse und eine Bürgerlobby als
Anker des „Flottengedankens“. So erschuf er zunächst eine PR-Stelle beim Marineamt und dann den Deutschen Flottenverein (DFV). Dieser baute einen mächtigen Kommunikationsapparat auf und griff mit großem Erfolg zum Instrument Kino.


Althaus, M. (2012, Mai). Die Flottenlobby mit dem Propaganda-Kino. Politik und Kommunikation, 36-37.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Luftverkehrsbranche kritisiert mangelnde Unterstützung der Wirtschaft -- und will mit Emotionen mobilisieren

"Luftverkehr hat in Deutschland ein Imageproblem. Proteste und politische Kampagnen liefern aber ein verzerrtes Bild, die Branche setzt daher auf die schweigende Masse. Was fehlt, ist aber die Unterstützung aus der Wirtschaft", schreibt der Branchendienst Airliners.de. Bei der Veranstaltung "Luftfahrt im Dialog" am Flughafen Sylt (30. April) drehte sich alles um die (mangelnde) Akzeptanz des Luftverkehrs.
"Fluglärmproteste in den Medien, Urteile der Gerichte zu Betriebsbeschränkungen und dazu politische Fallstricke wie die Luftverkehrsabgabe, die nun doch nicht wie zunächst angekündigt vom Emissionshandel abgelöst wird: Die Luftverkehrswirtschaft in Deutschland hat es momentan nicht leicht."

Zwar versicherten sich Manager gegenseitig, wie wichtig es sei, nicht mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, sondern gegenüber der Politik geschlossen aufzutreten. Einig schien man sich aber vor allem darin zu sein, dass die Branche nicht genug Unterstützer hat, vor allem nicht aktive.



In einem Videointerview empfahl der Chef des Flughafens Köln-Bonn, Michael Garven, die Branche solle sich "selbstkritisch" ein paar Fragen stellen, etwa warum die Bahn jährlich 18 Mrd. Euro Steuer-Subventionen erhalte oder die Autobranche in der Krise eine Abwrackprämie geschenkt bekam – "aber uns hat man die Luftverkehrssteuer auferlegt". Garven folgert: "Da läuft etwas schief."

Er kritisierte aber auch mangelndes Engagement der Wirtschaft. So sei der Versuch, zum 25-jährige Jubiläum der Frachtgesellschaft UPS am Köln-Bonner Flughafen Testimonials von Wirtschaftsvertretern einzufangen, in unerwartete Probleme geraten. "Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schwierig sich das gestaltet hat", so Garven. "Ich muss Ihnen ganz offen sagen, ich wäre froh gewesen, wenn die Aschewolke noch 3-4 Tage länger angedauert hätte, denn dann hätten bei BMW, bei Mercedes, bei allen deutschen Automobilherstellern die Bänder stillgestanden."

Garven stellte die Aktionen kleiner Kritikergruppen der "schweigenden Masse" gegenüber. Zum Tag der Luftfahrt in Köln-Bonn kämen 80.000 luftfahrtbegeisterte Menschen, eine jüngste Demo von Fluglärmgegnern zählte dagegen nur 450.


"Es muss noch mehr darum gehen, die große schweigende Masse, die sich vielleicht nicht proaktiv zum Luftverkehr bekennt, die aber alle vom Luftverkehr fasziniert sind, zum Botschafter des Luftverkehrs in Deutschland machen", sagte Garven. Die Branche müsse "auf emotionaler Ebene ein Gegengewicht zu schaffen zu den Menschen, die gegen Luftverkehr sind und die wir auch nicht mehr werden bekehren können." Die Unterstützer und potenziellen Botschafter müsse die Branche "mehr über den Bauch ansprechen als über den Kopf."




Auch der Chef des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Ex-ZDF-Journalist Klaus-Peter Siegloch, kritisiert die Wirtschaft. So gebe es kein einziges DAX-30-Unternehmen, das sich öffentlich vor dem anstehenden Bürgerentscheid in München für eine dritte Bahn ausgesprochen habe, berichtet Airliners.de. Die Ausrichtung an aktuellen Meinungsströmungen halte er für kurzsichtig, so Siegloch. „Damit überlassen die Profiteure der Luftfahrteinrichtungen die öffentliche Bühne dem lautstarken Bürgerprotest, der es Dank starker Bilder in die Medien schafft.“

Dienstag, 13. März 2012

Als der Kaiser "is nich" sagte


Teil 9 der Serie zur Geschichte der politischen Kommunikation "P&K HISTORIE": Die verhinderte Weltaustellung in Berlin 1896




Eine Weltausstellung in Berlin! Die Idee faszinierte die junge Reichshauptstadt. Doch Kaiser und Regierung sagten nein. Die Berliner rebellierten und stellten 1896 ein protziges Ersatz-Spektakel auf die Beine.

Jede „Expo universelle“ war ein Härtetest fürs nationale Image und den Rang der Mächte. Auf dieser Bühne inszenierten Nationen ihre Innen- und Außenpolitik. Dass Deutschland keine eigene Bühne zimmern wollte, lag nicht zuletzt an einer Wirtschafts-Lobby, die in sich gespalten war. Die Expo-Fans um Ludwig Max Goldberger, Präsident des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller, setzten sich gegen skeptische Interessengruppen im Rest des Reiches einfach nicht durch. Und die Reichsregierung scheute politische Risiken.

Althaus, M. (2012, März). Als der Kaiser "is nich" sagte. Politik und Kommunikation, S. 50-51.

Freitag, 24. Februar 2012

Pro-Flughafen-Initiative "Ja zu FRA" unter Beschuss / Vorwürfe gegen Lufthansa und Burson-Marsteller

Gegen Bürgerinitiativen helfen nur Bürgerinitiativen, scheinen sich Lufthansa, Condor und Fraport gedacht zu haben. Grassroots-Campaigning heißt das Konzept: In der Rhein-Main-Region sorgt deren Initiative "Ja zu FRA" für Wirbel. Am 1. März will sie Tausende Bürger zu einer Pro-Flughafen-Kundgebung auf dem Frankfurter Römerberg mobilisieren. Ein großer Teil dürften wohl Arbeitnehmer und ihre Familien sein; und auch auf die Kunden zählen die Firmen. Auf der Website werden zum Download Flyer, Banner und Radio-Spots angeboten, und auch online wirbt "Ja zu FRA" um Freunde, vor allem in der Internetsphäre des Luftverkehrs (z.B. bei airliners.de).

Schon im Vorfeld der Demo regnet es Attacken auf "Ja zu FRA". Überraschend ist das nicht.

Eigentlich haben die Unternehmen alles richtig gemacht, um Astroturf-Vorwürfe zu vermeiden. Die Initiative ist glasklar transparent, die Firmen zeigen sich offen, mobilisiert werden die eigenen Leute. Wenn Grassroots, dann so.  Aber das Ziel ist natürlich, die Legitimität der Flughafengegner anzukratzen. Aus "Stuttgart21" kann man ja lernen, dass eine lautstarke Protestbewegung noch lange nicht dasselbe ist wie eine Bürgermehrheit.

Lufthansa wagt sich mit "Ja zu FRA" weit vor -- wie zuvor schon mit "Die Fracht braucht die Nacht" der LH-Cargo (s.u.). In der Luft mag der Konzern für seriöse Eleganz stehen, aber am politischen Boden ist der Kranich oft ausgesprochen rauflustig. Das kann man in jeder Ausgabe vom LH-Politikbrief nachlesen, und bei den Lobby-Rempeleien in Berlin und Brüssel beobachten.

Wie streitbar Fraport ist, konnte man in den letzten Tagen beim Streik erleben. Und jetzt:"Es geht darum, mit einem persönlichen Statement zu zeigen, dass der Flughafen durchaus Befürworter hat", erläutert ein Fraport-Sprecher in der Online-Ausgabe des Darmstädter Echos. Die Unternehmensleitung sei dem Wunsch ihrer Mitarbeiter nachgekommen, "Flagge zu zeigen", und eine dafür geeignete Plattform zur Verfügung zu stellen.

Verglichen mit den wutbürgerlichen Protesten in Berlin und Brandenburg war es in der Rhein-Main-Region lange verhältnismäßig ruhig. Das lag zweifellos an der Wirkung des äußerst aufwändigen Mediationsverfahrens dort. Inzwischen scheint der friedliche Interessenausgleich nebst Bürgerbeteiligung aber in Scherben zersprungen zu sein, denn Frankfurt ist zur Szenerie heftiger Proteste auf der Straße geworden -- also genau das, was mehrere Landesregierungen seit Hans Eichel so lange vermeiden wollten.

Eine Agentur für schmutzige Tricks und üble Auftraggeber?
Wie scharf der Ton geworden ist, zeigt sich an den öffentlichen Angriffen auf den Kommunikationsdienstler der Lufthansa, die Agentur Burson-Marsteller. Sie wird geradezu dämonisiert. Statt die Inhalte von "Ja zu FRA" anzugreifen, wird der Dienstleister zur Zielscheibe -- was auch recht leicht fällt, denn die internationale Agenturmutter hat eine sehr eigene Geschichte. Die Anti-Airport-Initiativen stellen BM als Agentur für schmutzige Tricks und üble Auftraggeber dar.

Die Flughafengegner recherchierten schnell, dass der Domaininhaber der "Ja zu FRA"-Website offenbar BM ist, und seitdem steht "Ja zu FRA" dank BM in Verbindung mit Ceausescu und der Militärjunta in Argentinien, mit Union Carbide (Bhopal) und Monsanto -- alten BM-Kunden. Lange her, aber immer noch gut fürs negative campaigning. Dass BM schon mal "bezahlte Demonstranten" eingesetzt habe, wird mit Blick auf die Frankfurter Römerberg-Demo nicht vergessen zu erwähnen.

Auf der Welle surfen diverse Opportunisten. Die Linken-Fraktionschefin im hessischen Landtag und Frankfurter OB-Kandidatin, Janine Wissler, textet schon mal: "Atomunfall, Militärdiktatur, Bhopal – und nun der Flughafen Frankfurt - PR-Agentur Burson-Marsteller ist auf Katastrophen spezialisiert".

Nun haben Agentur und Kunden alle Hände voll zu tun, um den Schaden zu begrenzen. In der Frankfurter Rundschau meldet sich BM-Chef Karl-Heinz Heuser zu Wort:
Karl-Heinz Heuser bestreitet nicht, was die Flughafenausbaugegner bei Wikipedia ausgegraben haben. „Mit bestimmten Klienten würden wir heute nicht mehr zusammenarbeiten“, zitiert Heuser den über 90 Jahre alten Firmengründer Harold Burson. Heuser wirbt aber auch für eine „zum Teil differenzierte Betrachtung der Historie“. Mit Ceausescu habe die Agentur zusammengearbeitet, als der im Westen noch „als Türöffner für den Eisernen Vorhang galt“. Zu dem Monsanto-Aufzug möchte sich der Geschäftsführer nicht äußern.
Im Wiesbadener Kurier heißt es:
Die Kritik an der PR-Agentur Burson-Marsteller kann die Lufthansa dagegen nicht nachvollziehen. Die Frankfurter Agentur unterstütze die Initiative lediglich logistisch.
In der Online-Ausgabe des Darmstädter Echos verteidigt sich ein Sprecher der BM-Niederlassung in Frankfurt mit den Worten: "Wir halten uns an den PR-Codex". Die deutsche Agentur sei rechtlich selbstständig und habe das Vorgehen auf internationaler Ebene nicht zu verantworten. Zudem sei die ganze Aufregung unverständlich, da die Lufthansa bereits seit sechs Jahren erfolgreich mit Burson-Marsteller zusammenarbeite, zitiert das Echo.
Attacke auf Mobilisierungsmaßnahmen 
Der  Kurier berichtet ausführlicher über die Kritik an den Kommunikationsmaßnahmen der "Ja zu FRA"-Initiative.
  • Vorwurf: Arbeitnehmer zur Polit-Aktion gezwungen. Die Unternehmen sehen sich genötigt zu beteuern, dass die Teilnahme an der Kundgebung "absolut freiwillig" sei und in deren Freizeit stattfinde. „Das wird niemand kontrollieren“, wird ein Lufthansa-Sprecher im Kurier zitiert. In der Online-Ausgabe des Darmstädter Echos erklärt ein Fraport-Sprecher: "Es ist eine freiwillige Veranstaltung, zu der wir einladen".
  • Vorwurf: Kundendaten missbraucht. „Wir verwenden ausschließlich frei zugängliche Adressen“, beteuert Lufthansa im Kurier. Die Airline habe ausschließlich Vielflieger angeschrieben, die regelmäßig mit der Fluglinie unterwegs seien und dem Versand von Kundenmailings zugestimmt hätten. Ein Zusammenhang mit einer aktuellen Flugbuchung sei rein zufällig. Offenbar haben sich Empfänger von Werbepost für die Kundgebung bei den Flughafengegnern beschwert.
Graswurzeln wachsen in der Luftfahrtbranche schon länger
Das Grassroots-Muster ist nicht ganz neu. Lufthansa Cargo brachte bereits im Oktober 2011 im Streit um die Nachtflüge Hunderte ihrer Mitarbeiter zu einer Demonstration auf die Straße. Betriebsräte und Vorstand schwenkten gleichermaßen die gelb-blauen Fähnchen von „Die Fracht braucht die Nacht“, einer von der Fracht-Airline im Frühjahr 2010 initiierten Koalitionskampagne der Logistikbranche. Diese hat 2010 schon einmal eine Unterschriftenaktion besorgt, an der sich 100 Unternehmen und 10.000 Einzelpersonen beteiligten. Neben Lufthansa Cargo wurden noch 17 andere Organisationen, vor allem Logistikverbände, als „Mitglieder“ einbezogen. Mit dabei ist aber auch als Mitglied die Bürgeraktion Pro Flughafen, eine Initiative im Rhein-Main-Gebiet. (Siehe zur Historie der Kampagne den Blogbeitrag vom 2.7.2010).

Die Mobilisierung von Mitarbeitern und Airport-Freunden versuchte auch die Berliner Flughafen-Gesellschaft - im Herbst 2011 sollten sie vor dem Bundesverwaltungsgericht Leipzig demonstrieren -- und die Fahrt der Beschäftigten des öffentlichen Unternehmens sollte sogar als Dienstreise gelten (Siehe dazu Blogbeitrag vom 12.11.2011).

Donnerstag, 9. Februar 2012

Schnelle Energiewende – bedroht durch Wutbürger und Umweltverbände?

Schnelle Energiewende – bedroht durch Wutbürger und Umweltverbände? Protest, Beteiligung und politisches Risikopotenzial für Großprojekte im Kraftwerk- und Netzausbau. Wissenschaftliche Beiträge der TH Wildau 2011, 103-114.


Der Atomausstieg mag populär sein, die Anlagen, die die Nuklearmeiler ersetzen sollen, sind es nicht. Der Widerstand ist groß und wird wachsen, und er trifft in der Bevölkerung auf viel Verständnis. Das  Tempo der Energiewende hängt aber am Tempo der Umsetzung von Kraftwerk- und Netzausbauprojekten. Politik und Wirtschaft setzen auf Beschleunigung. Diese ist schwer vereinbar mit wachsenden Ansprüchen an die Öffentlichkeitsbeteiligung. Zwei Akteure prägen die Ansprüche: lokale Bürgerinitiativen sowie professionell geführte Umweltverbände. Diese arbeiten in überregionalen Kampagnen zusammen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12. Mai 2011 verhalf zudem der Verbandsklage im deutschen Recht zum Durchbruch. Damit wurden die Interventions- und Verhandlungsoptionen der Umweltverbände massiv gestärkt.

Der Beitrag erörtert anhand von Daten, Dokumenten und Literatur die Akzeptanzproblematik und das konflikthafte Projektumfeld, diskutiert Ressourcen- und Strategiefragen der Initiativen und Umweltverbände, und antwortet differenziert auf die Frage, ob sie die Energiewende bedrohen.

Siegeszug der Wahlmaschine


Magazin Politik & Kommunikation im Februar
Teil 8 der Serie P&K HISTORIE: Gladstones  legendäre "Midlothian Campaign"


In einem winzigen Wahlkreis in Schottland beginnt für die Briten die Ära moderner Wahlkämpfe. Die legendäre "Midlothian Campaign" der Liberalen von 1880 führt US-Methoden ein und fegt die Tories aus der Regierung.

Der junge Lord Rosebery begeistert sich 1873 bei einer Amerikareise für die Wahlkampftechniken der Demokratischen Partei in New York. Wenige Jahre später, als Regionalchef der Liberal Party in Schottland, setzt er die neuen Ideen auf heimischem Boden um: Für das Comeback des Ex-Premierministers William Ewart Gladstone organisiert er einen Wahlkampf, wie ihn die Insel noch nicht gesehen hat. Dazu gehören eine innovative Whistlestop-Kampagne per Eisenbahn und spektakuläre Großveranstaltungen, die dank der wortgewaltigen Reden Gladstones ein landesweites Presseecho hervorrufen. Das Langzeit-Duell Gladstones mit dem Konservativen Disraeli findet mit dem Sieg des 70-Jährigen ein überraschendes Ende. Die Honoratiorenpartei und die alte Parlamentskultur werden beerdigt, die Wahl bezeugt die Stärke der "Maschinenpartei".

Althaus, M. (2012, Februar). Siegeszug der Wahlmaschine. Politik und Kommunikation, 34-35.


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Sonntag, 25. Dezember 2011

Falsches Spiel um Afrika

Magazin Politik und Kommunikation im Dezember
Teil 7 der Serie P&K HISTORIE: Die Antisklaverei-Bewegung in Deutschland


Die deutsche Antisklaverei-Bewegung zündet spät. Ihr Ruf nach humanitärer Intervention in Afrika bewegt in den 1880ern die Öffentlichkeit. Doch sie wird manipuliert.

Erst als deutsche Kaufleute in Afrika, in Asien und im pazifischen Raum Kolonien aufbauen und deutsche Missionare das Christentum verbreiten, beginnt sich die Öffentlichkeit im Reich über die seit Jahrhunderten etablierte Sklaverei und den Sklavenhandel zu empören. Geschickt nutzen Politik,  Kolonial- und Kircheninteressen die Antisklaverei-Kampagnen für ihre eigenen Zwecke – von Wahlkampf bis zum Buschkrieg. Die Bewegung überlebt nur wenige Jahre.

Althaus, M. (2011, Dezember). Falsches Spiel um Afrika. Politik und Kommunikation, 32-33.

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Freitag, 11. November 2011

Genossen gegen Genossen

Magazin Politik & Kommunikation im November
Teil 6 der Serie P&K Historie: Die Geburt der Genossenschaften

2012 ist das UN-Jahr der Genossenschaften. Seit der Finanzkrise erleben sie eine Renaissance. Vor 150 Jahren kämpfte eine Volksbewegung für die staatliche Anerkennung der modernen Selbsthilfe-Firma. Doch bald war die Bewegung tief gespalten, der Streit veränderte das Parteiensystem. Ferdinand Lassalle, Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen verfolgten völlig unterschiedliche Strategien, um öffentliche Meinung und Gesetzgeber auf ihre Seite zu ziehen. Bismarck fürchtete derweil die "Kriegskassen der Demokratie".

Althaus, M. (2011, November). Genossen gegen Genossen.  Genossenschaften: Vor 150 Jahren kämpfte eine Volksbewegung für die staatliche Anerkennung der modernen Selbsthilfe-Firma. Politik & Kommunikation, 28-29.

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Samstag, 8. Oktober 2011

Der Krieg, den die Zeitungen brachten


Teil 5 der Serie: Medien im Amerikanischen Bürgerkrieg, 1861-65



Vor 150 Jahren entstand auf den Schlachtfeldern des US-Bürgerkriegs ein neuer Beruf: der Kriegsreporter. Der Wettlauf um Nachrichten setzte Militär und Regierungen unter Druck. Sie reagierten mit Zensur.

Über die Südstaaten-Zeitung "Memphis Daily Appeal", die drei Jahre lang auf der Flucht vor den Unionstruppen 1600 Kilometer unterwegs war und dabei 1400 Ausgaben produzierte. Über das anschwellende Korrespondenten-Korps, ein wilder Haufen von Abenteurern, die von den Schlachtfeldern berichteten. Über den Beginn der Militär-PR.
 
Althaus, M. (2011, Oktober). Der Krieg, den die Zeitungen brachten. Vor 150 Jahren entstand auf den Schlachtfeldern des US-Bürgerkriegs ein neuer Beruf: Der Kriegsreporter. Politik und Kommunikation, 42-43.

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