Die Lufthansa Cargo hatte mit Luftfahrt- und Logistikverbänden im Juni 2010 die Initiative gestartet. Ihr Ziel war u.a. eine Novelle des Luftverkehrsgesetzes, um Flughäfen „wettbewerbsfähige Betriebszeiten“ zu garantieren. Im Mittelpunkt stand dabei Frankfurt/Main. Anfang April bestätigte das Bundesverwaltungsgericht Leipzig jedoch ein dauerhaftes Nachtflugverbot für Frankfurt (Az. BVerwG 4 C 8.09).
Im jüngsten Newsletter (3/2012) der Initiative nennt Kampagnenchef Ewald Heim die "gesamte Logistikbranche noch immer geschockt von dem Urteil und den dramatischen Einschränkungen an Deutschlands größtem Flughafen." Das Nachtflugverbot zwischen 23 und 5 Uhr verschlechtere "die Rahmenbedingungen durchschlagend".
Die Mitglieder der Initiative entschieden, "die Initiative in der bestehenden Form nicht weiter fortzuführen", teilte Heim mit.
Die Kampagne im Rückblick
Mag die Koalitionskampagne der Luftfahrt- und Logistikbranche nun im Hinblick auf das konkrete Ziel gescheitert sein, so war sie doch im Rückblick eine bemerkenswerte und innovative Anstrengung, die weit über konventionelle Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen und Verbände hinausging. Sie reagierte auf die massiven Bürgerinitiativen und Kampagnen gegen Fluglärm und Flughafenausbau mit dem Versuch, Firmen, Manager, Betriebsräte, Mitarbeiter und Sympathisanten zu mobilisieren.
Die Forderung nach einer (von der Bundesregierung bereits angekündigten) Novelle des Luftverkehrsgesetzes sollte als Gegengewicht zum Ruhebedürfnis der Anwohner im Gesetz verankert werden. Im Kern geht es um die Rolle der Gerichte, deren Urteile bisher Fluglärmregelungen prägen. Diese hätten zu „zunehmend einseitiger Interessensabwägung geführt“; daher sollten Politik und Öffentlichkeit für die Bedeutung der Luftfracht für die exportabhängige Wirtschaft „sensibilisiert“ werden.
Neben Lufthansa Cargo wurden noch 17 andere Organisationen, vor allem Logistikverbände, als „Mitglieder“ einbezogen. Davon hob sich allein das Mitglied Bürgeraktion Pro Flughafen ab, eine von Mittelständlern dominierte Initiative im Rhein-Main-Gebiet.
Betriebsräte und der Lufthansa-Cargo-Vorstand übten im Oktober 2011 an einer Demonstration von 500 Lufthansa-Cargo-Mitarbeitern in Frankfurt den kämpferischen Schulterschluss gegen das vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof verhängte Nachtflugverbot.
Die Initiative publizierte einen monatlichen Newsletter sowie Presseanzeigen und veranstaltete Tagungen. An einer Unterschriftenkampagne beteiligten sich 100 Unternehmen und 10.000 Einzelpersonen. Die Petition wurde Ende 2010 auf dem Berliner Luftverkehrskongress an die Regierung übergeben.
Regionalkampagne "Ja zu FRA"
Jetzt wird's bunt: Gesichter gegen Proteste bei https://www.ja-zu-fra.org/ |
Laut Fraport sollen es 10.000 Demo-Teilnehmer gewesen sein (Polizei: 8.000).
Eine Million Euro, behaupteten die Landtags-Grünen, sollen regionale Kampagne und Kundgebung gekostet haben -- das wurde zwar von den Initiatoren bestritten, genaue Angaben machten sie aber nicht (Frankfurter Rundschau, 1.3.12).
Die "Ja zu FRA"-Website wurde inzwischen interaktiv aufgerüstet: Wer sich für FRA öffentlich aussprechen möchte, kann dort Fotos und Bekenntnisse einstellen.
Auch auf dem Flughafen selbst wird offensiv geworben. Seit Mitte präsentiert sich am Gebäude 162 ein 24 Meter hohes Megaplakat mit 200 Mitarbeiterfotos: „Wir sagen: Ja zu FRA!“. Das soll der Auftakt zur Aktion „1000 Gründe für FRA“ sein, die "in den kommenden Monaten verschiedene Menschen zeigen wird, die sich positiv zum zukunftssichernden Ausbau des Luftverkehrsstandortes Frankfurt bekennen", heißt es bei Fraport.
Augenscheinlich gelingt es der FRA-Standortinitiative, effektiver für den Flughafen und allgemeinen Luftverkehr zu mobilisieren, als der Initiative "Die Fracht braucht die Nacht". Die Botschaft ist positiver, emotionaler, weniger abstrakt -- und natürlich spontan einsichtiger und bezugsfähiger als die der Frachtlobby.
Neuer Kontext, neues Risiko
Es ist viel Bewegung in die politische Kommunikation und Interessenvertretung der Luftfahrtbranche gekommen. Solche Kampagnen mit Grassroots-Mobilisierung gab es früher nicht. Sie sind aber offenbar notwendig geworden, weil die anderen Instrumente nicht mehr hinreichend funktionieren.
Der Kontext des Public-Affairs-Managements hat sich stark geändert, die öffentliche Meinung ist gekippt und polarisiert. Zugleich sind die konventionellen Vertretungs- und Kommunikationsformen der Branchenverbände an ihre Grenzen gestoßen, was u.a. zur Neugründung des Verbands BDL geführt hat, aber eben auch zu Spezial-Themenkampagnen wie "Die Fracht braucht die Nacht", bei der eben ein Unternehmen (LH Cargo) und nicht ein Verband die Regie übernahm.
Das Problem der Luftfahrtunternehmen ist, dass sie die "schweigende Mehrheit" bisher nie organisieren und mobilisieren konnte. Wenn es mit den politischen Konflikten aber so weitergeht wie bisher, ist es zwingend, dass die Branche auch eigene Leute "auf die Straße" bringen kann. (Natürlich nicht mit Astroturf-Methoden, sondern mit legitimer Kampagnenarbeit.)
Eine Erkenntnis der Stuttgart-21-Episode ist, dass kämpferisch auftretende Protestinitiativen sehr starken Einfluss auf Medien, Politik und öffentliche Agenda gewinnen und den Eindruck erwecken können, die Mehrheitsmeinung zu vertreten. Bei Stuttgart 21 wissen wir inzwischen, dass der Eindruck nicht korrekt war. In der Wirtschaft kommt man daher zunehmend zu dem Schluss, dass eigene Kampagnen notwendig sind, um genau das zu verdeutlichen.
Ein Stück weit ist dies auch ein Eingeständnis, dass klassischer Bürgerdialog und Mediation scheitern können. In der Rhein-Main-Region waren viele darauf stolz, dass das aufwändige Mediationsverfahren das Protestpotenzial ein Jahrzehnt lang befrieden konnte. Die Frankfurter Erfolge sind nun, wie die lautstarken Proteste zeigen, aufgeribbelt und verloren. Die Polarisierung ist so hoch wie lange nicht mehr.
Das ist ein hohes Risiko für die Weiterentwicklung der Luftfahrtbranche. Sie ist ein Opfer ihres eigenen Erfolgs: Das rasche Wachstum der vergangenen zwei Jahrzehnte und die Liberalisierung der Luftverkehrsmärkte geben ihr heute eine große Bedeutung; aber die Proteste gegen Umwelt- und Klimafolgen, gegen Infrastruktur- und Standortentwicklung sind ebenfalls ungleich größer als früher.
Politik, Regulierungsbehörden und Gerichte reagieren auch darauf mit wachsender Sensibilität. Hinzu kommt, dass die Luftfahrt durch das Wettbewerbswachstum immer weniger mit einer Stimme sprechen, steuern und sich wehren kann. Die Interessengegensätze im eigenen Lager sind groß. Die internationalen Verflechtungen steigern sie noch.
Das macht es für die Politik einfacher, der Branche Belastungen zuzumuten. Im Ergebnis steht der Luftverkehr, so populär er bei den Kunden auch ist, politisch immer häufiger in der strategischen Defensive.
Das gesamte Feld der Beziehungen zwischen Luftfahrt und Gesellschaft ist ungleich komplexer geworden. Umso wichtiger ist es, dass die Branche neue Instrumente entwickelt und erprobt: beim direkten und indirekten Lobbying, durch Kampagnen unterschiedlichen Typs, durch neue Kommunikationskanäle, durch CSR-Aktivitäten der Unternehmen und eine Neuorientierung ihrer Verbände. Nicht zuletzt wird immer bedeutender, dass die Aus- und Weiterbildung der Führungskräfte für diese öffentlichen Angelegenheiten - Public Affairs eben - verbessert und profiliert wird. Die Branche hat viel zu verlieren.
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