Freitag, 2. Juli 2010

Schlaflos am Flughafen? Verständnis-Kampagne "Die Fracht braucht die Nacht"

Wenn Bürger etwas an Flughäfen wirklich nervt, dann sind es Nachtflüge. An allen größeren Verkehrsflughäfen sind Bürgerinitiativen gegen Fluglärm aktiv, die Medien thematisieren das ständig, zahlreiche Gerichte beschäftigen sich damit, für die Politik ist das ein Dauerbrenner: Wirtschaftsinteressen und Jobs gegen empörte Anwohner.

Nun ist die Logistikbranche - immerhin der drittgrößte Arbeitgeber auf der Verkehrsdrehscheibe Deutschland - aber der Meinung, dass man mehr und nicht weniger Nachtflüge braucht -- sonst kann sie im harten internationalen Wettbewerb mit weit großzügigeren Nachtflugregelungen nicht mithalten. Dabei geht es nicht nur um Amsterdam, Paris, London oder Madrid, sondern zunehmend auch um die Rivalen in der Golfregion, die zur Konkurrenz im Transkontinentalverkehr mit Asien und Amerika geworden sind -- und auf ihre Bürger eher weniger Rücksicht nehmen muss. Die Bedeutung des Exports für die deutsche Volkswirtschaft wird betont. Nachtflugverbote seien ein Jobkiller. Selbst die Gewerkschaft Ver.di geht da mit: Allein in Frankfurt seien bei der Lufthansa Cargo AG über 2.700 Arbeitsplätze in Gefahr und im direkten Umfeld noch einmal über 5.000 Stellen. Die Lufthansa Cargo hält ein absolutes Verbot von Nachtflügen in Frankfurt für existenzgefährdend. Firmenchef Spohr mag sich nicht vorstellen, dass die zweitgrößte Exportnation der Welt ihre größte Luftverkehrs-Drehscheibe nachts von den internationalen Frachtströmen abtrenne. Martin Gaebges, Generalsekretär des Fluglinien-Verbands BARIG, meint: Wenn am Drehkreuz Frankfurt rechtlich keine Nachtflüge mehr möglich seien, dann werde es in ganz Deutschland an den Flughäfen kaum noch Gründe gegen Nachtflugverbote geben.

Jüngst rief die Flug- und Logistikbranche eine Initiative ins Leben, die um Verständnis werben soll: "Die Fracht braucht die Nacht" heißt die Kampagne. Mit dabei: Lufthansa Cargo, der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV), der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), der Speditions- und Logistikverband Hessen/Rheinland-Pfalz, das Board of Airline Representatives in Germany (BARIG) und der Air Cargo Club. Offizielles Gesicht und Geschäftsführer der Initiative ist der Ruheständler Ewald Heim, der bis 2009 in der Luftfracht tätig war, als ehrenamtlichem Geschäftsführer vertreten, lange tätig bei Lufthansa Cargo und Speditionen, bis 2009 auch Vorstandsmitglied im Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) und Chef des Hessisch-Rheinland-Pfälzischen Speditionsverbands.

Beim Kick-off der Kampagne im Sheraton am Flughafen verteilten lärmgeschädigte Aktivisten - u.a. von der Bundesvereinigung gegen Fluglärm - gleich Flugblätter mit dem Motto: "Lieber 1000 Vuvuzelas als ein Nachtfracht-Jumbo"! Seit einem Monat läuft eine Unterschriftenkampagne gegen die Änderung des § 29.b des Luftverkehrsgesetzes, das vor allem für den Ausbau Frankfurts wichtig ist. Die Gewährleistung "wettbewerbsfähiger Betriebszeiten" soll als Schutzziel ins Gesetz, als Gegengewicht zum Ruhebedürfnis.

Vor allem geht es darum, dass die Gerichte nicht allein die Fluglärmpolitik machen sollen -- sondern dass man weiteren Genehmigungsverfahren und Klagen branchenfreundlichere und gesetzliche Kriterien vorgibt. Die Logistiker-Initiative sagt dazu: "Aktuell gibt es bei der Entscheidung über die Zulässigkeit von Nachtflügen an deutschen Flughäfen keine hinreichende gesetzliche Grundlage. Die Abwägung der Anforderungen der Logistikbranche mit den Bedürfnissen der Anwohner erfolgt auf den Einzelfall bezogen, was regelmäßig zu Insellösungen und nicht nachzuvollziehenden Verboten führt." Also müsse "ein verlässlicher gesetzlicher Rahmen" her.

Die Richtersprüche der letzten Jahre hätten zu "zunehmend einseitiger Interessensabwägung geführt", sagt die Initiative. "So müssen seit einigen Jahren deutsche Flughäfen, die ihre Kapazitäten dem Bedarf anpassen und erweitern wollen, damit rechnen, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der planfestgestellten Erweiterungsmaßnahmen keine gleichberechtigte Abwägung zwischen dem privaten Schutzinteresse vor nächtlichem Fluglärm und den öffentlichen Belangen mehr stattfindet. Dem Schutz der Nachtruhe ist Vorrang eingeräumt worden, ohne dass dabei eine ausreichende Abwägung der widerstreitenden Interessen stattfand."

Das erbost die Hessen, denn das Landesverkehrsministerium hat im Planfeststellungsbeschluss für die neue Frankfurter Nordwest-Bahn, die 2011 in Betrieb genommen werden soll, bereits 15 Flüge pro Nacht genehmigt (Lufthansa Cargo wollte 23), obwohl Politiker vor nicht allzu langer Zeit ein absolutes Verbot versprochen hatten. Das Verwaltungsgericht Kassel monierte das, die Branche erwartet nun sehnlichst einen positiven Urteilsspruch des Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Im Landesparlament läuft das Thema auch heiß. Der hessische Landtag wird im September eine Anhörung zur Fluglärm-Belastung des Rhein-Main-Gebiete abhalten. Neben Wissenschaftlern werden Flughafen-Experten, Umweltbundesamts und die Lärmkommission angehört.

Das Bundesverkehrsministerium hat offenbar schon sein Herz an die Kampagne verloren. Die Änderung des Gesetzes ist bereits im Koalitionsvertrag enthalten. In einem Video auf der Kampagnen-Website beglückwünscht der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke die "absolut lobenswerte und sehr sinnvolle" Initiative. Die Öffentlichkeit müsse größeres Verständnis für die Bedürfnisse der Industrie haben, so Mücke. Auf der Fachtagung zum Kick-off sagte er weiter: “Um die Spitzenposition der deutschen Logistikbranche zu erhalten und auszubauen, muss die Politik die Wettbewerbsbedingungen des Gewerbes optimieren. Neben der Kapazitätsentwicklung der Flughäfen ist das Ziel der Bundesregierung, international wettbewerbsfähige Betriebszeiten sicher zu stellen.” Ein klares Statement, das die Branche gerne hört. Und auch Mückes Appell an die Landesregierungen, in der Genehmigungspraxis liberaler im Sinne der Branche zu sein, nimmt die Lobby gerne mit.

Politik und Öffentlichkeit sollen verstärkt für die Bedeutung der Luftfracht für die exportabhängige deutsche Wirtschaft "sensibilisiert" werden, heißt es in der Selbstdarstellung. Noch unklar ist, welche Dialogangebote und Aktionen nun folgen werden. Einen Newsletter und eine spärliche Website mit Tagungsbericht gibt es schon, aber sonst?

Die Begleitung der Gesetzgebungs- und Gerichtsverfahren mit der Initiative "Die Fracht braucht die Nacht" ist eine bemerkenswerte Idee. Das Mitglied Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) hat reichlich Erfahrung mit Kampagnen auf der Straße. Für die Luftfahrt ist diese Bündnis- und Kampagnenpolitik einer formellen Strategischen Allianz aber neu. Man darf daher skeptisch sein, ob die Frachtflieger und Logistiker eine kreative Öffentlichkeitsarbeit betreiben, das alte Thema mit neuem Zuschnitt in den Medien platzieren und tatsächlich Bürger interessieren können.

1 Kommentar:

  1. Wir sind Logistiker und sind FÜR ein Nachtflugverbot. Auch wir brauchen unseren erholsamen Schlaf !!!

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