Montag, 24. Januar 2011

EP-Initiative "Financewatch" geht an den Start

Im Juni berichtete dieses Blog über "Brüssels Sehnsucht nach Alternativen zum Experten-Monopol der Banken". Dabei ging es um einen Aufruf von Europaabgeordneten zur Gründung einer Gegen-Lobby aus der Zivilgesellschaft: NGOs, Gewerkschaften, Wissenschaftler und andere sollten eine Organisation schaffen, die alternativen Sachverstand zur Regulierung der Finanzmärkte bereitstellen soll. Denn die Politiker haben festgestellt, dass sie bei der Regulierung eigentlich nur auf das Expertenwissen der Banken, Versicherung und Fonds zurückgreifen können.

Die parteiübergreifende Initiative scheint nun Fahrt aufzunehmen. Unter dem Namen Financewatch kamen laut FTD jüngst erstmals die Mitwirkenden der neuen NGO in Berlin zusammen. Financewatch soll aber wohl ihren Sitz in Brüssel haben. Zu den Unterstützern der Gründungsphase gehörten Attac, Transparency International, Oxfam, Misereor, Europäischer Gewerkschaftsbund, die Europäische Verbraucherschutzorganisation BEUC, Wirtschaftsprüfer- und Kleinaktionärsverbände, die Viadrina School of Governance sowie einzelne Personen aus der Finanzwirtschaft und Wissenschaftler.

Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold (auch mit Attac eng verbunden) ist einer der Köpfe hinter der Idee. Die FTD zitiert ihn, Financewatch solle Expertisen produzieren und aktive Lobby- und Kampagnenarbeit betreiben: "So soll eine alternative, unabhängige Kraft neben die aktive Lobby der Banken treten." Eine öffentliche Finanzierung sei längerfristig nicht ausgeschlossen. "Die Finanzierung soll möglichst gestreut sein, um eine gezielte Einflussnahme zu verhindern", so Giegold. Eine Schweizer Stiftung ("Fondation pour le progrès de l’Homme") finanziere den Start. Nach Sondierungstreffen in Brüssel, Paris und Berlin sei für Anfang Februar ein großes Auftaktmeeting in Brüssel vorgesehent. Bis zum Sommer solle Financewatch voll funktionsfähig und aktiv sein.

Die FTD meint, darüber dürfte sich EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier freuen. Er wolle den Einfluss von Bankenlobbyisten auf die Finanzregulierung zurückdrängen. Industrieferne Akteure müssten in einem "ausgewogenen Verhältnis" zu Wort kommen.

Ein weiteres Beispiel dafür, dass Brüssel gern "Lobbyiert uns!" ruft und sich nicht scheut, im Interesse der Balance Geburtshilfe für neue Lobbyorganisationen zu geben, Anlauf- und Dauerfinanzierung anzubieten. Davon haben von Umwelt- über Energie- bis zu Frauen- und Wissenschaftsgruppen so manche NGOs profitieren können. Meist war es allerdings die Kommission, die die Initiative ergriff. Der öffentliche Aufruf von Parlamantariern aus dem Wirtschafts- und Währungsausschuss war ein Novum.

Man kann darin auch einen Beleg dafür sehen, dass das EP zunehmend selbstbewusster wird und gerade in Finanzfragen nach der Krise der Kommission und ihren bevorzugten Interessenvertretern nicht die ganze Verantwortung geben will.

Nicht übersehen werden sollte, dass die Abgeordneten wiederholt die schlechte Ausstattung des Parlaments kritisiert haben: Das EP hat immer noch keine Wissenschaftlichen Dienste wie der Bundestag (Abteilung "W" mit rund 270 Mitarbeitern, davon ein Drittel Akademiker) oder, will man den Maßstab noch höher legen, der US-Kongress mit seinem Congressional Research Service. Der CRS hat rund 900 Mitarbeiter und ein Budget von 100 Mio. Dollar; hinzu kommen noch das Congressional Budget Office, das sich um Haushaltsfragen kümmert, und das Government Accountability Office. CRS, CBO und GAO haben zusammen gut 4000 Mitarbeiter. Der Einfluss der Lobby mit ihren Experten und Expertisen auf den Kongress ist natürlich groß, aber die Abgeordneten haben neben ihren recht großen persönlichen Stäben eben immer auch die Möglichkeit, die Regierungs- und Lobbyinfos mit Analysen und Politikberatung aus dem eigenen Apparat zu kontern. Das trägt erheblich zur Information und Unabhängigkeit des Kongresses bei.

Solange so etwas für die EP-Parlamentarier nicht zur Verfügung steht, ist die Initiierung und Förderung zivilgesellschaftlicher Akteure wohl der einfachere Weg, sich systematisch alternative Informationen zu erschließen. Aber: Lobby bleibt Lobby.

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