Im Interview mit der Süddeutschen erläutert der EU-Parlamentarier Sven Giegold (Grüne), Mitgründer von Attac Deutschland, warum das eine gute Idee ist. Er will die Initiative nicht als "Aufruf gegen Lobbyismus" verstanden wissen, sondern als Aufbau von Gegengewichten. Auszug:
Die Politik hat nach wie vor genügend Macht. Die Regeln auf den Finanzmärkten werden von der Politik geschrieben. Aber um gute Regeln setzen zu können, braucht man ein vernüftiges Kräfteverhältnis. Zu Themen wie Umwelt, Entwicklung oder Gesundheit gibt es starkes progressives, gemeinwohlorientiertes Lobbying, nicht aber zu finanzwirtschaftlichen Themen.Tja. Eigentlich gibt es ja schon Gegengewichte -- beispielsweise die (öffentlich hoch subventionierten) Verbraucherorganisationen, die in Brüssel durchaus bevorzugter Konsultationspartner der EU-Institutionen sind. Seit dem Vertrag von Amsterdam ist Verbraucherpolitik ein wichtiges Politikfeld der EU, und eine eigene Generaldirektion ist zum mächtigen Patron geworden. Ein Verbraucherausschuss mit 20 Mitgliedern, einschließlich fünf Vertretern der europäischen Verbraucherorganisationen, berät sie. Die Kommission unterhält eine Organisation europäische Verbraucherinformationszentren und fährt Verbraucherkampagnen auch und gerade mit dem Schwerpunkt Finanzdienstleistungen. Im Parlament schließlich ist der zuständige Ausschuss auch kein Papiertiger.
sueddeutsche.de: Wo tritt die Übermacht der Bankenlobby besonders zutage?
Erst jüngst wieder bei der Richtlinie AIFM, mit der die Investment- und Hedgefonds reguliert werden sollen. Da gab es eine unglaubliche Lobby-Schlacht. Alle Abgeordneten wurden massiv bedrängt, es gab insgesamt 1600 Änderungsanträge zum Vorschlag der EU-Kommission. Von denen hatte die Finanzindustrie rund 900 selbst verfasst. Ein entgegenstehendes progressives Lobbying gab es zu diesen Themen nicht.
sueddeutsche.de: Wurden Sie selbst auch bedrängt?
Nein, mich stört aber das selbstherrliche Auftreten einiger Banklobbyisten.
sueddeutsche.de: Steckt hinter dem Aufruf der Parlamentarier insgeheim Ärger über die Arroganz der Banken?
Lobbyismus gehört zur Demokratie. Natürlich kann man an den Methoden der Lobbyisten einige Kritik üben, doch uns fehlt vor allem das Gegengewicht. Es ist kein Aufruf gegen Lobbyismus, sondern das Kräfteverhältnis zwischen gemeinwohlorientierten Lobbyisten und geschäftlichen Interessengruppen muss stimmen. Derzeit vertreten Banken und Versicherungen ihre Anliegen ohne Widerspruch.
Allerdings: Die Verbraucherschutzpolitik kümmert sich so gut wie ausschließlich um die Schnittstelle von Finanzdienstleistern und privaten Endkunden. Die dahinter stehenden Mechanismen der Finanzmärkte, für deren Kapriolen der Verbraucher und Bürger die Zeche zahlt, sind dagegen kein Arbeitsfeld.
Allen Pauschalisierungen zum Trotz: Die Finanz-Lobby ist kein Monolith. Wer mit den Unternehmensrepräsentanten der Privatbanken spricht, hört etwa, wie stark die Sparkassen und öffentlichen Banken, manchmal auch die Genossenschaftsbanken, sich mit völlig konträren Vorschlägen und mächtiger politischer Unterstützung in die Gestaltung einbringen. Schließlich ist auch der Einfluss alternativer Banken und Fonds gewachsen. Zudem gibt es große Unterschiede zwischen den regulatorischen Absichten der EU-Mitgliedstaaten.
Zweifellos haben die EU-Parlamentarier (aus fast allen Fraktionen) aber Recht, dass die Asymmetrie der Interessenorganisation es schwer macht, sich alternative Expertenmeinungen einzuholen. Die Banken scheinen eine Art Experten-Monopol zu haben, glaubt man den Politikern.
Der breite öffentliche Aufruf ist schon ungewöhnlich, weniger ungewöhnlich ist allerdings das Vorgehen Brüssels, sich Gegen-Lobbies einzuladen, mitzugründen und schließlich auch maßgeblich zu finanzieren. Das ist in vielen Politikfeldern passiert, von Umweltschutz über Gesundheit bis Frauenförderung und Forschung. Das ist kein reiner Bottom-up-Prozess, Brüssel gibt gerne den aktiven Makler und Geburtshelfer.
"Lobbiyert uns, wir helfen und bezahlen euch auch dafür" -- das ist im Endeffekt die Logik. Zahlreiche NGOs könnten in Brüssel keine Büros oder europaweite Organisationen unterhalten, gäbe es nicht ständige oder projektgebundene Zuschüsse aus Europas Staatskassen. Wenn der Aufruf Früchte trägt, werden Kommission und Parlament sich sicher nicht zweimal bitten lassen, um das Portemonnaie zu öffnen.
An der Stelle darf man sich als Steuerzahler auch fragen, warum den politischen Institutionen und der Beamtenschaft das Expertenwissen fehlt. Ist es nicht eine wichtige staatliche Aufgabe, das fachkundige Personal selbst vorzuhalten, um die Finanzmärkte regulieren zu können? Aber die Antwort kann man sich denken. Wer wirklich etwas von Finanzmärkten und ihrer Regulierung versteht, sucht sich nur selten einen Job in der Verwaltung, obwohl zumindest bei der EU-Kommission keineswegs schlechte Gehälter bezahlt werden. Gute Politikberatung gibt es nicht zum Billigtarif.
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