Dienstag, 7. Dezember 2010

Verbandsflucht: Bauer-Power und das drohende Ende eines nützlichen Kartells

Wenn ein großer Konzern mit großem Knall seinen wichtigsten Branchenverband verlässt, stellt sich wieder einmal die Frage nach der Zukunft der Verbände. Als Philip Morris im Mai 2007 seine Mitgliedschaft im Verband der Cigarettenindustrie kündigte, gab es den VdC einige Wochen später schon nicht mehr. Das wird beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) wohl nicht passieren.

Doch der sofortige, fristlose Austritt der Bauer Media Group (300 Magazine in 14 Ländern, €2 Mrd. Umsatz) aus dem VDZ-Fachbereich Publikumszeitschriften ist eine dramatische Eskalation, die einmal mehr zeigt, welche Sprengkraft gegenläufige wirtschaftliche Interessen und aggressives Wettbewerbsverhalten in der Verbändelandschaft haben. Die schöne alte Welt des deutschen Konsens-Korporatismus, sie ist nicht mehr.

Verlegertocher Yvonne Bauer hat just am Monatsanfang den Chefsessel in der milliardenschweren Mediengruppe übernommen, jetzt zeigt sie der Branche einmal, wo der Hammer hängt. Der VDZ hat Bauer wegen Marketingaktionen öffentlich gerüffelt, das ließ sich das Unternehmen nicht gefallen.

Hintergrund des Zerwürfnisses ist ein lange schwelender Konflikt um den Vertrieb, im Fachjargon "Pressegrosso" genannt. Bauer will seine Titel besser platziert wissen. Die machen rund ein Viertel der Top-Seller im Zeitschriftenhandel aus, bunte Blätter wie Tina, Bella, Laura, Das neue Blatt, Bravo, TV Movie, Wohnidee. Vor allem geht es dem Verlag um die Zeitschriftenregale im Lebensmitteleinzelhandel. Mit einer Kampagne (Website Sie-haben-die-macht.de) wirbt Bauer bei Filialleitern von Supermärkten darum, seine Blätter als Umsatzbringer in Vollsicht prominenter zu präsentieren ("Leiden Sie auch unter Regalverstopfung?").

Das finden die Grosso-Vertriebsdienstleister nicht gut, die anderen Zeitschriftenverlage schon gar nicht. Der VDZ veröffentlichte am 26. November eine ungewöhnlich scharfe Pressemitteilung:
"Die Öffentlichkeitsinitiative der Bauer Vertriebs KG zur Veränderung der Pressepräsentation im Einzelhandel wird von den übrigen in PMV vertretenen und weiteren Zeitschriftenverlagen verurteilt. (...) Die Öffentlichkeitskampagne der Bauer Vertriebs KG erweckt den Eindruck, als befände sich das Pressesortiment im Einzelhandel in einem generell schlechten und für den Einzelhändler unattraktiven Zustand. Daher wird diese Form der Kommunikation als nicht zielführend bewertet."
Das sagt für den VDZ Torsten Brandt als Sprecher des "Arbeitskreises Pressemarkt Vertrieb"; das ist aber nur sein Nebenjob. Hauptberuflich ist er Vertriebschef beim Bauer-Konkurrenten Axel Springer. Zuvor hatten sich auch Gruner+Jahr, der Burda/WAZ-Vertrieb, der Arbeitskreis Mittelständischer Verlage (AMV) und der Grosso-Verband öffentlich gegen Bauer gestellt.

Das Branchenblatt Horizont kommentiert:
"Wer die komplizierten Prozesse der Meinungsbildung bei den Verlagen und dadurch erst recht beim VDZ kennt, der ahnt: Es muss auf der Telefonkonferenz der Vertriebschefs Ende vergangener Woche ziemlich gekracht haben, dass der sonst so auf Konsens bedachte VDZ eine solche Mitteilung gegen ein wichtiges Mitglied verschickt."
Ja, Bauer-Vertriebschef Heribert Bertram dürfte in der Telefonrunde reichlich eingesteckt haben von den Kollegen des Arbeitskreises Pressemarkt Vertrieb.

Die öffentliche Ohrfeige durch die VDZ-Verlagskollegen konterte Bauer nun mit einer hart formulierten Pressemitteilung, die sämtliche Brücken abzubrechen scheint:
Die Bauer Media Group hat ihre Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung im Fachbereich Publikumszeitschriften im VDZ gekündigt. Die im Rahmen einer Pressemitteilung des VDZ veröffentlichte Stellungnahme zur Marketingkampagne im Lebensmitteleinzelhandel der Bauer Media Group wurde als gezielte Geschäftsschädigung empfunden. Der Inhalt, die Diktion und das Zustandekommen dieser Pressemitteilung sind für die Bauer Media Group beispiellos, da die Bauer Media Group ohne sachlichen Grund in der Öffentlichkeit diskreditiert wurde und der VDZ in den Wettbewerb eingegriffen hat.

Die betreffende Marketingaktion der Bauer Media Group ist zulässig und entspricht den üblichen Usancen in der Branche. Entsprechend ist die Reaktion des VDZ auf eine derartige Aktion vollkommen unangemessen. (...)

Dass die Resolution darüber hinaus lediglich das Ergebnis einer Telefonkonferenz des PMV (Arbeitskreis Pressemarkt Vertrieb) gewesen ist, und eine Entscheidung des Vorstands bis zum heutigen Tag zu diesem wichtigen Thema nicht vorliegt, stößt zusätzlich auf Unverständnis der Verlagsgruppe.

Diese sowie weitere, ähnlich gerichtete Aktivitäten gegen das Medienunternehmen lassen der Bauer Media Group keine andere Wahl, als die Mitgliedschaft umgehend zu beenden. Die Bauer Media Group bedauert diese Entwicklung außerordentlich, sieht aber unter den gegeben Umständen keine Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Rums! So etwas sieht man selten im Verbändewesen. Der VDZ schob nun eine Mitteilung des Bedauerns nach, betont, dass Bauer ja immerhin allgemein Mitglied bleibt (nur eben nicht in der Fachgruppe) und dass man künftig schon wieder irgendwie zusammenkomme könne.

Danach sieht es vorerst nicht aus. Es geht auch nicht um persönliche Animositäten, sondern ums Eingemachte: den sich auflösenden Konsens, wie Print-Publikationen im fairen Wettbewerb vom Verlag zum Leser kommen.

Pressegroßhandel: Ein sonderbares Kartell, vom Staat geduldet

Der VDZ nimmt die bisherige Praxis des Presse-Grosso in Schutz, weil dieses System erstens eine vom Staat geduldetes Kartell mit Monopolstellung hat und daher zweitens peinlich auf Neutralität achten soll. "Freier Marktzugang für alle Presseerzeugnisse" ist das Schlagwort, kein Vorteil für irgendwelche Kunden. Darum soll allein der Presse-Grossist das Dispositionsrecht haben, der das Zeitschriftenregal füllt. Bislang gehen die Einzelhändler davon aus, dass die Sortierung auch für sie optimal ist. Bauer will dem Handel nun nachweisen, dass man es besser machen kann.

Doch: Wenn nun Supermarkt-Filialleiter anfangen sollten, beeinflusst von Werbekampagnen einzelner Verleger, nach Gutdünken im Regal umzusortieren, wäre das ein Schreckensszenario für die Verlage - und natürlich für den Grosso.

Strategisch dehnt sich die Sache noch weiter. Die Verlage müssen alle Jahre mit den Grossisten hart um die Konditionen feilschen. Die Verträge sind bisher bis 2014 gemacht, allerdings gibt es offenbar Sonderklauseln, so dass Bauer sich nur noch bis 2012 daran halten will. Die nächsten Verhandlungs-Pokerrunden werden bald kommen. Mit den Marketingaktionen direkt beim Lebensmittelhandel erzeugt Bauer massiv Druck auf den Grosso.

Pressevertrieb ist ein ausbalanciertes Kartell, für das das sonst strenge deutsche Kartellrecht eine Ausnahme macht. Außer in Berlin und Berlin haben die 69 Pressegroßhändler jeweils eines von 83 Gebietsmonopolen („Grossogebiete“), sie haben also das Alleinauslieferungsrecht für die meisten der rund 120.000 Presseverkaufsstellen in Deutschland. Rund 54 Prozent Marktanteil hat der Grosso im Pressevertrieb. Die Lobby stellt der Bundesverband Presse-Grosso in Köln und 54 Mitgliedsunternehmen dar, überwiegend Mittelständler.

Für die rechtlich privilegierte Stellung der Grossisten gibt es einige spezielle Spielregeln, z.B. das Recht zur Rückgabe nicht verkaufter Exemplare an die Verlage und den Kontrahierungszwang, also die Pflicht, alle Verkaufsstellen zu beliefern und alle Pressetitel anzubieten. Die Pressegrossisten sollen dem Ideal nach unabhängig von Verlagen sein -- allerdings ist das nicht immer der Fall, es gibt Verlagstöchter, die am Grosso beteiligt sind. Außerdem sind die Grossisten bei der Neutralitätspflicht selten pingelig, Sonderwünsche, Sonderrabatte und Zusatzleistungen werden gerade den Konzernverlagen gerne gewährt. Die Masse macht's.

In vielen anderen Ländern gibt es das System des Presse-Grosso deutscher Spielart nicht, dort gibt es eine heftige Konkurrenz der Vertriebsfirmen. Dort gibt es allerdings auch weder die deutsche Pressevielfalt noch die hohe Dichte von Presseverkaufsstellen.

Bauer - und auch Springer - haben seit einigen Jahren das Grosso-System attackiert. Beide Konzerne machen große Teile ihres Umsatzes im Ausland und wissen dort die Vorteile der Konkurrenz für sich zu nutzen. Überdies hätten sie die Möglichkeit, ein eigenes Vertriebssystem zum Schaden der mittelständischen Verlage aufzubauen - zum Teil haben sie schon Grossisten gekündigt und regional den Grosso selbst übernommen. Bei der Bauer-Gruppe sitzt nun übrigens die Verlegertochter Yvonne am Hebel, die zuvor Vertriebschefin des Hauses war.

Von der "Magna Charta des Pressevertriebs" zur "Preisdrücker-Politik der Großverlage"

In die aktuellen Streitigkeiten schaltet sich dann auch schon mal das Bundeskanzleramt (über den Kulturstaatsminister Neumann) ein. Es wäre der Bundesregierung gar nicht recht, wenn die Medienbranche das Problem nicht unter sich regeln kann und eine komplizierte neue Gesetzgebung aufgelegt werden müsste. Man würde eine Grundsatzdebatte über Informationszugang und Mediensystem führen müssen.

2003 war man schon einmal an einer Bruchstelle. Da beschloss die Bundesregierung die 7. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), und der damalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (selbst Ex-Chefredakteur) dachte auch über die Verlage und den Vertrieb nach. Dem Grosso-Verband stieß übel auf, dass dem Referentenentwurf des Ministeriums eine gesetzliche Sicherung der Vertriebs­neutralität fehle. Clement zog sich den Schuh nicht an, sondern wirkte auf eine Selbstverpflichtung der Medienunternehmen hin. Ergebnis war eine Gemeinsame Erklärung des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und des Bundesverbandes Deutscher Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten (BVPG).


Das war bisher die Geschäftsgrundlage, die "Magna Charta des Pressevertriebs". Verlage und Grosso haben sich nun vor kurzem wieder hingesetzt, um die Zukunft des Modells zu diskutieren. In diese schwierige Phase platzte nun die Bauer-Aktion - mit möglicherweise verheerenden Folgen.


Journalistik-Professor Michael Haller (Uni Leipzig) hat in der FAZ (25. März 2009) analysiert, wie große Zeitschriftenverlage das Pressevertriebssystem sprengen könnten - und wie sie damit den freien Zugang der Bürger zur Information gefährden:
Alle ausländischen Pressevertriebssysteme arbeiten weniger effizient als das deutsche. Die entscheidende Frage allerdings ist, wie man Effizienz misst. Definiert man Effizienz, wie es Bauer oder Springer tun, dann zählt allein die Kosten-Nutzen-Relation je Zeitschriftenexemplar, Motto: Je billiger meine Titel zum Einzelhändler gebracht werden, umso besser für mich. Und je höher ihre verkaufte Auflage ist, umso größer ist das Interesse des Grossisten, den fraglichen Titel zu vertreiben. Wenn ich ihm Konkurrenz androhe, wird er den Vertriebspreis senken, weil er fürchtet, ich mache es sonst selbst.

Dieses Effizienzdenken hat Konsequenzen: Wenn die Grossisten für den Vertrieb so wenig bekommen, dass sie gerade noch überleben, dann verteilen sie vor allem auflagenstarke Massentitel, am liebsten nur an Supermärkte, Tankstellen und Bäckereien, weil dort das Angebot schmal und flach gehalten wird: rund 80 Titel bei Lidl, 250 bei Edeka. Das mühselige Geschäft mit den vielen hundert kleinauflagigen Titeln? Das soll machen, wer will.

Haller argumentiert, kleine Verlagen könnten in einem Konkurrenzsystem nicht mehr mithalten, der Vertrieb würde zu teuer. Das treffe nicht nur kleine Zeitschriftentitel (von "Landlust" bis "Brandeins"), sondern insbesondere die sehr teuren Vertriebe der Tageszeitungen.

Da es "hier nicht um Schokoriegel oder Hobelkäse" gehe, sondern um den Zugang der Bürger zu Pressevielfalt und um die Chancen für Print-Journalismus, müsse man den Presseo-Grosso als "öffentliche Infrastruktur" sehen wie Bildung und öffentlichen Nahverkehr. Die Unabhängigkeit des Grosso-Systems müsse geschützt werden, "damit es von marktmächtigen Playern nicht erpresst werden kann".
Es verwundert nicht, dass alle europäischen Staaten, die vom Faschismus oder Nationalsozialismus heimgesucht wurden, in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts die Unabhängigkeit und Neutralität ihrer Presse-Distribution rechtlich absicherten. Und so gilt in den meisten Staaten Westeuropas, dass die freie Meinungsbildung der Bürger gewährleistet werden muss durch eine Infrastruktur, die eine ubiquitäre und titelneutrale Verbreitung der Medienangebote sichert.

Während die Franzosen und Italiener ihre Distributionssysteme über Gesetzgebungen absicherten, kamen in Deutschland die Verleger, Grossisten und Einzelhändler aus freien Stücken überein, das Vertriebssystem zu organisieren. Auch die führenden Verleger waren der Überzeugung, dass die Grundversorgung der Bevölkerung mit Medieninhalten einem öffentlichen Interesse folge.

Auch wenn es von den Großverlagen Versuche immer wieder gab, das System unter die Fittiche zu bekommen, so blieb dieser Grundkonsens doch unangetastet. (...)

Die Preisdrücker-Politik der Großverlage [in Großbritannien] hat dazu geführt, dass fast alle unabhängigen Grossisten das Feld geräumt und den drei Vertriebskonzernen Smith, Menzies und Dawson Platz gemacht haben. Diese drei erwirtschaften neunzig Prozent des Presseumsatzes und haben sich in siebzig Prozent aller Gebiete als Monopolisten etabliert.

Im Unterschied zu den kontinentaleuropäischen Grossisten agieren die englischen Vertriebsmonopolisten ohne Verpflichtung, alle verfügbaren Titel auszuliefern. Das mühsame Geschäft, die vielen kleinauflagigen Zeitschriften und Tageszeitungen in den ländlichen Regionen zu verteilen, überlassen die drei Großen den übrig gebliebenen Unabhängigen, die nur deshalb noch existieren, weil den Großen diese Drecksarbeit nicht passt.
England wird von Bauer und Springer gern als Alternativsystem gepriesen. Folgt man Haller, ist da ein schlechtes Vorbild.

Das deutsche Grosso-Kartell hat, wie jedes staatlich geduldete Monopol, seine Nachteile. Sieht man es wie Bauer und Springer, wäre ein freier Markt effizienter, wenn es um die Margen in Zeiten zurückgehender Massenauflagen geht.

Sieht man es wie Haller als öffentliche Infrastruktur für Information, ist es ungemein nützlich für die Demokratie wie für eine lebendige, dezentrale Medienwirtschaft – und sichert Print-Produkten, auch solchen in der Nische, das Überleben gegen eine ohnehin scheinbare übermächtige Internet-Konkurrenz.

Wenn Bauer nun drauf und dran ist, das Grosso-Kartell zu sprengen, könnte Springer bald die bisher recht diplomatische Gangart ablegen und folgen. Spätestens dann droht das System zu kippen, denn die beiden Verlage produzieren eine Vielzahl vieler umsatzstarker Titel.

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