Dienstag, 30. August 2011

Was ist eigentlich ein... "White Paper"?

Immer häufiger taucht bei Verbänden, Unternehmen und Beratern der Begriff "White Paper" auf. Im politischen Kontext wird der Begriff bislang anders verwendet als im Unternehmens-Marketing – das sorgt für Verwirrung.

Interessanterweise hat die Wirtschaft hier offenbar einen Politik-Begriff übernommen, und nun kommt er aus dem Marketing zurück in die politische Welt -- in Interessenvertretung und strategischer Kommunikation. 

Weißbuch in der Regierungskommunikation
White Paper wurde im Deutschen bislang mit Weißbuch übersetzt. Wie alle sogenannten Bunt- oder Farbbücher sind konventionelle Weißbücher ursprünglich mit der Regierungskommunikation verbunden. Regierungen legen darin die politische Lage, Leitlinien und strategische Planung dar und legitimieren ihr Vorgehen.
  • Weißbücher sind vor allem im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik bekannt (z.B. Weißbuch der Bundeswehr).
  • Die Europäische Kommission nutzt Grün- und Weißbücher, um konkrete Rechtsetzungsvorhaben vorzubereiten (von der Stakeholder-Konsultation bis zum Gesetz- oder Programmentwurf). 
  • White Papers werden von politischen Institutionen (Ministerien oder auch kommunale Behörden) zudem in Auftrag gegeben, um eine Zusammenfassung des wissenschaftlichen Sachstands zu bündeln oder um Vorschläge zur Weiterentwicklung eines Politikfelds zusammenzutragen und eine Diskussion anzustoßen. 
White Paper im Marketing
Inzwischen verbreitet sich der Begriff White Paper auch im kommerziellen Marketing und Vertrieb vorrangig in Technologiebranchen. Hier sind Informationsmedien für Entscheider über Investitionsgüter gemeint, die als „Vorverkaufsinstrument“ dienen. Ihr Stil setzt sich von der Werbung ab.

Im Beratungsmarketing von Consultants ihr Expertise in einem wichtigen Fachgebiet nach. Berufsverbände veröffentlichen White Papers, um Bedeutung und Entwicklungslinien eines (neuen) Tätigkeitsfelds zu dokumentieren.

Wirtschaftsverbände nutzen das Format z.B. für einen Branchenüberblick.
  • Beispiel: Der Deutsche Industrieverband für Fitness und Gesundheit (DIFG) informiert in seinem White Paper über die Fitnessbranche. "Zunächst nur publik in der Branche selbst, wird das White Paper des DIFG mittlerweile von vielen Institutionen und Firmen angefragt, die sich einen Einblick in den derzeitigen Entwicklungsstand und in die Aussichten der Branche verschaffen wollen", schreibt der DIFG. Er will es als "interessantes Nachschlagewerk" verstanden wissenn, "nicht nur für Journalisten, Investoren oder Banken, sondern ganz speziell auch für diejenigen, die sich über den Wandel der Brache hin zu einem effektiven Akteur im deutschen Gesundheitssystem informieren möchten."
Educational Marketing, informatives Marketing, One-to-One Marketing sind die Schlagworte, die gern verwendet werden. In einem Einführungsvideo erläutert der Vogel-Verlag, dass White Papers im Sinne eines "Werbeformats ohne Werbung" zu verstehen sind. Sie erreichten keine Zielgruppe, sondern Zielpersonen: Sie seien nicht für größere Gruppen gedacht, sondern für einzelne Entscheider (darum One-to-One). White Papers können etwa  für Fallstudien, Marktstudien, technische Studien, für Forschungs- und Umfrageergebnisse, für die Beschreibung von Einsatzmöglichkeiten, als Schulungsmaterial oder Leitäden sowie Strategieanalyse Verwendung finden.

Im Internet finden sich zahlreiche Foren, Blogs und Ratgeber, wie man White Papers gestaltet. Zudem hat sich eine Nischenindustrie in der Kommunikationsberatung gebildet, die das Format professionell weiterentwickelt. Genau genommen, handelt es sich nur um eine Spielart von Fachinformationen im Broschürengewand -- die Experten betonen aber, es sei etwas Eigenes.

Video: Allgemeine Whitepaper-Tipps (Wolfram A. Zabel)

Bisweilen wird der Begriff White Paper auch mit dem Konzept eines Hintergrundpapiers (Backgrounder) oder eines Positionspapiers vermengt, etwa in dieser Präsentation:


Anspruch auf Politikberatung: White Paper in der Interessenvertretung
In der Interessenvertretung gibt es typische Textformate: Briefe, Stellungnahmen, Positionspapiere sowie Dossiers, die Zahlen, Daten und Fakten übersichtlich darstellen sollen. Anstelle eines Dossiers kann eine Dokumentensammlung zu einem Einzelthema auch als White Paper publiziert werden.

In der Interessenvertretung spielen Weißbücher (mit größerem Umfang) und White Papers (10-30 Seiten) eine Rolle. Sie haben einerseits den Anstrich einer Expertise und andererseits einen strategischen Grundduktus, da sie auf Zukunftsperspektiven, Trends und theoretische Konzepte fokussieren sowie Best-Practice-Fallbeispiele als Beleg für bessere Handlungsoptionen aufzeigen.

Im Kontext der Interessenvertretung unterstreichen sie die Funktion des Lobbyings als Politikberatung. Sie sollen den Anspruch auf Ideen- und Meinungsführerschaft („Thought Leadership“) begründen, Vorteile einer bestimmten Problemlösung oder Antwort auf eine politische Herausforderung ausführen und schließlich ein positives Image verstärken.

White Papers sind normalerweise als Veröffentlichung in einer Reihe gedacht und zielen auf einen Wiedererkennungseffekt.
„Ein White Paper ist ein Dokument, das ein spezifisches Thema aus Expertensicht sachkundig und neutral beschreibt – als technische Erklärung, wissenschaftliche Hintergrundbeschreibung, Fallstudie, Anwenderbeispiel oder Analyse. Es soll informieren, überzeugen und begeistern“, heißt es in einem White Paper über White Papers (Rispens, 2009, S. 5)

Unterschiedliche Typen werden von Rispens definiert. Einer davon sind Strategische White Papers. Diese
„dienen dem Zwecke, neue Technologien, Prozesse oder Forschungsrichtungen Entscheidungsträgern so zu präsentieren, dass diese über deren Vor- und Nachteile informiert sind. Dem Leser wird ein abgewogener, strategischer Entschluss auf Basis der dargebotenen Informationen ermöglicht. Bei Themen mit gesellschaftlicher Relevanz können sich solche White Papers auch an Politiker, Interessenverbände oder die interessierte Öffentlichkeit richten“ (S. 7).
Elemente und Publikation eines White Paper
Die je nach thematischer Eingrenzung meist 10 bis 30 Seiten langen White Papers zeichnen sich durch hochwertige Texte und – wichtig – aufwändige Infografiken aus, die Expertenwissen allgemein verständlich und mit hohem Nutzwert verfügbar machen.
  • Fachsprache wird vermieden;
  • der redaktionelle Stil und die Aufmachung (viele Bilder, viel Weißraum) erinnern an ein seriöses Magazin; 
  • die Infografiken richten sich vor allem an schnelle Leser und setzen auf eine mit Symbolik und Ästhetik verbundene Überblicksfunktion. 
Die Produktion eines solchen White Papers setzt daher die Zusammenarbeit mit der PR-Abteilung, Grafikern oder einer Kommunikationsagentur voraus.

Sinnvoll ist der Aufwand vor allem dann, wenn der Informationsbedarf der Zielgruppe sehr hoch, die Thematik neu und komplex ist, etwa im Bereich von Technologien.

White Papers werden vorrangig online als PDF zur Verfügung gestellt.
  • Vom Konzept her geht ein White Paper davon aus, das interessierte Kreise aktiv und gezielt nach seriösen, hochwertigen Informationen im Web suchen, die sie herunterladen wollen. 
  • Daher werden White Papers sorgfältig für Suchmaschinen optimiert und auf Informationsportalen platziert
  • Gute White Papers, so die Überlegung, werden besonders häufig weitergeleitet und verbreiten sich im Netzwerk der Leser viral.
Quelle:
Rispens, S. I. (2009). Wissen erfolgreich nutzen. Ein White Paper über White Papers. KnowledgeAtWork

Freitag, 26. August 2011

Tech-Lobby: Wie ein Hinterbänkler eine IT-Revolte auslöste und einen Weltkonzern verstörte

In "Wie der Pinguin nach München kam" blickt Spiegel Online auf die Entscheidung der Stadt 2004 zurück, auf ihren 15.000 Rechnern statt Windows das freie Betriebssystem Linux und entsprechende Anwendungen (z.B. OpenOffice) zu verwenden. Auch Die Welt greift das Thema auf ("Alles für die Freiheit!")

Das  "LiMux"-Projekt  (Linux + München) ist bis heute nicht problemfrei -- zahlreiche Extra-Programme mussten geschaffen werden. Noch sind nur 6900 Rechner völlig Windows-frei, bis 2013 sollen es 12.000 sein.

Aber jenseits der Technik: Was für ein politischer Paukenschlag war das damals!

Politischer Paukenschlag für den E-Government-Markt
Für Münchens OB Christian Ude war es ein Prestigeprojekt, und er wollte es als wettbewerbspolitisches Signal gegen Monopole verstanden wissen. "Freiheit" war sein Schlagwort. IT und Verwaltungsinterna sind normalerweise keine Themen, mit dem sich ein politischer Blumentopf gewinnen lässt. Doch Ude witterte die Chance, sich zu profilieren.

Ude ging es keineswegs nur um seinen Ärger über Microsoft, das weltweit den Support für Windows NT auslaufen ließ, mit dem die Münchner Rechner liefen. Microsoft wollte so ein Upgrade auf Windows XP und Office XP erzwingen. Der Stadt München bot Microsoft das Upgrade für 37 Mio. Dollar an -- aus Udes Sicht völlig überzogen. Vielmehr sah er die Chance, bundesweit und sogar international ein politisches Feuerwerk zu entzünden. So beauftragte er IT-Spezialisten, um Alternativen zu finden. Und der Rat folgte: Bis auf die CSU-Fraktion stimmten alle Abgeordneten der Ratsversammlung gegen Microsoft.

Für Microsoft war es ein PR-Desaster, und jeder Softwarehersteller -- von SAP bis Oracle -- fühlte sich bedroht. Wenn proprietäre Programme durch frei verfügbare Software in großem Stil ersetzt werden könnten, wären die Folgen für das Geschäft mit Staat und Kommunen nicht absehbar.

Der E-Government-Markt war in den 1990ern zum gigantischen Wachstumsfeld geworden, in dem sich Milliarden verdienen ließen. Die Umstellung auf moderne IT-Infrastruktur hatte viel mit dem "Neuen Steuerungsmodell" (New Public Management) zu tun, mit dem die Politik versuchte, die Behörden wie Unternehmen aufzustellen -- Leitungskennziffern, "Produkte" und Bilanzen inklusive.

Eine apokalytische Vorstellung, dass Großstädte, Landkreise und Landesbehörden ganz auf Open Source umstellen könnten -- und zwar nicht nur in den Datenzentren, sondern auf jedem Desktop in jedem Büro.

München ist schließlich keine Kleinstkommune, in der ein unbedeutender Bürgermeister mit einem Dutzend Rechnern experimentiert. Die Signalwirkung wurde durch die Bedeutung Münchens als deutscher IT-Hauptstadt vergrößert, in der auch Microsoft Deutschland seinen Sitz hat.

Es war ein "Stich ins Herz", so der Stern damals.

Microsoft in Panik: Steve Ballmer auf Rettungsmission in München

USA Today war der Münchner Coup
2003 einen Aufmacher wert
Microsoft-Chef Steve Ballmer brach 2003 gar seinen Urlaub ab und reiste nach München, um dem OB die Sache auszureden. Das machte international Schlagzeilen, schließlich beschäftigt sich so ein Welt-CEO normalerweise nicht mit Millionendeals, sondern mit Milliarden. Die Münchner Lokalpolitik sonnte sich in der Aufmerksamkeit. Zwar hatte auch das Bundesinnenministerium schon mit IBM eine Vereinbarung über einen Linux-Einsatz geschlossen, aber in seiner Radikalität war München ein Sonderfall.

Ballmer bot Ude drastische Preisnachlässe an, um das Geschäft mit der Stadt zu halten. Laut USA Today lag der Discount am Ende bei 35%, bei nur noch 23 Mio. Dollar. Ballmerbot Dinge an, die der Firmenpolitik massiv widersprachen, etwa verlängerte Support-Zeiten (6 statt der üblichen 3-4 Jahre) und Einzelkauf von Software wie Word ("Unbundling" der sonst üblichen Office-Pakete). Auch Personalschulungen und Support warf er auf den Tisch -- Dienstleistungen im Wert von vielen Millionen.

"Was in der großen Weltpolitik der Fall der Berliner Mauer war, das wird dieses Votum in unserer Branche sein"
Doch der Münchner blieb stur. Die Linux-Umstellung sollte deutlich teurer werden: Kurze Zeit später bekamen die Linux-Firmen SuSE und IBM für 35 Mio. Dollar den Zuschlag.

Kein Pathos war dem SuSE-Chef Richard Seibt damals zu viel: "Was in der großen Weltpolitik der Fall der Berliner Mauer war, das wird dieses Votum in unserer Branche sein", zitierte ihn der Spiegel.

Wie politisch brisant und weitreichend die ganze Sache war, konnte man zum Beispiel beim heftigen Streit um die EU-Richtlinie zu "computerimplementierten Erfindungen" (vulgo Softwarepatente) erleben. Der Kampf in Brüssel veranlasste die Stadtverwaltung München, die Ausschreibungen für den Umstieg von Windows auf Linux und Co. auf Eis zu legen -- die geplante Richtlinie beinhalte zu große rechtliche und finanzielle Risiken. Bei der Umstellung liefe München Gefahr, zahlreiche Softwarepatente zu verletzen und dann verklagt zu werden.

Mit großem Mediendonner schimpfte OB Ude auf die Europapolitik, forderte Kommunen und Verwaltungen dazu auf, gegen die Richtlinie vorzugehen -- und stellte sich damit gegen die eigene SPD-geführte Bundesregierung. "Alle an freier Software interessierte Kommunen und Unternehmen müssten jetzt auf Regierungen und EU-Gremien einwirken, damit der Entwurf des Wettbewerbsrates nicht europäisches Recht werde." (Spiegel 2004).

Eine Patentierbarkeit von Software bedeutet, dass selbst kleinste Anwendungen teuer lizenziert werden müssen. Mit ihren Patentanwälten gingen die großen Softwarehäuser schon damals aggressiv gegen Programmierer und IT-Unternehmen vor.

Nichts ließen die großen Softwarehersteller damals unversucht, um die EU-Institutionen dazu zu bringen, Patente auf Software zuzulassen. In den USA gang und gäbe, hatte sich die EU lange gesträubt. Die EU-Kommission und die Patentämter machten eine Kehrtwände -- doch eine breite Lobby-Kampagne von IT-Mittelständlern und Open-Source-Bewegung beeindruckte das Europäische Parlament schließlich so sehr, dass das Gesetzesprojekt gestoppt wurde.

Das Monopol ist nicht geknackt
Inzwischen ist klar, dass der Gigant Microsoft sich vom Kundenzwerg München nicht hat in die Knie zwingen lassen. Das Desktopsoftware-Monopol ist immer noch da, auch in Behörden. Renegaten wie München und andere Verwaltungen werkeln routiniert an den Schwierigkeiten ihrer Windows- und Office-Umstellung. Ein strukurelles Problem ist offenbar, dass der Vorteil von Open Source auf den PCs in Organisationen abnimmt, je größer sie sind (Dobusch, 2009).

Einheitlichkeit, die Verfügbarkeit von Spezialsoftware und Support-Personal ist dort nämlich sehr wichtig. Und da hat Microsoft mit seinem Angebots- und Expertennetz immer die Nase vorn. Das ist nicht nur technische, sondern Experten-Macht. Ökonomen sprechen von Netzeffektmärkten, die den Monopolisten ständig stärkt. "The winner takes it all", meint der IT-Experte Leonhard Dobusch lakonisch. Allerdings eröffne Linux eine Chance für innovative Wettbewerber.

Dobusch vergleicht vier Stadtverwaltungen – München, Frankfurt, Wien und Berlin. Sie teilen eine ähnliche Windows-Vorgeschichte: Einst begeistert vom Microsoft-Standard, stellten sie bald fest, dass sie in dem System aus Redmond gefangen waren. Das war deswegen problematisch, weil sich in den dezentralen Verwaltungen ein Wildwuchs von Fachsoftware und „selbstgestrickten“ Makros entwickelte. Ein Wechsel von Betriebssystem und Basissoftware führt daher zu einem  komplexen Reformknäuel.


Ein Hinterbänkler löst eine kleine Weltsensation aus
München, meint Dobusch, war eher ein "Pionier wider Willen". Interessanterweise begann der Linux-Paukenschlag laut Dobusch nicht mit einer visionären Strategie, sondern mit dem schlichten Antrag eines einzelnen SPD-Abgeordneten. Die kleine IT-Sensation hat ein Hinterbänkler ausgelöst. Gerd Baumann war laut Dobusch
der Paradefall eines gemeinhin und wenig schmeichelhaft als „Hinterbänkler“ bezeichneten Politikertypus: Der mit „Alternativen zu Microsoft-Produkten“ übertitelte Antrag war sein einziger in seinen sechs Jahren im Münchner Stadtrat, aus dem er kurz danach wieder ausschied. Als Baumann im Sommer 2001 seinen Antrag stellte, zielte er aber weder auf das Betriebssystem, noch hatte er Open Source Software als Alternative im Auge. Der Privatnutzer der proprietären „Ami Pro“-Textverarbeitung bezog sich vordringlich auf die Office-Umgebung und lehnte aus prinzipiellen Gründen die Monopolstellung Microsofts ab („Diese Marktmacht von Microsoft hat mich schon immer gestört, dass die einfach diktieren konnten, wann wir was zu welchem Preis kaufen müssen.“).
Die IT-Verwaltung wies Baumanns Antrag erst einmal brüsk zurück und stellte in einem offenbar nicht allzu ambitionierten Softwarevergleich dar, dass es keine Alternativen gebe. Das provozierte den zuständigen Ausschuss, der nun eine genauere Prüfung in Angriff nahm und abforderte. Dem fügte sich die IT-Verwaltung und holte sich Expertenrat.

"Der Versuch durch die IT-Verwaltung, den Antrag möglichst schnell abzuschmettern, hatte so die kontra-intentionale Konsequenz einer viel umfangreicheren und durch externes Wissen verbreiterten Suche nach Alternativen", stellt Dobusch fest. "Ein Jahr später hatte sich die Lage um 180 Grad gedreht." Denn nun wollten die IT-Spezialisten der Verwaltung eine Revolution, aber die Führungskräfte blockten ab: Ein Totalumstieg war der Behördenspitze zu riskant. OB Christian Ude machte das dann aus politischen Gründen zur Chefsache. Die Rollen und Präferenzen der Akteure aus IT, Verwaltung und Politik veränderten sich teilweise mehrfach, stellt Dobusch fest. Viele Meilensteine waren offenbar nicht geplant, nicht beabsichtigt.

Es hätte in München wohl auch ganz anders laufen können. So wie in Frankfurt etwa. Am selben Tag, an dem die Münchner Ratsversammlung für die Grundsatzentscheidung für Linux votiert, trafen sich Frankfurts OB Petra Roth und der Microsoft-Deutschlandchef im Rathaus zur öffentlichen Unterzeichnung eines langfristigen Vertrags, mit dem sich die Stadt an das US-System band. In Frankfurt kam es trotz einzelner politischer und verwaltungsinterner Unzufriedenheit mit Windows nicht zu einer großen Diskussion. Dobusch meint:
Die Positionsmacht von Akteuren hat eine immense Bedeutung dafür, ob ihre diskursiven Beiträge überhaupt Folgen zeitigen. So scheint es weniger darum zu gehen, ob Zustimmung erzielt wird, als vielmehr, ob die positionale Macht ausreicht, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema in Gang zu bringen – sei die erste Reaktion auch ablehnend, wie zu Beginn in München. Wer Diskussionen auslöst, mag vielleicht dennoch seine Ziele nicht erreichen – wer aber ignoriert werden kann, der ist schon gescheitert.
In Wien gab es dagegen Debatten. Sie führten aber zu einem „dritten Weg“ der Koexistenz zwischen Windows und Linux („Wienux“). Manche Verwaltungen leisteten leisen Widerstand gegen eine politisch gewünschte Zwangsumstellung und stellten zwischenzeitlich schon mal wieder von Linux auf Windows um. Die Wiener halten sich für die Zukunft beide Optionen offen, also Rückkehr zu Windows oder weitergehender Umstieg auf Linux. "Der Preis für diese Flexibilität ist eine vergleichsweise üppig ausgestattete IT-Abteilung", so Dobusch. Was ja auch eine schöne Sache ist und das alte Parkinson'sche Diktum bestätigt, dass sich die Bürokratie vor allem um die Vermehrung von Stellen und Budgets kümmert.

In Berlin gab es laut Dobusch ein diffuses Bild: "Die zwölf Bezirksverwaltungen teilen sich ebenso in Befürworter und Gegner eines Wechsels zu Linux wie Akteure in den zentralen IT-Bereichen und der Politik, wobei dort die Spaltung quer durch die in Berlin regierende SPD geht." Das Berliner Abgeordnetenhaus stimmte für einen „Auflagenbeschluss“ zur Prüfung eines Wechsels auch am Desktop und drängte die Verwaltung zur schnellen Umsetzung. Beim Senat fand man die Idee wenig sinnvoll. Bei den Bezirksverwaltungen ergaben sich weitere Konfliktlinien. Relevant war offenbar die fehlende Unterstützung der IT-Zentrale.
Gerade der Misserfolg in Berlin demonstriert, welch entscheidende Scharnierfunktion zwischen Führungsspitze und dezentralen IT-Stellen die zentralen IT-Bereiche erfüllen. Wenn die zentrale IT auch nicht alleine einen Wechsel durchsetzen könnte, Ihre Positions- und Expertenmacht an neuralgischer Stelle in der Stadtverwaltung verschafft ihr aber zumindest die Möglichkeit zur Blockade.
Lehren für Politik und Verwaltung
Dobusch zieht das Fazit, dass München immerhin gezeigt habe, dass ein Linux-Umstieg möglich und machbar ist. Alleine dieser Umstand habe für Microsoft aus einer Herde von „Goldeseln“ wieder Kunden mit Verhandlungsspielraum gemacht. Es gebe weiterhin ein "Potential, die Marktstruktur völlig umzukrempeln". Einige der Lehren für Politik und Verwaltung:
Das Frankfurter Beispiel zeigt, dass keine Entscheidung auch eine Entscheidung ist. Wer die Frage nach einer Alternative „sofort verwirft“, „nicht ernsthaft prüft“, also gar nicht stellt, beraubt sich damit der Möglichkeit einer echten Entscheidung und ist dazu verdammt, den einmal eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Das (zumindest bislang) gescheiterte Migrationsprojekt in Berlin sowie die geringe Umstellungsquote in Wien demonstrieren die Notwendigkeit zentralen Commitments sowie die Vorteile einer Projektorganisation. Die Umstellung von Windows auf Linux ist eine Investition in die Zukunft, die sich nicht ohne weiteres neben dem Tagesgeschäft erledigen lässt. Für den Erfolg des Münchner Projekts wiederum ist sicherlich auch die Einstellung neuen Personals mitverantwortlich. „Frisches Blut“, die Aufnahme junger und linuxbegeisterter IT-Arbeitskräfte, sorgte nicht nur für zusätzliche Kompetenzen sondern auch für Schwung und Motivation.
Politik, Organisation und Technologie sind also eng miteinander verwoben. Wie die Entscheidungsprozesse verlaufen und was später bei der Umsetzung passiert, ist nicht immer planbar. Kleine Dinge können große Folgen haben, aber nur in einem bestimmten Kontext. Manchmal passiert gar nichts. Politische Führung und Symbolik auf höchster Ebene sind ebenso wichtig wie die internen Lobbies, die vor allem auf der Langstrecke über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

Dobusch, L. (2009). Windows versus Linux: Großstädtische Migrationsprojekte im Vergleich. Beitrag für die Konferenz „Berlin Open'09“. Abgerufen von http://www.dobusch.net/pub/uni/200906cp.pdf [26.8.2011].

Donnerstag, 25. August 2011

"Die Zeiten sind schwer, wir brauchen großartige Lobbyisten" -- Public-Affairs-Fernstudium an der DUW Berlin

"Wenn man das hier alles bekommt, das theoretische Wissen mit dem praktischen Austausch, entstehen hier großartige Lobbyisten. Und die Zeiten sind schwer, wir brauchen großartige Lobbyisten."
--  Gregor Schönstein (Managing Partner, Public Interest Consultants, Brüssel), DUW-Dozent

Der berufsbegleitende Master-Studiengang "European Public Affairs" der Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW) Berlin nimmt Fahrt auf. Die DUW, eine Tochter von Freier Universität und dem Klett-Kozern, der schon einige Hochschulketten betreibt.  Besonderheiten des EPA-Studiums: Fokus auf EU-Lobbying und europäische Kommunikation, Online-Fernstudium mit einigen Präsenzblöcken in Berlin-Dahlem.

Studiengangsleiter ist Peter Filzmaier, der als Professor an der österreichischen Donau-Universität fpr Weiterbildung Krems wirkt und dort bereits den berufsbegleitenden M.Sc. Politische Kommunikation leitet. Der österreichische Einschlag bei Dozenten und Studenten ist in diesem DUW-Video nicht zu überhören -- ein etwas ungewöhnlicher Zungenschlag für Berlin-Dahlem, aber es zeigt, dass auch ein deutsches Studium für Österreicher attraktiv ist und nicht nur umgekehrt (zahllose Deutsche pilgern ja für ein berufsbegleitendes Studium nach Krems):


Neben dem großartigen Zitat von Gregor Schönstein (Managing Partner, Public Interest Consultants, Brüssel) hört man Studiengangleiter Filzmeier und Dozent Harald Rau (Professor an der Ostfalia-Hochschule Salzgitter). Über ihr Studium sprechen die Studenten Sandra Breiteneder, Robert Strayhammer und Christina Weichselbaumer.


Das auf zwei Jahre angelegte Fernstudium, das zum Master of Arts führt, richtet sich an Interessenvertreter in spe auf europäischer Ebene. Strukturen, Prozesse und Akteure der EU stehen im Curriculum ganz oben, hinzu kommen PA-Instrumente sowie Führungs- und Kommunikationskompetenz. Ein bißchen Forschung ist auch dabei, schließlich steht am Ende eine Thesis. Beim Studienbeginn zeigt sich die DUW besonders flexibel: Der individuelle Einstieg ist 4x jährlich (Januar/April/Juli/Oktober) möglich. Das Preisetikett: 15.000 €.

Das Modulhandbuch mit den Kursbeschreibungen und die Studien- und Prüfungsordnung sind online verfügbar.

Ein Public-Affairs-Thema für sich: Die Zulassungsvoraussetzungen

Das Kleingedruckte sollte man schon lesen, vor allem, wenn man zur neuen Generation gehört und sich "nur" mit einem Bachelor bewirbt. Der M.A. wird nämlich nur verliehen, wenn unter Einbeziehung des vorangehenden Studiums ein Studienumfang von 300 Leistungspunkten (ECTS, Credit Points = Zeitaufwandsmaßzahl) nachgewiesen wird. Wer als Bewerber einen Hochschulabschluss hat, der zwischen 180 und 210 Punkte zählt, erhält statt der Master-Urkunde nur ein Zertifikat.

Absolventen klassischer Diplom-, Magister- oder Staatsexamen-Studiengänge stört das nicht, aber Absolventen 6-semestriger Bachelor-Studiengänge bringen typischerweise 180 Punkte mit -- und haben daher eine Punktelücke.

Die DUW ermöglicht ihnen jedoch, die "fehlenden Leistungspunkte entweder durch zusätzliche hochschulische oder außerhochschulische Studien‐ und Prüfungsleistungen erwerben und anrechnen [zu] lassen oder einen Antrag auf Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen oder herausragender berufspraktischer Qualifikationen [zu] stellen."

So macht es übrigens auch die Konkurrenz von der privaten Quadriga Hochschule Berlin: Wer sich etwa für den MBA "Public Affairs & Leadership" (17.000 Euro) bewerben möchte, muss 240 ECTS-Punkte mitbringen. Das tun aber nur Acht-Semester-Bachelors oder die Absolventen alter Studiengänge.

Die Krücke mit den Extrakursen oder Praxisanrechnung ist notwendig, weil der Gesetzgeber für den Master 300 Punkte als Regelrahmenwerk fixiert (Standard: 180 Bachelor + 120 Master). Ein normaler Vollzeit-Master (zwei Jahre) liefert heute stets 120 Punkte. Es gibt aber zahlreiche Weiterbildungs-Master auf dem Markt, die nur 60 oder 90 Punkte bieten (anderthalb bis zwei Jahre). Bisher war das noch kein großes Problem, weil sich die Teilnehmer überwiegend aus der Vor-Bologna-Generation rekrutieren. Das ändert sich rasch.


Die Crux:
  • Kein Ministerium genehmigt einen Teilzeit-Master, der in anderthalb oder zwei Jahren Studienzeit 120 Punkte vergeben will. Das wäre nämlich praktisch ein Vollzeit-Studium, das von Berufstätigen nicht geleistet werden kann. Die Aufsichtsbehörden definieren Teilzeit als 50%: Statt 30 ECTS-Punkten pro Semester erwerben die Teilzeitstudenten nur 15 pro Semester. Mit einigen Tricks lassen sich statt 60 auch 90 Punkte in zwei Jahre pressen, aber mehr lassen die Ministerien nicht zu.
  • Darum wäre ein real auf 120 Punkte aufgerüsteter Weiterbildungs-Master in Teilzeit wenig attraktiv für Berufstätige: Er würde nämlich dreieinhalb bis vier Jahre dauern.
Manche Hochschulen lassen auch "180er" Bachelors zu und prüfen sie zum Master. Das ist legitim, schließlich ist das im Ausland auch so (beispielsweise gibt es viele "60er" Master in der Schweiz, den Niederlanden oder England), und für private Arbeitgeber ist die am Ende erreichte Punktzahl irrelevant.

Aber: Eine Einstufung in den Höheren Dienst des öffentlichen Dienstes verlangt in der Regel, dass der Bewerber am Ende auf 300 Punkte kommt -- sonst wird er nur in den Gehobenen Dienst eingestuft wie ein Bachelor, wenn er Pech hat. Eine Klippe, die vor allem FH-Absolventen kennen sollten, denn deren Master werden sehr genau geprüft. "Master ist Master" gilt nicht immer.

Für den Public-Affairs-Absolventen ist es zweifellos wichtig, sich die Option für den Öffentlichen Dienst offenzuhalten. Und dann wäre da noch die Frage nach der Promotions-Zulassung für die Ambitionierten -- eine Dose, die dank Guttenberg und Co. gerade wieder geöffnet wird. Bisher sagen die Promotionsordnungen zu ECTS-Punkten  oft gar nichts, aber das mag sich ändern.

Derzeit haben wir ein Nebeneinander von Master-Studiengängen mit 120, 90 und 60 ECTS-Punkten. Aber alle Master sollen formal gleichwertig sein. Was etwas merkwürdig ist, wenn ein Master-Absolvent doppelt so viel Unterricht durchlaufen hat (120) wie der andere (60).

Darum hat sich der Gesetzgeber die 300-Punkte-Regel ausgedacht, die auf dem Erststudium fußt. Aber auch eine Hintertür offengelassen. Die Ländervereinbarung besagt:
Davon kann bei entsprechender Qualifikation der Studierenden im Einzelfall abgewichen werden. Das gilt auch dann, wenn nach Abschluss eines Masterstudiengangs 300 Leistungspunkte nicht erreicht werden. Nachgewiesene gleichwertige Kompetenzen und Fähigkeiten, die außerhalb des Hochschulbereichs erworben wurden, sind bis zur Hälfte der für den Studiengang vorgesehenen Leistungspunkte anzurechnen.
Verwirrend -- für Studenten, für Arbeitgeber sowieso und Hochschulen auch. Scheinbar wird hier auch nach der Devise "Don't ask, don't tell" gehandelt. Das Risiko trägt der Student -- ärgerlich, sollte es bei der Bologna-Reform doch um Transparenz und Vergleichbarkeit gehen. Und bei Weiterbildungs-Mastern geht es um viel Geld (Studiengebühren) und Zeit (die man sich von Arbeits-, Familien- und Freizeit abringen muss, bis tief in die Nacht).

Womit der Gesetzgeber offenbar nicht gerechnet hat, ist die Tatsache, dass immer mehr junge Bachelor-Absolventen direkt in den Arbeitsmarkt einsteigen (in Zeiten des Fachkräftemangels ist das ja attraktiv), aber auch möglichst zügig einen Master machen wollen, ohne die erste Berufstätigkeit aufzugeben. Die Nachfrage der "Young Professionals" nach berufsbegleitenden Teilzeit-Studiengängen steigt, wie Die Zeit unlängst notierte. Weiterbildung wandelt sich, und ebenso die Weiterbildungsklientel. Sie wird erstaunlicherweise jünger.

Der Haken:
  • Anders als die klassische Weiterbildungsklientel der 30-45-Jährigen gibt es bei den meisten Bachelors nicht so viel herausragende Berufspraxis oder Zusatzqualifikationen anzurechnen. 
  • Sich mit Vormodulen und Brückenkursen -- die meist Extragebühren und Extrazeit kosten -- sowie bürokratischen Anträgen auseinander setzen zu müssen, trägt zudem nicht gerade zur Transparenz und zur Attraktivität der Weiterqualifizierung bei. 
Ach, Bologna!

Montag, 22. August 2011

Vom Verbands-Trainee bis zum HGF: Personalentwicklung bei Verbänden

Eigentlich ist es erstaunlich: Die deutsche Verbändewelt entstand vor 150 Jahren, der Einfluss der Verbände ist groß, die Breite der organisierten Interessen erstaunlich. Aber eine systematische Ausbildung für Fach- und Führungskräfte der Verbände ist nach wie vor äußerst selten.
    • Was ein Traineeprogramm ist (und was es, trotz des inflationären Gebrauchs für allerlei Praktikantenpositionen, nicht sein sollte):  Karrierebibel
    BDA-Trainees bloggen: Einblicke in die Arbeitgeberverbände
    Das BDA-Programm hat schon Jahrzehnte hinter sich: 400 Teilnehmer haben das jeweils 24 Monate dauernde GFN-Programm durchlaufen, das der Verband als „Mentorenprogramm zur Sicherstellung des Nachwuchses in den Geschäftsführungen von Arbeitgeberverbänden“ verstanden wissen will. Die Trainees arbeiten nur zum Teil in der Berliner Zentrale, sondern auch in den Ländern oder Brüssel.

    Die BDA hat seit 2009 Teilnehmer bloggen lassen: Zurzeit schreibt der Jurist Vehid Alemic, der gerade eine Station bei Nordmetall in Hamburg durchläuft. 2009-10 bloggte GFN-Trainee Katharina Ludewig, ebenfalls Juristin; sie ist inzwischen als Referentin Arbeitsrecht bei der BDA übernommen worden.
    Bei den regionalen Stationen beraten die Trainees Unternehmen -- ein Jurist berät z.B. im Arbeitsrecht, begleitet Tarifverhandlungen und nimmt auch an Gerichtsterminen teil. Bei den Bundes- und Landesverbänden ist die Arbeit politischer: Hier geht es um Reden, Veranstaltungen, Lobbygespräche, Gesetzentwürfe, Eingaben und Stellungnahmen, Mitgliederversammlungen, Personalleiterrunden. Regelmäßig nehmen die Trainees auch an Seminaren teil. Bemerkenswert ist z.B. der Bericht Ludewigs über ein mehrtägiges Tarifplanspiel, bei der die Nachwuchskräfte eine Tarifverhandlung simulierten – natürlich bis tief in die Nacht und mit hoher Emotionalität. Auch in der Rolle der Gewerkschafter schenkten sich die Verbandsjunioren nichts.
    Das GFN-Programm richtet sich an Absolventen der Rechtswissenschaften, aber auch der Volks- und Politikwissenschaft, „die exaktes wissenschaftliches Arbeiten mit politischem Gestaltungswillen verbinden“. Allerdings: 80-90 Prozent der Teilnehmer sind Juristen, denn Unternehmen wendeten sich vorrangig mit juristischen Fragestellungen an ihren Arbeitgeberverband, heißt es in einem GFN-Profil beim Studentenmagazin Audimax. Deshalb seien Einsatz- und Übernahmemöglichkeiten für Juristen wesentlich höher als für Absolventen anderer Studien¬richtungen. Eine Bewerbung anderer sei aber nicht ausgeschlossen, die Gestaltung der GFN-Stationen weise aber „einen weniger breit gefächerten Zuschnitt auf“. Eine Übernahmegarantie gibt es nicht, die BDA sagt aber, 90 Prozent der Teilnehmer hätten eine Anschlussbeschäftigung gefunden. Viele beendeten das Programm sogar vorzeitig, weil sie ein Übernahmeangebot erhielten. In den Verbänden verblieben 75 Prozent, das andere Viertel nahm den Weg zu Kanzleien, Unternehmen, Ministerien und sonstigen Arbeitgebern.

    Die BDA verspricht Flexibilität und die individuelle Betreuung, die Einsatzplanung verlaufe unter Berücksichtigung der individuellen Vorkenntnisse. Damit gleiche kein Durchlauf dem anderen.

    Trainees bei den Gewerkschaften
    Interessanterweise haben sich einige Gewerkschaften das Trainee-Konzept angeeignet. So haben die IG Metall (12 Monate) und IG BCE (18 Monate) sowie NGG (12 Monate, dazu: Audio-Feature) ein Traineeprogramm mit mehreren Stationen aufgelegt, für das sich auch Hochschulabsolventen bewerben können, die noch nie etwas mit einer Arbeitnehmervertretung zu tun hatten (auch wenn das die Ausnahme ist).

    Der Hintergrund: Gewerkschaftssekretäre oder Politische Sekretäre werden heute nicht mehr nur aus dem Ehrenamt rekrutiert – immer häufiger sind es Studierte, keine klassischen Arbeiterführer oder altgediente Betriebsräte, die mit einem Funktionärsposten „versorgt“ werden müssen. Die Gewerkschaften setzen mehr auf systematische Personalentwicklung und Verjüngung, um das Überalterungsproblem ihrer Mitgliedschaft zu bekämpfen. Die alte „Ochsentour“ ist daher keine Bedingung mehr, um auf höhere Positionen zu kommen. Schließlich benötigen Gewerkschaften für ihre Vorstandsstäbe, Verwaltung und Bezirksleitungen akademische Experten, vor allem Sozialwissenschaftler, Volkswirte und Juristen.

    Dass Gewerkschaften heute extern rekrutieren, hat auch etwas damit zu tun, dass sie Probleme haben, genug „Interne“ für die Laufbahn des Gewerkschaftssekretärs zu begeistern. Zudem ist ein solcher Posten ist „nicht die beste Visitenkarte für eine spätere Karriere in der Wirtschaft“, Jobhopper und Karrieristen seien fehl am Platz: Wer das Ticket löst, trifft meist eine „Lebensentscheidung“ – einmal Gewerkschaft, immer Gewerkschaft, die Fluktuation ist gering (Molitor, 2009).

    Personalbedarf und Mitarbeiterprofile der Verbände
    Der Verbändesektor ist ein Berufsfeld eigener Art, das durch seine Größe und Vielfalt überrascht. Und er wächst: 200 neue Verbände gründeten sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten, wie die Deutsche Gesellschaft für Verbandsmanagement (DGVM) zählte. Sie fand 2009 rund 14.300 Verbände (dabei zählt sie Kammern, Innungen und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts mit). Etwa 8.700 Verbände verfügten danach über eine hauptamtliche Geschäftsführung (Geschäftsbericht 2009, S. 4-6).

    Spitzenverbände mit über 100 spezialisierten Mitarbeitern sind die absolute Ausnahme. Typisch  sind eher kleine Geschäftsstellen mit wenigen hauptamtlichen Mitarbeitern. Bei der Hälfte der deutschen Verbände liegt die Mitarbeiterzahl kaum über fünf, nur 15 Prozent der Verbände beschäftigen mehr als 20 Mitarbeiter (Busch, 2006, S. 8).

    Verbände sind Interessenvertretungen gegenüber Politik und Gesellschaft, aber auf Lobbyarbeit und politische Kommunikation darf man sie nicht reduzieren (es sei denn, das Konzept eines Verbandes will es so). Sie organisieren z.B. den Fachaustausch zwischen ihren Mitgliedern, betreiben Marketing, verlegen hochspezialisierte Fachblätter, bieten Tagungen, Messen und Weiterbildung oder erfüllen sonstige Serviceaufgaben, teilweise mit ausgelagerten GmbHs.

    Was  oft nicht verstanden wird: Verbände suchen vielfach Personal, das mit Politik und Public Affairs wenig zu tun hat. Beispiele: Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften haben zahlreiche Mitarbeiter für Tarifverhandlungen, Arbeitsrecht und betriebliche Fragen. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) beschäftigt Techniker, Naturwissenschaftler und Kenner der Forschungsförderung. Der Diakonie Bundesverband ist ein wichtiger Akteur in der Sozialpolitik, erfüllt aber auch betriebswirtschaftliche und fachliche Dienstleistungsaufgaben für die angeschlossenen evangelischen Einrichtungen und hat sogar eine Vorstands-Stabsstelle für Theologie.

    Welches Personal benötigt und wie es rekrutiert wird, hängt sehr stark vom Verbandstyp, der Mitgliederbasis und der Verbandszwecke ab. Berufsverbände ticken anders als Branchenverbände, Wirtschaftsverbände anders als Wohlfahrts- und Sozialverbände,  Umwelt- und Verbraucherverbände anders als Kulturverbände, wissenschaftliche Verbände anders als Sport- und Freizeitverbände oder gar Kammern, kommunale Spitzenverbände oder Krankenkassenverbände.

    So arbeiten in Verbänden Sozialversicherungskaufleute und Krankenschwestern, Ingenieure und Informatiker, Steuerberater und Sportmanager, Handwerksmeister, Dolmetscher und Lebensmitteltechnologen – das Verbändepersonal bildet die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft ab.

    Verbänden wird manchmal "Verkrustung" und Überalterung vorgeworfen; dennoch sind sie durchaus dafür bekannt, einen recht hohen Anteil jüngerer Mitarbeiter zu haben, die vergleichsweise schnell zu Referats- und Abteilungsleitern aufsteigen können. Das ist zweifellos auch eine Frage der Personalkosten sowie der Attraktivität als Arbeitgeber.

    Verbandsmanagement ist eine eher generalistische Laufbahn, aber Verbände brauchen auch Experten mit vertieftem Fachwissen. Das sind Stellen für (wissenschaftlich ausgebildete) Referenten, die allerdings auch interdisziplinär arbeiten müssen und viele „weiche“ soziale und kommunikative Kompetenzen benötigen.

    Zunehmend wird über die Professionalisierung und Personalentwicklung im Verbandsmanagement diskutiert, und zahlreiche Verbände-Berater und Fachzeitschriften mahnen dieses Thema an.

    Das hat mit dem gestiegenen Wettbewerb zu tun. Lange galten Verbände als Organisationen, "die strukturell mehr staatlichen Verwaltungen" glichen als den Organisationen ihrer Mitglieder, zudem als „Hort konservativer Beschäftigungsverhältnisse“, die eher „Spezialisten mit Verwaltungsorientierung und weniger unternehmerisch orientierte Menschen“ anzogen (Busch, 2006, S. 6).

    Das ändert sich, aber dennoch steckt die dafür notwendige Personalentwicklung bei vielen, gerade kleineren Verbänden noch in den Kinderschuhen. Selbst die Formulierung von Stellen- und Mitarbeiterprofilen bleibt oft auf der Strecke (Fleitmann, 2009, S. 12).

    "Wer in der Wirtschaft nichts wird, geht zum Verband"
    Auf der Führungsebene sind oft Quereinsteiger zu finden, oftmals aus der Branche, die der Verband vertritt. Sie haben „Stallgeruch“, was Akzeptanz bei Funktionären und Mitgliedern sichert. Andererseits gab und gibt es die Einstellung, „wer in der Wirtschaft nichts wird, geht zum Verband“, was das Gewinnen qualifizierter Mitarbeiter nicht gerade erleichtert (Fleitmann, 2009, S. 10). Etwas anders liegt die Sache sicher bei Ex-Politikern, die in die Verbandsgeschäftsführung wechseln.

    Als Referenten sowie Assistenten von Geschäftsführung oder Vorstand rekrutieren Verbände durchaus auch frischgebackene Hochschulabsolventen. Wahrscheinlicher ist der Einstieg allerdings mit ersten Berufserfahrungen:
    Die Mitarbeiter mit akademischem Anforderungsprofil sind in der Regel Quereinsteiger, kaum eine Person beginnt ihre berufliche Laufbahn bei einem Verband. Die Vermittlung von Besonderheiten des Verbandslebens, der dafür notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie der steigenden Professionalisierungsanforderungen erfolgt somit durch learning on the job. (Günther, Blog Verbände-Talk, 2010).
    Die Verbändeberaterin Sabina Fleitmann beschreibt die Personalsituation für die Geschäftsführungsebene so:
    Einerseits versteht man [unter fachlichen Komponenten eines Geschäftsführerprofils] die auf einer Ausbildung oder einem Studium beruhende fachliche, also z. B. juristische, betriebswirtschaftliche oder steuerliche Qualifikation des Geschäftsführers/der Geschäftsführerin, die im Verband gewinnbringend eingesetzt werden kann. Traditionell wurde i. d. R. ein Jurastudium als fachliche Voraussetzung angenommen, aber zunehmend spielen auch andere als einschlägig betrachtete Studienabschlüsse (BWL, VWL u. a. m.) eine Rolle. Und der immer schon vorhandene Weg des Seiten- oder Quereinstiegs auf einem anderen fachlichen Hintergrund (PR, Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft...) hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Eine geringere Rolle spielt dagegen mittlerweile die verwaltungswissenschaftliche Ausbildung oder das Hineinwachsen in die geschäftsführende Aufgabe aus einem Branchenbetrieb.
    Andererseits ist aber Branchenkenntnis oder „Szenekompetenz“ durchaus (mit) gemeint, wenn von fachlichen Voraussetzungen die Rede ist, also die Anforderung, ein Geschäftsführer möge sich mit den branchentypischen Fragestellungen und betrieblichen Problemlagen auskennen, die die Mitglieder des Verbandes zu bewältigen haben. Zum Teil wird dieses „Vom-Fach-Sein“ sogar höher gewichtet als ein einschlägiges Studium, v. a. aus Sicht der Mitglieder und ehrenamtlichen Funktionäre: Mehr als einem Geschäftsführer istim Vorstellungsgespräch schon die Frage begegnet: „Sie sind doch kein(e) ... (Autobauer, Ingenieur, Außenhandels-Firma, Arzt ...) – wie können Sie denn dann unsere Anliegen verstehen und uns gut vertreten?“ Branchenkenntnis muss auch nicht unbedingt in jedem Fall eigene Erfahrung in einer Teilbranche bedeuten, sondern eher ein „Verständnis dafür, wie operative Unternehmen funktionieren“, wie es ein Geschäftsführer ausdrückt (Fleitmann, 2011, S. 7).
    Neben Branchenkenntnis und Fachstudium tritt ein dritter Faktor (siehe Abbildung): Vertretungskompetenz oder strategisch-politische Kompetenz, denn: „Verbandsgeschäftsführung ist mit reinen Fachidioten nicht mehr zu machen.“ (Fleitmann, 2011, S. 7) Damit meint Fleitmann das Spektrum von interner Strategieentwicklung, Öffentlichkeitsarbeit und Verbandsmarketing, politischer und Lobby-Kompetenz. Sie unterstreicht, dass sowohl die systematische Anpassung der Verbandsstrukturen an neue Anforderungen und die professionelle Vertretung nach außen immer wichtiger wird.

    Grafik: Fleitmann, "Im Fokus: Die Geschäftsführung", Verbändereport (Mai 2011)

    Das heißt also: Der aktive Manager, Kommunikator und Stratege ist zunehmend gefragt. Mit administrativer Arbeit im Hintergrund, protokollführender Gremienpflege und zurückhaltendem Expertentum punkten hauptamtliche Geschäftsführer weniger als früher. Eine Erkenntnis, die sich z.B. auch in Brüssel durchzusetzen scheint. Vgl. dazu Blogbeitrag "Studie zu EU-Verbänden: Modernisierungsbedarf und Defizite", 8. August 2011

    Allerdings laufen nicht alle Geschäftsführer an einer langen Leine. Verbände haben eine duale Führungsstruktur, in der letztendlich ehrenamtliche Präsidenten und Funktionäre die großen Entscheidungen treffen. Wie stark oder schwach, wie aktiv oder passiv ein Geschäftsführer ist, bestimmen am Endde sie. Und so mancher Verbandsmanager wurde schon zurückgepfiffen, wenn der Veränderungswille, Ehrgeiz oder die Profilierung den Konsens der Ehrenamtler zu stören begannen.

    Hohe Akademisierung
    Verbände rekrutieren vielfach Fachleute ihrer Mitgliederbasis für eine Vielzahl von Aufgaben, und selbst für Referentenaufgaben keineswegs nur Akademiker. Allerdings: „Verbände sind zu einem sehr hohen Grade akademisiert“, stellt das Institut für Verbandsmanagement in Berlin fest. Der Akademisierungsgrad liege „mit nahezu 60 Prozent fast doppelt so hoch wie in Wirtschaftsunternehmen, der Anteil der Promovierten mit knapp über 20 Prozent gut doppelt so hoch“ (Busch, 2006, S. 9).

    Mehr als die Hälfte der Verbandsmitarbeiter, so eine Studie der Managementberatung Kienbaum, hat einen Hochschulabschluss, 22 Prozent haben promoviert (untersucht wurde eine Stichprobe von 259 Verbänden mit 864 Personalpositionen). Der Akademikeranteil steige proportional mit der Hierarchieebene: 95 Prozent der Geschäftsführer der zweiten Ebene hätten einen Hochschulabschluss, auf der obersten Führungsebene (Hauptgeschäftsführer, Generalsekretär) habe sogar jeder Dritte im Anschluss an sein Studium promoviert. Unter den Universitätsabsolventen dominierten mit 30 Prozent Juristen, gefolgt von Wirtschaftswissenschaftlern mit 28 Prozent sowie Ingenieur- und Naturwissenschaftlern, die zusammen einen Anteil von 21 Prozent stellten (Kienbaum Consultants International, 2011).

    Das heißt, alle anderen Fächer bilden mit rund 20 Prozent die Nachhut, und offensichtlich stellen Kommunikationsexperten, Sozial- und Geisteswissenschaftler nicht die erste Garde – zumindest in dieser Stichprobe. Das sollte aber nicht abschrecken: Verbände haben auch für letztere zahlreiche Funktionen. Jedes Verbandsteam benötigt einen Mix, um interdisziplinär die Aufgaben erfüllen zu können. Bei den Personalprofilen kommt es nicht nur auf ein Studienfach an, sondern darum, mit welchen Berufserfahrungen und Zusatzqualifikationen man es anreichert, Jobwechsel zwischen sehr unterschiedlichen Arbeitgebern inklusive.
    Ein Beispiel für einen kleineren Verband mit nur 60 (Firmen-) Mitgliedern, der keine föderale Regionalorganisation hat: Der Verband Geschlossene Fonds (VGF) vertritt eine Nische in der Immobilien- und Investmentbranche, die stark von der Finanzmarktregulierung betroffen ist. Der VGF beschränkt sich konzeptionell stark auf Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit, sodass er für sonstige verbandstypische Service- und Fachaufgaben kein Personal vorhält. Er hat einen Hauptgeschäftsführer (Rechtsanwalt, der allerdings zuvor als Bundestagsmitarbeiter und Pressereferent tätig war) und zehn weitere Mitarbeiter mit Hochschulabschluss, davon drei Volljuristen, drei Ökonomen, drei Sozial- und Geisteswissenschaftler und ein Informatiker.
    Der Referent Kapitalmarkt- und Aufsichtsrecht ist Rechtsanwalt, der sich zum Fachanwalt für Steuerrecht weiterqualifizierte und zuvor bei einem Berufsverband tätig war. Die Referentin Recht ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, hat aber ein Redaktionsvolontariat bei einem Wirtschaftsmagazin hinter sich und war PR-Referentin. Der Leiter des Büros in Brüssel ist ebenfalls Anwalt. Der Referent Markt und Analyse ist Volkswirt mit quantitativen Methodenkenntnissen. Die Referentin Marketing und Publikationen ist studierte Kauffrau und war im Stadtmarketing tätig, aber auch für eine Europaabgeordnete. Die Referentin Veranstaltungen und Organisation ist ebenfalls Betriebswirtin. Die Pressereferentin hat Germanistik und Soziologie studiert, arbeitete als PR-Managerin und Journalistin. Für IT und Datenverarbeitung ist ein Informatik-Absolvent verantwortlich, für Druck- und Internetgestaltung ein Webdesigner, der einmal Spanisch und Kunst auf Lehramt studierte. Die Projektleitung Fortbildung und interne Veranstaltungen liegt in der Hand einer Soziologin, die nach einem Pressestellen-Volontariat PR-Agenturberaterin war (Verband Geschlossene Fonds, 2011).
    Warum sind Verbandsjuristen so dominant?
    Der hohe Anteil von Juristen (und rechtskundigen Ökonomen) bei Verbänden ergibt sich im Wesentlichen aus drei Faktoren:
    • Erstens der Budget-, Personal- und Organisationsverantwortung einschließlich der Aufsicht über ausgelagerte GmbH-Verbandsbetriebe (der Verbands-GF ist oft auch GmbH-GF in Personalunion, mit allen Konsequenzen); 
    • zweitens der zentralen Bedeutung von Rechtsbeobachtung und -beratung für Mitglieder, die vom Verband Orientierung, schnelle Information sowie individuelle Problemlösungen erwarten; 
    • drittens der Tatsache, dass eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe auch bei Details mit den in Ministerien und Verwaltung vorherrschenden Volljuristen gute Kenntnisse z.B. in Wirtschafts-, Steuer, Betriebs- und Sozialrechts erfordert – oder aber guter Kenntnisse der rechtlichen Kontexte der betriebswirtschaftlichen Grunddaten der Branche, deren Interessen man vertritt. 
    Speziell bei Berufsverbänden wäre ein vierter Faktor das Berufsrecht, bei Wirtschaftsverbänden das Kartellrecht, denn die Wettbewerbsbehörden haben ein Auge auf Unternehmen, die sich in ihren Verbänden absprechen.

    Schließlich sind Verbände in Rechtsstreitigkeiten verwickelt, und ein zugelassener Rechtsanwalt kann den Verband – manchmal auch ein Mitglied oder mehrere Mitglieder – ad hoc vertreten.

    "Verbandsjurist" inzwischen ein attraktiver Beruf für junge Rechtsanwälte, die keine für Top-Kanzleien oder für die Richter- oder Verwaltungslaufbahn notwendige Prädikatsexamina haben und sich lieber nicht der (oft prekären) freiberuflichen Existenz hingeben wollen: Hier hat der Allrounder eine Chance (Foderà, 2009 und Gottschalk, 2011).

    Doch gibt es auch Verbände ohne angestellte Juristen. Beispiel: Beim Bundesverband des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK, 20.000 persönliche Mitglieder) kommen Bundesgeschäftsführer und Referenten in der Geschäftsstelle – bis auf die Finanzreferentin – aus Pflege- und Sozialberufen, die meisten mit FH-Abschluss nach der Berufsausbildung; einige haben sich einen Master im Bereich Pflegewissenschaften oder Sozialmanagement erworben. Auch in den DBfK-Landesverbänden sind nur wenige Juristen an Bord. Die für einen Berufsverband wichtige Rechtsberatung der Mitglieder wird z.T. extern organisiert.

    NGOs: Versäulung und Abschottung eines jungen Arbeitsmarktes
    Von  Nichtregierungsorganisationen (NGO) erhoffen sich viele Studenten und Hochschulabsolventen eine gute Berufsalternative mit leichtem Einstieg via informelle Beziehungen und ehrenamtliches Engagement. Wer ans Gehalt keine hohen Ansprüche stellt, kann als junger Einsteiger auf einen Kostenvorteil setzen. Doch eine hauptamtliche Karriere ist gar nicht so einfach, die Rekrutierung eng abgezirkelt. Idealismus reicht nicht aus, und die Szene ist klein, bisweilen ein Closed Shop, wenn man wissenschaftlichen Untersuchungen glauben mag.

    Die Personalsituation im Non-Profit-Sektor ist sehr diffus, die zivilgesellschaftlichen Arbeitgeber reichen von Stiftungen über Vereine und Verbände bis hin zu gemeinnützigen Unternehmen der Sozialwirtschaft. PA-relevante Arbeitsplätze bei professionell und unternehmensartig geführten NGO sind mit Verbänden vergleichbar, allerdings sind Rekrutierung und Personalentwicklung deutlich „bunter“. Schließlich sind viele NGO aus Bewegungen, ehrenamtlichen Initiativen und Freiwilligenorganisationen hervorgegangen.

    Etablierte Karriereleitern gibt es kaum, weder für operative und technische Arbeitsplätze (etwa bei Hilfsorganisationen, die Ärzte, Logistiker, Ingenieure und auch Handwerker benötigen) noch für die Geschäftsführungen oder die Referentenstellen, die für Politik und Kommunikation oder auch Fundraising/Spendenwesen zuständig sind. Traineeprogramme für Einsteiger sind noch sehr selten.

    Die Professionalisierung, die auch zu Studiengängen in Non-Profit-Management geführt hat, ist ein recht junger Trend. Wo früher Ehrenamt und Verlegenheitslösungen (z.B. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) die NGO-Szene prägten, wird heute nach qualifizierten Mitarbeitern gesucht.

    Die NGO-Forscherin Christiane Frantz stellt in ihrer Studie "Karriere in NGOs: Politik als Beruf jenseits der Parteien" eine zunehmende „Versäulung“ fest: Der NGO-Arbeitsmarkt ist ein „vergleichsweise abgeschotteter Markt“, Zuläufe aus anderen Sektoren sind nur begrenzt möglich. Gleichzeitig haben Hauptamtliche nur eine beschränkte Chance auf Positionskarrieren, denn nur wenige NGOs sind so ausdifferenziert, dass sie eine mittlere Managementebene mit personalpolitischen Optionen bieten können (Frantz, 2005, S. 277f.)

    Frantz unterscheidet vier Karrieretypen:
    • Der „NGO-Generalist“ ist vor allem in Politik- und Kommunikationsfunktionen sowie strategischen Führungspositionen zu finden und hat häufig Sozial- oder Geisteswissenschaften oder Pädagogik studiert. In diese Gruppe gehören etwa Spezialisten für Lobbying, PR, Marketing und Fundsraising mit „strategischer Generalkompetenz“ (Frantz, 2005, S. 100). 
    • Der „NGO-Technokrat“ ist weniger in PA-Feldern zu Hause, sondern in Projekten, und er hat sich oft durch ein bestimmtes Fachstudium (z.B. Ökologie, Agrarwissenschaften, Geografie, Volkswirtschaft, Regionalstudien) qualifiziert.  
    • Der „NGO-Theologe“ ist tatsächlich oft Theologe und hat sich auf kirchliche Ämter vorbereitet, arbeitet aber statt bei der Kirche bei religiös geprägten Organisationen, z.B. in der Entwicklungshilfe. 
    • Der „Quereinsteiger“ kommt – mit unterschiedlichem Fachhintergrund – aus der Wirtschaft. (Frantz, 2005, S. 252ff.).
    Fazit
    Es ist nicht zu übersehen, dass der Druck auf Verbände steigt, sich mit der Personalentwicklung auseinanderzusetzen. Das ist keine Erfindung der Verbände-Berater. Es gibt reale Rekrutierungsprobleme, die durch steigende Ansprüche an die Leistung der Verbände im Wettbewerb verstärkt werden. Hinzu kommen künftig Fragen des Fachkräftemangels und demographischen Wandels, die z.B. das Blog Verbände-Talk unlängst aufgegriffen hat. Bei den Gewerkschaften kann man das schon eindrucksvoll besichtigen.

    Ein Haken sind die kleinen Organisationsgrößen, die für so viele Verbände typisch sind. Kleine Geschäftsstellen investieren genauso wenig wie mittelständische Kleinbetriebe in der Wirtschaft in großspurige Personalentwicklungskonzepte. Schließlich kostet das Ressourcen. Geschäftsführer, die nicht aus dem Management kommen und selbst Quereinsteiger sind, zerbrechen sich über Personalfragen oft nur ad hoc den Kopf. Dabei müssten sie die größten Anreize haben: Wenn die Arbeit nur auf wenige Mitarbeiter verteilt ist, ist der Anspruch an jeden einzelnen Mitarbeiter umso höher.

    Das andere Problem ist die Strategiefrage. Personal strategisch zu entwickeln kann man nur, wenn der Verband sich auch eine Strategie für die gesamte Organisationsentwicklung gibt. Diese langfristige Zieldefinition nebst Maßnahmenplanung geht im Alltag eben auch oft unter oder bleibt diffus. Das ist nicht allein Schuld der Geschäftsführer: Wer modernisieren und planen will, benötigt das Commitment der Mitglieder und ehrenamtlichen Funktionäre. Diese haben oft andere Prioritäten.

    Gezielte Weiterbildung ist eine Möglichkeit, Personal zu qualifizieren, zu halten und anzuziehen.
    Auch wenn sich verbandsnahe Akademien um neue Verbandsmanagement-Module bemühen, die Zahl der kommerziellen Seminaranbieter vergrößert hat und sogar einige Hochschulen wissenschaftliche Studiengänge und Zertifikatslehrgänge anbieten, dürften die Bäume allerdings nicht in den Himmel wachsen:
    • Für teure, lange Lehrgänge geben finanziell klamme Verbände ungern Geld aus. Gerade kleinere Verbände können kaum Aufstiegsmöglichkeiten bieten, so dass sich die unbequeme Frage stellt, ob die Investition in die Weiterbildung eines Mitarbeiters möglicherweise eher zum Arbeitgeberwechsel führt statt zu höherer Produktivität im eigenen Verband. 
    • So bleibt es eher bei Konferenzen und Tagesseminaren zu Einzelthemen (gern auch als "Goodies" für die Mitarbeiter gedacht) mit begrenzter Reichweite und wenig Nachhaltigkeit für die Qualifikation und Kompetenzenbildung.  
    • Berufseinsteiger als auch erfahrene Kräfte, die neue Perspektiven suchen, müssen die Aus- und Weiterbildungskosten oft selbst schultern. Sie tragen das Investitionsrisiko und müssen, wenn sie schon beschäftigt sind, den Zeit- und Energieaufwand mit den Ansprüchen nicht immer unterstützender und verständnisvoller Chefs unter einen Hut bringen. Davor schrecken viele zurück.
    So schwierig ist es aber nicht, dafür Lösungen zu finden. Vorausgesetzt, es gibt eine Strategie. Das Problembewusstsein in der Verbändewelt steigt seit einigen Jahren, die Diskussion um die Professionalisierung des Verbandsmanagements trägt erste Früchte.

    Alles steht auf dem Prüfstand: Prozesse, Strukturen, Finanzierung, Kommunikation, Lobbyerfolg. Früher oder später rückt stets das Personal in den Blickpunkt, denn Verbandsdienstleistungen kann man nicht automatisieren und auch nicht gut auslagern. 

    Insofern darf man verhalten optimistisch in die Zukunft schauen. Nur hohes Veränderungstempo erwarten sollte man nicht: Richtig schnell sind Verbände bei Neuerungen nie gewesen.

    Samstag, 20. August 2011

    Tabaklobby: Forscher legen BAT-Strategie in Mittelamerika offen

    Die Zigarettenindustrie gilt weltweit als starke Lobby. Ihr Lobbying wissenschaftlich zu untersuchen, ist nicht einfach, aber zumindest für die Vergangenheit möglich: 13 Millionen Dokumente -- interne Protokolle, Vermerke, Strategiepapiere und Briefe von 1950 bis 2002 -- wurden in den 1990ern im Zuge der US-Gerichtsprozesse offengelegt. Die Datenbank Legacy Tobacco Documents Library ist eine Fundgrube für Forscher.

    Zwei Gesundheitswissenschaftler aus York und London haben die Quellen genutzt, um die Lobbyarbeit von British American Tobacco (BAT) in Mittelamerika nachzuvollziehen. Im Fokus: Steuern und Zölle im Zuge der Handelsliberalisierung. Dem Konzern gelang es, für seine Fabriken erhebliche Vorteile gegen Wettbewerber (wie Philip Morris und andere Tabakfirmen) zu gewinnen. Zugleich baute BAT seine Firmenstrukturen um, um besonders von den Vorteilen des neuen Binnenmarktes zu profitieren. Die Autoren der Studie halten die Erkenntnisse auch für andere Weltregionen relevant: Zwischenstaatliche Organisationen sollten genau beobachten, wie transnationale Konzerne Handelsabkommen beeinflussten -- bei der Zigarettenindustrie etwa wegen der Umsetzung des WHO-Tabakrahmenabkommens.
    Holden, C. & Lee, K. (2011). A major lobbying effort to change and unify the excise structure in six Central American countries: How British American Tobacco influenced tax and tariff rates in the Central American Common Market. Globalization and Health, 7(15): 7-15. Abgerufen von http://www.globalizationandhealth.com/content/7/1/15 [20.08.2011] (Open Access)
    Neue Handelsabkommen sind für transnationale Unternehmen immer eine Herausforderung, Chance und Risiko zugleich. So musste BAT reagieren, als in Mittelamerika Initiativen zur Handelsliberalisierung und Schaffung einer Freihandelszone bzw. Binnenmarktes in den frühen 1990ern den politischen Trend bestimmten. Schon 1960 war der Zentralamerikanische gemeinsame Markt (Central American Common Market, CACM; spanisch Mercado Común Centroamericano, MCCA) geboren wurden. In den 1970ern und 1980ern war das Abkommen so gut wie tot, und Mittelamerikas Staaten versanken in Krisen und Bürgerkriegen. 1990-93 wurde die Idee reaktiviert, auch beeinflusst von den Fortschritten in Europa von der EG zur EU und dem später zur WTO führenden Fortentwicklung des Welthandelsabkommens GATT -- zwischenstaatliche Organisationen und Handelsblöcke sowie Liberalisierung entsprachen dem Zeitgeist. Mit dem Zentralamerikanischen Integrationssystem (SICA) erhofften sich die Staaten einen Bund, der sich politischen Zielen wie Frieden, Freiheit, Demokratie, Entwicklung und Schutz der Menschenrechte verschrieb, aber auch durch einen Binnenmarkt die Wirtschaftskraft stärken sollte.

    Der CACM-Binnenmarkt war nun das Ziel der Staaten Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama. Da BAT in allen diesen Staaten Fabriken unterhielt (in Honduras und Nicaragua sogar als Monopolist) und als Inlandsproduzent den Markt dominierte, war es das Ziel, die Zölle auf Importzigaretten möglichst hoch zu schrauben – und zwar höher, als es in dem CACM-Handelsabkommen eigentlich vorgesehen war. Innerhalb des mittelamerikanischen Binnenmarktes sollten die Tabaksteuern harmonisiert werden. Diese Ziele wurden weitgehend erreicht.

    Länderübergreifende Koordination: Wenn die Konzernzentrale sich über die Tochterfirmen ärgert
    Ein Schlüssel zum Erfolg waren nicht nur ranghohe Kontakte zu den Regierungen der beteiligten Staaten, sondern vor allem länderübergreifende Koordination und Informationsaustausch zwischen den nationalen BAT-Büros.

    Die Informationen liefen in der Regionalmanagement-Abteilung der Konzernzentrale zusammen, die dafür sorgte, dass die BAT-Büros einheitlich und mit abgestimmten Timing argumentierten: mit der Bedeutung für Arbeitsplätze und Steueraufkommen sowie mit den Zolleinnahmen (nicht zuletzt in ausländischer Währung, also US-Dollars). Lobbyiert wurde beim Sekretariat der CACM-Binnenmarktorganisation als auch national bei den Präsidenten, Ministern, Beamten und Parlamentariern sowie anderen Interessenverbänden in den sechs Staaten.

    Die Public-Affairs-Verantwortlichen vereinbarten wöchentliche Aktualisierung per Rundschreiben in ihrer Gruppe. Die Länderbüros hatten der Zentrale und untereinander ständig Bericht über ihre Lobbykontakte und Gespräche zu erstatten, „selbst die kleinsten Hinweise“ sollten untereinander ausgestauscht werden. Die Ländermanager sollten sichergehen, dass ein „proaktives Vorgehen beim Lobbying“ und ein „positives Programm für jede Landesgesellschaft entwickelt“ werde.

    Bisweilen ärgerte sich die Zentrale über nicht ausreichendes Monitoring und unbefriedigenden Informationsaustausch – etwa, wenn die Landesgesellschaften es dabei beließen, nur ein paar Zusammenfassungen von Presseartikeln zu übersenden. Das sei „inakzeptabel“. Die Public-Affairs-Verantwortlichen sollten doch bitte sichergehen, dass sie aktuelle Informationen aus erster Hand und engere Kontakte für effektives Lobbying hätten. Ein von der Londoner Zentrale bestellter Koordinator für die CACM-Staaten sollte das nun überwachen. (Siehe Protokoll im Faksimile: CACM Public Affairs Coordination Meeting in Chelwood, 7. Oktober 1992)

    Die Tochterunternehmen sollten eng mit den Industrieverbänden ihrer Länder zusammenarbeiten, um Unterstützung für die BAT-Positionen zu sichern. Den Politikern sollten die Auswirkungen niedriger Einfuhrzölle und Billigimporte auf die örtliche Wirtschaft im Einzelnen dargelegt werden, möglichst mit Zahlen belegt. Die Zentrale verfügte „intensives Lobbyieren“ und „Priorität bei allen Gesprächen mit dem Staat“.

    Den Politikern sollte verdeutlicht werden, dass die Steuern der heimischen Zigarettenindustrie „sicher und pünktlich“ gezahlt würden, das sei aber bei Zöllen keineswegs so. Die Firmen sollten auch auf das Beispiel der EG hinweisen, die seinerzeit einen gemeinsamen Außenzoll von 90% auf Importzigaretten hatte.  Die Folgen niedriger Weltmarktpreise und niedrigen Zöllen, so sollten die Lobbyisten argumentieren, könnten sein, das die inländische Produktion gänzlich unwirtschaftlich werde und weder beim Preis noch bei der Qualität dem internationalen Wettbewerb standhalten könne. Dann käme es zu Währungsabflüssen, Einbrüchen bei den Steuereinnahmen und erhebliche Jobverlusten nicht nur bei den Zigarettenfabriken und Tabakplantagen, sondern auch bei Zuliefer- und Servicebetrieben.

    Wie es BAT passt: Protektionismus statt Freihandel, oder umgekehrt
    Im Kern geht es hier um Protektionismus, um Schutzzölle für die heimischen Agrar- und Industriejobs. Eigentlich sollte das Handelsabkommen die Zölle weitgehend absenken, bei Importen auf pauschal 20 Prozent. BAT befürchtete, der Außenschutz  für die Inlandsproduktion von Zigaretten würde „effektiv halbiert“. Damit wäre der mittelamerikanische Markt auf einen Schlag sehr attraktiv für Hersteller aus Übersee. Also versuchte BAT die Politiker zu überzeugen, Importzigaretten auf eine Extraliste höher verzollter Produkte zu setzen. Statt der geplanten 20% Zoll sollten 60% gelten. 1993 steigerten die meisten – nicht alle – Staaten ihre nationalen Zölle, sie lagen bei 30-75%, 1996 galt dann ein gemeinsamer Tarif von 55%. (Übersichtstabelle)

    Anders positionierte sich BAT bei Rohprodukten, die BAT für die eigene Zigarettenproduktion benötigte: Hier unterstützte BAT das Ziel des Abkommens, nur 5 Prozent Zoll zu erheben. Hier ging es z.B. um Filter, Zigarettenpapier, Geschmackszusätze und Verpackungen. Verschiedene Politiker wollten hier höhere Zölle – BAT versuchte sie davon abzubringen.

    Bei der Steuerharmonisierung bremste BAT, um sich Zeit zu verschaffen, um die unterschiedlichen Besteuerungspraktiken zu beeinflussen. BAT wollte möglichst niedrige oder gar keine Steuerunterschiede, um den Vertrieb im gesamten Binnenmarkt zu erleichtern. Gegen eine Steuersenkung hatte BAT nichts, aber das war unwichtig. Allerdings: wie besteuert werden würde, war BAT sehr wichtig.

    Hier ging es um steuerrechtliche Details: die Steuer sollte im gesamten Binnenmarkt prozentual auf den Einzelhandelspreis der Zigaretten und nicht auf den Preis "ab Fabrik" aufgeschlagen werden. Warum? Als Inlandshersteller wollte BAT unbedingt, dass Importzigaretten teurer sind. Bei diesen haben die größeren Transportkosten im Einzelhandelsverkaufspreis einen höheren Anteil. Wird die Steuer darauf aufgeschlagen, ist der gesamte Preis für die Packung höher. Für den Verbraucher sind das nur Kleinstbeträge, sie summieren sich aber und schaffen einen Wettbewerbsvorteil gegen Importeure.

    Doppelstrategie: Arbeitsplätze schützen, um sie dann abzubauen
    BAT verkaufte den Regierungen die hohen Außenzölle für Importzigaretten als notwendig, um die bestehenden Arbeitsplätze zu sichern. Kaum war der Binnenmarkt aber etabliert, strich der Konzern Hunderte von Stellen und verfügte Werksschließungen. Denn die Skaleneffekte des größeren Marktes machten es nun wirtschaftlicher, die Produktion zu zentralisieren und zu rationalisieren. Bis dahin hatten BAT-Fabriken nur im jeweiligen Land für den nationalen Markt produziert, denn Zölle und Steuern erschwerten den zwischenstaatlichen Handel. Die Idee war nun, nur noch ein bis zwei Fabriken für den gesamten Mehrstaaten-Binnenmarkt produzieren zu lassen.

    Das entspricht  der Logik eines Binnenmarktes, wie die Autoren der Studie betonen. Sie weisen aber darauf hin, dass BAT zeitgleich die Regierungen mit dem Job-Argument lobbyierte und die Stellenstreichungen und Werkschließungen plante. Die Strategie „Außenschutz + Effizienzgewinne innen“ ist betriebswirtschaftlich konsistent. Politisch war das allerdings fragwürdig und hätte Proteste, Streiks, ein Wiedererstarken der Gewerkschaften und Unruhen unter den Arbeitern auslösen können. BAT wusste das und bereitete sorgfältig Krisenreaktionspläne wegen der „politischen Implikationen“ seiner Rationalisierungsprozesse vor, wie die Wissenschaftler anhand der Dokumente nachweisen können.

    Was die Autoren im Prinzip sagen wollen, ist: BAT war groß im Heucheln. Was der Binnenmarkt für die Arbeitsplätze bedeuten würde, sagte das Unternehmen den Politikern nicht -- es hoffte darauf, dass die Folgen wirtschaftspolitisch akzeptiert würden. Stattdessen redete BAT nur über die Bedrohung von außen und erreichte eine wettbewerbsfeindliche Sonderbehandlung für seine Produkte.

    Die Autoren sehen BAT auch „in keiner Weise“ als grundsätzlichen Befürworter der Freihandelsidee. Der Konzern unterstützte das Bemühen der Politiker um regionale Integration und Liberalisierung nicht aus Prinzip, sondern aus „rein instrumentellen“ Gründen. Da BAT in allen Staaten des CACM-Binnenmarktes selbst produzierte, musste sich der Konzern um neue Marktzugänge nicht sorgen; vielmehr ging es darum, die bereits dominante Position zu sichern und abzuschotten. Ausschlaggebend war die Rivalität mit Philip Morris, dem einzigen Konzern, der in der Region noch fest verankert war.

    Die Autoren mahnen Handels- und Industriepolitiker, die regionale Wirtschaftsabkommen zwischen Staaten anstreben, aufmerksam die politischen Interventionen der Konzerne zu beobachten. Sie seien in der Lage, die Verhandlungen zu beeinflussen – in ihrem eigenen Interesse und weniger im Interesse der Mitgliedstaaten. Das habe Implikationen für die Gesundheitspolitik, etwa die Umsetzung der WHO-Tabakrahmenkonvention von 2005 (Framework Convention on Tobacco Control, FCTC). Wer den Gesundheitsschutz durchsetzen wolle, müsse sich mit den regionalen Strategien der Tabakunternehmen auseinandersetzen, mit denen sich diese Steuer-, Zoll- und sonstige Wettbewerbsvorteile verschafften, und dazu Gegenstrategien entwickeln.

    Recherchetechnik
    Interessant ist im Übrigen das Vorgehen der Autoren. Wie erwähnt, basiert die Forschung auf der amerikanischen Datenbank Legacy Tobacco Documents Library (LTD). Hier sind vorrangig US-Dokumente abgelegt, die Unterlagen ausländischer Tochterfirmen nicht. Allerdings kommt man so auch an die Korrespondenz zwischen dem Hauptquartier und den Konzerntöchtern heran. Die Autoren belegen ihre Quellen in ihrem Artikel mit Links, so dass man sich die eingescannten, z.T. als Text digitalisierten Vermerke, Protokolle von Meetings, Strategiepapiere usw. gleich ansehen kann.

    Die Wissenschaftler holten sich per Suchmaske zunächst BAT-Unterlagen zum CACM-Binnenmarkt und ermittelten dann Querverweise zu anderen Dokumenten sowie weitere nützliche Suchbegriffe. Eine zentrale Frage ist dabei, wie man archivierte Firmendokumente überhaupt auswerten kann – wie man die Bedeutung einzelner Akten erfassen kann, welchen Zusammenhang sie mit anderen haben, wie man repräsentative Materialien auswählt und so weiter (siehe Methodik-Teil und Literaturverweise zur Methode). 

    Donnerstag, 18. August 2011

    Bubble Chart: So wuchs die Zahl der EU-Rechtsakte. Und was man mit OpenData noch anstellen kann...

    Blowin' bubbles: Eine dynamische Zeitleiste von 1960 bis 2011 zeigt hier sehr anschaulich, wie sich die Gesetzgebungstätigkeit der EU entwickelt hat. Die Blasen stehen für den Umfang der Rechtsakte in 19 Politikfeldern. Erstens kann man große und kleine Politikfelder klar unterscheiden -- und zweitens sehen, wann Politikfelder überhaupt erst auftauchten, und drittens, wann es wo einen richtigen Schub gab. Wofür ein EU-Politik-Lehrbuch Seiten braucht, das stellt die Grafik in einer halben Minute dar.

    Zur interaktiven Zeitleiste: http://epdb.eu/eulegislation/?lang=DE

    Entwickelt hat die Grafik Buhl & Rasmussen, eine IT- und Politikberatungsfirma in Kopenhagen. Man kennt sie schon von der Website "It's Your Parliament", wo sich das Abstimmungsverhalten aller EP-Abgeordneten recherchieren lässt. Buhl & Rasmussen spezialisieren sich auf einen der großen Trends in der Open-Government-Bewegung: Open Data. Dafür entwickeln sie Werkzeuge -- und zeigen, was man mit den Statistiken und Dokumenten alles machen kann.

    Von Amts wegen werden zwar häufig Daten veröffentlicht, aber nicht immer in weiterverwertbaren, maschinenlesbaren Formaten. Manchmal sind die Amtsdaten zwar servicefreundlich strukturiert, aber dennoch nicht so, wie man es gerne hätte. Notwendig ist dann also eine Neuformatierung, Strukturierung, Analyse und Visualisierung, damit die Daten dem Bürger (oder Organisationen) etwas nützen. (Mehr zum Thema bei Vorträgen und Podien der Re:Publica in Berlin, April 2011, Track "re:open").

    Wer die dänischen Tools für die EU-Gesetzgebungsanalysen einsetzen will, kann das leicht tun: Die Firma bietet hier gratis Tools für Recherche, Visualisierungen und andere Anwendungen an (API for European Union legislation), es gibt eine OpenDataCommons-Lizenz, ein Schlüssel muss per Email angefordert werden.
    Die Datenbasis besteht aus den offiziellen EU-Datenbanken EUR-Lex (Gesetzblatt Official Journal), PreLex (Entscheidungsvorgänge zwischen den Organen) und OEIL (Europäisches Parlament), außerdem neben EP-Plenarprotokollen die Abstimmungsprotokolle des Rates. Nicht verwendet wurde das öffentliche Register des Rates, die interparlamentarische Austauschplattform IPEX, die Pressedatenbank Rapid, die Falldatenbank des EuGH. Eine vollständige Liste der EU-Datenbanken gibt es hier.
    In "API for European Union legislation" steht API für "Application Programming Interface". Mit dieser Schnittstelle öffnen sich die von der EU bereitgestellten Daten, je nach ausgewählter Quelle. Das ist offenbar sehr flexibel zu nutzen. Die Anbieter präsentieren einige Beispiele auf ihrer Website. Sie betonen aber, ihre Software sei für individuelle Ansätze leicht zu nutzen. Die Beispiele zeigen einfache Anwendungen, die mit Programmen wie Google Chart oder IBM Many Eyes visualisiert wurden:

    Rot-Grün Inc.: Schröder im Board von TNK-BP mitverantwortlich für Umweltschäden in Sibirien?

    Das TV-Magazin Panorama widmet sich wieder einmal den Seitenwechslern. "20 Prozent der rot-grünen Minister und Staatssekretäre wechselten die Seiten in Richtung Lobbyismus", rechnet Reporter Christoph Lütgert vor. "Nach Politik kommt der Profit", sagt er und nennt die Wirtschaftsengagements der einstigen Führungsriege "Rot-Grün Incorporated". Die Machart ist bekannt, dementsprechend enttäuscht fallen viele Medienkommentare aus. So meint taz-Chefreporter Peter Unfried bei Spiegel Online, der Film versuche Verstrickungen aufzudecken -- "und schwingt leider doch nur die Moralkeule". Die Attitüde nerve, der harte Newswert sei bescheiden." Korrekt, aber: Schröders Mitverantwortung im Ölkonzern TNK-BP und dessen Umweltprobleme sind ein Thema, das eine Diskussion wert ist.


    Der Film zählt die bekannten Beispiele auf: Gerhard Schröder, Joschka Fischer, Otto Schily, Matthias Berninger, Birgit Fischer, Marianne Tritz. Ein Interview bekam er nur von Schily. Die anderen zeigten sich genervt und wehrten ab -- kein Wunder, gilt Lütgert doch als ebenso penetrant, unfair wie tendenziös. Über den bisweilen stark zur Selbstinszenierung neigenden Reportagestil lässt sich zweifellos streiten. "Lütgert, der Rächer der linken Liebeskranken", witzelt die Welt und kritisiert eine "allzu spekulative und reißerische Aufmachung". Lütgert inszenierte sich "wie eine Reporterversion von Columbo". Stellenweise sei die Reportage "Investigativ-Journalismus auf niedrigem Niveau".
     
    Jenseits der Stilkritik und der Tatsache, dass Lütgert viel behauptet und wenig beweist: Interessant für die Seitenwechslerdebatte ist jedoch Lütgerts Spin auf den Umweltschutz.

    Neben Joschka Fischers Aufgaben als Nachhaltigkeitsberater, etwa für BMW, steht im Fokus Gerhard Schröders Position als im Board of Directors des russisch-britischen Joint-Venture-Unternehmens TNK-BP. Der Altkanzler ist seit 2009 einer von drei "unabhängigen Direktoren", neben dem britischen Stahlmanager und Investor James Leng (Rio Tinto, Tata) und dem Moskauer Unipräsidenten Aleksandr Shokhin, der früher einmal Vizepremier war und heute nebenbei einen Industrieverband führt.

    Anders als Schröders Aufsichtsratsposten bei der von Gazprom geführten Ostsee-Pipelinegesellschaft NordStream ist der Vorstandssitz bei TNK-BP, immerhin einer der größten Ölkonzerne der Welt, bisher kaum thematisiert worden. Lütgert richtet den Scheinwerfer genau darauf. Während die weitgehend theoretische Umweltkritk an der uns geographisch so nahen Pipeline vergessen ist (derzeit wird nur über den Bau berichtet), zeigen Lütgerts Bilder aus der westsibirischen Region Samotlor eine durch die Bohrlöcher und Ölverschmutzungen verwüstete Landschaft. Ein russischer Umweltaktivist nennt dies im Interview eine "stille Katastrophe", die größer sei als die im Golf von Mexiko.

    TNK-BP leugnet das Drama und den gewaltigen Sanierungsbedarf nicht, weder im Nachhaltigkeitsbericht (Website CSR/Corporate Citizenship und Website zu Umweltfragen) noch in Lütgerts Interview mit einem der Konzernmanager. Die Investitionen im Umweltschutz wirken allerdings vergleichsweise bescheiden. Die Top-Prioritäten liegen woanders. Soweit es Druck von Politik, NGOs und Zivilgesellschaft sowie Medien gibt, hat Samotlor jedenfalls noch keine Skandalstärke erreicht.

    Lütgert wirft nun die Frage auf, was Gerhard Schröder denn dafür tue, schließlich sitze er im Board-Ausschuss für Umwelt und Sicherheit (Health, Safety and Environment (HSE) Committee). Schröder selbst lässt Lütgert wissen, er kenne die von Lütgert besuchte Region Samotlor gar nicht. Eine Konzernbroschüre aber sagt, er habe die Förderregion bereist, und der TNK-BP-Manager bestätigt auch, dass das Board in der Region unterwegs war. Die Widersprüche werden aber nicht aufgelöst, weil Schröder ein Interview verweigert.

    Nun, das Ausmaß der Öko-Probleme ist erschreckend -- wie in vielen Ölgebieten rund um die Welt. Zu Recht werden die Förderunternehmen dafür verantwortlich gemacht, und das bezieht auch einen "independent director" wie Schröder ein. Lütgert schiebt in seinem Film genüsslich Ausschnitte aus dem früheren Leben Schröders ein, wie er sich in Reden für die Umwelt starkmacht. Einer von vielen Versuchen in der Reportage, die Glaubwürdigkeit der rot-grünen Seitenwechsler zu erschüttern und den Verrat an den Werten zu beweisen. Wobei Schröder eigentlich nie zu unterstellen war, dass ihn die Umweltpolitik besonders umgetrieben hätte.

    Nun ist die Frage zu stellen, wie relevant das eigentlich ist. Schröder ist eines von 11 Board-Mitgliedern (4 von BP, 4 vom Alfa-Access-Renova-Konsortium, 3 unabhängige). Ganz sicher haben sich die Anteilseigner nicht auf Schröder geeinigt, weil sie unbedingt einen Umweltexperten brauchten, sondern einen Diplomaten.

    Von Schröder versprach man sich seinerzeit, dass er den heftigen internen Zwist zwischen BP und den im AAR-Konsortium verbundenen russischen Ölmagnaten befrieden könne (dazu z.B. NY Times). Zudem zählen seine Verbindungen zu Putin & Co., denn TNK-BP hatte reichlich Schwierigkeiten mit der Regierung (kein Wunder, dass der Konzern eine 36-köpfige Abteilung für Government Relations unterhält, die Ex-Politiker und Lobbyisten im Board nicht mitgezählt).

    Sicher, Schröder ist ein Aushängeschild für TNK-BP, er wirkt intern als Faktor des Interessenausgleichs und extern als Werbeträger. Wenn er seine Arbeit gut macht, für die er angeblich 200.000 Euro im Jahr kassiert, berät er das Management in den Fragen, von denen er etwas versteht. Und er kontrolliert die Unternehmensführung nach Kräften als Externer mit, im Sinne der Anteilseigner als auch darüber hinaus, denn Schröder ist nicht als Vertreter eines einzelnen Anteilseigners in dem Gremium.

    Das wäre der Job. Dass zur guten Corporate Governance auch ein ernsthaftes Umweltbewusstsein und entsprechende Maßnahmen einschließlich offener Dialogkommunikation gehört, darf man anmerken. Aber für russische (!) Verhältnisse ist TNK-BP in dieser Hinsicht eigentlich fast ein Vorzeigeunternehmen.

    Peter Unfried meint bei Spiegel Online, "dass Schröder tatsächlich wissentlich helfe, die Katastrophe zu vertuschen, wie insinuiert wird, das wäre noch zu beweisen." Er schreibt weiter:
    "Unter uns: Soll inmitten einer apathisch zusehenden Welt ausgerechnet der mittlerweile schon sehr zerknitterte Rentner Schröder die sibirische Ölkatastrophe aktiv wuppen, wie es offenbar Lütgerts Anspruch ist - damit er sich sein Salär auch wirklich verdient? Da sollte man doch die Kirche im Dorf lassen."
    Der Anspruch wäre tatsächlich zu hoch. Allerdings bleibt anzumerken, dass es richtig ist, wenn Journalisten sehr konkret nachfragen, was prominente Ex-Politiker in einem solchen Vorstandsgremium tun und was sie überhaupt wissen, wenn es Missstände von internationalem Ausmaß gibt.

    Der Unterschied zwischen irgendwelchen Beraterjobs zur "Nachhaltigkeit" und Schröders Board-Sitz bei TNK-BP ist, dass Joschka Fischers freche Aussage, er müsse nur dem Finanzamt Rede und Antwort stehen, stimmt; für eine Aktiengesellschaft wie TNK-BP und ihr Führungsgremium stimmt das aber nicht.

    Das Board ist kein Beirat und kein freies Beraterteam, sondern ist Fixpunkt der Corporate Governance. Hier steht Schröder mitten in der Verantwortung für das Verhalten eines international bedeutenden Konzerns, der nach seiner Rechtsform zwingend öffentlich Rechenschaft ablegen muss -- und das ja offensichtlich auch will. Externe "non-executive directors" oder "outside directors" spielen auch deshalb für die gute Unternehmensführung eine wichtige Rolle, weil sie gesellschaftliche und politische Anliegen und Verhaltensstandards gegenüber den Executives vertreten.

    Ob sie das nur intern tun und nach außen schweigen, oder ob sie sich an die Öffentlichkeit wagen, ist ihre Sache. Schröders Wahl ist nachvollziehbar: Als russlandfreundlicher Ex-Staatsmann hätte er die Statur, aber hat eben nicht das Interesse, die innerrussischen Umweltprobleme zu einem öffentlichen Politikum zu machen und dazu in westlichen Medien Interviews zu geben.

    Dass Journalisten nachhaken, ist legitim. Darauf zu antworten, könnte man Schröder eher nicht raten, selbst wenn ihm das sibirische Desaster am Herzen läge. Er ist nicht zu TNK-BP gekommen, um extern zu zündeln, sondern um intern zu befrieden.

    Würde er TNK-BP auch nur andeutungsweise wegen der Umweltschäden kritisieren, hätte er bei den Anteilseignern seine Funktion als Moderator verloren und damit auch jeglichen positiven Einfluss (wenn er denn einen hat).

    Davon abgesehen, stellen sich hier Haftungsfragen. Auch in Russland kann man für Umweltverschmutzung belangt werden. Würde sich Schröder als Board-Mitglied äußern, würde er der Rechtsabteilung des eigenen Konzerns wahrscheinlich ein Eigentor schießen.

    Der Kreml munitioniert sich mit öffentlichen Äußerungen gern auf, um Oligarchen vor Gericht zu zerstören, wie man weiß. Und wer kann sagen, ob sich die beiden Eigentümergruppen künftig nicht doch wieder bekriegen und dann jedes Rechtsmittel gegeneinander einsetzen. Schröder ist nicht blöd; in diesem Minenfeld springt er nicht herum.

    Sicher: Es gibt Non-Execs, die eine Rolle als Kritiker und Treuhänder öffentlicher Verantwortung nicht nur intern, sondern auch in den Medien und in aller Öffentlichkeit spielen, also prominente Mahner sind -- wenn ein Unternehmen sich denn traut, solche Leute überhaupt zu berufen (was die Glaubwürdigkeit enorm erhöhen kann, aber eben auch Ärger macht).

    Wenn es dazu kommt, am ehesten in den USA oder Großbritannien, sind es oft Shareholder-Aktivisten, die so dank des Aktienstreubesitzes etwas durchsetzen. Das ist dann eben "Shareholder Democracy" und verlangt einen völlig anderen wirtschaftlichen, rechtlichen, politischen und kulturellen Kontext als den, den ein privater Ölkonzern in Russland hat. Bei einer von nur zwei Anteilseignern wie BP und der Milliardärsgruppe AAR getragenen Firma darf man das ohnehin nicht erwarten.