Sonntag, 31. Oktober 2010

Firma an Öffentlichkeit: Schaut her, so machen wir unsere Lobbyarbeit

"Wie redet man eigentlich über sein Lobbying?", fragte Doug Pinkham, Präsident des Public Affairs Council (PAC), vor einiger Zeit in seinem Blog."Was sagt man zu Mitarbeitern, Kunden, Aktionären und anderen? (...) Leider sagen viele Unternehmen darüber praktisch gar nichts." Selbst bei prominenten Marken-Firmen, die besonders unter Druck stehen sich zu erklären.

Das ist in Deutschland auch so. Bevor wir dazu kommen, welche Infos über Lobbyarbeit deutsche Unternehmen veröffentlichen, hier ein paar gute Beispiele, die Doug in den USA ausmacht:
Was lässt sich nun auf den Websites von Unternehmen in Deutschland finden?

Die Kommunikation über politische Themen im Bereich der CSR ist schon ganz ordentlich. Das Bild bei der Information über Lobbyarbeit ist dagegen diffus.

Schon bei der Suche nach den Namen der Politikverantwortlichen in Zentrale und Firmenrepräsentanzen wird man oft scheitern. Informationen über Lobbyprojekte, über Gesetzgebung, Regulierung, Subventionen, kritische Issues auf der politischen Agenda sind selten und oberflächlich. Allgemeinplätze bestimmen die Texte. Und wenn es Konkretes gibt, dann so gut wie nie in Verbindung zum Web 2.0. Immerhin ist in hochregulierten Branchen eine Zunahme der Online-Informationen zu erkennen:
Das ist alles nicht schlecht und geht schon viel weiter als vor einigen Jahren, bleibt jedoch meist versteckt und schmale Kost.

Man soll nicht ungerecht sein. Fast alle CSR-Seiten (meist unter der Rubrik "Verantwortung") enthalten auch politische Aussagen und Positionen, man kann sich ein Bild über politische Ansätze der Unternehmen machen, die sich keineswegs immer hinter ihren Verbänden herstecken.

Wie aber konkret Lobbyarbeit aussieht, wer dafür verantwortlich ist, wie die PA-Organisation aufgestellt ist, welche Prinzipien und Regeln dafür gelten, welche Instrumente genutzt werden, das wird selten offengelegt.

Von einer prominent platzierten Politik-Information zu Gesetzgebung und Regulierung oder strukturierten Gesamtdarstellung der politischen Aktivitäten der beteiligten Abteilungen kann keine Rede sein. Politische Web 2.0-Aktivitäten (außerhalb der CSR) sind, mit wenigen Ausnahmen, weitgehend ein Fremdwort.

Samstag, 30. Oktober 2010

"Bloomberg Government": Finanzgigant steigt ins Polit-Infogeschäft mit Lobby ein

In der Finanzbranche und im Geldjournalismus sind Bloombergs Datendienste nicht wegzudenken. Überall stehen diese Terminals, die in Echtzeit "News that move markets" bringen, und das kostet die Abonnenten hohe Gebühren. Nun steigt Bloomberg massiv in Polit-Infodienste ein, die vor allem Lobbybüros abonnieren sollen. Im Fokus: Monitoring zu Gesetzgebung, Haushalt, öffentlicher Auftragsvergabe, Wahlkampf, Kampagnen und Interessenvertretung. 5700 Dollar soll das Jahresabo für die Online-Datenbank kosten.

Bloomberg Government (BGOV) geht mit rund 40 neuen Redakteuren (je zur Hälfte Journalisten und wissenschaftliche Experten, z.B. Ökonomen sowie frühere Abgeordnetenmitabeiter) in Washington an den Start, weitere 60 sollen demnächst eingestellt werden, bis Ende 2011 rund 150 - wohlgemerkt, zusätzlich zu den 175 Redakteuren im bisherigen Bloomberg-Büro in Washington. Dem Vernehmen nach pumpt Bloomberg rund 100 Mio. Dollar in das Projekt. BGOV ist ein Frontalangriff auf den bisherigen Marktführer, die Congressional Quarterly (CQ)-Roll Call Group.

BGOV will politische Informationen so aufbereiten, dass die Auswirkungen politischer Prozesse und Entscheidungen auf die Wirtschaft klar sichtbar werden. Analysestark soll BGOV sein, detaillierte Hintegrundinfos und neutrale Reports bieten. Außerdem Zugriff auf die großen Nachrichtendatenbanken des Medienkonzerns, den der heutige Bürgermeister von New York City gegründet hat.

Wie die New York Times berichtet, nimmt sich Bloomberg vor, mit BGOV so dominant im milliardenschweren Politik-Markt zu werden wie im Finanzsektor.

Eigentlich erstaunlich, dass für BGOV noch eine Marktlücke existiert. Hochspezialisierte Information zu Politikdetails lag bisher fest in der Hand kleinerer Fachverlage, die auch früh das Internet nutzten. Laut NYT haben diese aber ihren Schwerpunkt verschoben. "Die journalistische Politikberichterstattung ist aufgeblüht", wird BGOV-Chef Kevin Sheekey zitiert. "Gleichzeitig ist die Berichterstattung nicht über politische Kommunikation und Konflikte, aber über das, was der Staat tut und reguliert, und welche Auswirkungen das für die Wirtschaft hat, unbemerkt aber deutlich schlechter abgerutscht. Diese Art der Medienberichterstattung ist heute zehnmal schlechter als früher. Genau dort tritt Bloomberg jetzt ein."

Wenn BGOV auf der Bundesebene funktioniert, soll sich der Online-Dienst weiter vervielfachen, nämlich in die 50 Einzelstaaten hinein, wo sich andere Verlage in den letzten Jahren eher zurückgezogen haben.

Bloomberg setzt derzeit über 6 Mrd. Dollar um, seine Online-Diensten im Finanzsektor tragen dazu 85 Prozent bei. Bis 2014 setzt sich Bloomberg ein Umsatzziel von 10 Mrd. Dollar. Gut 2400 Beschäftigte hat das Unternehmen bereits.

Laut NYT ist das Politik-Infogeschäft auch deshalb interessant, weil es rezessionsresistent ist. Während der Wirtschaftskrise sanken die Umsätze im Finanzsektor aus naheliegenden Gründen. Der Staat aber gab immer mehr aus, und ebenso die Wirtschaft fürs Lobbying und für politische Kommunikation.

Die Datenbank enthält vieles, was bereits öffentlich ist, macht es aber komfortabel zugänglich und leicht kombinierbar: Politikerprofile und Kontaktinfos, aber auch Wahlkreiskarten mit Unternehmenssitzen, Gesundheitseinrichtungen und mehr. Auch soll das amtliche Lobbyregister so ausgewertet werden, dass man auf einen Klick sehen kann, welche Interessenvertreter welche Einrichtungen in einem Wahlkreis vertreten. Schließlich soll flugs verfügbar sein, wer wem Partei- und Kandidatenspenden zukommen lässt und welche Firmen wo Staatsaufträge bekommen haben. In der Nachrichten-Redaktion sollen zugleich Journalisten und Analysten Hand in Hand arbeiten, um die Hintergründe politischer Entscheidungen auszuleuchten.

Freitag, 29. Oktober 2010

Lobbypedia: "sachlich, fair und belegbar"...aber nie neutral

War es ein cleverer Marketingtrick, dass die "Lobbypedia" kurz nach Veröffentlichung schon nicht mehr erreichbar war? Die Server gingen in die Knie. Mehrere Zehntausend Aufrufe pro Stunde, Hunderte in der Minute... "Dem Ansturm nicht gewachsen" -- das macht die Sache doch erst richtig interessant...

Seit 2005 hat Betreiber LobbyControl vor allem über ein Blog kommuniziert, gelegentlich auch über CampAct Aktionen gestartet. Wie Blogs und Projektseiten halt so sind: Das Nachschlagen von Informationen ist mühselig. Nach fünf Jahren haben sich so viele Informationen angesammelt, dass mehr Systematik notwendig ist. LobbyControl ist für Bürger, Journalisten, Wissenschaftler, Politiker und natürlich auch Public-Affairs-Leute eine hilfreiche und interessante Informationsquelle.

Die Entscheidung für ein Lexikon-ähnliches System ist daher sehr zu begrüßen. Es ist schön zu hören, dass die kleine LobbyControl-Gruppe heute genug ehrenamtliche Mitstreiter hat, um so ein Projekt zu stemmen. Eine "Lobbypedia" erfordert ja eine ganz andere Verbindlichkeit, Hingabe, Service- und Kundenorientierung als die Notizzettel- und Tagebuchvariante Blog.

Als ehrenamtliches Mitmach-Projekt kann der Aufbau nur langsam vorangehen, das ist klar. Vorerst ist alles "Beta". In fünf Jahren wird die "Lobbypedia" vielleicht ein unverzichtbares Portal sein.

Aus Sicht mancher PA-Leute ist LobbyControl ein Verein für Nervensägen. Das muss so sein, sonst wäre ein "Watchdog" kein "Watchdog". Die Informationen sind natürlich durch eine gewisse Weltsicht geprägt. Das Online-Lexikon will "lobbykritisch" sein, insofern ist es per se nicht neutral und im wissenschaftlichen Sinne objektiv-ausgewogen. Zwischen einem politischen Ziel "Aufklärung" und einem akademischen Ziel "Wissen schaffen und verfügbar machen" gibt es durchaus Unterschiede:

"Lobbypedia ist aber nicht einfach einem vermeintlich neutralen Standpunkt verpflichtet, der alle Einschätzungen gleichberechtigt nebeneinander bzw. gegenüber stellt, selbst wenn diese unterschiedliches Gewicht haben. Das Ziel ist eine kritische Auseinandersetzung und Durchleuchtung des Lobbyismus."

Die Akzeptanz der "Lobbypedia" wird aber auch bei PA-Praktikern hoch sein, wenn die Redaktionsstandards eingehalten werden: Zentrale Prinzipien sollen Sachlichkeit, Fairness und Belegbarkeit sein.
"Lobbypedia dient nicht der Selbstverwirklichung von Einzelnen, macht keine Propaganda für Ideologien, Parteien, politische Richtungen etc. sondern dient dem Ziel, optimale Aufklärung herzustellen. Unsere Autorinnen und Autoren sind daher angehalten, sich in ihrer Sprache einer persönlich oder ideologisch gefärbten Wertung zu enthalten."
Daran wird sich die "Lobbypedia" messen lassen. Die Balance zwischen aufklärerisch-advokatorischer Argumentation und Interessenvertretung einerseits, sachlicher Validität und Fairness andererseits ist keine einfache Sache. Das wissen Lobbyisten und PR-Leute so gut wie nur irgendjemand...

PRGS/EON: Freispruch, aber "menschliches Versagen"

Keine Täuschung, keine Irreführung, keine verdeckte Recherche, keine intransparente PR, kein Vertraulichkeitsbruch: Der Deutsche Rat für Public Relations hat die von Thorsten Hofmann geleitete Berliner Agentur PRGS vollständig von dem Vorwurf freigesprochen, bei der Erstellung eines "Kommunikationskonzepts Kernenergie" für den Energiekonzern E.ON gegen Ethik-Richtlinien verstoßen zu haben.

Ein Spiegel-Bericht im Juli 2010 über die private Quadriga-Hochschule, an der Hofmann tätig ist, hatte auch die Geschichte über das Konzept wieder aufgewärmt, die bereits 2009 für Wirbel gesorgt hatte (PAM Blog dazu am 6. Juli und 5. Juli). Wegen der öffentlichen Kritik ließ Hofmann seine Position als Co-Leiter des PA-Studiengangs und seine Lehrtätigkeit an der zur Helios-Gruppe gehörenden Quadriga ruhen. Er wird aber bereits im November ein "Webinar" des Weiterbildungsablegers Quadriga Academy leiten.

Der Reputationsschaden für PRGS und Quadriga ist durch den Spruch der DRPR-Beschwerdekammer für politische Kommunikation nicht so einfach wieder gutzumachen. Dennoch dürfte der einstimmige Spruch für Aufatmen sorgen.

Es lohnt sich, die Begründung genauer zu lesen. Denn nach Anhörung von PRGS und E.ON sowie Prüfung einiger Unterlagen konnte der DRPR etwas Licht in die Sache bringen.

Man erfährt dabei einiges über die Beziehungen zwischen Agenturen und Kunden, über Aufträge und die Präferenzen eines Energiekonzerns:
E.ON und PRGS geben übereinstimmend an, dass PRGS verschiedene Aufträge für die E.ON AG bearbeitet hat. Diese standen in engem Zusammenhang mit dem Krisenmanagement des Unternehmens. Dabei kam es auch zur Zusammenarbeit zwischen PRGS und der E.ON Kernkraft GmbH. So betreute PRGS im Jahre 2007 das Medientraining der E.ON Kernkraft GmbH.

Daraus ergab sich die Idee von PRGS, E.ON Kernkraft eine Kommunikationsstrategie für den Umgang mit dem Thema Kernenergie mit Blick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen zu erarbeiten.

Hierfür entstand im Hause PRGS ein 109-seitiges Strategiepapier als „eine Art Bewerbungspapier“ für eine Kampagne sowie eine Powerpoint-Präsentation. PRGS erbat einen Präsentationstermin zur Vorstellung dieser Überlegungen und erhielt einen Termin für Mitte November 2008. Wenige Tage vor dem Präsentationstermin erhielt PRGS vonseiten der E.ON Kernkraft GmbH den Auftrag, speziell für zwei Themen (Innovation und Sicherheit) ein Argumentarium auszuarbeiten. PRGS präsentierte zuerst die eigenen Überlegungen und hat noch in diesem Termin erfahren, dass E.ON Kernkraft das Konzept für viel zu weitreichend hält und dessen Umsetzung daher nicht beauftragen wird. Der bereits erwähnte Auftrag zur Ausarbeitung eines Argumentariums erfolgte unabhängig davon und wurde bis Februar 2009 abgeschlossen.
Formal war im DRPR wichtig, dass es für das Konzept keinen Auftrag gab. Inhaltlich ist bemerkenswert, dass das Marketing einer Agentur durchaus den Aufwand vieler, vieler Beraterstunden für ein 109-seitiges Konzept zu lohnen scheint - hätte E.ON die Ideen nicht für "viel zu weitreichend" gehalten und beauftragt, hätte ein immenses Etatvolumen gewunken.

Zum Vorwurf der intransparenten PR sagt der DRPR-Spruch:
dass die Vorschläge zu „leiser PR“ in dem Papier keinen Anlass zur Beanstandung geben. Leise PR – im Gegensatz zur lauten, aktionsorientierten, auf medienwirksame Aktionen oder Verlautbarungen setzenden PR – stellt ein normales und übliches Verfahren in der PR dar. In Form von z.B. Hintergrundgesprächen, Briefings, Argumentationslinien oder einer One-Voice-Policy im Konzern werden Botschaften gesteuert, ohne zwangsläufig immer den Weg der Aufmerksamkeit zu gehen. Die Befragung von PRGS lässt keinen Zweifel aufkommen, dass im Hause PRGS „leise PR“ genauso verstanden wird.
Es lässt sich schließen, dass PR häufig doch als laut, bunt, krawallig, jedenfalls gut sichtbar verstanden wird. "Leise PR" wäre danach ein Widerspruch in sich. Das ist aber ganz sicher nicht die professionelle Definition. PR kann laut oder leise sein, je nach Zielgruppe. Mal richtet sie sich an ein breites Publikum ("Bild, BamS, Glotze"), mal an ein winziges Fachpublikum.

Schließlich hat sich die Frage gestellt, wie das PRGS-Papier überhaupt aus den Schubladen der Agentur und E.ON ausgerechnet zu Greenpeace gelangt ist. "Menschliches Versagen", konstatiert der Rat.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Neues Buch zur Public-Affairs-Praxis in Wissenschaft, Wirtschaft, NGOs

"Public Affairs: Strategien und Instrumente der Interessenvertretung für Wissenschaft, Wirtschaft und Institutionen"

Frisch aus der Druckerpresse: Beim Lemmens-Verlag ist diese Woche ein solider aktueller Überblicksband mit vielen neuen Einblicken zur Public-Affairs-Praxis erschienen. Das Buch wurde am Montag beim ersten Berliner Symposium Wissenschaftsmarketing präsentiert, denn es ist aus dem gleichnamigen berufsbegleitenden Master-Studiengang der Technischen Universität Berlin hervorgegangen, viele Dozenten sind daran beteiligt. Das Studiengangs-Modul PA (seit 2006, Online-Studium seit 2009) wurde zuerst von mir, dann vom Buchherausgeber Hans Bellstedt verantwortet.

Die PA für Forschungsverbünde und Hochschulen nimmt sich der erste Teil vor. In dieser Zusammenstellung und kompakten Info zu Lobbying, politischer Kommunikation und Wissenschaftsmarketing in der Gesellschaft bietet das Buch erstmals einen aktuellen Zugang zum Thema.

Den größeren Teil des Buches nehmen allerdings PA-Themen der Wirtschaft ein, und auch NGOs und Perspektiven der Politiker auf PA kommen nicht zu kurz. Hier spielen insbesondere CSR, Umwelt und Nachhaltigkeit sowie neue Ansätze der Interessenvertretung über das Internet (E-Lobbying, Digital Public Affairs) eine gewichtige Rolle.

Einleitung: Dr. Hans F. Bellstedt, hbpa: Public Affairs. Interessenvertretung und gesellschaftliche Ziele in Einklang bringen

Teil A: Public Affairs für die Wissenschaft
  • Jörg Steinbach, Präsident TU Berlin: „Wir müssen Makler der eigenen Stärken sein“
  • Josef Zens und Ernst Th. Rietschel, Leibniz-Gemeinschaft: Führen und Forschen. Die Leibniz-Gemeinschaft zwischen wissenschaftlicher Exzellenz und Politikberatung
  • Marco Althaus, TH Wildau: Die neue DNA der Wissenschaftslobby. Wie Hochschulen und Forschung ihr politisches Management individueller gestalten
Teil B: Public Affairs für die Wirtschaft
  • Björn Moeller, Johnson & Johnson: Vertrauen ist das wichtigste Gut. Strategien und Handlungsparameter der Gesundheitsindustrie im politischen Berlin
  • Michael Wedell, Metro Group: Die Verantwortung des Wachstums. Interessenvertretung als Kerndisziplin nachhaltiger Wirtschaft
  • Michael Donnermeyer, IZ Klima: Die One-Issue-Informationsplattform. Ein neuer Ansatz zur Schaffung gesellschaftlicher Akzeptanz für die Carbon Capture & Storage-Technologie
  • Sven H. Korndörffer, Aareal Bank AG: Zwischen Vertrauensverlust und Regulierung. Kommunikationsstrategien der Finanzdienstleistungsbranche „nach der Krise“
Teil C: Public Affairs für Institutionen
  • Helga Springeneer, Verbraucherzentrale Bundesverband: Das Internet vergisst nichts. Zur Artikulation und Durchsetzung von Verbraucherinteressen in der digitalen Gesellschaft
  • Bernhard Bauske, WWF: Das Ende der Berührungsängste. Gemeinsame Nachhaltigkeitsstrategien von NGO, Industrie und Handel.
  • Norbert Theihs, Verband der Chemischen Industrie: Komplexitätsreduktion in einer unübersichtlichen Welt. Wirtschaftspolitische Interessenvertretung am Beispiel des Verbands der Chemischen Industrie
Dossier: Drei Seitenblicke auf Public Affairs
  • Edelgard Bulmahn, MdB (SPD) und Bundesministerin a.D.: Nützliche Wissenszufuhr oder illegitime Belästigung? Public Affairs aus Sicht der Politik
  • Christian Humborg, Transparency International Deutschland: Politische Einflussnahme und Lobbyismus. Erscheinungsformen, Dysfunktionalitäten und Regulierung
  • Gunnar Bender und Sachar Kriwoj, E-Plus Gruppe: Digital Public Affairs. Neue Formen und Wege der Interessenartikulation über das Internet
Schlussbetrachtung
  • Ludolf-Georg von Wartenberg, Parlamentarischer Staatssekretär a.D., Hauptgeschäftsführer des BDI i.R.: Die Kluft überwinden. Perspektiven der Interessenvertretung in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung
Bestellformular bei HBPA.

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Noch eine Berliner Privathochschule im Überlebenskampf -- trägt der Senat eine Mitschuld?

Nach dem Aus für die Berliner "Internationale Hochschule für Exekutives Management" kämpft eine weitere Privathochschule in der Region ums Überleben: Die Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften mit Studiengängen für Rettungsassistenten und Pflegeberufe. Spiegel Online berichtet: "Ärger um Johanniter-Uni: Hochschule braucht Erste Hilfe".

Der Artikel gibt eine Teilschuld am Durcheinander der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde, also dem Wissenschafts-Senator:
Berlin macht es privaten Hochschulgründern leicht... In Berlin gibt es Dutzende private Hochschulen, was auch daran liegt, dass die Gründung vergleichsweise einfach ist. Das Bundesland will private Hochschulen anziehen und macht ihnen die Gründung einfacher als anderswo. Darauf ist man in der Senatsverwaltung stolz. Grob gesagt genügt es, ein Konzept einzureichen, einfach mal anzufangen und innerhalb von fünf Jahren die endgültige Zulassung zu bekommen. Nach den Beschwerden der Studenten im zweiten Semester verlangte die Senatsverwaltung Nachbesserungen - währenddessen schrieben sich schon die Studenten des zweiten Jahrgangs ein. Normalerweise verlässt sich die Behörde auf die jährlichen Berichte der Privaten.
Neben Marktversagen gibt es auch Staatsversagen... und wenn beides zusammenkommt, wird es düster.

Die nahe liegende Schlussfolgerung, man müsse einfach die Anforderungen für eine Hochschul-Betriebslizenz wieder heraufsetzen, greift allerdings zu kurz. In anderen Bundesländern ist es wesentlich schwerer, eine Hochschule zu gründen, trotzdem ging einigen Einrichtungen, selbst jenen mit erheblichen Finanzmitteln und Profimanagement, die Puste aus -- und die Geschäftsmodelle waren sehr unterschiedlich (dazu der Capital-Artikel: "Einsame Klasse, leider" von Marion Schmidt). Und: Für jede private Hochschule, die wacklig startet und ins Abseits rutscht, gibt es das Beispiel einer privaten Hochschule, die ebenso wacklig startet und Erfolg hat. Insofern ist das Vertrauen in unternehmerische Gründer durchaus berechtigt.

Fraglich ist, wie der Regulierer seine Aufsicht wahrnimmt und wann er Berechtigung zum Eingreifen sieht. Einfach hineinregieren, das geht nicht. Die Beamten des Wissenschaftssenators beobachten dem Vernehmen nach sehr wohl genau, was wann wie passiert - sie sind oft gut informiert. Doch sind ihnen oft die Hände gebunden.

Das hat auch etwas damit zu tun, dass sich die Politik im Bologna-Prozess entschieden hat, die Qualitätskontrolle in die Hand des Wissenschaftsrats und der Akkreditierungsagenturen zu legen. Erst wenn diese vernichtende Urteile fällen, kann der Senat eine Hochschule schließen. Und die kann sich gerichtlich wehren.

Überdies hat jede private Hochschule einen Zirkel von Paten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Das sind oft einflussreiche Leute, die ihre schützende Hand über die Einrichtung halten und für Finanzspritzen (auch staatliche) und freundliche Aufsicht sorgen. Private Hochschulen sind für Regionen und die Wirtschaft ein Standortfaktor, und ein Prestigefaktor. Nicht wenige Ministerpräsidenten haben das als "Chefsache" behandeln lassen.

So führt fast jedes Desaster bei einer Privathochschule schnurstracks zur Frage, wann und wie welche politischen Freunde und Stakeholder Strippen gezogen haben, um Interventionen zu blockieren oder das Leben künstlich zu verlängern, selbst wenn es betriebswirtschaftlich nichts zu verlängern gab. Im besten Fall führt das zu einer politisch gewollten zweiten Chance, mit der der Turnaround gelingt.

Behördliche Eingriffe beim Exitus einer Privathochschule sind immer umstritten. Zuletzt gut zu beobachten, als die UMC Potsdam dahinsiechte und das brandenburgische Wissenschaftsministerium mit hohem Tempo den Markteintritt eines quasi identisch aufgestellten Wettbewerbers, der Business School Potsdam, ermöglichte. Ordnungspolitisch war das fragwürdig, ja ein Krimi. Im Sinne von Krisenmanagement muss man es wohl legitim nennen, schließlich ging es darum, den an der UMC immatrikulierten Studenten ein Weiterstudieren am selben Ort zu erlauben. Auch dafür trägt der Regulierer Verantwortung, denn wenn er einer Privathochschule den Betrieb erlaubt und das Unternehmen scheitert, ist der Staat in Mithaftung.

Gelegentlich scheitert eine Hochschulgründung bereits in der Startphase, noch bevor Studenten und Professoren zu sehen sind. So geschehen bei der Stenden University Berlin, ein Projekt der Stenden Hogeschool (Leeuwarden/Niederlande). Die Träger-GmbH bekam 2008 eine Genehmigung. Als nach über einem Jahr immer noch kein Campus vorhanden war und die Initiatorin offenbar aus wirtschaftlichen Gründen erst einmal abwarten wollte, widerrief der Senat schlicht die Anerkennung als Hochschule.

E-Lobbying im Aufwind

Es geht aufwärts mit dem Einsatz von Social Media und Web 2.0-Elementen in der Public-Affairs-Praxis, stellt die Jahresumfrage der Agentur MSL/Publicis unter PA-Verantwortlichen in Unternehmen und Verbänden sowie Beratern fest:
Waren es im Jahr 2009 lediglich 13 Prozent der Befragten, die auf digitale Instrumente in der Public Affairs-Arbeit setzten, so gaben bei der diesjährigen Umfrage bereits 20 Prozent der Umfrageteilnehmer an, Web 2.0 in ihre tägliche Arbeit zu integrieren.

Dabei werden die Social Networks Facebook (35 Prozent) und Xing (19 Prozent) am häufigsten genutzt. Auch der Kurznachrichtendienst Twitter (16 Prozent) sowie Blogs (13 Prozent) und YouTube (10 Prozent) finden in Public Affairs-Abteilungen bereits Anwendung.

Im Kontext der fortschreitenden Entwicklung im Bereich Digital Public Affairs ist jedoch zu erwarten, dass diese Zahlen in den kommenden Jahren einen deutlichen Aufschwung erleben werden.
Die Agentur fragte konkret: "Welche Instrumente nutzen Sie, um Ihre politischen Kontakte zu pflegen?"

Dabei ist nicht ganz klar, was das bedeutet -- sucht der Interessenvertreter den direkten Kontakt zu einem Politiker über XING oder Facebook? Oder werden allgemein Social Media im Rahmen von Projekten und Kampagnen genutzt? Ist die Beobachtung und Auswertung z.B. Blog-Monitoring gemeint, etwa auch der Blogs von Politikern zur Vorbereitung von Gesprächen? Oder werden Interessengruppen so organisiert, z.B. als Zusatzangebot für Mitglieder von Verbänden? Oder geht es darum, dass eigene Blogs et cetera aufgebaut werden, um in der politischen Kommunikation online mitzuwirken?

Image der Lobbyisten -- Tendenz abwärts

Vor kurzem noch verbreitete die DUW eine Forsa-Umfrage, nach der Lobbyisten einen recht guten Ruf haben (Blog-Beitrag dazu). An der pauschal positiven Bewertung der Umfrage-Aufgeber kann man einiges aussetzen. Jedenfalls zeigt die alljährliche Befragung der Agentur MSL/Publicis, dass die Praktiker in Unternehmen und Beratungsgesellschaften ihr eigenes Image weiterhin eher kritisch sehen - Tendenz abwärts.
Die Public Affairs-Umfrage 2009 beschäftigte sich zum ersten Mal mit einer Selbsteinschätzung zum öffentlichen Ansehen der Branche. Knapp drei Viertel der Befragten schätzten damals das öffentliche Image ihres Berufszweigs negativ ein (67 Prozent „eher negativ“, 7 Prozent „sehr negativ“). Auch in diesem Jahr bestimmten vor allem kritische Schlagzeilen wie die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers sowie die öffentliche Debatte um das Sponsoring von Parteitagen die öffentliche Diskussion. So gehen auch in diesem Jahr 25 Prozent der Umfrageteilnehmer davon aus, dass sich das Image der Public Affairs-Branche im letzten Jahr eher verschlechtert hat. Nur acht Prozent sind der Meinung, dass sich das Bild ihres Berufszweigs im laufenden Jahr verbessert hätte. Zwei Drittel (67 Prozent) der Befragten gehen davon aus, dass sich das öffentliche Ansehen der Branche im vergangenen Jahr nicht verändert habe.
"Public Affairs is an honorable profession - but someone has to do it."
(in Anlehnung an Art Buchwald)

Mittwoch, 20. Oktober 2010

"Wissenschaftsbloggen ist Lobbyismus"

Wenn Wissenschaftler bloggen, betreiben sie nicht immer Wissenschaft oder Wissenschaftsjournalismus. Manchmal ist es einseitige PR oder ist Teil der politischen Interessenvermittlung (Stichwort E-Lobbying, "Digital Public Affairs").

Der Haken dabei ist, dass das seltener erkannt wird, oder häufiger ignoriert, als bei anderen Blogs. Wissenschaftler, so die Vermutung, sind ja ganz der Wahrheit verpflichtet. Und wenn ein Blog voll ist mit hochspeziellen Fachdiskussionen, gar mit Formeln, Datenreferenzen und Laborlatein, sinkt die kritische Wahrnehmung der Leser.

Achtung, Falle, meint der Physiker und Migräneforscher Markus Dahlem in seinem Blog "Graue Substanz". Er behauptet, "Wissenschaftsbloggen ist Lobbyismus":
Lobbyismus für oder auch gegen einen Wissenschaftszweig, welcher als Bedrohung empfunden wird (z.B. Gentechnik, Kernenergie, oder Chemie (sic)). Oder für einen Wissenschaftszweig, der eine Bedrohung erforscht (z.B. Lernforschung nach dem PISA-Schock, Klimaforschung, Artensterben). Oder für einen Wissenschaftszweig, der mit gesellschaftlichen Vorurteilen zu kämpfen hat (z.B. Religion-Virus-Metapher, Migräne als Einbildung). Selbst wenn nur ein Funken überspringen soll für Wissenschaft, deren Zweck als Grundlagenforschung nicht unmittelbar erkennbar ist (z.B. Kosmologie, Stringtheorie, Chaosforschung, Paläogenetik) oder allgemein für die Wissenschaft als kulturelle Leistung an sich:

Es ist Lobbyismus, und das ist auch gut so.

Als Lobbyisten wollen Forscher künftig leichter Fördermittel bekommen, im allgemeinen wollen sie Forschungsausgaben mit einen Anteil von 3% (oder mehr) des Bruttoinlandsprodukts. Es geht aber auch darum wie der 3%-Kuchen verteilt wird. Jeder hätte gerne ein großes Stück für seine Fachrichtung.

Spezielle Programme der Projektträger des BMBF entscheiden in welche Projekte Mittel fließen. Auf europäischer Ebene gibt es Rahmenprogramme. Die Vorbereitungen für das achte Programm laufen gerade an. Kurzum, Wissenschaftler konkurrieren um begrenzte finanzielle Mittel und müssen selbst den Nachweis erbringen, dass ihre Forschung lohnt. Dies geht insbesondere auch über den Umweg des gesellschaftlichen Dialogs. Denn wer sonst sollte entscheiden, wieviel wofür ausgegeben wird?

Andere wollen gesellschaftliche Akzeptanz erreichen, die für eine Gesetzgebung notwendig ist (Beispiel Präimplantationsdiagnostik), die der Vermarktung hilft (Solarenergie) oder die schlicht Vorurteilen begegnet (Weltuntergang für günstige drei Milliarden Euro mit dem Large Hadron Collider). Und wieder andere mögen nur nach gesellschaftlichen Ansehen streben, für sich selbst oder für Ihre Fachrichtung.
Nun ist zwar nicht alles Lobbyarbeit im engeren Sinne, was interessengeleitete Kommunikation ist, aber man muss hier keine Haare spalten. In Wissenschaftskommunikation und -marketing spielt das Thema Politik eine rasch wachsende Rolle.

Dahlem bringt es knapp auf den Punkt: Geld, Regulierung, Genehmigungen, Akzeptanz im Sinne der "license to operate" -- all das sind in der Wissenschaft auch und oft besonders politisch geprägte Ziele, von politischen Entscheidern massiv beeinflusst. Daran hängt das Wohl und Wehe der Forschung. Mit anziehendem Wettbewerb bemühen sich Wissenschaftseinrichtungen um eine Systematisierung ihrer politischen Beziehungen und ihrer politischen Kommunikation. Dass Wissenschaft sich nur durch objektive Leistung auszeichnet und dafür Unterstützung erhält, dieses meritokratische Märchen kann man nicht mehr erzählen.

Wissenschaft populär und zugänglich zu machen ist ein wichtiges Ziel geworden - von Wissenschaftsjahren über "Lange Nächte" bis zu Schülerlabors und TV-Magazinen. Die politische Dimension gehört dazu, auch wenn das meist nicht im Fokus steht.

Nun also auch die wissenschaftliche Blogosphäre. Dahlem regt richtig an, dass Wissenschaftsblogger auch über Interessenkonflikte und Transparenz nachdenken müssten, selbst wenn sie sich nicht als perfide Spindoktoren sehen, die absichtlich manipulieren. Interessenvertreter sind sie aber oft doch, und das sollte man auch sehen können -- und die Advocacy trennen können vom wissenschaftlichen Argument. Dahlem meint, ein Verhaltenskodex für die bloggende Wissenschaft wäre sinnvoll.

"Die politische Meinung eines Wissenschaftlers kann nicht mehr Autorität für sich beanspruchen als die einer Krankenschwester"

Dahlem weist dankenswerterweise auch auf ein interessantes Interview mit dem Wissenschaftssoziologen Peter Weingart hin, das beim Online-Dienst von Spektrum der Wissenschaft erschienen ist. Weingart hat in seinen Publikationen regelmäßig auf die Politisierung der Wissenschaften und die verdeckten Interessenkonflikte hingewiesen, bei der Experten keineswegs nur von der Politik instrumentalisiert werden, sondern diese auch kräftig bei politischen Positionierung mitmischen; bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften war Weingart an der Ausarbeitung der "Leitlinien Politikberatung" maßgeblich beteiligt, der genau darauf eingeht und als eine Art erster Verhaltenskodex angesehen wird.

"Wissenschaftler müssen wahrhaftig kommunizieren", mahnt der. Sie müssten auch klarmachen, wo die Wissenschaft aufhört und die Politik beginnt. "Die politische Meinung eines Wissenschaftlers kann nicht mehr Autorität für sich beanspruchen als die einer Krankenschwester", sagt Weingart.
Wenn Wissenschaftler zu politischen Fragen Stellung beziehen – und das sollten sie –, müssen sie dabei deutlich machen, welche Urteile sie durch Daten absichern können und welche nicht. Sie müssen auch Auskunft geben, wie ihre Daten zu Stande kommen und so weiter. Das können sie natürlich nicht in jeder Diskussion machen, in die sie involviert sind. Aber das ist im Prinzip gefragt, gerade weil ihnen als Experten ein so großes Vertrauen entgegengebracht wird.
Wenn sich Wissenschaftler zu allgemeinpolitischen Themen äußern, mag der Zuhörer oder Leser noch einen Kontext parat haben, um die Experten-Meinung zu beurteilen. Geht es allerdings um den sehr speziellen Themenkreis der Wissenschaftspolitik, wird es kritischer - auch da hat Weingart einen wunden Punkt getroffen:
Einerseits ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, was wissenschaftspolitisch eigentlich abläuft. Im Bezug auf die Wissenschaftspolitik herrscht große Ignoranz. Auf der anderen Seite kommt wieder dieses Generalvertrauen ins Spiel, dass man sagt: Was die machen, wird schon irgendwie zum Wohl der Gesellschaft sein.
"Generalvertrauen" - kurios, dass in unserer überkritischen Gesellschaft so etwas noch existiert. Tatsächlich hat die Wissenschaft schon lange nicht mehr das Generalvertrauen, das sie in frühereren fortschrittsgläubigen Zeiten einst hatte, auch sie muss sich massive Kritik, Misstrauen und Unterstellungen gefallen lassen. Ein Rest Generalvertrauen für die wissenschaftliche Autorität aber bleibt.

Das muss per se nicht schlecht sein. Es verleitet Wissenschaftler in der Kommunikation aber möglicherweise dazu, die eigenen Interessen (und Interessenkonflikte) nicht kenntlich zu machen. Die Diskussion um Verhaltenskodizes und Transparenz ist daher wichtig. Nicht nur beim Bloggen, sondern insgesamt.

Wo es politisch wird, sollte eigentlich die traditionelle Regel der Wissenschaftlichkeit besonders beachtet werden: Alles muss nachvollziehbar und belegbar sein.

Freitag, 15. Oktober 2010

Berliner Politikmanagement-Hochschule macht dicht

Private Hochschulen geraten immer öfter in schweres Fahrwasser, manche gehen dabei unter. Nur wenige Medien im Raum Berlin haben davon Notiz genommen, dass die "Internationale Hochschule für Exekutives Management" (IHB) schließt. Damit war's das auch für Berlins einzigen Bachelor-Studiengang "Politikmanagement".

2007 gegründet, 2008 in Berlin-Schmöckwitz (Grünau) für den Studienbetrieb eröffnet und zuletzt mit immerhin rund 80 Studenten in drei Bachelor-Studiengängen, schien die IHB keinen schlechten Start zu haben.

Sie war das akademische Spinoff einer kleinen, erfolgreichen Schulkette im Berliner Südosten und im Speckgürtel, den "Studienpädagogischen Privatschulen" ("Villa Elisabeth" u.a.) des Unternehmerehepaars Sabine und Kristof von Platen.

Die von Platens sind regionalpolitisch keine ganz Unbekannten: Sie ist in der brandenburgischen CDU aktiv, er kandidierte 2005 gar für die FDP für den Bundestag und war auch mit einer eigenen PR-Agentur in politischen Kreisen aktiv. Beide sahen in einem praxisorientierten Studium für Politik-Interessierte eine Chance. Mit angehenden Sport- und Kultur-Managern teilten die Politik-Manager ein wirtschaftswissenschaftliches Teilstudium.

Der Politikmanagement-Studiengang war ein Aushängeschild der IHB. Präsidentin Martina Plümacher weihte erst im Frühjahr den jungen Parteien- und Extremismus-Forscher Florian Hartleb (30, zuletzt TU Chemnitz) zum Professor für Politikmanagement und Leiter des IHB-Instituts für Politikmanagement, der umgehend eine Reihe von interessanten Veranstaltungen, Exkursionen und Kooperationen auf die Schiene setzte. Er wirkte bei der Sommeruni der European Democrat Students mit, gab fleißig Medieninterviews zur aktuellen politischen Lage, holte Prominente wie Rainer Eppelmann an die IHB, besuchte mit den Studenten Merkels Redenschreiber im Kanzleramt, Bundestagsabgeordnete, eine Landesvertretung und die Public-Affairs-Agentur Johanssen + Kretschmer. Praxisferne kann man da nicht kritisieren.

Dann aber muss es schnell bergab gegangen sein. Zum 30. September stellte die Hochschule ihren Betrieb ein. Warum, darüber ist offiziell nur wenig zu erfahren. Einerseits heißt es, die Unternehmer hätten "aus persönlichen Gründen" die staatliche Anerkennung an den Berliner Senat zurückgegeben.

Die rund 80 Studenten, ihre Eltern, die Professoren Hartleb, Martina Dillmann und Patrick Föhl (Kulturmanagement) und Gabriele Mielke (Sportökonomie) und sonstige Mitarbeiter erfuhren das am 15. September 2010 auf einer Vollversammlung der Hochschule. Offenbar hatte die Hochschule sogar kurz zuvor noch neue Studenten immatrikuliert. Es war auch nicht die erste Versammlung, auf der die Wut hochkochte - schon im Frühjahr gab es dem Vernehmen nach Proteste von Studenten gegenüber der Hochschulleitung (eher selten an privaten Einrichtungen).

Für die Studenten, die bisher rund 500 Euro Monatsgebühren überwiesen, hieß das: Exmatrikulation und Umzug an andere Hochschulen. Ein Großteil der Studenten sind nun offenbar an die Business School Potsdam gewechselt, die bereits die Studenten (und Dozenten) der im letzten Winter zusammengebrochenen University of Management and Communication (UMC) abwarb. Die BSP musste offenbar in Windeseile ihr Curriculum anpassen, damit die IHB-Studenten dort ihr Studium fortsetzen konnten. Ein Vorteil der Private: Gut geführt, können sie recht flexibel und schnell umbauen und nach Bedarf erweitern.

Auch für Florian Hartleb wurde flugs eine Stelle geschaffen, eine Vertretungsprofessor für das Lehrgebiet Politische Kommunikation und Politikmanagement im Studiengang Bachelor für Kommunikationsmanagement. Auf Facebook bezeichnet Hartleb das Desaster in Schmöckwitz übrigens als "awful and shameful collapse", spricht von "Unfähigkeit an allen Ecken und Enden...selbst bei der 'Abwicklung'".

Die Präsidentin der IHB wechselte derweil als Geschäftsführerin an die Freie Waldorfschule Berlin-Kreuzberg.

Andererseits gibt es Zweifel an der Version der rein "privaten" Gründe für den Rückzug. Vielmehr scheint die IHB im regulatorischen Dickicht gestrauchelt zu sein. Der TV-Regionalsender RBB will aus mehreren Quellen wissen, dass das Hauptproblem der IHB bei der fehlenden Akkreditierung der Studiengänge lag. Offenbar war es insgesamt mit dem "exekutiven Management" der Hochschulleitung nicht so weit her.

Eine fehlende Akkreditierung kann zur Nichtanerkennung der Studienleistungen und Hochschulabschlüsse führen. Erreicht eine private Hochschule nicht das Gutachter-Gütesiegel für ihre Studiengänge, oder droht deswegen gar der Entzug der Betriebserlaubnis, macht das schnell die Runde -- und das ist Gift für eine junge Hochschule, die mühsam die Infrastruktur aufbaut, was meist in den ersten Jahren ein riskantes Verlustgeschäft ist.

Probleme bei der Akkreditierung von Studiengängen durch externe Akkreditierungsagenturen und der Akkreditierung einer Privathochschule insgesamt durch den Wissenschaftsrat sind vielfach Krisenauslöser. Selbst wenn eine Hochschule - wie in Berlin und Brandenburg - ohne vorherige Akkreditierung die vorläufige Betriebsgenehmigung von der Landesregierung bekommt und Studenten immatrikulieren und Professoren berufen darf, lebt sie nur, wie die Amerikaner sagen, von geborgter Zeit.

Der "Bildungs-TÜV" kommt oft erst mit einigen Jahren Verzögerung voll zum Tragen. Für die UMC Potsdam, die schon mehrere Hundert Studenten zählte, war es ein vor einem Jahr ein Desaster.

Der "Bildungs-TÜV" ist umstritten und steht rechtlich auf wackligen Füßen, wie die aktuelle Verfassungsklage des SRH-Bildungskonzerns zeigt (Berichte dazu in FAZ und FTD). Im hochregulierten Bildungsmarkt müssen Hochschul-Unternehmer stets fürchten, dass ihnen nach Jahren des (auch erfolgreichen) Betriebs der Boden unter den Füßen weggezogen wird - weil die errichtete Institution nicht den umfangreichen Ansprüchen entspricht, die das von staatlichen Einrichtungen geprägte Hochschulwesen an die private Konkurrenz stellt. Die Schwierigkeiten lassen sich auch im Ausland beobachten (z.B. in der Schweiz und den USA).

Die von Platens haben nun offenbar die IHB geschlossen, bevor ihr Schul-Unternehmen erheblichen Reputationsschaden erleidet.

Eine subjektiv rationale Entscheidung, sicher. Aber bitter für die Studenten, und schade für die Entwicklung einer professionellen Ausbildungslinie für Politikmanager in der Hauptstadtregion, die sich gerade erst entwickelt -- nicht zuletzt durch die Initiativen privater Hochschulen wie der kommerziellen Quadriga (Helios-Verlagsgruppe) und der Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW, ein Joint Venture von FU Berlin und Klett-Verlagsgruppe).

Dass nicht jede Privathochschule Erfolg haben kann und auf dem Weg zu einem verlässlichen, profitablen Geschäftsmodell viele Stolpersteine warten, zeigt auch die kürzlich veröffentlichte Studie "Rolle und Zukunft privater Hochschulen in Deutschland" vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und McKinsey (Berichterstattung in Zeit, FAZ, FTD und SZ).

Mittwoch, 13. Oktober 2010

McCreevy und Verheugen - harte Nüsse für den Ethikrat der EU-Kommission

Für reichlich Wirbel sorgte jüngst ein Bericht der Financial Times Deutschland über die Übergangsgelder, die die EU-Kommission an die Kommissare a.D. zahlt, auch wenn sie längst neue gutbezahlte Posten haben. Laut FTD erhalten 17 frühere Amtsträger noch immer 96.000 Euro oder mehr im Jahr. Besonders schossen sich Kritiker jüngst auf Ex-Vizepräsident und Erweiterungs-, später Industriekommissar Günther Verheugen ein, der in Potsdam mit seiner Ex-Kabinettschefin und Lebensgefährtin Petra Erler im April 2010 eine Politikberatungsfirma etabliert hat.

Nun hat es den früheren Kommissar Charlie McCreevy aus Irland getroffen. Die aufgeschreckte Kommission zeigte ihm die rote Karte, weil er gegen den Verhaltenskodex verstoßen habe - er war nämlich als Kommissar fürBinnenmarkt und Dienstleistungen auch für Banken zuständig, und kurz nach dem Ausscheiden in Brüssel bezog er einen Sitz im Aufsichtsrat der NBNK Investment Bank, die sich pikanterweise um den Kauf von Filialen der vom britischen Staat geretteten Pleitebanken Lloyd's und Northern Rock bemüht -- ein hochpolitischer Deal. Was McCreevy angeht, klar ein Interessenkonflikt, befand die Kommission, mit "Integrität und Diskretion" nicht vereinbar. Also muss McCreevy wieder raus aus dem Aufsichtsrat, heißt es bei der FTD.

Das ist übrigens eine Premiere. Ein Jobverbot dieser Art hat der dreiköpfige Ethikrat der Kommission noch nie ausgeprochen. Dass McCreevy auch ein Aufsichtsratsmandat bei Ryanair besitzt, fand die Kommission bisher nicht anstößig, ebenso wenig ähnliche Posten anderer Kommissare.

Für den Ethikrat geht es stets nur darum zu prüfen, ob Interessenkonflikte mit dem bisherigen Arbeitsgebiet eines Kommissars auftreten -- ein allgemeiner Wechsel in die Privatwirtschaft oder, konkreter, in die Lobbyarbeit, stellt per se keinen Interessenkonflikt dar. Was zahlreiche Europaparlamentarier und NGOs nicht akzeptieren wollen. Bis Ende 2010 will der Ethikrat daher über seine bisherigen Richtlinien nachdenken.

Über Verheugen grübeln die Ethikräte auch noch. Er hat schon Beratungsmandate der Volks- und Raiffeisenbanken, der Royal Bank of Scotland und zwei weitere - beanstandet wurde das nicht. Übergangsgeld bezieht er nicht, eine Pension natürlich schon.

Das größere Problem heißt "The European Experience Company GmbH". Die beiden Geschäftsführer heißen Verheugen und Erler.

Die Beratungsgesellschaft bietet laut Website "Sachverstand und reiche Erfahrung auf dem Gebiet der Europapolitik und in außenpolitischen Fragen, kreative Lösungen sowie die richtige Strategie für Ihren Erfolg im Umgang mit europäischen Institutionen." Die Company betont: "Wir werden keine Lobby betreiben. Wir setzen auf Dialog, die richtige Strategie und auf das Argument, das überzeugt."

Zum Leistungsportfolio gehören Briefings für Führungskräfte, Management-Intensivkurse, Hintergrundanalysen und Strategieempfehlungen, Unterstützung bei europabezogener Öffentlichkeitsarbeit (Reden, Auftritte in Medien, Publikationen), Konfliktmediation und Vorträge.

Keine Lobby? Nun ja, wenn man unter Lobbyarbeit im engeren Verständnis das direkte Gespräch mit Entscheidungsträgern versteht, ist die Aussage vielleicht richtig. Bereits bei der Vermittlung von Kontakten wird das problematisch, und auch Analyse, Strategieberatung und Vorbereitung von Gesprächen anderer mit Entscheidungsträgern ist ganz klar lobbyistische Beratung vorhanden. Viele Lobbyberater in Berlin und Brüssel wirken überhaupt nicht selbst als direkte Interessenvertreter, sondern im Hintergrund. Das ist einfach eine Frage von Glaubwürdigkeit und Authentizität. Darum bezeichnen sie sich ja auch als Berater und eher selten offiziell als Lobbyisten. Worin das Ziel der professionellen Beratungstätigkeit besteht - nämlich bessere, effektivere, effizientere Interessenvertretung des Kunden -, ist aber auch unstrittig. (Und nicht unehrenhaft.)

Hilfestellung fürs Lobbying ist kein Lobbying. Ein Lobby-Stratege, Lobby-Analytiker, Lobby-Lehrer ist kein Lobbyist. Mag man so sehen. Aber dass Verheugen das nicht jeder abkauft, liegt auf der Hand, denn er wird ja nicht nur wegen seiner Kompetenz, sondern nach 10 Jahren Brüssel-Erfahrung auch wegen seiner Kontakte als Berater attraktiv. Dass diese niemals für die Kunden aktiviert werden, ist unwahrscheinlich. Dass keinerlei interne Kenntnisse der Kommission Verwendung finden, darf man auch bezweifeln.

In den Medien hagelt es Kritik. Auch ARTE schlug unlängst in diese Kerbe:



In einem Brief an den Infodienst Euractiv.com hat Verheugen Ende September betont, die Firma schließe Lobbytätigkeiten im Sinne der EU-Definition von 2008 explizit aus. Worauf bezieht er sich? Auf die Mitteilung der Kommission SEC (2008) 1926 zur Europäischen Transparenzinitiative, mit der auch das Brüsseler Lobbyistenregister und der zugehörige Verhaltenskodex eingeführt wurden.

Darin heißt es:
Unter "Interessenvertretung" (Lobbyarbeit), für die eine Eintragung erwartet wird, werden Tätigkeiten verstanden, "mit denen auf die Politikgestaltung und den Entscheidungsprozess der europäischen Organe und Einrichtungen Einfluss genommen werden soll". [Zitat aus KOM(2006) 194 endg.: Grünbuch zur "Europäischen Transparenzinitiative", d. Red.]

Die Kommission ist sich bewusst, dass der Auftrag der meisten Organisationen und Einrichtungen, die Lobbyarbeit betreiben, mehr umfasst als die Aktivitäten, für die die Eintragung erwartet wird. Sie sind unter anderem beteiligt an der Erstellung von Studien, Statistiken und anderen Informationen und Dokumentationen sowie an Schulungen und Maßnahmen zur Erweiterung der Kompetenz für Mitglieder oder Klienten; sofern dabei keine Interessenvertretung stattfindet, fallen diese Tätigkeiten nicht unter diese Definition.
Formal also ein Freibrief? Die Grauzone ist breit.

Bleibt noch die Frage, ob Verheugen formal einen Job bei der Company hat. Geschäftsführer der GmbH ist er ja, Mitgründer und Miteigentümer auch. Nur, wie er selbst sagt, bezahlt wird er dafür nicht.

Im genanten Brief schrieb er, er sei ein unbezahlter "non-executive director". Seine Kapitalanteile an der GmbH seien keine Berufstätigkeit, deshalb sei sie auch nicht meldepflichtig und genehmigungsbedürftig.

Nun bleiben die Honorare der Firma aber erstens in der Familie, und zweitens wird die GmbH ja früher oder später ihren Eigentümern auch Gewinne ausschütten. Selbst wenn Verheugen formal kein Arbeitsentgelt bezieht, wird seine Tätigkeit doch Honorare generieren, von denen er selbst etwas hat, so oder so. Sauber ist das alles nicht. Jedenfalls nicht für die Öffentlichkeit.

Dass Verheugen, will er als Politikberater mit eigener Firma arbeiten, hier in eine Falle getappt ist, ist allerdings nicht nur seine eigene Schuld. Zwar hätte er die Potsdamer Firmengründung gleicht melden können. Doch die Regeln sind in jedem Fall unklar und laden zum Versteckspiel geradezu ein.

Das wird eine harte Nuss für den Ethikrat. Wenn bis Jahresende solche Fälle in neuen Vorschriften geklärt werden sollen, darf man auf die konkreten Vorschläge gespannt sein.

Parteispendenflüsse als interaktive Grafik

Parteispendenflüsse als interaktive Grafik - das hat sich der Magdeburger Grafiker Gregor Aisch vorgenommen. Herausgekommen ist eine kleine Drehscheibe der Spender und Spendenempfänger 2002-2010. Die Daten - natürlich nur die meldungspflichtigen Großspenden über €50.000 - stammen vom Bundestag (Rechenschaftsberichte).

Der Inhalt - wer zu wem - ist Kennern zwar bekannt, aber eine solche Visualisierung ist innovativ. Ein schönes Tool für die schnelle Übersicht, in beide Richtungen Empfänger-Spender und Spender-Empfänger.

Die Welt der Großspender in Deutschland ist klein. Es lässt sich schön ablesen, wer "Landschaftspflege" betreibt, also das Füllhorn über mehrere Parteien ausschüttet (z.B. Allianz) und wer dabei selektiv vorgeht - z.B. die Grünen auslässt. Oder welche Parteien eher bilaterale Beziehungen pflegen. Schön auch, dass anders als in der üblichen Medienberichterstattung die CSU, die ja eine eigenständige Partei ist, nicht vergessen wird - womit schnell klar wird, dass CDU und CSU zusammen einen deutlich größeren Anteil als die SPD vom Spendenkuchen abschneiden. Interessant auch die Spenden von Kommunikationsagenturen wie Abels & Grey und Carat (vermutlich monetär quantifizierte Sachspenden in Wahlkämpfen?).

Eine solche Drehscheibe für Spenden unter €50.000 sähe natürlich ganz anders aus. Aber dafür fehlt es an Daten und Transparenz.

Klick auf Grafik zur interaktiven Version und zur hochauflösenden Version.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

EU-gefördert: Christliche Adbusters gegen Aldi-Konzern

Gezielt treten, wo's weh tut: Mit einer klassischen Satire-Aktion aus dem kleinen Handbuch des Corporate Campaigning hat die "Christliche Initiative Romero" (CRI) dem Discounter Aldi publikumswirksam auf die Zehen getreten. Eine gut getürkte Persiflage auf die Aldi-Werbezettel ist gedruckt und online im Umlauf, ein so genannter "Adbust".

Spiegel online hat den Adbust mit einer Fotostrecke gewürdigt. Grund der Attacke: CIR wirft Aldi vor, seine Billigpreise auf dem Rücken schlecht bezahlter und schlecht behandelter Arbeitskräfte in Entwicklungsländern zu realisieren. Der Vorwurf ist nicht ganz neu, ohne Billiglöhner (im In- und Ausland) gäbe es die Discount-Riesen gar nicht.

Bemerkenswert auf der Website der CIR:

D
as kleine Logo "Gefördert durch die Europäische Union". Der Steuerzahler finanziert also diese Kampagne.

CIR ist eine jener Initiative, die sich in den 1980ern für die Armen und Ausgebeuteten in Mittelamerika gründeten - Partner für Selbsthilfeorganisationen in Nicaragua, El Salvador und Guatemala. Wem der Name Romero bekannt vorkommt: das ist jener legendäre Erzbischof aus El Salvador, der gegen die damalige Militärjunta antrat und erschossen wurde, seitdem ist er ein Held der Mittelamerika-Bewegten und Befreiungstheologen.

Laut Spon hat Romero 30.000 Prospekte verteilt, die Druckmaschinen für die nächsten 40.000 laufen schon. Wie zu erwarten war, schickte Aldi erst einmal keine Krisenkommunikatoren und CSR-Profis, sondern Rechtsanwälte mit Abmahnungen und Einstweiligen Verfügungen in der Hand vor. Der Marken- und Bildrechte wegen, und der laut Aldi falschen Behauptungen in dem Flyer.

Und da schnappte die Falle zu. Genau solche Aktionen sind natürlich dazu gedacht, möglichst viel Kontroverse und Empörung zu erzeugen. Die Drohung des Konzerns mit der Klage vor Gericht ist genau das Beabsichtigte:
Was zunächst nur eine Widerstandsaktion von acht Aktivisten war, kann Romero nun als klassische David-gegen-Goliath-Situation ausschlachten - nach dem Motto: Fährt der riesige Aldi-Konzern tatsächlich juristische Geschütze gegen Menschenrechtler auf?

Bei Aldi scheint man die heikle Außenwirkung dieser Strategie inzwischen erkannt zu haben. Auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE teilte der Discounter schriftlich mit: "Aldi hat nicht die Absicht, gerichtlich vorzugehen und hat dies der Christlichen Initiative Romero auch in der vergangenen Woche mitgeteilt." Man habe "lediglich eine Abmahnung aussprechen lassen, weil Rechte eindeutig verletzt und unzutreffende Aussagen getätigt wurden".
Das juristische Klein-Klein, wer welches Foto von welchem Produkt verwendet hat, interessiert aber niemanden. Entscheidend ist der Aufruhr. Jetzt wird im Netz immer schneller diskutiert, wie schuldig Aldi ist (und nicht mehr, ob).

Und der nicht eben für Stakeholder-Kommunikation bekannte Konzern kommt gar nicht mehr damit hinterher, Fall für Fall den Vorwurf der Ausbeutung zu kontern. Nun geht die Recherche erst richtig los, Meinungsführer-Medien steigen ein, im Netz verbreiten sich die Kampagnenmaterialien schnell.

Aldi sagt durchaus etwas dazu. Unter anderem erfährt man von Aldi, dass sich das Unternehmen der Business Social Compliance Initiative (BSCI) angeschlossen habe, die die Produktionsbedingungen überwacht. Ein pragmatisches Stück Corporate Social Responsibility -- nur hat man davon wenig gehört, weil Aldi eben nie was sagt. Und dass die BSCI selbstredend ihre Kritiker hat, wie alle anderen CSR-Allianzen auch, ist ja klar.

Je mehr sich Unternehmen mit sozialen und Nachhaltigkeits-Initiativen um ihre gesellschaftliche Mitverantwortung bemühen, desto häufiger ziehen die Konzernkritiker mit dem Vorwurf von Greenwash, Bluewash und Sweatwash vom Leder: alles Lug, Trug und schöner Schein. (Womit sie leider manchmal Recht haben, aber längst nicht immer).

Kreative Adbusts haben schon andere der Branche getroffen, zum Beispiel Aldis größten Rivalen in der Lidl-Kampagne von Verdi und Attac. Der linke Grafiker Klaus Staeck hat die Lidl-Tüte in einer bekannten Postkarte verewigt. Verdi und Attac haben ihre Kampagne jahrelang im blau-gelb-roten Design gefahren, die fotogenen Aktionen waren immer für TV-, Presse- und Internet-Verbreitung attraktiv.

Adbusts gehörten auch zur Lidl-Aktion
der Kampagne "Saubere Kleidung" (Clean Clothes Campaign, CCC), zu deren Netzwerk CIR übrigens gehört. Denn Mittelamerikas Sweatshops gehören neben Asiens Armenhäusern zu den wichtigsten Produzenten von Billigkleidung.

Sonst stehen oft Bangladesh, Indonesien und vielfach China im Fokus. 2009 etwa klagte eine Studie des Südwind-Instituts für Ökonomie und Ökumene, promotet von CCC, die Arbeitsbedingungen der Aldi-Zulieferer in China und Indonesien an.


Also: Eigentlich hätte Aldi es kommen sehen müssen. Dass der Konzern (wieder einmal) öffentlich so ungeschickt agiert, zeigt das Problem mit der Kommunikationsverweigerung, die Deutschlands beliebtester Discounter seit Jahrzehnten betreibt. Angeblich will Aldi nach dem Ableben des Überpatriarchen Theo Albrecht nun etwas offener werden. Schwer zu glauben, aber wir werden sehen.

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Lobbying 2.0: Publikum gewinnen, Kontrolle verlieren

"Lobbying 2.0 is about conversation, not negotiation", formuliert Massimo Micucci (Lobbyagentur Reti in Rom). Das Internet sei eine Plattform, die Werkzeuge zur Verfügung stellt, um Gesetzgebung zu beeinflussen (z.B. E-Petitionen), Stakeholderkommunikation erweitert, und die Ideen sammeln und größere Transparenz von Interessen und Botschaften herstellen könne.

Aber: Wer sich auf Suche nach Dialog ins Internet begebe, habe es mit einem langen Prozess größerer Unsicherheit zu tun; man gewinne ein Publikum, aber verliere Kontrolle. Insofern, meint Micucci, handele es sich nicht unbedingt um eine "Kampagne". Unter anderem deshalb, weil die Konversation im Prinzip unendlich sei, man könne nicht einfach aufhören. Das ist eben der Preis für die neuen Möglichkeiten.

Eine kleine Präsentation mit Beispielen zu "Lobby 2.0" hat der römische Politikberater kürzlich bei der Konferenz "Personal Democracy Forum" in Barcelona vor- und nun ins Netz gestellt. Einige interessante Beispiele aus der italienischen Netzwelt, z.B. Grassroots-Kampagnen zur Regulierung von Online-Kommunikation. Die Präsentation ist englischsprachig.

Dienstag, 5. Oktober 2010

15 Mio für Fortbildung von Abgeordneten-Mitarbeitern

Eine private 15-Millionen-Spende für die akademische Weiterbildung von Abgeordneten-Mitarbeitern, damit sie dem Parlament professioneller und qualifizierter zuarbeiten können: Wo gibts denn sowas?

Leider nicht in Deutschland, sondern in Kanada. Die Carleton University in Ottawa hat den Scheck eingestrichen, ausgestellt hat ihn der Öl- und Gas-Milliardär Clayton Riddell (68). Es ist die größte Spende, die die Uni jemals erhalten hat.

Bisher hatten die Mitarbeiter des Parlaments wenig Möglichkeiten, sich über Training-on-the-job hinaus fortzubilden. In letzter Zeit haben sich offenbar auf dem Parliament Hill die Berichte über schlechte interne Politikberatung, Inkompetenz und schlechtes Urteilsvermögen etwas gehäuft.

Petrodollars fürs Politikmanagement: Carleton soll's nun ab Herbst 2011 richten - mit einem Master-Aufbaustudium in politischem Management. Es ist das erste Programm seiner Art in Kanada. Vermittelt hat die Spende der frühere Oppositionsführer Preston Manning (Reformpartei).

Dafür holt sich die Uni Aufbauhilfe aus dem Süden - von der Graduate School of Political Management (GSPM) der George Washington University in Washington DC und vom Ray Bliss Institute of Applied Politics der University of Akron, Ohio. Neben dem akademischen Curriculum in Politikanalyse, Verfahren und politischer Kommunikation sollen vor allem Praktika und Workshops zur Qualifizierung beitragen.

Nicht nur Abgeordnetenmitarbeiter sollen in den Genuss akademischer Weihen kommen, sondern auch viele andere im politischen Betrieb Beschäftigte - von der Exekutive bis zu Parteien, Verbänden und NGOs.