Donnerstag, 17. Mai 2012

Am Boden: Luftfahrtbranche beendet Kampagne "Die Fracht braucht die Nacht"

Nach zwei Jahren ist jetzt Schluss für die Kampagne "Die Fracht braucht die Nacht", die für den Erhalt und Ausbau von Nachtflugrechten an deutschen Flughäfen stritt. Unter dem "Schock" eines Bundesgerichtsurteils beschlossen die Initiatoren vergangene Woche das Ende der Initiative.

Die Lufthansa Cargo hatte mit Luftfahrt- und Logistikverbänden im Juni 2010 die Initiative gestartet. Ihr Ziel war u.a. eine Novelle des Luftverkehrsgesetzes, um Flughäfen „wettbewerbsfähige Betriebszeiten“ zu garantieren. Im Mittelpunkt stand dabei Frankfurt/Main. Anfang April bestätigte das Bundesverwaltungsgericht Leipzig jedoch ein dauerhaftes Nachtflugverbot für Frankfurt (Az. BVerwG 4 C 8.09).

Im jüngsten Newsletter (3/2012) der Initiative nennt Kampagnenchef Ewald Heim die "gesamte Logistikbranche noch immer geschockt von dem Urteil und den dramatischen Einschränkungen an Deutschlands größtem Flughafen."  Das Nachtflugverbot zwischen 23 und 5 Uhr verschlechtere "die Rahmenbedingungen durchschlagend".

Die Mitglieder der Initiative entschieden, "die Initiative in der bestehenden Form nicht weiter fortzuführen", teilte Heim mit. 

Die Kampagne im Rückblick


Mag die Koalitionskampagne der Luftfahrt- und Logistikbranche nun im Hinblick auf das konkrete Ziel gescheitert sein, so war sie doch im Rückblick eine bemerkenswerte und innovative Anstrengung, die weit über konventionelle Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen und Verbände hinausging. Sie reagierte auf die massiven Bürgerinitiativen und Kampagnen gegen Fluglärm und Flughafenausbau mit dem Versuch, Firmen, Manager, Betriebsräte, Mitarbeiter und Sympathisanten zu mobilisieren.

Die Forderung nach einer (von der Bundesregierung bereits angekündigten) Novelle des Luftverkehrsgesetzes sollte als Gegengewicht zum Ruhebedürfnis der Anwohner im Gesetz verankert werden. Im Kern geht es um die Rolle der Gerichte, deren Urteile bisher Fluglärmregelungen prägen. Diese hätten zu „zunehmend einseitiger Interessensabwägung geführt“; daher sollten Politik und Öffentlichkeit für die Bedeutung der Luftfracht für die exportabhängige Wirtschaft „sensibilisiert“ werden.

Neben Lufthansa Cargo wurden noch 17 andere Organisationen, vor allem Logistikverbände, als „Mitglieder“ einbezogen. Davon hob sich allein das Mitglied Bürgeraktion Pro Flughafen ab, eine von Mittelständlern dominierte Initiative im Rhein-Main-Gebiet.

Betriebsräte und der Lufthansa-Cargo-Vorstand übten im Oktober 2011 an einer Demonstration von 500 Lufthansa-Cargo-Mitarbeitern in Frankfurt den kämpferischen Schulterschluss gegen das vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof verhängte Nachtflugverbot.

Die Initiative publizierte einen monatlichen Newsletter sowie Presseanzeigen und veranstaltete Tagungen. An einer Unterschriftenkampagne beteiligten sich 100 Unternehmen und 10.000 Einzelpersonen. Die Petition wurde Ende 2010 auf dem Berliner Luftverkehrskongress an die Regierung übergeben.

Regionalkampagne "Ja zu FRA"


Jetzt wird's bunt:
Gesichter gegen Proteste bei
https://www.ja-zu-fra.org/
Regional schlossen sich Lufthansa, Condor und Fraport im Rhein-Main-Gebiet zudem zur Initiative "Ja zu FRA" zusammen, die am 1. März 2012 Tausende Bürger zu einer Pro-Flughafen-Kundgebung auf dem Frankfurter Römerberg mobilisierten -- vor allem Arbeitnehmer und ihre Familien.

Laut Fraport sollen es 10.000 Demo-Teilnehmer gewesen sein (Polizei: 8.000).  

Eine Million Euro, behaupteten die Landtags-Grünen, sollen regionale Kampagne und Kundgebung gekostet haben -- das wurde zwar von den Initiatoren bestritten, genaue Angaben machten sie aber nicht (Frankfurter Rundschau, 1.3.12).

Die "Ja zu FRA"-Website wurde inzwischen interaktiv aufgerüstet: Wer sich für FRA öffentlich aussprechen möchte, kann dort Fotos und Bekenntnisse einstellen.



Auch auf dem Flughafen selbst wird offensiv geworben. Seit Mitte präsentiert sich am Gebäude 162 ein 24 Meter hohes Megaplakat mit 200 Mitarbeiterfotos: „Wir sagen: Ja zu FRA!“. Das soll der Auftakt zur Aktion „1000 Gründe für FRA“ sein, die "in den kommenden Monaten verschiedene Menschen zeigen wird, die sich positiv zum zukunftssichernden Ausbau des Luftverkehrsstandortes Frankfurt bekennen", heißt es bei Fraport.

Augenscheinlich gelingt es der FRA-Standortinitiative, effektiver für den Flughafen und allgemeinen Luftverkehr zu mobilisieren, als der Initiative "Die Fracht braucht die Nacht". Die Botschaft ist positiver, emotionaler, weniger abstrakt -- und natürlich spontan einsichtiger und bezugsfähiger als die der Frachtlobby.

Neuer Kontext, neues Risiko


Es ist viel Bewegung in die politische Kommunikation und Interessenvertretung der Luftfahrtbranche gekommen. Solche Kampagnen mit Grassroots-Mobilisierung gab es früher nicht. Sie sind aber offenbar notwendig geworden, weil die anderen Instrumente nicht mehr hinreichend funktionieren.

Der Kontext des Public-Affairs-Managements hat sich stark geändert, die öffentliche Meinung ist gekippt und polarisiert. Zugleich sind die konventionellen Vertretungs- und Kommunikationsformen der Branchenverbände an ihre Grenzen gestoßen, was u.a. zur Neugründung des Verbands BDL geführt hat, aber eben auch zu Spezial-Themenkampagnen wie "Die Fracht braucht die Nacht", bei der eben ein Unternehmen (LH Cargo) und nicht ein Verband die Regie übernahm.

Das Problem der Luftfahrtunternehmen ist, dass sie die "schweigende Mehrheit" bisher nie organisieren und mobilisieren konnte. Wenn es mit den politischen Konflikten aber so weitergeht wie bisher, ist es zwingend, dass die Branche auch eigene Leute "auf die Straße" bringen kann. (Natürlich nicht mit Astroturf-Methoden, sondern mit legitimer Kampagnenarbeit.)

Eine Erkenntnis der Stuttgart-21-Episode ist, dass kämpferisch auftretende Protestinitiativen sehr starken Einfluss auf Medien, Politik und öffentliche Agenda gewinnen und den Eindruck erwecken können, die Mehrheitsmeinung zu vertreten. Bei Stuttgart 21 wissen wir inzwischen, dass der Eindruck nicht korrekt war. In der Wirtschaft kommt man daher zunehmend zu dem Schluss, dass eigene Kampagnen notwendig sind, um genau das zu verdeutlichen.

Ein Stück weit ist dies auch ein Eingeständnis, dass klassischer Bürgerdialog und Mediation scheitern können. In der Rhein-Main-Region waren viele darauf stolz, dass das aufwändige Mediationsverfahren das Protestpotenzial ein Jahrzehnt lang befrieden konnte. Die Frankfurter Erfolge sind nun, wie die lautstarken Proteste zeigen, aufgeribbelt und verloren. Die Polarisierung ist so hoch wie lange nicht mehr.


Das ist ein hohes Risiko für die Weiterentwicklung der Luftfahrtbranche. Sie ist ein Opfer ihres eigenen Erfolgs: Das rasche Wachstum der vergangenen zwei Jahrzehnte und die Liberalisierung der Luftverkehrsmärkte geben ihr heute eine große Bedeutung; aber die Proteste gegen Umwelt- und Klimafolgen, gegen Infrastruktur- und Standortentwicklung sind ebenfalls ungleich größer als früher.

Politik, Regulierungsbehörden und Gerichte reagieren auch darauf mit wachsender Sensibilität. Hinzu kommt, dass die Luftfahrt durch das Wettbewerbswachstum immer weniger mit einer Stimme sprechen, steuern und sich wehren kann. Die Interessengegensätze im eigenen Lager sind groß. Die internationalen Verflechtungen steigern sie noch.

Das macht es für die Politik einfacher, der Branche Belastungen zuzumuten. Im Ergebnis steht der Luftverkehr, so populär er bei den Kunden auch ist, politisch immer häufiger in der strategischen Defensive. 

Das gesamte Feld der Beziehungen zwischen Luftfahrt und Gesellschaft ist ungleich komplexer geworden. Umso wichtiger ist es, dass die Branche neue Instrumente entwickelt und erprobt: beim direkten und indirekten Lobbying, durch Kampagnen unterschiedlichen Typs, durch neue Kommunikationskanäle, durch CSR-Aktivitäten der Unternehmen und eine Neuorientierung ihrer Verbände. Nicht zuletzt wird immer bedeutender, dass die Aus- und Weiterbildung der Führungskräfte für diese öffentlichen Angelegenheiten - Public Affairs  eben - verbessert und profiliert wird. Die Branche hat viel zu verlieren.

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Mittwoch, 9. Mai 2012

Die Flottenlobby mit dem Propaganda-Kino


Teil 10 der Serie zur Geschichte der politischen Kommunikation "P&K HISTORIE": Wie der Deutschen Flottenverband das neue Medium Film einsetzte




Als um 1900 die Bilder laufen lernten, erkannte der Deutsche Flottenverein als erster das Potenzial des Mediums Film. Damit rekrutierte die Lobby eine Massenbasis – und wurde zum unberechenbaren Machtfaktor. Alfred Tirpitz, Admiral im Reichsmarineamt, „erster Propagandaminister modernen Stils“, hatte ab 1897 die Aufgabe, eine Hochseeflotte zu bauen – und in der Öffentlichkeit zu verkaufen. Das war eine ungeheuer schwierige Aufgabe. Konstanter Druck aufs Parlament war bei dem Vorhaben
essenziell. Entfalten sollten ihn Presse und eine Bürgerlobby als
Anker des „Flottengedankens“. So erschuf er zunächst eine PR-Stelle beim Marineamt und dann den Deutschen Flottenverein (DFV). Dieser baute einen mächtigen Kommunikationsapparat auf und griff mit großem Erfolg zum Instrument Kino.


Althaus, M. (2012, Mai). Die Flottenlobby mit dem Propaganda-Kino. Politik und Kommunikation, 36-37.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Luftverkehrsbranche kritisiert mangelnde Unterstützung der Wirtschaft -- und will mit Emotionen mobilisieren

"Luftverkehr hat in Deutschland ein Imageproblem. Proteste und politische Kampagnen liefern aber ein verzerrtes Bild, die Branche setzt daher auf die schweigende Masse. Was fehlt, ist aber die Unterstützung aus der Wirtschaft", schreibt der Branchendienst Airliners.de. Bei der Veranstaltung "Luftfahrt im Dialog" am Flughafen Sylt (30. April) drehte sich alles um die (mangelnde) Akzeptanz des Luftverkehrs.
"Fluglärmproteste in den Medien, Urteile der Gerichte zu Betriebsbeschränkungen und dazu politische Fallstricke wie die Luftverkehrsabgabe, die nun doch nicht wie zunächst angekündigt vom Emissionshandel abgelöst wird: Die Luftverkehrswirtschaft in Deutschland hat es momentan nicht leicht."

Zwar versicherten sich Manager gegenseitig, wie wichtig es sei, nicht mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, sondern gegenüber der Politik geschlossen aufzutreten. Einig schien man sich aber vor allem darin zu sein, dass die Branche nicht genug Unterstützer hat, vor allem nicht aktive.



In einem Videointerview empfahl der Chef des Flughafens Köln-Bonn, Michael Garven, die Branche solle sich "selbstkritisch" ein paar Fragen stellen, etwa warum die Bahn jährlich 18 Mrd. Euro Steuer-Subventionen erhalte oder die Autobranche in der Krise eine Abwrackprämie geschenkt bekam – "aber uns hat man die Luftverkehrssteuer auferlegt". Garven folgert: "Da läuft etwas schief."

Er kritisierte aber auch mangelndes Engagement der Wirtschaft. So sei der Versuch, zum 25-jährige Jubiläum der Frachtgesellschaft UPS am Köln-Bonner Flughafen Testimonials von Wirtschaftsvertretern einzufangen, in unerwartete Probleme geraten. "Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schwierig sich das gestaltet hat", so Garven. "Ich muss Ihnen ganz offen sagen, ich wäre froh gewesen, wenn die Aschewolke noch 3-4 Tage länger angedauert hätte, denn dann hätten bei BMW, bei Mercedes, bei allen deutschen Automobilherstellern die Bänder stillgestanden."

Garven stellte die Aktionen kleiner Kritikergruppen der "schweigenden Masse" gegenüber. Zum Tag der Luftfahrt in Köln-Bonn kämen 80.000 luftfahrtbegeisterte Menschen, eine jüngste Demo von Fluglärmgegnern zählte dagegen nur 450.


"Es muss noch mehr darum gehen, die große schweigende Masse, die sich vielleicht nicht proaktiv zum Luftverkehr bekennt, die aber alle vom Luftverkehr fasziniert sind, zum Botschafter des Luftverkehrs in Deutschland machen", sagte Garven. Die Branche müsse "auf emotionaler Ebene ein Gegengewicht zu schaffen zu den Menschen, die gegen Luftverkehr sind und die wir auch nicht mehr werden bekehren können." Die Unterstützer und potenziellen Botschafter müsse die Branche "mehr über den Bauch ansprechen als über den Kopf."




Auch der Chef des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Ex-ZDF-Journalist Klaus-Peter Siegloch, kritisiert die Wirtschaft. So gebe es kein einziges DAX-30-Unternehmen, das sich öffentlich vor dem anstehenden Bürgerentscheid in München für eine dritte Bahn ausgesprochen habe, berichtet Airliners.de. Die Ausrichtung an aktuellen Meinungsströmungen halte er für kurzsichtig, so Siegloch. „Damit überlassen die Profiteure der Luftfahrteinrichtungen die öffentliche Bühne dem lautstarken Bürgerprotest, der es Dank starker Bilder in die Medien schafft.“