Dienstag, 1. März 2011

Politiker-Spott über die Lobby: Ermüdende Bedrohungsszenarien - anachronistische Gewohnheiten

Für einen neuen Lobby-Stil plädiert die ehemalige SPD-Finanzpolitikerin Nina Hauer in einem Beitrag für Politik & Kommunikation.

Lernst Du schon oder drohst Du noch?“, ist dieser überschrieben. Kernaussage: Die Politik ist in der Finanz- und Wirtschaftskrise selbstbewusster geworden, und Interessenvertreter tun gut daran, sich vom Muster der Untergangsszenarien und Drohgebärden zu verabschieden.
  • Hauer hat in ihrer Zeit als MdB vor allem Bekanntschaft mit der Finanzbranche gemacht. Sie war Mitglied im Finanzausschuss und befasste sich vorrangig mit Kapitalmärkten, saß im Verwaltungsrat der BaFin und als SPD-Obfrau im Untersuchuchungsausschuss zur Hypo Real Estate. Neben dem Bundestagsmandat fand sie noch Zeit, einen MBA an der University of Wales mit Schwerpunkt Finanz- und Anlagenberatung zu erwerben. 2009 verlor sie ihr Mandat. Sie ging aber nicht in die Finanzbranche, sondern ist seit Oktober Berliner Statthalterin bei der Kommunikationsagentur Deekeling Arndt Advisors.
"Der Vertreter eines Wirtschaftsverbands kommt mit düsterem Gesicht zum Bürobesuch und prophezeit den Untergang seiner Branche, sollte diese oder jene Regelung wirklich in Kraft treten", skizziert Hauer eine typische Situation. Und spottet: "Wären diese Prophezeiungen alle wahr geworden, hätte so ziemlich jedes Regierungshandeln der vergangenen zwei Jahrzehnte zwangsläufig zum Ende des Standorts Deutschland geführt."

Die Bedrohungsszenarien hätten etwas Ermüdendes – für beide Seiten. Die Realität der Wirtschaft sei eben eine andere. Das Verständigungsproblem zwischen Politik und Wirtschaft liege allerdings nicht in rhetorischen Übertreibungen, die zum politischen Geschäft gehören. Tiefer liege das "gegenseitige Unverständnis der Motive, Interessen und Sichtweisen des Anderen."

Hauer schreibt weiter:
"Vorbei sind die Zeiten, wo grau gewandete Herren in Hinterzimmern Politikern bedeuteten, was ihrem Unternehmen helfen könnte. Die atemberaubenden Geschichten über einflussreiche Lobbyisten, die kurz vor der Verabschiedung noch ganze Gesetzesentwürfe drehten, werden vor allem von diesen selbst erzählt."
Sie interpretiert die Folgen der Nähe zwischen Politikern und Interessenvertretern etwas anders als üblich: Diese Nähe habe auch zu mehr Transparenz geführt, und auch zu mehr legitimem Austausch.
"Die Politik – hin und wieder auch die Medien – sucht den Kontakt zur Wirtschaft, sie sucht ihn, um etwas zu erfahren über Branchen, Unternehmen, Marktlagen oder den Betriebs­alltag, sie will Einschätzungen hören zu Entwicklungen in der Wirtschaft. Bei diesem Miteinander helfen Einblicke, Geschichten und Beispiele mehr als Bedrohungsszenarien. Umgekehrt können Unternehmen auch von der Politik viel erfahren oder sich die eigene Branche aus anderer Sicht spiegeln lassen."
Die Wirtschaft müsse sich auf neue Formen der Kommunikation einlassen. Es sei nicht notwendig, dass Unternehmen ihre Interessen verbergen. Sie vorzubringen sei genauso legitim, wie ihnen nicht zu folgen.
"Allerdings ist die den Vertretern einiger Wirtschaftsverbände zur Gewohnheit gewordene Art, Forderungen an die Politik vorzubringen, manchmal nahezu anachronistisch. Schließlich werden Unternehmen heute viel mehr als Teil der Gesellschaft angesehen, als das den Managern selbst überhaupt bewusst ist."
Globalisierung und Standortwettbewerb hätten den Blick der Politik auf die Wirtschaft verändert. Sie habe sich sogar in hohem Maße die Perspektive und damit ein Verständnis der Wirtschaft angeeignet. Unter hohem Druck sei die Politik auf hilfreiche Informationen angewiesen. Dazu zählt auch "der sinnliche Eindruck aus den Unternehmen selbst – und nicht die hundertste Forderung nach niedrigeren Unternehmenssteuern."

Die Finanzkrise habe die Politik selbstbewusster werden lassen, nicht nur gegenüber dem Finanzsektor. Das hätten einige Unternehmen aber noch nicht verstanden:
"Heute ist die Kommunikation des Bankenverbands fast wieder da angekommen, wo sie vor der Krise war – die Politik reguliere viel zu viel und mindere dabei den Gewinn der Kredit­institute. Kein Wunder, dass viele Banken klagen, dass die Politiker in Berlin kaum mehr zu ihren Veranstaltungsabenden kommen."
Für Unternehmen sei es notwendig, sich mit Instrumenten und Denkweisen der Politik vertraut zu machen. Zudem müssten sie sich Öffentlichkeit und Gesellschaft stellen. Die Unternehmen könnten sich nicht mehr darauf verlassen, dass "die Politik ihre Beschlüsse einfach exekutiert und am Ende alleine den Leuten draußen erklärt. Dazu sind die Bürger zu selbstbewusst, Fakten zu transparent, und letztlich unser politisches System auch nicht gemacht."

Das gelte im Großen (Beispiel Stuttgart 21) wie im Kleinen, meit Hauer. "Wer seinen Betrieb erweitern will, darf nicht dem Bürgermeister die gesamte Kommunikation überlassen, erst recht nicht, wenn es Streit gibt."

Es sei keine Lösung, von der Politik immer detaillierteres Wirtschafts-Wissen oder mehr Wirtschaftsleute in der Verwaltung zu fordern. In den großen Apparaten der Bundesministerien, so Hauer, könnten Beamte nicht jede Entwicklung in der Wirtschaft präsent haben. Beständig neue Leute „vom Markt“ in die Ministerien zu holen, könne das öffentliche Dienstrecht nicht leisten und der Staat sich noch weniger. Und in der Lokalpolitik seien vor allem Bürger im Ehrenamt tätig. Deren Zeit und Einsatzmöglichkeiten seien auch begrenzt. Damit müsse die Wirtschaft umgehen lernen.

"Nicht alles, was in der Wirtschaft gedacht oder gewünscht wird, muss sich die Politik zu Eigen machen. Sie vertritt Gesamt- und keine Partikularinteressen", resümiert Hauer. "Aber die Politik bedarf eines Eindrucks, eines Erlebnisses und einer Erzählung zum Thema, wenn die Wirtschaft verstanden werden will – und wenn die Politik richtig handeln soll."