Sonntag, 28. Februar 2010

Die Zugangsprivilegien ehemaliger Parlamentarier

Ehemalige Abgeordnete spielen in der Public Affairs-Szene eine wichtige Rolle. Gelegentlich tauchen Forderungen nach Karenzzeiten (Cooling-off period) auf. Die haben meist keine Chance, weil Abgeordnete ja auch freie Berufswahl haben. Trotzdem ist es ein heißes Eisen, dass Ex-Parlamentarier sich ihres Status' bewusst sind und sich organisieren, um ihre Interessen zu wahren, in der Vereinigung ehemaliger Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments, VMDB mit heute 734 Mitgliedern -- und gewisse Privilegien genießen. Zum Beispiel haben sie laut Hausordnung automatisch Zugangsberechtigung zu den Bundestags-Gebäuden. Ihre 1977 gegründete Vereinigung erhält Zuschüsse aus dem Parlamentshaushalt und hat den Sitz vis-à-vis vom Reichstag im Reichstagspräsidentenpalais, auch Sitz der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft. Die Adresse ist auch Treffpunkt für Lobbygespräche -- wenn ein Abgeordneter (oder ehemaliges MdB) sie einlädt, dürfen auch externe Gäste ins Haus, und das geschieht jeden Tag.

In Großbritannien heißt die Ehemaligen-Vereinigung Association of Former Members of Parliament.

In London werden die Privilegien der Ehemaligen heute von der Sunday Times thematisiert. Was in Deutschland Gewohnheit und Teil der Parlaments- (und Lobby-) Kultur ist, sehen die Briten offenbar kritisch.

Laut Times-Bericht gibt es im britischen Parlament eine von der Ehemaligen-Vereinigung beeinflusste neue Vereinbarung, dass fast alle Abgeordneten, die bei der anstehenden Wahl ihre Sitze verlieren oder nicht antreten, dennoch vollen Zugang zu den Parlamentsgebäuden behalten — und zwar lebenslang. Bisher wurde dies nur langjährigen MPs zugestanden, die drei Wahlperioden einen Sitz innehatten. Das Problem liegt darin, dass eine gewisse Zahl der Ex-MPs als Lobbyisten zurückkehren wird.

Herausgefunden hat das die Watchdog-Gruppe Spinwatch, die sich zwei Jahre lang mit der Parlamentsverwaltung einen Rechtsstreit unter dem Informationsfreiheitsgesetz geliefert hat, um entsprechende Dokumente sichten zu dürfen.

Nach den alten Regeln wurden 200 Ex-Abgeordnete mit ständigen Hausausweisen ausgestattet; 25 von ihnen arbeiten für Lobby- und PA-Gesellschaften.

Zwar gibt es in der Parlamentsgeschäftsordnung eine Vorschrift, dass Ex-MPs ihren Hausausweis nicht zu Lobbying-Zwecken benutzen dürfen, aber tatsächlich kann man sie davon nicht abhalten.

Die neuen Regeln wurden u.a. vom früheren Vorsitzenden des Committee on Standards in Public Life, Sir Alistair Graham, kritisiert. “Wenn man aufhört, Parlamentsmitglied zu sein, sollte jeder privilegierte Zugang beendet werden. Sie sollten normale Bürger sein und sich wie der Rest von uns in die Schlange stellen. Das ist offen für Missbrauch", wird er von der Times zitiert. "Zugang zum Parlament ist ein Anreiz für Lobby-Agenturen, ehemalige Abgeordnete zu beschäftigen. Das ist wie ein Teil von Pensionsanprüchen und zutiefst unangemessen."

Laut Times ist das Problem deshalb besonders groß, weil 2010 voraussichtlich besonders viele Abgeordnete ausscheiden werden. Nach dem Spesenskandal 2009 haben 76 Abgeordnete angekündigt, nicht wieder zu kandidieren, insgesamt werden 141 nicht erneut antreten.

Hinter den Kulissen hat die Ehemaligen-Vereinigung ihre Kollegen kräftig lobbyiert, um keine Besucherausweise am Revers tragen zu müssen. Ergebnis: Nach den neuen Regeln hat jedes MP, das eine Wahlperiode im Hohen Haus gesessen hat und die Wahl verliert, Anspruch auf den lebenslangen Hausausweis. Jeder Abgeordnete, der mehr als eine Wahlperiode MP war, bekommt ihn automatisch, egal, ob er die Wahl verliert oder einfach nicht mehr antritt. Wer nicht zu den beiden Gruppen gehört und trotzdem ausscheidet, kann vom Speaker - dem Parlamentspräsidenten - trotzdem einen Hausausweis erhalten.

Zu den Privilegien gehört, dass sie sich nicht in die Schlangen vor den Besucherschleusen einreihen müssen, sie dürfen in die Parlamentsrestaurants, Teeräume und Cafés, sie dürfen die Veranstaltungsräume wie die Mandatsträger buchen und Gäste einladen. Sie müssen nicht mehr den Umweg gehen und amtierende Abgeordnete bitten, dies für sie zu tun, wie es oft passiert.

Steile Lernkurve in Indien

In Indien existieren Public Affairs und Unternehmenskommunikation auf unterschiedlichen Ebenen der Reife", meint Sukanti Ghosh, Head of Corporate Affairs bei Barclays Bank in Indien, im Thought Leaders Forum (Public Affairs Asia). "Die Begriffe bedeuten für unterschiedliche Unternehmen nicht dasselbe – denn die Unternehmen sind an unterschiedlichen Stellen der Reife- und Lernkurve."

"Eine Tätigkeitsbeschreibung, die der Autor mag, geht auf den Kommunikationsmanager Sanat Lahiri zurück: "helping an organization negotiate changes with the minimum of friction”.

Die PA-Arbeit in Indien nähere sich schnell globalen Standards an. Es gebe viele globale Konzerne, die in Indien tätig seien, aber auch eine wachsende Zahl indischer Unternehmen, die im Ausland aktiv und auch auf Einkaufstour seien -- Beispiele Jaguar Land-Rover und Corus.

Dadurch habe es die PA-Praxis "mit einer sehr schnellen Lernkurve" zu tun über das, was PA leisten müssten.

Indien sei ein Sonderfall durch viele Herausforderungen, die gleichzeitig zu bewältigen seien:

  • Vielsprachigkeit, die weit über die Zahl der Sprachen in Europa hinausgehe;
  • die Medienwelt eines Kontinents mit rund 1000 Zeitungen und Zeitschriften in 18 Sprachen, die von 90 Prozent der Leser konsumiert würden;
  • zahlreiche unterschiedliche Subkulturen und ein breites Spektrum sozioökonomischer Klassen.

So sei es im Inland sehr schwierig, auf alle Stakeholder angemessen einzugehen -- zumal diese sich viel lauter und offener zu Wort meldeten als früher.

Die Finanzkrise habe vielen Unternehmen die Bedeutung der PA-Abteilungen klar gemacht, als diese mitten ins Auge des Sturms rückten. Das sei vorteilhaft gewesen. Dennoch hätten noch nicht alle Unternehmen begriffen, dass PA und Kommunikation nicht "das letzte Glied der Strategiekette" sein dürften, sondern frühzeitig einen Platz am Tisch der Entscheider benötigten.

Können Unternehmer sich einen Politiker kaufen?

Bemerkenswerter Artikel von Georg Meck in der FAS heute unter dem schlichten Titel "Können Unternehmer sich einen Politiker kaufen?" Meck argumentert ökonomisch:

Manager denken in Preisen. Und Preise drücken Knappheiten aus. So steht es im Lehrbuch. Wenn das stimmt, haben auch Politiker einen Preis.

Stimmt. Die Frage ist nur, in welcher Währung gezahlt wird. Im Lobbying ist diese Währung im Regelfall Information, nicht Geld. Aber Geld, an der richtigen Stelle eingesetzt (z.B. spezialisiertes Personal, Medien und Beratung), kann Zugang zur Information erleichtern.
Angebot schwach, die Nachfrage sinkt - auch im Geflecht zwischen Wirtschaft und Politik regieren die Kräfte des Marktes. ... das Feld wird bewirtschaftet, es fließt Geld. ... Der persönliche Kontakt zu den Regierenden ist wichtig für Unternehmer, sie bilden sich das zumindest ein. Und suchen die Nähe zu den Mächtigen. Da Aufmerksamkeit ein wertvolles Gut ist, erst recht der über Milliarden gebietenden Politik, geben Unternehmen viel Geld für die Nähe zur Macht aus.

Meck erläutert, nicht ohne Rückgriff auf Klischees ("Schattenmänner der Macht, Experten für Public Affairs"), wie Unternehmen an Positionierung und Beziehungsgeflechten arbeiten. Ihm fält auf, dass NRW-CDU-General Wüst mal bei der PA-Beratungsagentur EUTOP (Klemens Joos) in Brüssel und Berlin gearbeitet hat. Er greift offenbar zurück auf einen alten Artikel der Süddeutschen ("Das schwarze Netzwerk des Klemens J."), der allerdings auf den SZ-Seiten nicht mehr zu finden ist, sondern nur noch als Kopie im Web zugänglich ist.

Auch das Handelsblatt hat die Wüst-EUTOP-Verbindung aufgegriffen:
Recherchen des Handelsblatts ergeben ebenfalls, dass der zurückgetretene Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU, Hendrik Wüst, jahrelang politische Kontakte an Unternehmen verkauft hat. Wüst war insgesamt drei Jahre für das Münchener Beratungsunternehmen Eutop tätig. Dabei war die Beratung und Zusammenführung von Entscheidungsträgern in Politik und Unternehmen seine Hauptaufgabe. Wüst hatte 2002 erst in Brüssel begonnnen und später politische Kontakte und Beratungsleistungen in Berlin verkauft. Wüst hatte in seiner offiziellen Biographie lediglich angegeben, für eine Unternehmensberatung gearbeitet zu haben. Genaue Angaben hatte er dabei vermieden.
Der Duktus ist etwas undifferenziert -- Wüst hat "jahrelang politische Kontakte an Unternehmen verkauft", bitte? Etwas genauer kann man professionelle PA-Arbeit schon beschreiben, selbst wenn EUTOP tatsächlich "Kontakte verkauft" haben sollte, was normalerweise nicht der Kern von PA-Arbeit ist.

Meck geht etwas feinfühliger vor und sagt auch "Die Gunst der Regierenden ist nicht zu kaufen, die muss man sich verdienen", und lässt sich das von Utz Claasen (Ex-EnBW) betätigen. Was Unternehmen und Verbände politisch tun, ist zwar oft teuer, aber hat mit Parteien-Fundraising eher selten etwas zu tun. Meck: "Für die Parteikasse springt von diesem Geben und Nehmen kein Cent ab. Das Geld muss anders eingetrieben werden."

Parteispenden sind der offizielle, bei Firmen daher unbeliebte Weg: Die Gaben werden öffentlich ausgewiesen und in der Öffentlichkeit womöglich als anstößig empfunden. Etliche Dax-Konzerne spenden deshalb seit Jahren überhaupt nicht mehr.

Um trotzdem an das Geld der Industrie zu kommen, sind neben dem Sponsoring Anzeigen in Parteiblättern beliebt. "Da wird von der Politik oft versucht, Druck aufzubauen", berichtet ein Manager. Eine konkrete Gegenleistung für Spenden ist verboten, nicht aber die Einladung zum Dinner. Von einem gewissen Betrag an achten die Schatzmeister aller Parteien darauf, die Geber angemessen zu verköstigen. Spitzenleute der Partei werden vom Kassenwart regelmäßig zu sogenannten Spenderessen verdonnert.

"Die Abende sind oft eine Tortur", klagt ein ehemaliges Regierungsmitglied. "Unternehmer kotzen sich über die Politik aus, man sitzt höflich daneben und nickt, natürlich völlig folgenlos". Obendrauf erwartet der spendable Gast den ganzen Abend Demut und Dankbarkeit - wenig fällt Machtmenschen schwerer.

"Die Akquise von Spenden ist der schlimmste Teil meines Berufs", sagt ein Berliner Abgeordneter. Andererseits geben Lobby-Profis wenig auf diese vorgeblich exklusiven Abende: "Effizient ist das für Unternehmer nicht. Entschieden wird nicht im Restaurant, sondern im Büro mit Akten und Referenten." Auch sei das Bündel Scheine ein denkbar schlechtes Argument, Arbeitsplätze sind die Währung, die zählt, erzählt ein hauptamtlicher Lobbyist: "Nichts wirkt als Druckmittel besser." Je mehr Arbeitsplätze, desto wichtiger: Die Vorstandschefs der großen Konzerne pflegen den direkten Draht ins Kanzleramt, wenn sie einen parlamentarischen Abend spendieren, können sie sicher sein, dass da ist, auf wen es ankommt.

Der Mittelständler aus der Provinz braucht dagegen die professionelle Hilfe der Beziehungsanbahner, um Termine in Berlin zu organisieren. "Als Politiker habe ich noch nie Geld für ein Treffen mit Managern bekommen, ich bin mir aber sicher, dass Agenturen an mir schon Geld verdient haben", sagt ein ehemaliger Staatssekretär - wie hoch die Vermittlungsgebühr, also sein Marktwert, lag, hat er nie erfragt. Auch wenn Politiker kein Geld für Gespräche verlangen, eine noble Geste wüssten sie durchaus zu schätzen, behauptet der altgediente Strippenzieher Klaus Kocks: Statt Bares für den Amtsträger spende das Unternehmen für einen gemeinnützigen Zweck im Umfeld des Politikers, mit dessen freundlicher Empfehlung. "So kommen alle Kindergärten zu neuen Rutschen, was soll's?"

Eine Win-Win-Situation: Der Manager bringt seine Argumente an, der Politiker mehrt den Ruhm in seiner Szene, der Kindergarten freut sich sowieso. Die Tarife für solche Deals seien nach Rang gestaffelt, erläutert Kocks: "Unter 5000 Euro geht nichts, 50 000 ist zu viel."

So geht die nicht ganz neue Diskussion über Preislisten für Politiker als Lobby-Tool also weiter. Das Interessante an der aktuellen Debatte ist eigentlich, dass die Preislisten von den Parteien gemacht werden, nicht von den Lobbyisten -- Meck dreht sie wieder um.

An zwei Dinge sollte erinnert werden. Erstens: Bei Parteispenden DARF es rechtlich keine Gegenleistung geben, beim Sponsoring MUSS es rechtlich eine Gegenleistung geben. Wie die definiert wird, muss im Vertrag stehen. Weil es eine Gegenleistung gibt, ist es eine steuerlich voll absetzbare Betriebsausgabe. Bisher ist es Usus, dass zwischen der formalen, vertraglich fixierten Gegenleistung und den informellen Optionen getrennt wird - die CDU-Praxis hat das geändert. Vielleicht war es ehrlicher so, aber eben auch angreifbarer.

Zweitens: Die Professionalisierung der Public Affairs hatte einen Motor auch im Widerstand gegen den Geld-Faktor (Stichwort Moritz Hunzinger). Wie heißt es im Verhaltenskodex der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung? "de'ge'pol-Mitglieder üben zur Kommunikation und Realisierung von Interessen keinen unlauteren oder ungesetzlichen Einfluss aus, insbesondere weder durch direkte oder indirekte finanzielle Anreize."

Womit wir auch schnell wieder zur Debatte um das Lobbyistenregister kommen. Wenn das Fundraising der Parteien die Interessenvertreter so stark einbezieht, bleibt als logische Konsequenz nur, alle Sponsoring- und ähnlichen Ausgaben nicht nur in den Rechenschaftsberichten der Parteien klar auszuweisen, sondern auch im Lobbyistenregister.

Samstag, 27. Februar 2010

Digitales Astroturfing in sozialen Netzwerken

Kommunikationsberater und degepol-Ethikbeauftragter Heiko Kretschmer hat in seinem Strategieblog "6 Thesen" zur PR im Social Web formuliert. Essenz: Entweder transparent oder gar nicht. Unter anderem verlangt er für Grassroots-Kampagnen, "Digitales Astroturfing muss klar einzuordnen sein."

Toyota in Washington - Lobbying verhinderte Rückruf

Toyota muss sich im US-Kongress darauf einstellen, wegen seiner Pedal-Pannen weiter gegrillt zu werden. Wie die Washington Post und ihr Blogger Frank Ahrens (Economy Watch) berichten, hat der Konzern 2007 durch Lobbying einen großen Rückruf von Autos verhindern können. Nach internen Dokumenten hat das Toyota 100 Mio. Dollar Kosten gespart. Die Dokumente hatte Toyota an die mit der aktuellen Untersuchung beschäftigten Ausschüsse geben müssen. Nun steht der Vorwurf der Verschleierung im Raum, was Toyota heftig bestreitet.

Es geht um eine Präsentation des US-Chefs des Autobauers vom Juli 2009. Unter der Überschrift "Wins for Toyota & Industry" hieß es : "Negotiated 'equipment' recall on Camry/ES re. SA, saved $100M+, w/ no defect found." "SA" steht für "sudden acceleration", also plötzliche Beschleunigung. 2007 hatte die Aufsichtsbehörde National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) aufgrund von Kundenbeschwerden eine Untersuchung gestartet, ob sich Pedale und Fußmatten tatsächlich regelmäßig verheddern. Die Behörde ließ sich von Toyota überzeugen, dass das technische Problem eher am falschen Einlegen der Fußmatte durch den Besitzer hängt. 2007 kam es nur zu einem begrenzten Rückruf.

Toyota bereitet sich mit Hilfe zusätzlicher Krisenmanagement-Berater auf die nächsten Krisen-Wochen vor. Der Konzern ist in Washington allerdings schon lange politisch einflussreich; zu den Ressourcen gehören ein 32-köpfiges Lobbyteam auf dem Capitol Hill und eine lange Geschichte der Partei- und Wahlkampfspenden. Mehr als 40% der 125 Mitglieder der drei Ausschüsse, die die Toyota-Pannenserie untersuchen, haben im letzten Jahrzehnt Toyota-Gelder erhalten, berichtet die Post. Auch viele andere Kongressabgeordnete - vor allem solche mit Wahlkreisen, in denen Toyota-Betriebe, Zulieferer oder größerer Verkaufsnetze vorhanden sind - gehörten zu den Empfängern, ebenso wie Stiftungen und Nonprofit-Gruppen, die politischen Einfluss haben. Mehr hier.

Ex-Politiker in der Wirtschaft

"Ex-Politiker sind in der Wirtschaft so gefragt wie nie", meint Arno Balzer, Chefredakteur des Manager Magazins. In der aktuellen Ausgabe spürt die Titelstory "Der Kanzler-Bonus" den zweiten Karrieren von Spitzenpolitikern und dem Drehtüreffekt nach, angefangen mit "Wie Gerhard Schröder sein Geld verdient".

Als Bundeskanzler verdiente Schröder 240 000 Euro im Jahr. Als Pensionär kommt er laut Manager-Magazin rund 1,5 Millionen Euro. In erster Linie durch Vorträge (50 000 Euro pro Auftritt), Beraterhonorare (150 000) oder 250 000 Euro als Vorsitzender des Aktionärsausschusses von Nord Stream und weitere Posten. O-Ton Schröder: „Mir war klar, dass ich meine in der Politik zusätzlich erworbenen Kenntnisse nicht am Amtsgericht Hannover umsetzen kann, sondern besser in Form von Beratung an der Nahtstelle zwischen Wirtschaft und Politik."

Einige Details im Bericht sind recht interessant. So wird der Nordstream-Posten thematisiert. "Die Zusage kam zwei bis drei Monate zu früh", zitiert das Magazin Schröder-Vertraute. Schröder selbst habe die Nachricht bis nach Weihnachten unter Verschluss halten wollen. Nordstream aber ist zufrieden mit Schröders Hebelwirkung, unter anderem in Skandinavien.

In Paris berät Schröder das Bankhaus Rothschild & Cie. In Ankara trifft sich Schröder regelmäßig mit Regierungschef Erdogan trifft. Als Aufsichtsrat der TNK-BP in Moskau vermittelt er zwischen den russischen und britischen Anteilseignern.

Manager Magazin macht besonderes Interesse an Ex-Politikern bei Investmentbanken aus.

Lobbying in Kopenhagen

Das Corporate Europe Observatory (CEO) in Amsterdam gehört zu den prominenteren Kritikern jeglichen Lobbyings der Wirtschaft. Sehr genau haben die Watchdogs das Einflusstreiben bei der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen verfolgt. Als kleine Nacharbeit haben sie aufgeschrieben, wer ihrer Meinung nach dort besonders aktiv war. Trotz der Einseitigkeit der Darstellung lohnt sich ein Blick auf den Artikel. CEO teilt die in Kopenhagen aktiven Wirtschaftslobbies in 4 Gruppen auf:

  • "Climate profiteers", Klima-Profiteure, die sich von Maßnahmen des Klimaschutzes Vorteile versprechen,
  • diejenigen, die bestimmte Lösungen wollen, um weiter zu machen wie gehabt ("Business as usual"),
  • diejenigen, die ihren Kopf lieber in den Sand stecken ("sectoral myopia"), und
  • diejenigen, die offenen Widerstand leisten ("open war").

Zu den Klima-Profiteuren gehört nach Meinung von CEO das Biotech-Unternehmen Monsanto und der Round Table on Responsible Soy (RTRS), denn sie versuchen Gentechnik und spezielles Saatgut als klimafreundlich und nachhaltig darzustellen. CEO meint, besonders erfolgreich waren sie nicht, einige kleine Teilerfolge hätten sie aber erzielt (mehr im Artikel). Eine in Kopenhagen neu gegründete Koalition, die Global Research Alliance on Agricultural Greenhouse Gases, die sich mit der CCS-Technologie beschäftigt, gehört ebenso in die Kategorie wie die International Emissions Trading Association (IETA).

Die Ermöglichung von "business as usual" sei u.a. das Ziel gewesen von Shell und der südafrikanischen Sasol (synthetische Kraftstoffe, CCS-Technologie).

Zu den Ignoranten zählt CEO u.a. die International Air Transport Association (IATA) und die European Chemical Association (CEFIC).

Einen "offenen Krieg" gegen jede Art Regulierung betrieben laut CEO dagegen das American Petroleum Institute (API) und die American Coalition for Clean Coal Electricity (ACCCE).

Die Kategorisierung bedarf sicher der Kritik, aber jede Stakeholder-Analyse beginnt mit Annahmen über Interessen und Ziele. Insofern hilfreich für die Aufarbeitung des Geschehens bei der Klimakonferenz.

Platin-Fundraising und Preisstaffeln

Jetzt weiß Deutschland auch, was bei der CDU ein "Platin-Sponsor" ist und wie die Staffelung der Preise bei Partei-Veranstaltungen so aussieht. Neue Berichte über das Rüttgers-Sponsoring bei der taz, bei der Süddeutschen(hier und hier) und dem WDR. Laut taz wurden Sponsoren für den Zukunftskongress der NRW-CDU in Neuss am 5. März folgender Preisstaffel geworben:

Für 5.000 Euro gibt es einen Ministand und ein paar Freikarten für die Abendveranstaltung. Für 16.000 Euro ("Partnerpaket III") kommt man hingegen in den Genuss einer "moderierten Roadshow mit Herrn Dr. Jürgen Rüttgers", wie der Besuch an Messeständen im Marketing-Sprech heißt. Außerdem im Paket: "Platzierung eines Vertreters Ihres Unternehmens an den Top-VIP-Tischen" am Abend.
Organisiert von der Kölner Agentur bi:vent, die auch Veranstaltungen für die CDU-nahe "Initiative Forum Zukunft" managt. Deren "Innovationskongress" im alten Bundestag in Bonn folgt einem ähnlichen Konzept, so die taz: Ein Platz an den "Top-VIP-Tischen" kostet hier sogar 22.000 Euro. Beispiel: Ströer Deutsche Städte Medien (DSM, stets eng im Gespräch mit Kommunalpolitikern, aus naheliegenden Gründen) wurde ein ein solcher "Platin-Sponsor" und bekam auch ein Foto mit Rüttgers.

Wie vorausgesagt, wird weiter bundesweit recherchiert. Der Spiegel wurde bei der Sachsen-CDU fündig. Für kommenden Montag wurden Sponsoren der CDU-Veranstaltung "Denkfabrik Sachsen" vier "Präsentationsstufen" von 500 bis 8000 Euro angeboten; Stufen drei und vier beinhalten ein "kurzes Gespräch mit dem Landesvorsitzenden Stanislaw Tillich". Ab Präsentationsstufe drei (3900 Euro) wurde die Erwähnung ihres Firmennamens in der Begrüßungsrede des sächsischen CDU-Generalsekretärs Michael Kretschmer in Aussicht gestellt. Für Sponsoren der Stufe vier (8000 Euro) organisiert die CDU zudem noch "ein separates Fachgespräch im Rahmen der Veranstaltung", so der Spiegel. Man fragt sich: Fachgespräch mit wem? Fachminister, Fachpolitiker der Partei?

Die Süddeutsche berichtet: "Jahrelang finanzierte ein Zigarettenkonzern auf CDU- und SPD-Parteitagen die Versorgung der Teilnehmer und Gäste mit Essen und Trinken. Hübsche Mädchen verteilten dazu kostenlose Tabakwaren. Selbst die Grünen sammelten 2009 bei ihrem Berliner Kongress 76.000 Euro von 38 Ausstellern ein. Die Foyers mancher Tagungsorte gleichen inzwischen einer Messe."

Es ist leicht für die Journalisten, über die Praxis zu schimpfen. Inzwischen kommen aber auch differenzierte Kommentare. Die WirtschaftsWoche etwa kommentiert die Heuchelei vieler Politiker und Kritiker:

Was Wüst veranstaltet hat, war schlicht töricht in der Machart, nicht in der Sache. Das Angebot ist dreist und dumm: Wer 20.000 Euro zahlt, darf den Ministerpräsidenten sprechen. In der Sache aber, dem Sponsoring von Parteien ebenso wie dem von Turnvereinen oder anderen sozialen, karitativen und kirchlichen Institutionen, geschieht nichts Unrechtes. Und alle Parteien, die Sozialdemokraten genauso wie die Grünen, erhalten finanzielle Unterstützung von Bürgern oder Unternehmen und Vereinigungen. Ein demokratischer Staat muss ja gerade die Mitwirkung - auch die finanzielle - seiner Bürger wollen. Gewünscht ist doch, dass die Parteien eben nicht total aus der Staatskasse alimentiert werden. Nur muss immer wieder ganz klar deutlich werden, welche Mittel welcher Partei zufließen.
Richtig. Und die Transparenz, schon bei den Parteispenden aufgrund der hohen Veröffentlichungshürden und langen Verzögerung der Veröffentlichung nicht gut umgesetzt, ist bei den Nicht-Spenden-Einkünften der Parteien, besonders schlecht.

Die Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der aggressiven Direkt-Vermarktung von Politiker-Nähe wäre vor allem eine Frage der politischen Kultur, wenn alles andere rechtlich sauber und für alle transparent wäre. Nun wird immer deutlicher, dass Regulierungsbedarf besteht.

Der Druck zu mehr Transparenz wird sicher nicht abnehmen. Der Druck der Schatzmeistereien, neue Einkünfte zu erzielen und etwa Großveranstaltungen projektgebunden zu finanzieren, aber auch nicht. Die NRW-CDU hat in den letzten Jahren besonders große Schritte bei der Perfektionierung ihrer Kampagnenkommunikation gemacht, das ging nur mit viel Geld und unternehmerischen Esprit sowie professioneller Beratung. Es ist kein Zufall, dass gerade dort Fehler passiert sind, die nun im grellen Scheinwerferlicht stehen.

In der Debatte muss man aber auch den Kirchturm im Dorf stehen lassen. Die Süddeutsche zitiert:
Ob sich der Aufwand für die Verbände und Unternehmen lohnt, hängt von den jeweiligen Erwartungen ab. Es ist ja nicht nur die Standmiete fällig. Auch Ausstattung und Mitarbeiter müssen für die Zeit bezahlt werden, zuzüglich der Hotelkosten.

"Uns reicht es schon, wenn wir auf so einem Parteitag mit zwei oder drei Bundestagsabgeordneten ins Gespräch kommen", sagt ein Aussteller zu sueddeutsche.de, der sich vor allem auf Bundesparteitagen - von den Grünen bis zur CDU - präsentiert. Ob dann ein Parteichef bei seinem obligatorischen Rundgang vorbeischaut oder nicht, ist letztlich nur noch für das Familienalbum interessant. "Länger als zwei, drei Minuten bleibt der ohnehin nicht", sagt der Insider, der nicht genannt werden will. Es sei ihm aber bisher von keiner Partei angeboten worden, gegen Geld Termine mit Politikern wahrzunehmen.

Europäische Wirtschaftsregierung?

Die Idee einer "europäischen Wirtschaftsregierung" ist nicht totzukriegen. Noch vor kurzem hat sich Spaniens Premier Zapatero in die Nesseln gesetzt mit dem Vorschlag, beim Februar-Gipfel disziplinierende Sanktionsmöglichkeiten für EU-Mitglieder zu beschließen, die durch liederliche Haushalts- und Wirtschaftspolitik die Gemeinschaft gefährden. Die Sanktionsidee kassierte er wenige Tage später wieder ein, nicht zuletzt nach heftigem Widerstand aus Berlin. Aber mit dem Quasi-Mandat für Griechenland hat die EU schon jetzt eine gemeinsame Steuerungsverantwortung.

Die Zeit fragt: "Wie lässt sich das Wort von der »Wirtschaftsregierung« mit Leben füllen, wie schafft man einen besseren, den richtigen politischen Unterbau für die Währungsunion? Sicher ist bislang nur, was nicht passieren wird: Auf keinen Fall wird die EU-Kommission dauerhaft das Kommando übernehmen." Und weist gleich auf den "politischen Albtraum" hin, wie es wohl wäre, wenn Oettinger & Co. verbindlich Politik machen würden.

Gut, so bleibt nur, dass die nationalen Regierungen eben gemeinsam nationale Wirtschaftspolitiken so koordinieren, dass so etwas wie eine EU-Wirtschaftspolitik dabei herauskommt. Dabei ist der Europäische Rat das zentrale Forum und Entscheidungsgremium. Wie das aussehen kann, ist im Rahmen der Nachfolgestrategie zur Lissabon-Agenda 2010 und der "Deutsch-französischen Agenda 2020" die Kernfrage. Offenbar scheint sich Merkel den Vorstellungen von Kollege Sarkozy anzunähern. Van Rompuy drängelt auch in diese Richtung.

Die Willensbildung pro "Wirtschaftsregierung" nimmt allmählich Konturen an... aber ist, wo ein Wille ist, auch immer ein Weg? Man darf sehr gespannt sein, wie sich das tatsächlich umsetzen lässt. Qualitative und quantitative Vorgaben? EU-Inspektoren, die durch die Hauptstädte tingeln? Gruppenzwang bei jedem Regierungstreffen?

Schwer vorstellbar; in den meisten Fällen ist die EU bestenfalls indirekt zuständig und kann nur mit Subventionen und Anreizen steuern. Und der Europäische Rat ist rein formal die unverbindlichste, in der reellen Arbeit die informellste Institution, völlig abhängig von der Tagesform und Chemie seiner Mitglieder, der Regierungschefs.

Kann das alles intergouvernemental funktionieren, wenn man keine supranationalen Entscheidungen will? Irgendwann werden die Befürworter erklären müssen, wie sie sich das alles praktisch vorstellen.

Und: Hat Europas Wirtschaft dazu konstruktive Anregungen zu liefern?

Freitag, 26. Februar 2010

Parteispenden-Studie des MPI

Da derzeit viel über die Geldgeschäfte zwischen Unternehmen und Parteien diskutiert wird, möchte ich auf eine wichtige quantitative Studie des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Köln, von Martin Höpner von 2009 verweisen: "Parteigänger und Landschaftspfleger: eine Analyse der Parteispenden großer deutscher Unternehmen, 1984-2005". Höpner beschäftigt sich fast ausschließlich mit den klassischen Parteispenden im engeren rechtlichen Sinne, und die Daten sind inzwischen etwas historisch geworden, aber die Strategie-Diskussion ist auch breiter interpretierbar. Lesenswert.
Schnelle Zusammenfassung bei Hans Leyendecker von der SZ hier.

"Betriebsbesuch" bei Google

Eines der effektivsten Werkzeuge im Lobbying ist es, die eigenen Produkte zu erklären. Am besten im eigenen Betrieb, von den Leuten, die die Produkte entwickeln und managen (und nicht von den Lobbyisten). Neben dem klassischen Betriebsbesuch ist das Seminar eine immer häufiger genutzte Variante der politischen Veranstaltung; es zielt weniger auf Politikergespräche und Händeschütteln, mehr dagegen auf die Leute hinter den Politikern: Referenten, Büroleiter, Zuarbeiter, Leute, die mehr Hintergrundwissen brauchen, um zuarbeiten zu können. Und wenn man ihnen Nützliches anbietet, das sie auch selbst brauchen können, umso besser! Wie man die Veranstaltungskommunikation sinnvoll im Lobbying nutzt, hat Tina Leusbrock von Plato hier beschrieben.

Googles Produkte und Firmenpolitik stehen immer häufiger in der politischen Kritik, aber Google ist auch ein Werkzeug, das an jedem Polit- und Behördenarbeitsplatz täglich benutzt wird. Das Unternehmen bietet folgerichtig in Brüssel ein regelmäßiges Mittagsseminar namens Brussels TechTalk an. Nachzulesen auf dem firmeneigenen Europapolitik-Blog.

Jüngster Termin: Die Zukunft der Browser. Ein Alltagsthema. Launiger Hinweis: "Hell, you spent probably more time inside your browser than inside your car!"

In Brüssel lässt Goggle seinen GoogleChrome-Browser vom Produktmanager Anders Sandholm erklären. Eingeladen sind vor allem Leute aus den EU-Institutionen - aber wenn die Stühle und Sandwiches reichen, auch andere, die sich für den TechTalk registrieren. Immerhin offen. Ein "Blick unter die Motorhaube" wird versprochen, bei dem erklärt wird, warum ein Browser viel mehr ist als ein Fenster ins Internet. Persönlicher Nutzen, politischer Nutzen.

Gutes Timing: Am 1. März werden in der EU alle Windows-User automatisch gefragt, welchen Browser Sie nutzen wollen (Vorgabe der EU-Kommission im Microsoft-Verfahren).

Amerikanische IT-Unternehmen machen sich schon seit Längerem Blogs in der politischen Kommunikation zu Nutze. Zum Beispiel Intel, Microsoft, Verizon, Cisco und Yahoo.

Google hat neben dem EU-Blog mehrere auf die Politik zielende Blogs, hier und hier und hier, und den YouTube-Kanal CitizenTube könnte man auch dazu zählen. Betriebsbesuche im Googleplex finden sich mit Videos ("Policy Talks @Google") dokumentiert unter dem Label "Politicians at Google".

Dünne Luft für Chinas Raucher

Eine Milliarde Chinesen, und 350 Millionen rauchen - und zwar starkes Kraut. Trotzdem gibt es offenbar eine wachsende Anti-Raucher-Lobby. Sie ruft nach einem gesetzlichen Verbot von Spenden und Sponsoring von Tabakunternehmen bei Sport-, Freizeit- und Kulturveranstaltungen und der Weltausstellung, berichtet Public Affairs Asia.

Im Juli hat die Shanghai World Expo eine 200-Millionen-Yuan-Spende eines Tabakunternehmens abgelehnt, und im Oktober hat die Trägerorganisation der National Games neun Tabakunternehmen das gesamte Sponsorengeld zurückgegeben. Offensichtlich steckt eine neue Gesundheitspolitik der Regierung dahinter. Vermutlich besteht ein Zusammenhang mit dem Rahmenabkommen mit der WHO (Framework Convention on Tobacco Control, FCTC): Mitgliedsländer müssen danach Werbe- und Marketingmaßnahmen einschränken. China hat das Abkommen 2003 unterschrieben und ein Verbot bis 2011 zugesagt. Nun ist bald die Gesetzgebung im Kommen.

Wie US-Lobbyisten das Internet benutzen

"Advocacy 2.0: Lobbyists Use the Web to Target Messages" heißt ein interessantes Video von CQPolitics bei YouTube. Interviewt werden u.a. Peter Greenberger, Manager Google Elections and Issue Advocacy, Pat Cleary, VP Digital Public Affairs bei Fleishman-Hillard, und Kongressabgeordnete. Kernaussage: Man kann mit Social Media nicht nur enge Kontakte mit Wahlkreis und Wählerbasis pflegen, sondern Strategien im Bereich der Gesetzgebung umsetzen.

Diskutiert wird zum Beispiel, wie die Kampagne "Fix Housing First" den Home Buyer Tax Credit durchsetzte, und wie in der Klimadebatte mobilisiert wird.

Tim Hysom von der Congressional Management Foundation warnt aber, dass die Büros der Abgeordneten immer stärker überfordert sind – der Personalumfang ist nämlich immer noch so groß wie vor der Internet-Ära. Abgeordnete wie Senator Claire McCaskill (D-Missouri) meinen, dass die neuen Instrumente jetzt schon ineffektiver werden, weil sie zu viel von zu vielen genutzt werden. "Wenn ich 2000 Tweets in 15 Minuten bekomme, die alle dasselbe beinhalten, werde ich die sicher nicht alle genau durchlesen." Recht hat sie, aber als die Abgeordneten früher waschkorbweise Telegramme ins Büro geliefert bekamen, wurden auch die nicht alle gelesen - gewirkt hat es trotzdem.

Tweebate - digitale Zwischenrufe zum Live-Bundestag

Das Verfolgen einer Bundestagsdebatte etwa bei Phönix ist für junge Menschen etwa so attraktiv wie Sozialkunde und Bauchschmerzen", meint Jörg Ihlau von der Agenturgruppe Serviceplan/Saint Elmo's, die als Pro-Bono-Projekt Tweebate installiert hat: Eine Seite mit TV-Livestream von Bundestagsdebatten, auf der User erleben dürfen, "wie die Abgeordneten parallel auf Twitter die Diskussion per digitalem Zwischenruf verlängern." Damit, meint Ehlau, werde der Bundestag in ein Jugendmedium zurückgeholt. Mittwittern darf jeder (es gibt einen MdB-Stream und einen Social Stream).

Erster Testlauf war am Montag die Beratung des Petitionsausschusses über die Petition gegen das Zugangserschwerungsgesetz, gestern lief Tweebate schon ganz gut mit. Die "Zwischenrufe" von der Bank lassen aber an Würze noch zu wünschen übrig. Facebook-Fan von Tweebate darf man hier werden.

Nehmen wir an, Abgeordnete twittern während der Debatte und verfolgen ihrerseits externe Tweets mit - kann das Echtzeit-Feedback Einfluss auf die Live-Debatte haben? Wird auch die Public-Affairs-Szene das Tool nutzen? Wenn ja, wofür? Was könnte es helfen? Anwendung für Grassroots-Kampagnen?

Donnerstag, 25. Februar 2010

Mehr Sponsoring-Praktiken in der Politik

Die Medien schauen sich weiter an, wie Parteien - und auch Behörden, sogar in Kommunen - an Geld kommen. Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung mixt munter diverse Praktiken für seinen jüngsten Artikel; Stadtverwaltungs-Briefpapier mit Werbung, Leihbeamte in Ministerien, Anzeigen in der Parteizeitung... alles unter dem Begriff Sponsoring, was offensichtlich nicht ganz stimmt.

Er weist auch auf eine Studie "Sponsoring - ein neuer Königsweg in der Parteienfinanzierung?" des Institut für Deutsches und Europäisches Parteienrecht und Parteienforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hin, bereits 2006 als Symposiums-Bericht publiziert. Stark rechtswissenschaftlich orientiert unter Federführung von Martin Morlok. Wie in Düsseldorf üblich, kommen auch die Praktiker aus den Schatzmeistereien der Parteien zu Wort.

Leyendecker nimmt sich auch den Bericht des Bundesinnenministeriums (BMI) über die "Sponsoringleistungen an die Bundesverwaltung" vor. Danach nahm der Bund 2007 und 2008 rund 78 Millionen Euro ein, vorn dabei das Bundesministerium für Gesundheit, das 42,31 Millionen Euro erhielt. "Verwendungsschwerpunkt waren Maßnahmen zur Gesundheitsprävention", heißt es:
Tagungen von Ministerien oder das Sommerfest des Bundespräsidenten werden gesponsert. Befürworter des Regierungs-Sponsorings argumentieren, dass solche Gaben den Staatshaushalt entlasten. Andererseits verweist das BMI in seinem jüngsten Bericht darauf, dass solche Zahlungen "mit einem Anteil von 0,00014 Prozent an den Einnahmen des Bundes nur von marginaler Bedeutung" seien. Aber warum lässt sich dann eine Regierung von der Industrie überhaupt sponsern? "Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb", wusste schon der Apostel Paulus.

Grassroots-Kampagnen in der Schweiz

Kein Land in Europa hat so viel Erfahrung mit Volksabstimmungen wie die Schweiz, und die Schweizer Parteien und Interessengruppen (auch und gerade die Wirtschaftsverbände) sind hochprofessionell in der Kampagnenführung bei Referenda. In Deutschland kommt davon, leider, aufgrund begrenzter und oft schiefer Berichterstattung nicht so viel an. Es lohnt sich, in den einschlägigen CH-Blogs genauer hinzusehen, etwa bei Claude Longchamp, einem der führenden Meinungsforscher und Strategen (und aktiven Blogger).

Longchamp weist seit einiger Zeit darauf hin, dass die Rolle der Grassroots-Mobilisierung über das Internet zunimmt, und hat dazu ein Forschungsprojekt aufgesetzt. Interessante Einsicht in einem Bericht in der Berner Zeitung:

"Das kann so funktionieren: Polemische Youtube-Filmchen machen in Facebook-Netzwerken die Runde und können rasant grosse, informelle Gruppen bilden, die sich unvermittelt und im letzten Moment dazu bewegen lassen, abzustimmen. Diese beiden Effekte treten dann stark auf, wenn ein unter dem Deckel gehaltenes Thema in einem Abstimmungskampf erstmals breit thematisiert wird."

Mittwoch, 24. Februar 2010

Finanzmarktregulierung: (K)eine Antwort auf "Too big to fail"


Seit der Finanzkrise kennen wir den Begriff "systemisches Risiko". Finanzinstitute wurden in der Krise von der Politik gerettet, weil sie "systemrelevant" sind - sterben dürfen sie nicht, weil sie zu groß sind. "Too big to fail", heißt das populärer ausgedrückt.

Washington hat daraus lernen wollen und ein politisches Konzept gestrickt, nach dem der Staat - analog zur Wettbewerbsaufsicht - Unternehmen zerschlagen kann, wenn sie zu groß und damit ein systemisches Risiko werden. Im US-Kongress werden dazu gerade neue Gesetze geschrieben. "Preemptive breakup authority" nennt sich der Knüppel der Regierung.

Das ist ein ziemlich kompliziertes Thema. Einige Lobbies - sogar die mittelständischen, die stets über die Rettungsringe für die Casino-Konzerne geschimpft haben - fürchten, dass es hier zu Wettbewerbsverzerrungen, Willkür und unbeabsichtigten Gesetzesfolgen kommen könnte.

Aus der Versicherungsbranche kommt dazu ein interessantes White Paper. Die Property Casualty Insurers Association of America hat einen Bericht veröffentlicht, "‘Too Big to Fail’, Too Short-Sighted to Succeed." Kernthese: Es ist eine dumme Idee, das Systemrisiko eines Unternehmens allein nach seiner Größe bestimmen zu wollen. Es komme nicht darauf an, wie groß ein Finanzinstitut sei, sondern was es wie tue. Mögliche Folgen der derzeitigen Gesetzesvorschläge wären demnach nicht nur die Fehlidentifizierung von Risiken, sondern sogar Anreize für mehr, nicht weniger, riskante Geschäfte. Ein echter "moral hazard", meinen die Autoren, und volkswirtschaftlich ineffizient. Sie schlagen alternative Kriterien vor.

Ein spannender Brandbrief mit guten Argumenten, vielen Grafiken, Vergleichen und historischen Zusammenhängen. Wäre hilfreich auch für die europäische Diskussion.

NRW School macht den "Hammelsprung"

"Hammelsprung" heißt das neue Magazin der NRW School of Governance an der Uni Duisburg-Essen, redigiert und geschrieben von Studenten. Forschung, Kommentare, Zeitgeistiges und mehr. Die erste Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema "Internet & Politik - Strohfeuer und Dauerbrenner". Kreative Politikwissenschaft aus der Korte-Schule.

Online-Politikvermittlung

Britta Rottbeck promoviert an der Uni Münster über die Online-Kommunikation im Wahlkampf. Sie bloggt gleich mit, als Selbstexperiment - "ein kleines, feines, virtuelles und vielleicht sogar virulentes Versuchslabor". Einsichten einer Politikwissenschaftlerin auf Online-Politikvermittlung.de.

Reformkommunikation und ein "Lehrstuhl für Propaganda"

"Wird es am Bodensee bald die erste Professur für Propaganda nach 1945 in der Bundesrepublik geben?", fragte Rudolf Stumberger bei Telepolis; und fand Kopisten. "Lehrstuhl für Spinning ausgeschrieben", textet der Spindoktor, und auch Heftklammer, Goldseiten und unsereunibrennt greifen das auf.

Gemeint ist eine neue Juniorprofessur für Reformkommunikation an der privaten Zeppelin University in Friedrichshafen, die sich seit Längerem um die Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Kommunikation kümmert.

Die Friedrichshafener werden sich über die Propaganda zum "Lehrstuhl für Propaganda" bestimmt freuen, selten bekommt eine Juniorprof-Ausschreibung soviel Aufmerksamkeit. Obwohl Zeppelin sagen müsste, dass es sich weder um Propaganda noch um einen Lehrstuhl handelt. Bei der Lehrprobe vor der Berufungskommission können die Bewerber ja anhand der Blog-Kommunikation gleich die Begriffsdynamik im Web 2.0 analysieren.

Telepolis definiert beherzt:
Reformkommunikation, das ist, was das wissenschaftliche Ordnungsgefüge anbelangt, ungefähr so, als wenn man innerhalb der Veterinärmedizin noch eine Professur für das Schweineschlachten ansiedelt. Und das, was bei der "Reformkommunikation" geschlachtet werden soll, ist der mündige Bürger. Denn wie man ihm das Fell über die Ohren zieht und er dabei noch immer meint, das sei zu seinem Besten, das ist der Gegenstand der "Reformkommunikation".
Autsch.

Stumbergers rhetorisches Schlachtefest mal beiseite, sein Text weist immerhin daraufhin, dass der Begriff "Reformkommunikation" inzwischen eine Begriffskarriere hinter sich hat. Vermutlich hat Stumberger einfach mal gegoogelt, weil ihn der Begriff interessierte. Und wurde fündig bei einer älteren Tagung der Bertelsmann-Stiftung, die sich natürlich vielseitig auf Reform versteht, und bei der INSM, laut Selbstbild "Agentur für Reformkommunikation", bekanntlich auch eine Agentur für Gesamtmetall-Kommunikation. Die Thesen zur Bertelsmann-Tagung sind übrigens immer noch recht lesenswert.

Reformkommunikation ist freilich seit langem Kernthema aller Professuren und wissenschaftlichen Arbeitsgruppen, die sich mit politischer Kommunikation beschäftigen.

Seit es politische Reformen gibt, sind sie schwierig, und sie sind schwierig, weil sie (a) Interessenkonflikte verschärfen und (b) Reformer meist wenige lauwarme Unterstützer, aber dafür viele laute Kritiker vorfinden. Reformen (und Regierungen) scheitern oft, weil Ziele und Mittel nicht überzeugend kommuniziert werden.

Da es bei der Politik stets um Veränderung geht, dreht sich fast alle politische Kommunikation um Reformkommunikation, so oder so. "Veränderung bewirkt stets eine Veränderung", wusste schon Machiavelli, dessen Werk sich ja ohnehin um Veränderung und Erhalt einer neuen Ordnung drehte. Der oft gehörte Zitat-Bestseller aus dem Fürsten:
„Kein Vorhaben ist schwieriger in der Ausführung, unsicherer hinsichtlich seines Erfolges und gefährlicher bei seiner Verwirklichung, als eine neue Ordnung einzuführen; denn wer Neuerungen einführen will, hat alle zu Feinden, die aus der alten Ordnung Nutzen ziehen, und hat nur lasche Verteidiger an all denen, die von der neuen Ordnung Vorteile hätten.“

Der Begriff ist in der Literatur daher längst verankert, heute gern mit Bezügen zur Veränderungskommunikation im Change Management von Unternehmen, heute fast schon eine eigene PR-Disziplin, und mit dem Thema Führung. Gestanzt wurde der Begriff Reformkommunikation erst im Zuge der großen Sozialstaatsreformen in Europa und in den USA seit den 1990ern.

Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg-Essen, NRW School of Governance, publizierte dazu, empfehlenswert, 2008 den Sammelband "Wohlfahrtsstaatliche Reformkommunikation: Westeuropäische Parteien auf Mehrheitssuche", ein Vergleich von Schweden, Frankreich und Großbritannien mit den deutschen Erfahrungen der Agenda 2010. Ein Seminar dazu hier.

Die Temperaturkurve beim Wort "Reformkommunikation" ist eigentlich schon weit unten, heiß war der Begriff bei den Praktikern eigentlich vor fünf Jahren. Heiko Kretschmer, damals Kommunikationsberater der Regierung, schrieb dazu 2006 einsichtige Stichworte auf ("Reformkommunikation ist Change-Kommunikation"), noch einmal nachzulesen auch im Handbuch Regierungs-PR von Schuster/Köhler, in dem Reformkommunikation bei vielen Autorenbeiträgen eine zentrale Rolle spielt. Matthias Machnig hatte jüngst in einem Fachgespräch auch einiges zu den Strategien der Reformkommunikation zu sagen, lesenswert.

Natürlich greifen wir Reformkommunikation auch im Studiengang Master of Public Affairs Management am WIT auf, versprochen. Mit der Begriffsgeschichte von "Propaganda" sollten wir anfangen...

B2G Business-to-Government - ein schärferer Wind

In offenen Wunden stochert Hannes Koch bei Spiegel Online in seinem Artikel "Einkaufsmethoden des Staates: Billig um jeden Preis" . Bei der öffentlichen Beschaffung dulden und forcieren Politiker genau das, was sie in der Wirtschaft sonst gern kritisieren -- bei Sozial- und Umweltstandards Kompromisse machen, um eine besseren Schnitt zu machen. Von Mindestlöhnen meistens keine Spur. Koch ätzt, "Der Staat schafft einen Niedriglohnsektor".

Beim rasant steigenden Schuldenstand der öffentlichen Haushalte ist zu erwarten, dass das nicht besser wird — sondern fieser. Die Beschaffungs-Lobby wird sich warm anziehen müssen – aber für manche Unternehmen warten da vermutlich auch Chancen.

Das ist nur eine Facette beim Dauerproblem Vergaberecht und Vergabepolitik, mit dem sich Unternehmen und Verbände auseinandersetzen müssen - und für Änderungen im deutschen und europäischen öffentlichen Wirtschaftsrecht lobbyieren.

Beziehungen zwischen Unternehmen und Staat drehen sich häufig um die Aufträge und Bestellungen der öffentlichen Hand. Vergabe- und Ausschreibungs-Lobbying spielt entsprechend im "B2G" (Business-to-Government)-Geschäft eine große Rolle. Naiv ist, wer die Ausschreibungen für ein rein formales, neutrales Bewertungsverfahren hält.

Lobbying ist Teil des Marketing, Vertriebsleute sind de facto Lobbyisten - auch wenn sie z.B. mit Gesetzgebung, Parlamentariern und Ministerien wenig oder gar nichts zu tun haben. Wir reden hier von Hunderttausenden Vergabeverfahren, die von 30.000 öffentlichen Vergabestellen durchgeführt werden. Für rund 360 Milliarden Euro kauft der deutsche Staat einschließlich Kommunen und öffentlicher Unternehmen)pro Jahr Waren und Dienstleistungen; die öffentliche Nachfrage macht knapp 15 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes aus, rechnet Koch bei Spiegel Online vor.

Die Vergaberechtsreformen 2009 - viele Details dazu im Vergabeblog, im Forum Vergabe und im Beschaffernetzwerk - waren wohl der Startschuss für einen Lobbymarathon.

BDI und 11 weitere Verbände (u.a. ZDH, HDB, VDMA, ZVEI, Kammern)und Gewerkschaften (DGB, IGBAU) haben im November 2009 eine gemeinsame Erklärung zur Reform des Vergabrechts abgegeben, die uns wohl noch etwas beschäftigen wird (im Koalitionsvertrag 2009 gibt es ja einige Aussagen, die den Petenten Hoffnung machen.

Wer vom rechtspolitischen Feldherrnhügel hinabsteigt, stellt fest, dass Unternehmen oft ganz grundsätzliche Probleme mit dem B2G-Geschäft haben.

Zur Erweiterung der Diskussion nutzt auch hier der Blick in die USA. Im amerikanischen Blog "Procurement Insights" gibt es zu den kniffligen Unternehmensproblemen im Geschäft mit dem Staat eine interessante Serie.

Beim Blog Essential Connections fragen sich die Schreiber, was die drei größten B2G-Herausforderungen sind. Nur ein Beispiel aus der erhellenden Diskussion, ein paar Basics:
  1. den öffentlichen Markt und die Unterschiede zwischen B2B/B2C einerseits und B2G überhaupt verstehen -- oft geht schon der Markteinstieg richtig schief, weil das Wissen fehlt, Berater falsch beraten, der Bedarf falsch eingeschätzt wird;
  2. zu verstehen, WIE die Behörde kauft, denn die Bandbreite der Verfahren und Standards ist riesig; und
  3. die Einkäufer sinnvoll zu beeinflussen und dafür die passenden Kommunikationsmittel zu wählen.

Mehr Vorschläge, was die drei Herausforderungen sind, von Experten hier. Interessante Diskussion, die ich in der deutschen Public-Affairs-Szene etwas vermisse - nur etwas für Vergabejuristen?

Auch für EU-Märkte brauchbare Expertentipps aus den USA kann man sich abholen bei Mark Amtower, Autor des Buches "Government Marketing Best Practices", er betreibt auch ein eigenes Blog, Federal Direct. Verfahren mögen anders sein, die Grundprobleme nicht. Allerdings: Wer aus Deutschland in den USA mit dem Staat Geschäfte machen will, sollte als erstes Amtowers Quiz testen - man merkt gleich, die Lernkurve ist steil...

Dienstag, 23. Februar 2010

Kartellbehörde für Lobbyisten

Differenzierte Medienkommentare zum Einfluss von Interessengruppen auf die Politik sind nicht eben häufig, aber Falk Heunemann von der FTD hat einen unter der launigen Überschrift "Lobbyismus ist doch prima" geschrieben. Er weist richtig darauf hin, dass "Lobbyismus" historisch stets ein Kampfbegriff war, ein naiver dazu. Seine These:
"Die Kritik am Einfluss von Verbänden auf die Regierung ist ebenso scheinheilig wie unangebracht. Lobbyisten machen gute Gesetze erst möglich - und sind an schlechten nicht schuld... Lobbyisten sind notwendig für jeden demokratisch verfassten Staat. Ohne sie könnte er gar nicht funktionieren."
Etwas merkwürdig ist allerdings Heunemanns Formulierung, das Parlament sei eine "Kartellbehörde" für die Lobbyisten. Er meint das Richtige, liegt mit dem Begriff aber schief. Ein Kommentar zum Kommentar stellt fest:
Der Vergleich des Parlaments mit dem Kartellamt hinkt. Das Parlament ist in erster Linie keine regulierende Behörde für die Verbände, die eine Machtbalance in einem bestimmten Politfeld anstrebt, sondern ist damit beauftragt, Entscheidungen zu treffen, die eine viel weitere Tragweite haben. Somit besteht ein qualitativer Unterschied zwischen einem Kartellamt und einem Parlament, der eine Trivialisierung des Problems der Einflussnahme in dieser Form nicht zulässt.
Die Regulierungen für Verbände, die bisher unternommen wurden, sind im Gegensatz zu jenen, die ein Kartellamt in der Regel erlässt, unzureichend, um eine effektive Machteinschränkung eines bestimmten Akteurs zu gewährleisten. Außerdem liegen dem Kartellamt ausreichend Informationen zugrunde, die auf den Machtumfang des Akteurs schließen lassen. Bei Verbänden in Deutschland ist dies eben nicht der Fall. Die erwähnte Lobbyliste ist unzureichend (Hier hätte ich von einem FTD-Journalisten eine gründlichere Recherche erwartet). Sie ist weder verpflichtend noch muss aufgezeigt werden, wie hoch die finanzielle Ausstattung für die Lobbyarbeit ist. Ein fairer Lobbyisten-Wettbewerb wäre demnach nur durch ein höheres Maß an Transparenz möglich.
Es wäre anzumerken, dass ein Kartellamt sich mit ordnungs- und wettbewerbspolitischen Vorgaben der Regierung beschäftigt und auf dieser Basis reguliert. Beim Lobbying geht es aber um die Ausübung von Grundrechten, die kann man nicht so einfach regulieren, selbst wenn es zu unerwünschter Kartellbildung kommt.

Welche Grundrechte? Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 GG), Vereinigungsfreiheit (Art. 9) und das gern vergessene Petitionsrecht (Art. 17): "Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden."

Nebenbei bemerkt: Der deutsche Korporatismus, historischer Bestandteil unseres politischen Systems, baut geradezu auf Kartellbildung - bei Arbeitgebern und Gewerkschaften hat die rechtliche Ausnahme vom Kartellverbot sogar Verfassungsrang.

Politisches Fundraising - Partner-Pakete und "Gespräche gegen Geld"

Der Wirbel um die Parteitags-Vermarktung bei der NRW-CDU erreicht die anderen Parteien. Der Spiegel hat nicht lange gebraucht, um festzustellen, dass auch bei der SPD interessante Marketingkonzepte umgesetzt werden, die viel mit Veranstaltungen zu tun haben (über den Vorwärts). Es ist abzusehen, dass auch über das Fundraising von Grünen und FDP (Bürgerfonds), vielleicht auch von anderen, demnächst mehr zu hören sein wird.

Ich frage mich, was sich die zahlreichen Journalisten, die von Parteitagen berichten, in den letzten Jahren so gedacht haben, als sie an den Unternehmensständen vorbeispaziert sind oder die Veranstaltungskalender durchgesehen haben? Der Sinn der Präsenz von Unternehmen auf Parteitagen und anderen Parteiveranstaltungen ist (a) Zugang zu Spitzenpolitikern in informellen Gesprächen und (b) Einkünfte für den Veranstalter.

Das ist in den letzten Jahren immer intensiver betrieben geworden. Handwerklich gesehen, war der einzige Fehler der NRW-CDU, das allzu plakativ in den Werbeschreiben verdeutlicht zu haben. Ein klares Quid-pro-quo. Andere machen den Fehler nicht (mehr), aber die Grundidee ist die gleiche.

Ein Selbstgänger für Watchdog-Gruppen wie LobbyControl: "verdeckte Form der Parteienfinanzierung", "Feudalismus", "Parteitage sind zu Lobby-Messen verkommen". Nicht ganz fair, aber auf den Punkt.

"Einnahmen aus Veranstaltungen" werden in den Rechenschaftsberichten der Parteien längst nicht so detailliert dokumentiert wie offizielle Spenden, sie sind rechtlich keine Spenden und werden auch nicht so verbucht. Was die Schatzmeister mögen, und die "Kunden" ebenso.

Zudem gibt es bei solchen Veranstaltungskonzepten auch eine ordentliche Rechnung, die Ausgaben sind für die Unternehmen voll (und anders als bei Spenden nicht beschränkt) absetzbar.

Die Parteien-Fundraiser wissen (wie ihre Kollegen bei Stiftungen, Charities und NGOs), dass die großen Spender bei relativ geringem Aufwand die größten Einkünfte liefern. Das Kleinspender-Fundraising ist in Deutschland noch längst nicht so professionell, dafür fehlen einfach die Ressourcen und wohl auch die Spenderkultur, um eine Obama-Massenspenderbasis aufzubauen.

Konsequenz: Verfeinerung der Angebote für diejenigen, die sich von Berufs wegen um Kontakte zur Politik bemühen.

Natürlich haben die Parteien Referenten für Unternehmenskontakte, die im Vertreterköfferchen Zugangschancen anbieten. Originalzitat im öffentlichen XING-Profil eines Grünen-Fundraisers in der Rubrik "Ich biete:" "direkten Zugang zu Gesprächspartnern in Parteispitze und Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, (gemeinsame) Veranstaltungsideen, parteiübergreifende Kontakte in Politik, Wirtschaft und Medien".

Auf der Website des FDP-Bürgerfonds kann man zahlreiche Fundraising-Events bestaunen, bei denen sich Spender und Parteiprominenz gemeinsam vergnügen. Natürlich werden hier auch politische Gespräche geführt. Und natürlich gehen zu den Veranstaltungen nicht nur einfache Sympathisanten, sondern auch Interessenvertreter.

Natürlich haben alle deutschen Parteien längst von den Amerikanern gelernt, bei denen die Teilnahme am Politiker-Fundraising Routine für Lobbyisten ist; aber auch von Franzosen und Briten.
  • Großspender landeten schon vor Jahren bei den Tories automatisch in Förderkreisen wie "Fastrack", "Entrepreneurs Forum", "Team 2000", "Renaissance Forum" oder dem "Front Bench Club" und sonstiger "Donor Clubs", der Vorsitz stets in der Hand von Spitzenpolitikern und ehrwürdigen Lords;

  • Labour stellte den "Thousand Club" auf (Vorteile: Einlasskarte Parteitag, Weihnachts- und Sommerempfang, Tickets zu VIP-Events "An Audience With..." (z.B. Ministern), ermäßigte Tickets zu Gala- und Fundraising Dinners...
Club-Modelle, VIP-Events - das wurde in Deutschland bereits seit einem Jahrzehnt zielgerichtet ausgebaut, das beste Beispiel dafür ist seit 2002 der FDP-Bürgerfonds; und die Praxis ist eben auch schon bei den Landesverbänden angekommen.

Das ist durchaus nicht per se unethisch -- solange man das transparent macht, die rechtlichen Vorschriften einhält und kein Quid-pro-quo anbietet, schon gar nicht als Regierungspartei mit Regierungsmitgliedern. Offensichtlich fehlen hier professionelle Standards. Der Rücktritt des CDU-Generalsekretärs erscheint mir allerdings wie eine Panikreaktion.

Ich bin nun gespannt, wie die Unternehmen reagieren werden. Kommt es jetzt zu einer negativen Berichterstattungswelle und organisierter Empörung, könnte das die Wirtschaft verschrecken. Was denken sich dann die Parteien als Alternative aus? Das muss nicht besser werden.

Die Parteien haben ein echtes Finanzierungsproblem. Die Deckelung der staatlichen Subventionen und die steigenden Wahlkampf- und Kommunikationskosten erfordern professionelles Fundraising, und das heißt Spenden, Sponsoring, Veranstaltungseinnahmen. Parteizentralen machen es, Einzelkandidaten auch. Sie müssen.

Umgekehrt müssen sich auch professionelle Interessenvertreter dem Thema stellen. Ich habe den Eindruck aus vielen Gesprächen, dass das immer noch ein Tabuthema ist. Man macht es, irgendwie, mal zielgerichtet, mal als "Landschaftspflege"; man folgt den Angeboten der Politiker (die werden schon dafür sorgen, dass es sauber ist und sauber aussieht). Und man spricht nicht darüber. Man weiß ja, was die Medien daraus machen.

Ein Fehler. Die nächste Regulierungsforderung kommt bestimmt und wird den Transparenzdruck erhöhen. Es wäre hilfreich, wenn sich die Unternehmen, Verbände, Beratungsgesellschaften und die Berufsverbände - wie die degepol - des Themas annehmen.