Dienstag, 30. November 2010

Subventionen: "Die Kunst der Bevorzugung aller gegen alle"

Götz Aly ist immer für provokante Zitate aus der Geschichte gut. In seiner Kolumne "Die Kunst der Bevorzugung" schreibt der Sozial- und Wirtschaftshistoriker heute in der Berliner Zeitung:

"Wer wissen will, mit welchen Tricks die Merkel-Regierung Steuer- und Subventionspolitik betreibt, soll Ludwig Bamberger lesen. Obwohl seit 111 Jahren tot, schrieb er darüber so aktuell, als würde er im Bundeskabinett lauschen."

Der Nationalliberale Bamberger war 1848 Revolutionär und Abgeordneter in der Paulskirche, im Kaiserreich Mitgründer der Deutschen Bank, Reichstagsmitglied und Finanzpolitiker ("Vater der deutschen Mark und der Reichsbank"), zunächst Unterstützer Bismarcks - aber dann dessen erbitterter Gegner, als Bismarck sich einer Schutzzoll- und Klientelpolitik zugunsten von Großagrariern und Stahlbaronen von liberalen Ideen des freien Wettbewerbs verabschiedete. Aly zitiert aus Bambergers Kommentar zur deutschen Steuerpolitik 1881 und 2010:
"Die Kunst der Bevorzugung aller gegen alle besteht in dem Geheimnis: Wenigen berechenbare wirkliche Vorteile und Vielen unberechenbare eingebildete Vorteile zuzuwenden, ebenso Wenigen berechenbare geringe Lasten und Vielen unberechenbar große Lasten aufzuerlegen.

Wie alle innerlich unwahren Systeme kommt auch dieses nicht aus ohne zweierlei Maß und Gewicht. Solange es sich um Maßregeln zum Vorteile der wirklich Begünstigten handelt, stellt man sich auf den Boden des sogenannten praktischen Verstandes.

Der einzelne Fabrikant oder Grundbesitzer holt seine Bücher herbei und weist mit Ziffern nach, dass er nicht bestehen könne, wenn man ihm nicht Sicherheit gebe, gewisse Preise zu erzielen. Macht jemand den Einwurf, dass solche Vorteile nur unter entsprechender Beschädigung der anderen eingeräumt werden können, so erhebt sich der ,praktische Verstand' mit dem Schrei der Entrüstung gegen die Theorie, die mit allgemeinen Betrachtungen das handgreiflich Fassbare wegdemonstrieren wolle.

Nicht so jedoch, sobald es gilt, den Vielen die Vorteile zu Gemüte zu führen, welche ihnen aus der Begünstigung der Einzelnen angeblich erwachsen.

Ein Dutzend Fabrikanten bringt es bei einiger Geschicklichkeit nicht selten fertig, dass ein Volksvertreter ihnen gegenüber in Meinungsabhängigkeit gerät; gleicherweise eignen sich sogenannte Sachverständigenkollegien ihrer Natur nach viel mehr dazu, die großen Interessen einer konzentrierten Minderheit als diejenigen der ihrer Vorteile viel weniger kundigen Gesamtheit zum Ausdruck zu bringen." (Bamberger, Sezession, Berlin 1881.)
Die schwarz-gelbe Politik, so Aly, funktioniere nach dieser vor 130 Jahren beschriebenen Methode. Allerdings, müsste man ergänzen, funktioniert das nicht nur bei Merkel/Westerwelle so. Es klappt auch bei anderen Regierungen ziemlich gut.

Montag, 29. November 2010

Der Marktwert eines Lobbyisten - US-Studie zeigt Rendite von Ex-Arbeitgebern im Parlament

"Direkte Kontakte mit der Politik zahlen sich für Lobbyisten aus", stellt das Handelsblatt heute über den Bericht einer US-Studie fest. Ach wirklich. Diese Erkenntnis wirkt auf den ersten Blick nicht bahnbrechend. Nimmt man sich das Arbeitspapier "Revolving Door Lobbyists" der drei zitierten Forscher von der London School of Economics (LSE) aber einmal genauer vor, sind die Resultate schon der Rede wert.

Konkret geht es um Mitarbeiter von Lobby-Agenturen, die zuvor für Abgeordnete im amerikanischen Senat gearbeitet haben. In Washington sind rund 25.000 Lobbyisten im US-Bundeslobbyistenregister gemeldet. Vertreter von Agenturen und Beratungsgesellschaften müssen ihre Tätigkeit und Einkünfte für bestimmte Klienten offenlegen, und die Lebensläufe der Lobbyisten sind auch nachvollziehbar (zum Beispiel ganz einfach auf der Website der jeweiligen Agentur, in Datenbanken wie Lobbyists.info oder LegiStorm Congressional Staffer Salaries (CSS), schließlich in den Angaben im Lobbyisten-Ranking des Magazins Washingtonian).

"Wer die Drehtür genommen hat, verdient mit stolzen 320.000 Dollar pro Jahr im Schnitt doppelt so viel wie ein Kollege, der vorher nicht für einen Abgeordneten tätig war", fasst das Handelsblatt zusammen. "Dabei gilt: Je länger der frühere Arbeitgeber schon im Parlament sitzt und je mächtiger die Ausschüsse sind, denen er angehört, desto höher die Einnahmen des Lobbyisten."
Ein kausaler Zusammenhang müsse das noch nicht sein, schreiben die Autoren. Es könne auch das individuelle Talent schuld daran sein, dass man erst einen guten Job im Parlament bekommt und später als Lobbyist viel Geld verdient. Eine zweite Analyse bestätigte den Verdacht, dass vor allem persönliche Beziehungen zu Geld gemacht werden. So prüften die Forscher, wie sich das Einkommen eines Lobbyisten entwickelt, wenn der Abgeordnete, für den er früher gearbeitet hat, das Parlament verlässt. Die Daten zeigen einen dramatischen Einkommensverlust von 180.000 Dollar pro Jahr. Wird der Abgeordnete abgewählt, enden also auch die goldenen Zeiten des Lobbyisten.
Das mit reichlich Statistik durchzogene Paper stellt fest, dass sich die "Drehtür" (revolving door) wirklich sehr direkt auszahlt. Lobbyisten mit Erfahrung im Büro eines US-Senators müssen einen 24-prozentigen Abfall ihrer Einkünfte verkraften, sobald der alte Arbeitgeber seinen Abschied aus dem Senat nimmt. Der Effekt, so die Wissenschaftler, sei sofort feststellbar und habe eine Langzeitwirkung. Je höher die Position des Altkontakts, desto steiler der finanzielle Fall des Lobbyisten. Beim Repräsentantenhaus ist der Effekt übrigens deutlich schwächer ausgeprägt. Interessanterweise steigt mit dem Ausstieg des Ex-Arbeitgebers auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Lobbyist aufgibt.

Die Wissenschaftler meinen, dass sich bestätige, was viele schon immer geahnt haben: Lobby-Agenturen verkaufen ihr Netzwerk.
Zwar behaupteten Interessenvertreter gern, "what you know" sei wichtiger als "who you know", doch die Forscher bezweifeln dies. Ja, Expertise sei wichtig, aber Beziehungen noch mehr. Die Nachfrage nach Lobby-Dienstleistungen ist für sie umso höher, je besser sie dafür bekannt sind, dass der Lobbyist einem bestimmten, möglichst mächtigen Politiker nahe steht. Die Wissenschaftler verstehen die Polit-Kontakte-Welt als Markt, der recht schnell reagiert.

Der "Marktwert" eines Lobbyisten ist über die Qualität und Quantität seiner herausgehobenen Kontakte zu Spitzenpolitikern bestimmbar -- die knappe Ressource verschafft dem Interessenvertreter eine großzügige Prämie.

Als direkten Beweis für die Existenz einer Amortisation und Rendite für Ex-Mitarbeiter von Parlamentariern wollen die Forscher ihre Ergebnisse nicht gewertet wissen. Dennoch sei unübersehbar, dass die Nachfrage der Lobbydienste durch Unternehmen und Interessengruppen von der Erwartung geprägt sei, dass sie für ihr Lobbyistenhonorar eine gute Gegenleistung erhalten – nämlich freundliche Gesetzgebung.

Außerdem implizierten die Ergebnisse, dass die Abgeordnetenmitarbeiter bei der Karriereplanung gewisse ökonomische Anreize hätten. Ihre Zeit bei einem mächtigen Politiker kann relativ kurz sein, aber sobald die Beziehung aufgebaut sein, hat der Mitarbeiter die Chance, das Büro zu verlassen und als Lobbyist deutlich mehr Geld zu verdienen. Jedenfalls so lange, wie der Wert des Kontakts anhält und zu Geld gemacht werden kann. Beziehungen zu Spitzenpolitikern sind ein verderbliches Gut.

Nicht alle Mitarbeiter von Politikern dächten so, betonen die Forscher. Die Politiker-Stäbe zögen aber durchaus auch Menschen an, die nicht unbedingt aus Kompetenz- oder ideologischen Gründen in den Dienst eines Politikers träten, sondern weil sie sich durch die Beziehungen zu ihm einen späteren finanziellen Gewinn versprächen.

Das, so die Forscher, ließe sich relativ einfach zurückdrängen: nämlich durch Vorschriften für eine Zwangspause, also Karenzzeit oder "Cooling-off", wie sie (auch in der deutschen) Politik und Verwaltung schon gefordert und zum Teil umgesetzt worden sind. Die Wahrscheinlichkeit, von Altbeziehungen zu profitieren, nehme mit der Zeit ab. Eine Pflichtwartezeit, bevor man als Lobbyist tätig wird, könne dazu beitragen, die Attraktivität der Zweitkarriere als Interessenvertreter erheblich zu reduzieren.

Ist das auf Deutschland übertragbar?

Nur sehr begrenzt.
  • Das liegt zum einen an der besonderen Stellung des Kongresses, der viel einflussreicher ist als europäische Parlamente. Aus der Studie ist klar zu erkennen, dass der Marktwert der Lobbyisten mit "Vergangenheit" im Senat deutlich größer ist als der im Repräsentantenhaus. Der US-Senat ist die mächtigste Parlamentskammer der Welt; ein einflussreicher, d.h. langgedienter und in wichtigen Ausschüssen präsenter Senator hat eine Schlüsselstellung in Washington. Er hat massiven und direkten Einfluss auf Gesetzgebung und Haushalt. Überdies sind die Senatoren keineswegs Stimmvieh, von "Hinterbänklern" im europäischen Sinne kann man bei keinem der 100 Senatoren sprechen. Überdies sind die Senatoren sehr unabhängig, sie beherrschen eine eigene Wahlkampforganisation und sind überdies persönlich reich (beispielsweise sind sie in der Mehrzahl Millionäre, siehe z.B. U.S. News). Manchmal sind sie so mächtig oder sogar mächtiger als Kabinettsmitglieder, die jederzeit vom Präsidenten entlassen werden können.

  • Der Chief of Staff eines Senators steht an der Spitze der Hackordnung der Kongressmitarbeiter. Auf den Top-Jobs sitzen erfahrene Politikmanager, als wichtige Adressaten umgarnt von zahlreichen Lobbyisten; jedenfalls keine blutjungen Hilfskräfte und Taschenträger. Wer einen der Top-Jobs bekommt, hat meist schon eine gewisse politische Karriere hinter sich (bei mehreren Politikern und in den großen Ausschuss-Stäben). Man kann sogar sagen, dass es eine Karriereleiter gibt, mit deutlich mehr Möglichkeiten und längerer Perspektive im Parlamentsunterbau, als sie MdB- oder Fraktions-Mitarbeiter je haben werden.
Eine Stellung wie die Senatoren haben in Europa in Parlamenten bestenfalls die Fraktionsspitzen; eine Stellung wie die Senatsmitarbeiter nur die Leute, die als rechte Hand eines überdurchschnittlich einflussreichen Politikers mit in die Regierung umziehen können und dort - über die Stabs- und Büroleiterposten hinaus - Schlüsselpositionen in der Linie oder gar an der Spitze eines Ressorts besetzen.

Die "Revolving Door" ist auch in Berlin und Brüssel gut geölt, Ex-Mitarbeiter von Politikern sind in der Lobby häufig zu finden. Aber Ex-Mitarbeiter von Abgeordneten können sich aufgrund des andersartigen Parteien-, Parlaments- und Regierungsbetriebs sehr viel schlechter darauf verlassen, dass ihnen ein singulärer Zugang zu einem Schlüsselkontakt einen großen Vorteil in der Lobby verschafft. Ihr Netzwerk muss deutlich größer sein.

Für eine ähnliche Studie für Deutschland würden schlicht die Daten fehlen, da es keine vergleichbaren Transparenz- und Offenlegungsvorschriften gibt.

Quelle: Blanes i Vidaly, J., Dracaz, M. & Fons-Rosenx, C. (2010, Juli). Revolving door lobbyists. Arbeitspapier, London School of Economics. Online auf http://www.econ.ed.ac.uk/papers/J_Blanes.pdf

Samstag, 27. November 2010

Privatuni-Boomtown Berlin: Geheime Gelddruckmaschine für das Land

Zunehmend stellt sich die Frage, warum das Land Berlin so großzügig Privathochschulen lockt und eine relativ lockere Aufsicht praktiziert. An der Parteiprogrammatik von SPD und Linke kann's ja nicht liegen. Gibt es über die "weichen" Wirtschaftsstandortfaktoren hinaus etwa noch finanzielle Gründe? Ja – Berlin kassiert für seine privat Studierenden Geld vom Bund - aber reicht dieses Geld nicht an die Privatunis weiter, sondern stopft damit die Lücken im staatlichen Hochschuletat.

In einem Kommentar zum Spiegel-Bericht "Dubiose Bildungsfirma: Berliner Senat schließt Phantom-Hochschule" schreibt der Leser "Unterländer":
Witzigerweise (leider weniger witzig für die Studenten) ist es gerade ein rot-roter Senat, der dieses Treiben fördert. Sollten die eigentlich nicht besonders skeptisch sein, was private "Bildungsangebote" angeht. Nö. Vielleicht gibt's aus irgendeinem Bundestopf Geld pro Studenten. Würde erklären, warum dort jeder, der das Wort Hochschule oder University halbwegs fehlerfrei buchstabieren kann, eine Hochschule gründen darf.
Guter Hinweis. Die Beratungsfirma McKinsey hat den Finanz-Trick auch schon entdeckt, mit dem "private" Studenten indirekt die "staatlichen" Studenten bezahlen. In der FTD kritisierte der Projektleiter der Initiative McKinsey bildet, Nelson Killius, unlängst die Praxis Berlins: "Wenn eine private Hochschule Studienplätze schafft, sollte sie dafür auch den Zuschuss des Bundes bekommen, den die staatlichen Unis aus dem Hochschulpakt bekommen."

Das hat der Verband der Privaten Hochschulen (VPH) ebenfalls mit Blick auf andere Länder kritisiert:
Sowohl die finanzielle Diskriminierung von privaten Hochschulen entgegen der erklärten Absicht des Hochschulpakts als auch die Zuwendung dieser Mittel, die den privaten Hochschulen zustehen, an staatliche Hochschulen ist eine klare Schlechterstellung und rechtlich durchaus fragwürdig“, so Harald Melcher [Vorsitzender des Verbands]. Denn: Nur vier Bundesländer haben die privaten Hochschulen teilweise in die Zuwendung einbezogen. Der VPH fordert hier eine sofortige bundesweite Korrektur des Verfahrens – im Übrigen nicht zum ersten Mal.
Hariolf Wenzler, Geschäftsführer der Bucerius Law School Hamburg, schlägt in seinem Blog WenzDay im Beitrag "Subventionieren private Hochschulen staatliche Unis?" in dieselbe Kerbe und kritisiert das Land Hamburg:
Für jeden Studierenden der Bucerius Law School, der seinen Wohnsitz nach Hamburg verlegt, bekommt Hamburg rund 3.000 € pro Jahr aus dem Länderfinanzausgleich. So gesehen profitiert Hamburg regelrecht von Bucerius - vom Imagegewinn des Wissenschaftsstandorts ganz abgesehen (wie ich neulich hörte: "Bucerius ist Hamburgs Antwort auf die Exzellenzinitiative").

Allerdings kann das mit der "umgekehrten Subventionierung" auch zu weit gehen: Hamburg bekommt für jeden Studienplatz, der seit einem bestimmten Stichtag zusätzlich geschaffen wurde, pro Student und Jahr rund 22.000 € aus dem Hochschulpakt II der Bundesregierung. Da bei der Berechnung für Berlin auch die Bucerius-Studierenden mitgezählt wurden, sind der Stadt rund 600.000 € zugeflossen. Auf die Idee, dass dieses Geld womöglich nach dem "Verursacherprinzip" an die Bucerius Law School zurückfließt, ist leider bislang niemand gekommen. Andere Bundesländer hatten die Größe, hier den privaten ihren Anteil zukommen zu lassen.

Vielleicht kommt statt dessen ja bald eine Postkarte der staatlichen Universität, in der sie sich z. B. für eine neue IT-Ausstattung bedankt. Wenn wir sogar zum Sektempfang eingeladen werden schlage ich vor, dass alle Studierenden mitkommen. Sie haben schließlich zu 23% dazu beigetragen.
Subventionen für private Hochschulen vs. Subventionen durch private Hochschulen

Als Dorado für private Hochschulen hat sich das Land Berlin in den letzten Jahren präsentiert. Die Industrieleistung ist marginal, umso wichtiger sind die Ideen- und Kreativbranchen -- und gerade Bildung und Wissenschaft kann man auch ohne viel Geld fördern: nämlich durch praktische Deregulierung, wenig Vorschriften, großzügige Aufsicht. Inzwischen machen die Privatunis leider nicht nur Freude, sondern auch Ärger. Die Financial Times Deutschland hat das jüngste Beispiel der Edu.Con-Hochschule aufgespießt, das auch hier im Blog schon Thema war – der Trägergesellschaft wird chaotisches Management in Berlin sowie andernorts Subventionsbetrug vorgeworfen (mit seinen berufsbildenden Schulen in Brandenburg und NRW).

Andere Länder haben - anders als Berlin - privaten Hochschulen seit den 1990ern kräftig mit viel Geld unter die Arme gegriffen.
Zuletzt gab es einen politisch hoch umstrittenen Beschluss des Landes Hessen, das der inzwischen in EBS Universität umbenannten European Business School in Oestrich-Winkel hohe Subventionen zugesteht (Blogbeitrag dazu); zuvor machte Bremen Millionen locker für die International University Bremen (heißt jetzt Jacobs nach der Rettungsaktion durch die Jacobs-Stiftung), Baden-Württemberg bei der International University in Bruchsal (inzwischen geschlossen) und dem Stuttgart Institute of Management and Technology (SIMT, nach dem Kollaps übernommen von der Steinbeis-Gruppe), NRW bei der Universität Witten-Herdecke (auch ein Krisenfall), Niedersachsen bei der GISMA in Hannover. Die Subventionierung war aber immer sehr unsystematisch, nicht immer erfolgreich und fiel bisweilen eher unter das Kapitel Gutsherrenpolitik aus der jeweiligen Staatskanzlei.

Der
Privathochschul-Verband VPH versucht seit Jahren, einen allgemein verbrieften Anspruch der Privaten auf öffentliche Subventionen durchzusetzen – sei es durch Bildungsgutscheine, sei es durch Beteiligung an öffentlichen Fördertöpfen.

Es spricht manches dafür, manches dagegen. Dafür spricht, dass Privatunis das Bildungssystem erweitern und damit ein positiver Standortfaktor sind, wobei sie den Staat auch entlasten. Dagegen spricht vor allem, dass die öffentlichen Bildungsetats extrem klamm sind.

Ein Paradebeispiel ist Berlin, das nur mit Mühe seine staatlichen Hochschulen im Betrieb halten kann. Der Gründungsboom in Berlin hat mit Subventionsversprechen für die Privaten nichts zu tun - gefördert wird mit laxer Lizenzpraxis und schwacher Aufsicht, aber weder aus normalen Haushaltsmitteln noch aus Konjunkturprogrammen finanziert der Senat die Privathochschulen.

Lobbying für Staatszuschüsse an private Hochschulen ist in Berlin - ziemlich - vergebens.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Der aktuelle Landeshaushalt verrät, dass Berlin 2010 und 2011 €7,6 Mio. an private Hochschulen ausschüttet. Die Evangelischen und Katholischen Fachhochschulen sind im weiteren Sinne privat und damit eigentlich nicht zu Zuschüssen berechtigt, das Hochschulgesetz sichert ihnen als öffentlich-rechtliche Körperschaften aber die Übernahme der Personalkosten zu. Als einzige nichtkirchliche Privatuni hat die ESCP Europe durch einen Vertrag von 1988 das Privileg von Landessubventionen (zurzeit jährlich €674.000). Aber sonst haben Private wenig Chancen auf Landesmittel.
In einer Kleinen Anfrage erkundigte sich der FDP-Abgeordnete Mirco Dragowski (Ds. 16/13929) im Berliner Abgeordnetenhaus: "Beteiligt sich Berlin wie auch Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen finanziell an der Schaffung neuer Studienplätze auch an privaten Hochschulen? Falls nein, warum nicht?"
Antwort von Staatssekretär Hans-Gerhard Husung: "Nein, die Anerkennung privater Hochschulen begründet keinen Anspruch auf einen Zuschuss des Landes Berlin. Dies ist gesetzlich geregelt im § 123 Abs. 8 Berliner Hochschulgesetz."
Allerdings ist in Berlin die Frage anders herum zu stellen: Profitiert das Land finanziell von seinen bis letzte Woche 23, minus Edu.Con jetzt 22 Privathochschulen?

Wie also kann Berlin Geld dafür bekommen? Durch Bundeszuweisungen. Die Föderalismusreform hat zwar inzwischen Bund- und Länderverantwortung für die Bildung getrennt, gleichwohl stellt der Bund durch den "Hochschulpakt" Subventionen für neue Studienanfänger zur Verfügung, wenn Berlin eine Mindestzahl von Studienanfängerplätzen hält und weiter schafft.

Beim BMBF sind die Kernpunkte des Hochschulpakts nachzulesen. Der Bund stellt Hunderte Millionen Euro bereit, damit die stets klammen Bundesländer mehr Studienplätze schaffen.

Beim Pakt von 2007 waren das 11.000 Euro pro Kopf (rein rechnerisch, die tatsächliche Kalkulation ist etwas komplizierter), verteilt auf vier Jahre bis 2010. 2009 wurde die Fortsetzung bis 2015 beschlossen, der Preis pro zusätzlichem Studienanfänger steigt mithin auf 13.000 Euro. Der Bund schießt das Geld dabei zunächst vor, genau abgerechnet wird später rückwirkend auf der Basis der tatsächlich entstandenen und belegten Studienplätze.
  • Davon profitieren überproportional die neuen Länder (damit sie trotz demographischen Verlusten die Studienplätze halten) und Bremen, Hamburg sowie Berlin, weil sie weit über dem eigenen Bedarf ausbilden und extrem viele Nicht-Landeskinder studieren lassen. Im Fall Berlin sind etwa die Hälfte der Studenten Nichtberliner.
  • "Berlin erhält eine Pauschale von 4 % der Bundesmittel und verpflichtet sich im Gegenzug, im Durchschnitt der Jahre 2007 bis 2010 eine jährliche Studienanfängerzahl von 19.500 zu halten", hieß es 2007. Im Zeitraum 2011-2015 ergibt sich für Berlin die Verpflichtung, jährlich 19.669 Studienanfängerplätze anzubieten.
  • Werden noch mehr Studienanfänger gezählt als vereinbart, gibt es für Berlin auch für diese Köpfe Geld - nämlich nach dem allgemeinen Verteilungsschlüssel, der für alle Länder gilt. Verfehlt das Land dagegen seine Ziele, wird Geld abgezogen.
Die Anreize sind klar gesetzt. Nun stellt sich die Frage, wie man Studienplätze schafft, wenn die Kasse leer ist. Denn das Problem besteht darin, dass die Länder kofinanzieren müssen: rechnerisch 11.000 bzw. 13.000 Euro pro Kopf vom Bund fließen nur, wenn Berlin ebensoviel investiert. Eigentlich fair.

Hier kommen nun die Privathochschulen ins Spiel. Wenn private Träger Studienplätze schaffen, geht das im Sinne des Hochschulpakts positiv aufs Konto des Landes Berlins.

Denn wie und wo die Studienplätze geschaffen werden, darüber lässt sich die Verwaltungsvereinbarung zum Hochschulpakt nicht aus.

Bei Privathochschulen investiert das Land Berlin aber gar nichts in die Schaffung neuer Studienplätze (siehe oben). Gleichwohl löst ein Studienanfänger an einer Privathochschule eine Bundessubvention aus.

Nun könnte man denken, das Bundesgeld müsste anteilig in die Kasse der Privathochschule fließen, denn sie hat den Anfängerplatz ja kreiert. Dem ist jedoch nicht so.

Die Verwaltungsvereinbarung zum Hochschulpakt sagt in §5 (1): "Der Bund weist die von ihm zur Verfügung zu stellenden Mittel den einzelnen Ländern zur eigenen Bewirtschaftung zu." Die Mittel sind natürlich zweckgebunden für Maßnahmen zur Schaffung von Studienplätzen, und darüber gibt es Berichtspflicht und Verwendungsnachweise. Rein administrativ gibt es aber keine weiteren Vorschriften außer der allgemeinen Haushaltsordnung. Und: Die Länder können die Mittel an Dritte weitergeben, müssen aber nicht.

Das heißt: Das Land Berlin vereinnahmt das Geld vom Bund und ist frei darin, es allein für die Studienplätze an öffentlichen Hochschulen zu verwenden.

Wenn es um das Prinzip "Geld folgt Studierenden" geht, werden private und staatliche Hochschulen ungleich behandelt. Nicht überraschend, dass für einen neuen Ansatz lobbyiert wird. Der Stifterverband hat die Praxis jüngst in seiner mit McKinsey publizierten Studie "Rolle und Zukunft privater Hochschulen in Deutschland" kritisiert:
Die Weitergabe der Bundesmittel an die jeweiligen Hochschulen wird je Bundesland sehr unterschiedlich und überwiegend zum Nachteil der privaten Hochschulen gehandhabt. Während in Berlin und Niedersachsen keinerlei Mittel aus dem Hochschulpakt an private Hochschulen fließen, gibt Nordrhein-Westfalen diese partiell weiter. In Hessen und Rheinland-Pfalz wurden in der ersten Phase private Hochschulen zwar nicht an den Einnahmen aus dem Hochschulpakt beteiligt, die beiden Bundesländer planen aber, dies in der zweiten Phase zu überarbeiten.
Aus Gründen der Gleichbehandlung und um die Bereitstellung der gewünschten zusätzlichen Studienplätze zu fördern, sollten die Länder Gelder für definierte und bei den Kennzahlen zur Mittelvergabe berücksichtigte Leistungen privater Hochschulen diesen auch zur Verfügung stellen. Eine vollständige Weitergabe der Mittel für die privat geschaffenen Studienplätze der vergangenen fünf Jahre (ca. 50.000) würde an den privaten Hochschulen zu Einnahmen von insgesamt ca. 550 Mio. Euro führen. (S. 51)
In der Tat hat das SPD-geführte Rheinland-Pfalz jüngst umgesteuert, die Otto Beisheim School of Management (WHU) hat mit der Landesregierung eine Zielvereinbarung über neue Studienplätze geschlossen. Damit wird in Rheinland-Pfalz, so hieß es aus Mainz Ende Oktober, erstmals eine private Hochschule am Hochschulpakt beteiligt.

Schnelles Wachstum für Private, schnelles Geld für den Staat

Um wie viel Geld geht es überhaupt? Was wäre der legitime Anteil der Privathochschulen in Berlin an den Bundeszuschüssen? Schwer zu beantworten. Die Mittelverwendung und die Zahl der dafür in Frage kommenden privaten Studienplätze sind aus öffentlichen Quellen kaum praktikabel nachzurecherchieren. Die Hochschulstatistik bietet aber einige Anhaltspunkte.

Das Landesamt für Statistik Berlin-Brandenburg hält für das WS2010/11 fest, dass Berliner Hochschulen, also öffentliche und private zusammen, 21.950 Studienanfänger (gemeint: im 1. Hochschulsemester) aufgenommen haben. Der Anteil der Privaten: immerhin 2703 Studierende.

Aus der Statistik ergibt sich nicht, wie viele davon als "zusätzliche" Studienplätze gewertet werden können. Anzunehmen ist aber, dass ein großer Teil der privaten Studienplätze "neu" war und ist.
Kein Wunder. Viele Berliner Privathochschulen wurden erst vor kurzem gegründet und anerkannt, die ersten Studenten werden typischerweise 1-2 Jahre nach Gründung immatrikuliert und offiziell von der Statistik erfasst.

Der Senat hat seit 2006 eine Rekordleistung bei der staatlichen Anerkennung vollbracht: International Business School (2006), bbw-Hochschule, IB-Hochschule, Hochschule für Gesundheit und Sport, Design Akademie Hochschule für Kommunikation und Design sowie Best-Sabel-Hochschule (2007), Internationale Hochschule für Exekutives Management und Deutsche Universität für Weiterbildung (2008), International Psychoanalytic University, Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft, Akkon-Hochschule und DEKRA-Hochschule (2009), Hochschule der populären Künste, Quadriga Hochschule und schließlich Edu.Con (2010).

Der Blick auf die Detailstatistiken 2010/11 im Vergleich zu 2006/7 macht sehr deutlich, wie stark die einzelnen Hochschulen gewachsen sind und dass zahlreiche neue Einrichtungen dazu gekommen sind, die sehr wachstumsorientiert sind - und sein müssen, denn ihre Finanzlage ist meist prekär, wie der Stifterverband in seiner Studie "Rolle und Zukunft privater Hochschulen in Deutschland" betont hat.

Im Sinne des Hochschulpakts dürfte also ein Großteil der privaten Studienplätze der vergangenen Jahre dem Land Berlin als "zusätzliche" Studienplätze zugeschrieben worden sein.

Mehrere Tausend Studienplätze multipliziert mit dem rechnerischen Bundeszuschuss von 11.000 Euro (ab 2011: 13.000 Euro), da ergibt sich eine schöne Millionensumme für den Bildungsetat. Das erleichtert es dem Land Berlin, die Pflichtleistung zu schaffen und die geforderte Kofinanzierung für neue Studienplätze an staatlichen Hochschulen zu leisten. Prognostiert wird für die nächsten Jahre, dass Berlin (mit Hilfe der Privaten) die Pflichtquote an neuen Studienplätzen deutlich übererfüllt.

Anders gesagt: Die "Kopfgeldjäger" der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung folgen dem ökonomischen Anreiz, privaten Trägern die Immatrikulation von Studenten so leicht wie möglich zu machen.
  • Je mehr private Studienplätze es in Berlin gibt, desto einfacher wird der Unterhalt der landeseigenen Studienplätze.
  • Je leichter das Land Berlin die Gründung von Privathochschulen macht, umso mehr springt bei den Subventionen heraus.
  • Die großzügige Genehmigung kostet das Land nichts, die Einnahmen für das Land aber sind sicher.
Das klingt wie eine Gelddruckmaschine für den Senat.

In diesem Kontext ist verständlich, dass die Aufsicht über die Privathochschulen sanft gehandhabt wird. Wer wird bei Qualität, Personal und Infrastruktur schon pingelig sein, wenn man durch allzu scharfe Vorgaben und Inspektionen das schnelle Wachstum der Privaten bremsen und damit die staatlichen Einnahmequellen reduzieren würde?

Wie wichtig ist dem Staat die Nachhaltigkeit privater Studienplätze?

Der Pferdefuß findet sich natürlich in der Nachhaltigkeit. Eine generöse Lizenzpolitik kann bedeuten, dass hin und wieder Privathochschulen ins Schlingern geraten (wie Akkon) oder gar vorzeitig ableben (Beispiele Edu.Con und Internationale Hochschule für Exekutives Management).

Die meisten Privathochschulen in Berlin dürften solide gemanagt werden, teilweise steht auch ein finanzkräftiger und großer Träger dahinter. Der Auftritt großer Konzerne als Hochschulträger - von SRH über Klett (DUW) bis Dekra - bietet eine gewisse Sicherheit; bei mittelständischen Unternehmungen sieht das schon anders aus.

Wahr ist, dass viele Private in Berlin auf wackligen Füßen stehen, weil sie sehr klein sind
- klein bei den festen Professoren (es gibt welche, die haben nur zwei oder drei), klein bei Verwaltung, Beratungspersonal, Bibliothek und sonstiger Infrastruktur, klein bei den Budgets für Unterhalt und strategische Investitionen, klein bei den Möglichkeiten, Innovationen nachhaltig umzusetzen, klein bei der Zahl der verlässlichen Unterstützer und Finanziers. Das birgt ein hohes Risiko des Scheiterns - wie bei anderen Start-ups auch.

Und was ist mit der schlechten Presse? Nun, da liegen die Nöte und Versäumnisse zunächst in der unternehmerischen Verantwortung des Managements und nicht bei der Aufsicht. Und, nun ja, auch der Bildungsmarkt lebt, frei nach Schumpeter, von schöpferischer Zerstörung. Scheitert eine Hochschule, ist schon die nächste am Start. Durch die freundliche Genehmigungspraxis des Senats kommen immer neue Hochschulgründungen nach. Wie sagte der Bildungsstaatssekretär Ende 2009: "Es gibt zahlreiche Anfragen und Beratungsgespräche zum Verfahren der staatlichen Anerkennung. Zurzeit liegen drei Anträge auf Anerkennung vor."

Wenn der Senat so weitermacht, sehen wir in Berlin noch ein weiteres Dutzend Privathochschulen. Unwahrscheinlich, dass die alle überleben können. Weltweit geht der Trend bei Privathochschulen zu Größe und Kettenbildung, die Großen fressen die Kleinen, wenn man nicht eine extrem profitable Nische besetzt, und für neue Start-ups wird die knifflige Wahl des richtigen Geschäftsmodells immer entscheidender.

Anscheinend überdenkt der Senat seine bisherige Linie und schaut nun - auch aufgrund des öffentlichen Drucks - genauer hin. Nun kommt es auf die richtige Balance an.

Private Hochschulen sind im besten Fall Innovationsmotoren, erschließen neue Zielgruppen für die Aus- und Weiterbildung und helfen dem Staat, bildungspolitische Ziele zu erreichen. Es ist daher sinnvoll, dass die Praxis der staatlichen Anerkennung nicht zu hohe Hürden anlegt.
  • Wenn Private etwas anders machen als die etablierten staatlichen Einrichtungen, ist das noch kein Grund, misstrauisch zu sein.Wenn Privathochschulen neue Berufs- und Branchenentwicklungen aufgreifen und daher neue Abschlüsse "erfinden", ist das per se kein Grund zum Naserümpfen; wenn sie andersartige Lehrmethoden einsetzen und das Studium anders organisieren, auch nicht. Diesen Freiraum muss man ihnen lassen.
  • Dass die Privaten marketing-, finanz- und wachstumsgetrieben vorrangig auf schnelle Erhöhung der Studentenzahlen aus sind, kann man ihnen ebenfalls nicht pauschal vorwerfen. Aber gerade dann müsste die Aufsicht darauf pochen, dass sie sich nicht übernehmen und ihre akademischen Hausaufgaben machen.
Zudem hat der Staat eine Pflicht zur guten Beratung und fachlichen Begleitung. Der Staat ist weder strenger Onkel noch Kindermädchen, weder Business Angel noch Sugar Daddy. In der mittelständischen Wirtschaftsförderung haben sich partnerschaftliche, auf Qualitäts- und Innovationsnetzwerke basierende Unterstützungsleistungen bewährt. Nach diesem Vorbild ließe sich in der Politik für private Hochschulen - durchaus auch als Wirtschaftsunternehmen verstanden - noch vieles besser machen. Hat der Staat hier ausreichende Beratungs- und Förderkompetenz? Setzt er die politischen Prioritäten richtig?

Der Staat muss klare Regeln setzen, plausible und wettbewerbsfähige Standortstrategien entwickeln, systematisch die Bildungsbranche aufbauen. Das setzt auch Transparenz und Fairness voraus; dazu gehört, systematische Nachteile der privaten Anbieter zu verringern. Beispielsweise gibt es Handlungsbedarf im Akkreditierungssystem (siehe dazu den Blogbeitrag "Sprengsatz im Hochschulwesen: Konzern knackt Bildungs-TÜV").

Würden sich Berlin und andere Bundesländer dazu entschließen, den Privathochschulen die Hochschulpakt-Mittel zu geben, die sie sich durch neue Studienplätze "verdient" haben, wäre es für sie sicher etwas einfacher, durch die schwierigen Gründungsjahre zu gehen. Quantität und Qualität kosten Geld. Wenn der Steuerzahler für neue Studienplätze Geld ausgibt, dann sollte es auch dahin fließen, wo die Studienplätze entstehen -- und sie damit langfristig sichern.

Ist eine Subventionierung privater Hochschulen aus ordnungspolitischen Gründen nicht gewünscht (durchaus legitim), dann sollte ein Land wie Berlin auch so ehrlich sein, nur landeseigene Studienplätze zählen und honorieren zu lassen. Einer macht die Arbeit und trägt das Risiko, und der andere kassiert fürs Nichtstun - das kann es nicht sein.

Solche Tricks untergraben nicht nur die Vertrauensbasis zwischen Staat und Privat, sondern laden auch zu weiteren Tricksereien auf beiden Seiten ein.

Donnerstag, 25. November 2010

Radio-Thementag Lobbyismus bei WDR5

WDR5 hat sich heute einen "Thementag Lobbyismus" gegönnt. "Verdammenswert oder notwendiges Übel?", fragte der Sender und...
Eine runde Sache -- symptomatisch kritisch-aufklärerisch in der Machart, aber inhaltlich hat der "Thementag" einiges zu bieten und schaut auch auf seltener beleuchtete Fragen.

Mittwoch, 24. November 2010

"Bildungsmafia" am Werk? Berlin: Privathochschule zu, Wirbel um Subventionsbetrug

And another one bites the dust: Erneut stürzt eine private Hochschule in der Region Berlin-Brandenburg über die Klippe. Mit sofortiger Wirkung hat Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) der "Edu.Con Hochschule" die staatliche Anerkennung aberkannt. Erst im Sommer hatte die Hochschule ihre Türen geöffnet.

Drei Bachelor-Studiengänge für Veranstaltungs- und Lichttechnik-Designer standen auf dem Plan. 12 Studenten hatte die Hochschule, die aber beschwerten sich schon während des ersten Semesters ständig bei der Behörde -- und diese fand weder eine funktionierende Leitung noch Prüfungs- und Studienordnungen noch ausreichend Personal und Infrastruktur für die Lehre vor. Einen "klaren Schnitt machen" sei nötig gewesen, befand Zöllner in seiner Pressemitteilung.

Kurioserweise war die Senatsverwaltung offenbar nicht mal in der Lage, den amtlichen Bescheid zuzustellen -- die Verantwortlichen sind verschwunden. Die Behörde stellte den Bescheid vom 26. Oktober daher am 19. November "öffentlich" zu. Bekannt wurde das erst heute.

Die Signale nehmen zu, dass die Hochschulaufsicht bei den Privaten genauer hinsieht und härter durchgreift. Ein Weckruf für die Träger vieler Kleinhochschulen. Denn seit Längerem wird bemängelt, dass Berlin zu lax bei der Lizenzvergabe für private Träger ist und halbgare Bildungsangebote toleriert, um sich als boomende Hochschulhauptstadt zu präsentieren. Zöllner sieht sich offenbar herausgefordert.

Zuletzt hatte sich die "Internationale Hochschule für Exekutives Management" (IHB) selbst vom Markt genommen, offenbar auch wegen Schwierigkeiten mit der Aufsicht; die Akkon-Hochschule kriselt ebenfalls. Der niederländischen Stenden University Berlin kam 2009 die Anerkennung abhanden, noch bevor sie den Lehrbetrieb aufgenommen hatte.

In Brandenburg machte vor einem Jahr die inzwischen insolvente University of Management and Communication (UMC) Schlagzeilen, als ihr erst der Wissenschaftsrat und dann das Wissenschaftsministerium die Existenzgrundlage entzogen.

Während Brandenburg bisher nur wenigen Privaten eine Genehmigung erteilt hat, tummeln sich in Berlin bereits viele: "Berlin ist ein attraktiver Standort für private Hochschulen, da hier ein reichhaltiges wissenschaftliches Umfeld besteht. Hochschulen in privater Trägerschaft sind in Berlin weiterhin herzlich willkommen, denn sie bilden eine wertvolle Ergänzung zum staatlichen Bildungsangebot", heißt es auf der offiziellen Internetseite Berlin.de.

  • Aufgelistet sind dort zurzeit die Akkon-Hochschule, bbw Hochschule, Berliner Technische Kunsthochschule (btk), BEST-Sabel-Hochschule Berlin, DEKRA Hochschule Berlin, Design-Akademie Berlin, Deutsche Universität für Weiterbildung (DUW), EBC Hochschule, ESCP Europe, European School of Management and Technology (ESMT), Hertie School of Governance, Hochschule der populären Künste (FH), H:G Hochschule für Gesundheit und Sport, Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW), IB - Hochschule Berlin, International Psychoanalytic University Berlin, Mediadesign - Hochschule für Design und Informatik, Psychologische Hochschule Berlin (PHB), Quadriga Hochschule Berlin, SRH Hochschule, Steinbeis-Hochschule Berlin und Touro College Berlin.

22 Berlin Privathochschulen also, meist klein und spezialisiert, jung und nicht immer auf starken Standbeinen.

Die Edu.Con ist allerdings ein besonderer Fall. Spiegel Online spricht von einer "dubiosen Bildungsfirma", die eine "Phantom-Hochschule" betrieben habe. Die Verantwortlichen seien "offenbar abgetaucht". Die Website www.educon-university.de ist kommentarlos abgeschaltet worden.

Die "Edu.Con University of Applied Science" gehört zur Edu.Con AG, einem bundesweit tätigen Bildungsdienstleistungsunternehmen, das 1990 gegründet wurde Die AG gibt es seit 2007, Hauptsitz zunächst in Potsdam, dann Berlin. Die verschiedenen Bildungsfirmen der AG sorgten zuletzt für reichlich Wirbel:

In Brandenburg betrieb Edu.Con drei Berufsfachschulen (Edu.Con Privatschulcampus: Ausbildung von Tourismusassistenten in Potsdam und Cottbus, Akzent Berufsfachschule Wirtschaft in Potsdam), verlor dafür aber die staatliche Anerkennung. Hintergrund: Bei Berufsfachschulen zahlt das Bundesland Subventionen für jeden gemeldeten Schüler, das lädt zur Manipulation der Schülerzahlen und damit zum Subventionsbetrug ein. Das Land stellte fest, dass Edu.Con zu hohe Schülerzahlen gemeldet und damit jeden Monate einige Zehntausend Euro zu viel kassiert hatte.

Das Bildungsministerium erklärte, seine Ermittlungen hätten ergeben, 625 Schüler seien gemeldet gewesen, tatsächlich habe man nur 258 Verträge vorgefunden. "Durch die falschen Angaben sind unrechtmäßig Zuschüsse erschlichen worden", die "Zuverlässigkeit des Trägers" sei nicht mehr gegeben. Das Ministerium spricht von einem Millionenschaden. Strafanzeige bei der für Wirtschaftskriminalität zuständigen Staatsanwaltschaft Potsdam wegen Betrugs. Educon klagte gegen den Entzug der Lizenz, verlor aber vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Der Anwalt der Edu.Con-Gruppe hatte auch in den Medien eine Vorwärtsverteidigung versucht, attackierte das Ministerium, sprach von "rechtstaatlich unerhörtem Vorgehen", von "oberflächlichem und fehlerhaften Verhalten", von "Skandal". Ursache für das Vorgehen des Ministeriums seien die "haushaltspolitischen Probleme des Landes Brandenburg".

In Brandenburg ist Edu.Con längst ein Thema für den Landtag - wegen Verflechtungen mit der Politik. Die Aufsicht über das Edu.Con-Imperium führt Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD), der ist aber auch Präsident des Sportvereins VfL Potsdam, dessen Handballer mit von Edu.Con gesponserten Trikots aufliefen liefen. Kein Wunder, dass die Opposition nach dem Fall des zurückgetretenen Innenministers Rainer Speer (SPD) auch hier scharf nachfragt.

Ähnliches Phänomen in NRW:
Auch in Bochum beklagten Schüler einer Edu.Con-Tochterfirma Unterrichtsausfälle und massive Mängel in den Lehrplänen, IHK-Prüfer weigerten sich, die Edu.Con-Absolventen zur Prüfung zuzulassen, Arbeitsagenturen verwehren die Förderung, die Schule löst sich langsam auf, Dozenten wurden seit Sommer nicht mehr bezahlt -- das WAZ-Onlinemagazin Der Westen spricht von einer "Bildungsmafia".Ein harter Vorwurf. Der Westen begründet das mit seinen Recherchen über ein "kompliziertes Geflecht aus Firmen", geführt von Carina Appelt, "eine Frau mit Vorgeschichte". Zu DDR-Zeiten Weiterbildungsleiterin der „Kammer der Technik“, gründete sie im Nachwendeboom die Edu.Con, die für Tausende Schüler alsbald Millionensummen an Fördergeldern einstrich und damit expandieren konnte. Das Magazin sieht darin ein Muster.

Nachtrag (29.11.):
Der Tagesspiegel hat gehört, dass ein britischer Investmentfonds Edu.Con erworben hat.

Freitag, 19. November 2010

Die Flops der Online-Kampagne "Köpfe gegen Kopfpauschale"

Warum scheitern Großverbände mit Millionen Mitgliedern an der Mobilisierung im Web?

Online-Politikberater und Blogger Ralf-Thomas Hillebrand hat untersucht, warum DGB-Gewerkschaften, Sozialverbände, Parteien und Initiativen mit ihrer E-Petition gegen die "Kopfpauschale" nur mit Ach und Krach Etappenziele erreichten -- und weit davon entfernt blieben, im Internet eine politische Welle zu erzeugen.

Auf den ersten Blick scheint die Kampagne "Aktionsbündnis Köpfe gegen Kopfpauschale" ordentlich gemacht und durchdacht, auch Social Media sind scheinbar sinnvoll integriert.

Doch im Blog-Beitrag "ePetitionen: Alles nicht so einfach…" belegt Hillebrand "massive Mängel in der Vorbereitung und Durchführung" der Kampagne gegen die gesundheitspolitischen Pläne der Bundesregierung. Er meint: "eine interessante Fallstudie, die den Visionären der eDemocracy deutliche Grenzen aufzeigt."

Immerhin: Die Gegner der Kopfpauschale erreichten das Ziel einer E-Petition, ihr Anliegen in öffentlicher Sitzung vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vortragen zu dürfen.

Wie Hildebrand feststellt, lag das aber eben nicht an der E-Mobilisierung. Es waren Zehntausende "altmodischer" Unterzeichner auf Papier und Postkarten, die die Hürde überwinden halfen, ein Vielfaches der Online-Unterstützer. Angesichts der von den Organisatoren auf 25 Millionen Menschen bezifferten Potenzial-Basis und klarer Meinungslage gegen die Kopfpauschale stellt sich die Frage, wo die Kampagnenführung versagt hat.

Der Autor macht drei Gründe aus: Chaos bei der praktischen Anleitung zum Mitmachen (Defizite in Didaktik und "Usability"), mangelnde Vernetzung und Überforderung der Zielgruppen.

Statt die E-Petition so zu benutzen, wie die Technik es vorsieht, nämlich per Mitzeichnungs-Formular, überschütteten viele Sympathisanten den Bundestag mit Emails. Und die wurden nicht akzeptiert. Die Kampagne erklärte das Verfahren laut Hildebrand nicht hinreichend, und verleitete durch zweideutige Kontaktangaben sogar zum Versenden von unerwünschten und nutzlosen Emails.

Hillebrand macht "Wissensdefizite" der Organisatoren aus und wirft ihnen vor, die Unterstützer mit ihren Verständnisfragen allein gelassen zu haben. Peinlich auch, dass die Kampagne aufgrund der Schwierigkeiten dazu überging, die Unterstützer zum Unterschreiben von Postkarten aufzufordern.

"Wenn der Initiator einer ePetition um Postkarten bittet, dann ist wohl unzweifelhaft etwas schief gelaufen", so Hillebrand.

Die Kampagne nutzte die Vernetzungsmöglichkeiten über Social Media nur halbherzig, etwa bei Facebook: Dort erklärten sich nur rund 1.500 Facebook-Mitglieder per Mausklick auf "Gefällt mir" für die Gruppe “Köpfe gegen Kopfpauschale”. Statt viraler Massenverbreitung lautet Hillebrands Fazit: Die Facebook-Gruppe konnte gerade einmal ein halbes Promille dieses zu erwartenden Unterstützerpotenzials für sich gewinnen.

Das Argument, dass die typischen Unterstützer der Gewerkschaften, Verbände und Parteien Social Media zu wenig nutzen, lässt Hillebrand nicht gelten. Die Ursache sieht er vielmehr darin,
"dass sich die 1.500 nicht mit Personen vernetzt haben, denen das Thema wichtig ist oder werden könnte. Und so reißt die Kette, statt Unterstützerkaskaden zu kreieren, einfach zwischendrin immer wieder ab. Das Unterstützerpotenzial der Kampagne hat sich also, soweit es in Sozialen Netzwerken aktiv ist, kaum mit politisch motivierten und gleichgesinnten Menschen vernetzt, sondern überwiegend mit Familienmitgliedern, Arbeitskollegen, Sportkameraden oder Bekannten aus anderen sozialen Zusammenhängen – denen politische Aktivitäten weitgehend egal sind. Diese apolitische Vernetzung hilft der Kampagne nicht."
Der DGB habe sich offenbar, zu stark darauf verlassen, dass viele seiner Mitglieder und Sympathisanten ohnehin in Sozialen Netzwerken aktiv sind und es schon richten werden. Die längerfristige Vorarbeit, Koordination, Vernetzung und Motivation wurden vernachlässigt
Schließlich spitzt Hillebrand zu, dass die Kampagne ihre Zielgruppen überfordert habe. Er greif die These von der "digitalen Spaltung" auf und weist auf eine Studie hin, nach der zwei Drittel der Deutschen nach wie vor keine Online-Kompetenz besäßen. Die Organisatoren der Kampagne hätten das Problem massiv unterschätzt. Beim Thema Gesundheitspolitik sei das Unterstützerpotenzial längst nicht so internetaffin wie etwa beim Thema Internetsperren.
Ergo: Eine solche Kampagne muss unbedingt Offline-Optionen einschließen. "Das tat der DGB zwar, aber zwischenzeitlich wurde es bei der Anti-Kopfpauschalen-Kampagne dann doch brenzlig, weil man anfangs zu sehr auf den Pfad der Online-Petition gesetzt hatte – und plötzlich mehr als erhofft auf das zeitraubende Verfahren mit Unterschriftenlisten und Postkarten angewiesen war."
Hillebrands Analyse ist zuzustimmen. Allerdings ist es nicht so, dass den Gewerkschaftsstrategen das Problem völlig unbekannt wäre. Im Gegenteil.

Die Gewerkschaften haben eine breite Internetpräsenz und eine Millionen-Mitgliederbasis, die allerdings überaltert und nur begrenzt internetaffin ist. Die digitale Spaltung der Gesellschaft behindert die Entwicklung der Gewerkschaften zu E-Organisationen massiv, relevante Teile der Beschäftigten bleiben von Online-Kommunikation ausgeschlossen – und wer sich gewerkschaftlich im Web 2.0 beteiligt, hinterlässt auch für seinen Arbeitgeber, für Vorgesetzte und Kollegen eine keineswegs vorteilhafte Datenspur, wie Verdi-Berater Claus Zanker in einem Beitrag zum "Projekt E-Union" festgestellt hat.

Dahinter steckt auch eine Identitäts- und Kulturfrage. Die Mobilisierung von Grassroots-Aktivisten im Internet für politische Kampagnen hat keineswegs überall im Sozialsektor eine feste Heimat.

Die jüngere Bewegungs-, Kampagnen- und Bündnispolitik in Gewerkschaftskreisen hat unterschiedlichen Einfluss gehabt: Das alte Stellvertreter-Modell erfährt Konkurrenz durch ein aus den USA inspiriertes, rekrutierungsorientiertes Selbstvertretungsmodell („Organizing“) und kämpferischen „Movement Unionism“, der sich von traditioneller Sozialpartnerschaft verabschiedet, politischer orientiert ist und sehr offene Organisationsformen (z.B. Kampagnen, Bündnisse mit NGOs) pflegt. Das überträgt sich auch auf das Web 2.0. Während Verdi schon 2003 ein großes „Projekt E-Union“ anging und Teile von Verdi aggressive US-Konzepte umsetzen, in dem auch das Web 2.0 eine wachsende Rolle spielt (z.B. Lidl-Kampagne), verharren andere Gewerkschaften in korporatistischen Kommunikationsformen.

Seit Jahren ringen die Gewerkschafter mit diesem Binnenproblem - insofern lässt sich das Aktionsbündnis zur Kopfpauschale auch als ein weiteres Kampagnen-Experiment bewerten, aus dem die Interessenvertreter nun einiges zu lernen haben werden.

Donnerstag, 18. November 2010

Klatsche für Althaus

Politiker plaudern gern, Lobbyisten sind schweigsam. Sagt man. Stimmt zwar nicht immer, aber: Wenn Ex-Politiker Lobbyisten werden, ist die Umstellung auf die Kommunikationskultur des neuen Arbeitgebers oft ein Problem.

Ein Paradebeispiel liefert Dieter Althaus (nein, nicht verwandt). Der frühere CDU-Ministerpräsident Thüringens hat bekanntlich beim österreichisch-kanadischen Autozulieferer Magna angeheuert. Früher hatte Magna Interesse an Opel und Karmann, nun an der italienischen Designfirma Pininfarina. Althaus kommentierte das gegenüber Bloomberg, der Branchendienst Automotive News machte es ebenfalls schnell in Redaktionen bekannt.

Prompt reagierte die Magna-Unternehmenskommunikation: "Herr Althaus hat keine Sprecherfunktion". Weiter kommentiere man nichts.
  • "Peinliche Klatsche", meint der Spiegel. "Die unwirsche Reaktion ist eine kräftige Ohrfeige."
  • "Magna demontiert Cheflobbyist Althaus", titelt die FTD. "Eine Pleite." Der CDU-Politiker habe "nicht bedacht, dass Magna ein straff geführter Betrieb ist. Über die Strategie spricht allein der Chef."
Aber: Das ist nicht nur eine Frage der Kleiderordnung. Die Kommunikationsdisziplin ist bei einem börsennotierten Unternehmen aus Rechtsgründen extrem wichtig. Alles, was den Börsenkurs nachhaltig beeinflussen kann, muss vorsichtig angefasst werden. Dazu gehört ganz besonders der strategisch hochsensible Bereich von Fusionen und Firmenzukäufen (Mergers & Acquisitions).

Darum gibt es in der Unternehmenskommunikation Abteilungen für Investor Relations, die genau aufpassen, welche Informationen über mögliche Deals nach außen gelangen -- und wenn sie kommuniziert werden, dann so, dass alle Marktteilnehmer sofort und gleichmäßig informiert werden (Pflicht zur Ad-hoc-Meldung).

Einfach mal einen Kommentar in ein Mikrofon stoßen, das geht gar nicht -- schon gar nicht durch ein Nicht-Vorstandsmitglied. Eine harte Lektion für Dieter Althaus. Das "Public" beim "Public Affairs" hat er wohl missverstanden.

Wahnwitz Luftfracht: Agenda-Cutting, Politik- und Lobbyversagen

Der Paketbomben-Schock hat in der Politik hektischen Aktionismus ausgelöst. Jetzt hat man in Brüssel und Berlin Arbeitskreise gegründet, der Bundestag hat ganz schnell 450 (allerdings vorerst gesperrte) Extrastellen für Kontrolleure bewilligt – und der Wahnwitz fehlender Luftfracht-Kontrollen taucht in den Schlagzeilen kaum noch auf. Und unsere Regierung versucht, die Diskussion auf das Risiko "Drittstaaten" zu treiben, damit die massiven Sicherheitsdefizite im Inland nicht so laut diskutiert werden.

Gutes Agenda-Cutting!

Hinter den Kulissen aber geht es zur Sache:

  • Die Innenminister sehen ihre Chance, die Luftfracht-Kontrollen den eigentlich zuständigen Verkehrsministern und Luftfahrtbehörden zu entreißen, wie die Süddeutsche richtig feststellt. Die wehren sich heftig, unterstützt von Airlines und Logistikunternehmen, die lieber mit den alten Ressorts zusammenarbeiten wollen.
  • Die Luftfahrtunternehmen rechnen wegen neuer Sicherheitsvorschiften laut einer PwC-Umfrage mit massiven Kostensteigerungen – von dreistelligen Millionensummen ist die Rede. Sie wollen die Kosten dafür aber nicht alleine tragen, fordern mehr Verantwortung des Staates, der diese bisher aus Kostengründen auf Private abgewälzt hat.

Das hat Konsequenzen. Die 450 neuen Kontrolleurs-Stellen werden beispielsweise nicht freigegeben, solange nicht klar ist, welche Behörde sie bekommt. Und die Luftfahrt- und Logistikbranche hat keine Lust, sich die Haftung für die Sicherheit zuschieben zu lassen – solange die staatlichen Vorschriften und Kontrollen "Sicherheitslücken, die so groß sind wie Scheunentore" aufweisen, die die Deutsche Polizeigewerkschaft es formuliert.

Studie: Politikversagen und Lobbyversagen bei der Sicherheit

Dahinter steckt ein Politikversagen. Zuständigkeitswirrwar, überforderte Behörden, überforderte Unternehmen, eine schlecht durchdachte Privatisierung öffentlicher Sicherheit führten zu einer unkontrollierten Logistikkette.

Das ist Sicherheitskreisen seit langem bekannt und wird durch eine Studie "Sicherheitsrisiko Luftfracht in der Passage", die im Frühjahr 2010 am Wildau Institute of Technology (WIT) der Technischen Hochschule Wildau entstanden ist und von Report Mainz (ARD) aufgegriffen wurde, belegt.

"Das europaweit praktizierte Vorgehen im Bereich der Luftfrachtkontrollen für Passagiermaschinen ist von erheblichen Sicherheitsmängeln geprägt und grundsätzlich nicht geeignet, die Anforderungen an Sicherheitsstandards zu erfüllen", sagt die Autorin. 95 % der Fracht, die in Passagiermaschinen eingeladen wird, werde keiner Kontrolle unterzogen. Die Details machen fassungslos: Bei den resignierenden Behörden regiert offenbar die Hoffnung, dass schon nichts passiert.

Bei der von der EU geforderten Reorganisation der Sicherheitsvorgaben geriet die deutsche Regierung gar an den Rand einer heftigen Auseinandersetzung mit Brüssel: Die EU-Kommission hat wegen der Nichtumsetzung von EU-Recht Deutschland sogar ein Vertragsverletzungsverfahren angedroht, liest man in der Studie.

Die Studie stellt außerdem ein Lobbyversagen fest: Die bisherige Lobbyarbeit sei einseitig ausgerichtet, nämlich zugunsten der Fluggesellschaften und zulasten der mittelständischen Frachtwirtschaft. „Strukturelle Defizite in der Interessenvertretung“ sowie „Informations- und Transmissionsdefizite“ hätten bei der Formulierung der EU-Verordnungen große Teile der betroffenen Wirtschaft davon abgehalten, laut und deutlich zu fordern, die Zuständigkeiten für Luftsicherheitsfragen klar zu regeln und wirtschaftliche Nachteile für Firmen zu vermeiden.

Alles sicher – aber nur auf dem Papier

Wie reine Symbolpolitik wirken die Kontrollmaßnahmen zu Flüssigkeitsbehältern und Körperscannern für Passagiere ohnehin, aber die Sicherheits-Farce bei der Fracht – die zur Hälfte mit Passagiermaschinen befördert wird – entlarvt die staatlichen Maßnahmen erst recht.

Report Mainz (8.11.) zeigt, wie leicht Unbefugte bis in den Luftfrachtbereich von Industrie- und Logistikfirmen vordringen, die als "Bekannte Versender" und "Reglementierte Beauftragte" gelten. Die Fracht dieser Unternehmen gilt per se als sicher und muss deshalb nicht überprüft werden, bevor sie in ein Flugzeug gelangt.

Das sind "Sicherheitslücken, die so groß sind wie Scheunentore", sagt Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Und das von der Politik gewollte Verfahren, auf dem Papier Sicherheit herzustellen, ist für ihn "bürokratischer Unfug", habe mit Sicherheit nichts zu tun.

65.000 Unternehmen in Deutschland gelten als "Bekannte Versender", die sich einfach durch Unterschreiben einer Blankoerklärung als "sicher" erklären und Fracht anliefern dürfen, die praktisch nicht weiter kontrolliert wird.

Schon gar nicht vom Staat. Das gibt auch Jan Mücke, Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, zu.

Das ZDF-Heute Journal (8.11.) zeigt ebenso die haarsträubende Wirklichkeit: Der Staat hat die Verantwortung für Frachtsicherheit völlig dezentral und fragmentiert, geradezu unkontrollierbar an die privaten Spediteure abgeschoben. "Das wird vom Gesetzgeber einfach auf private Firmen verlagert, und wir haben keine Chance nein zu sagen", sagt der Speditionskaufmann Peter Schmitz von CSP Cargo Service Point. Die Sicherheitsdefizite seien in der Branche lange bekannt. Und was der Bundesinnenminister als "neue" Sicherheitsmaßnahmen verkaufe, sei weder neu noch sicher.

Die rund 65.000 Versender und Dienstleister in der Sicherheitskette sind überwiegend mittelständische Speditionen und Servicefirmen, die mit wirklich verlässlichen Sicherheitsmaßnahmen offenbar überfordert sind.

Das Drama entfaltet sich auch in einer Studie der TU Berlin und des International Transfer Center for Logistics (ITCL) im Auftrag der World Cargo Center GmbH vom Herbst 2009. Die unter 54 "Reglementierten Beauftragten" und "Bekannten Versendern" erhobene Umfrage zu Sicherheitslücken in der Luftfracht-Lieferkette kommt zum selben Fazit wie die WIT/TH Wildau-Studie: „Noch existieren gravierende Sicherheitslücken, die sich durch alle Bereiche der Supply Chain ziehen.

Die Kritik:

  • isolierte Sicherheitsinseln,
  • fehlende lieferstufenübergreifende Konzepte,
  • mangelndes Sicherheitsbewusstsein der Mitarbeiter,
  • Unkenntnis über den Sendungsverlauf,
  • mangelnde Kontrollen in den Frachtzentren,
  • unzureichende Überwachungstechnik in den Frachtzentren.

Geradezu aberwitzig ist die Feststellung, dass viele „bekannte Versender“ offenbar davon ausgehen, dass ihre Fracht am Flughafen einer Kontrolle unterzogen wird.

Dabei bürgen sie selbst mit ihrer Unterschrift auf der Sicherheitserklärung für die Sicherheit ihrer Fracht!

Im Fokus stehen wiederum kleine und mittelgroße Logistikdienstleister: Während 83 Prozent der Industrieunternehmen mit hohem Exportanteil Sicherheitsvorkehrungen als integralen Bestandteil der logistischen Abläufe betrachten, sagen das von sich nur 59 Prozent der Dienstleister.

Und: Auf die TU-Frage „Wir fangen grade erst an, uns mit Sicherheitsthemen zu beschäftigen“ antworteten 40% der „bekannten Versendern“ mit Ja.

Und das soll eine sichere Lieferkette sein?

Egal, alles legal: Das EU-Recht

Das deutsche Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) von 2005, geändert 2009, ist nur ein Teil des Rechts, das für die Luftfracht gilt. Entscheidend sind internationale Abkommen (European Civil Aviation Conference/ECAC Doc. 30 und International Civil Aviation Organisation/ICAO Annex 17) und vor allem die bisher geltende EG-Verordnung 2320/2002 und die neue Version 300/2008.

Die Verordnung von 2002 wurde mit sehr heißer Nadel und mit wenig Input der betroffenen Wirtschaft gestrickt - eine Reaktion auf die Terroranschläge von 2001. Die "Verordnung 300" ist nun die Nachbesserung. Aber diese beruht genauso auf einer Fiktion dersicheren Lieferkette“ und des "dezentralen Sicherheitskonzept" wie die alte und hat ebenfalls nicht den Sachverstand der betroffenen Wirtschaft voll einbezogen.

Immerhin: Die neue EG-VO 300/2008 schreibt vor, dass "bekannte Versender" durch das LBA eine Zulassung beantragen und in einer Datenbank gespeichert werden müssen. Das ist theoretisch seit Mai 2010 der Fall, praktisch aber gibt es eine Übergangsfrist bis März 2013. Im Klartext: Bis dahin bleibt alles beim Alten. Die beteiligten Unternehmen haben einen Rechtsanspruch darauf. Sicherheit auf dem Papier genügt.

Fehlendes Kontrollpersonal und Hickhack um Zuständigkeit

Für die Öffentlichkeit ziemlich unverständlich ist das deutsche Gezerre um die Zuständigkeit - die sich nämlich Innenministerium (Bundespolizei), Verkehrsministerium (Luftfahrtbundesamt, LBA) und auch das Finanzministerium (Zoll) teilen. Genau genommen sind es mit allen nachgeordneten Behörden auch der Länder rund 20 zuständige Behörden.

Die Luftfrachtsicherheits-Zuständigkeit in einer Hand zu bündeln, ist also eine Herkulesaufgabe.

Die beste Variante wäre vermutlich ein völlig neues Bundesamt für Luftsicherheit, aber im Moment scheint die Diskussion eher dahin zu gehen, der Bundespolizei die Aufgabe zuzuschieben. Die hat zwar durchaus einige vom LBA geschulte Beamte dafür, aber nicht unbedingt großes Interesse an der Aufgabe. Aus Eigeninteresse hebt Innenminister de Maiziere trotzdem den Finger, schließlich kann er so den Personalabbau bei der Bundespolizei stoppen. Deren Personalüberhang ist schon länger ein Problem. Anders beim Verkehrsministerium, das zwar die Zuständigkeit hat, aber viel zu wenige Beamte für Kontrollen.

Auch auf EU-Ebene nutzt de Maizière die Gelegenheit, um die Karten neu zu mischen, liest man in der Süddeutschen:

Thomas de Maizière forderte in Brüssel, die Zuständigkeiten zu prüfen. Sie seien in Europa 'zersplittert'. Sie müssten künftig 'von einer Hand geführt werden'. Was er damit meinte, ließ er offen. Hinter der Forderung nach einer verbesserten und europaweit einheitlichen Sicherung der Luftfracht, verbirgt sich auch eine institutionelle Auseinandersetzung. Die Innenminister wollen die Verantwortung für die Sicherheit der Luftfracht in die Hand bekommen. Gegenwärtig liegt sie noch bei den Verkehrsministern, die für alle Aspekte des Luftverkehrs zuständig sind. Die Experten für die Bekämpfung von Terrorismus unterstehen aber den Innenministern. So drängen einige Innenminister die Kommission bereits, die Zuständigkeit für die Luftsicherheit von Verkehrskommissar Sim Kallas auf Innenkommissarin Cecilia Malmström zu übertragen. Die Arbeitsgruppe, die paritätisch aus Innen- und Verkehrspolitikern gebildet wird, soll darum auch eine Veränderung der Kompetenzverteilung in der EU prüfen.

Aus dem Verkehrsressort hörte man zum Thema Luftfrachtsicherheit zunächst wenig, dann schien Verkehrsminister Peter Ramsauer durchaus bereit, die Verantwortung für die Luftsicherheit an die Bundespolizei abzugeben, "Ressortegoismen" solle es nicht geben. Wenige Tage später schien der Minister sich das anders überlegt zu haben. Liest man die Aussagen seines Staatssekretärs Andreas Scheuer im Handelsblatt, sieht es eher so aus, als wolle Ramsauers Ressort unbedingt die Zuständigkeit für die Sicherheit im Luftverkehr behalten; zudem warnt Scheuer vor "übertriebenen Sicherheitsmaßnahmen im internationalen Luftfrachtverkehr", sorgt sich um den „Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen“ und kritisiert die Ankündigung des Innenministers de Maiziere, das müsse eben teurer werden, und im Zweifel Warenströme seien einzuschränken, wenn im Gegenzug die Sicherheit in der Luftfracht steige. Klingt so, als hätten bestimmte Interessengruppen beim Ministerium interveniert.

Die Kosten für bessere Kontrollen sind enorm - und wer zahlt?
Die Politik macht es sich einfach: "User pays"


Wie die aktuelle PwC-Umfrage zeigt, rechnet die Luftfahrt- und Logistikbranche bereits, dass eher noch mehr Verantwortung auf sie abgeschoben wird. Die Politik macht es sich einfach: „User pays“ – wer Fracht verschickt, soll eben auch die Sicherheitskosten tragen.

Ist das so richtig? Luftsicherheit ist eigentlich Aufgabe des Staates, ganz besonders wenn es um Terrorismus geht -- und den Schutz von Bürgern, die in Passagier-Jets oben auf der riskanten Fracht mitfliegen.

Es geht eben nicht nur um reine Frachtflugzeuge. Irgendwo zwischen einem Drittel bis über die Hälfte der Fracht (die Angaben sind widersprüchlich) wird bei uns in Passagiermaschinen eingeladen - also unter den Sitzen ahnungsloser Fluggäste. Tendenz sehr stark steigend.

Der Wirtschaft die Sicherheitslast zu übertragen, macht auch den Bock zum Gärtner. Luftfracht lebt vom Tempo des Umschlags, Luftfracht ist teuer, und es gibt einen harten Preiskampf. Die Weltwirtschaft lebt von Just-in-time-Lieferung. Vor allem bei teuren Waren (etwa Elektronik, Ersatzteile für Maschinen, Medikamente oder hochwertige Lebensmittel): Nach Volumen werden 98 Prozent aller Waren verschifft, nur zwei Prozent geflogen; rechnet man jedoch nach Warenwert, werden 40 Prozent in der Luft transportiert, so die SZ. Manche Airlines machten daraus ein ertragreiches Geschäft – einige erzielen bis zu einem Drittel ihrer Einnahmen aus dem Warentransport. Klar, dass Sie den Zeitvorteil nicht aus Sicherheitsgründen reduzieren wollen. Brisante Ideen von Politikern, etwa die Fracht einen Tag am Boden zu lassen, bis alles von Hand kontrolliert ist, werden komplett abgelehnt – das ist "undenkbar", das "kann man völlig vergessen", bringt es der Luftfahrtjournalist Andreas Spaeth im Tagesschau-Interview auf den Punkt.

Die führenden Fluggesellschaften haben großen Einfluss in Berlin und Brüssel und wehren alleinige Verantwortung für teure Kontrollen ab. Die Flughäfen sind ebenso nah an der Politik und sorgen dafür, dass bei ihnen kein "Flaschenhals" für Fracht-Kontrollen entsteht -- dafür existiert gar nicht die Infrastruktur. Man bräuchte nochmals die Größe des gesamten Frankfurter Flughafens, um alle dort verschickten Pakete zu screenen, so Verkehrs-Staatssekretär Klaus-Dieter Scheuerle jüngst auf dem Unternehmertag des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV). „Das ist völlig undenkbar", zitiert ihn die Verkehrsrundschau.

Übrigens sprach Scheuerle dort auch von einer „Scheinsicherheit“ in der Luftfracht. Er muss es ja wissen.