Dienstag, 27. September 2011

Direkte Demokratie und Public Affairs

"Direktdemokratische Elemente erschweren die Arbeit von Public Affairs-Verantwortlichen", titelt die MSL Group Germany (ex Publicis) zu ihrer alljährlichen Umfrage (die zehnte). Die befragten 50 PA-Verantwortlichen führender Unternehmen und Verbände in Deutschland antworteten auf die Frage:
"Die Forderung nach mehr politischer Mitentscheidung durch die Bevölkerung ist in der aktuellen Debatte sehr populär. Aus Ihrer Unternehmens- oder Verbandssicht: Wie verändern direktdemokratische Elemente Ihre Public-Affairs-Arbeit?"
Aus der MSL Group PA-Umfrage 2011
Zwei Drittel der Befragten meinen: "Unsere Arbeit wird schwerer". Nur vier Prozent sind der Auffassung, dass die Arbeit leichter wird. Ein knappes Drittel erwartet keine Veränderungen (28 Prozent).


Überrascht? Nun ja, die Einschätzung der Folgen hängt zweifellos von Thema und Branche ab. In jedem Fall hätte man hier gern mehr erfahren (aber das gibt die Umfrage nicht her): Inwiefern wird PA "schwerer"? Schwerer im Sinne von komplexer, oder schwerer im Sinne von erfolgloser?

Was genau macht es ihrer Meinung nach schwer? Und: Sind die PA-Verantwortlichen in Unternehmen und Verbänden grundsätzlich kritisch gegenüber direkter Demokratie eingestellt, halten sie nichts davon -- oder blicken sie rein objektiv und professionell auf die Herausforderungen, die sich dadurch ergeben?

PA war in Amerika schon immer mit direkter Demokratie verknüpft

Historisch ist die Disziplin Public Affairs übrigens sehr mit direkter Demokratie verknüpft. Nicht im korporatistischen Europa, nein -- aber in den USA ist Public Affairs aus Lobbyarbeit und PR verschmolzen, als sich Unternehmen und Verbände auf der Ebene der US-Einzelstaaten durch Volksbegehren und Referenda herausgefordert sahen. Sie lernten, die direktdemokratischen Instrumente für die eigenen Zwecke einzusetzen -- und Menschen auch für die Wirtschaft zu mobilisieren.

Mit direkter Demokratie muss sich die US-Wirtschaft seit rund 100 Jahren auseinandersetzen, als das Progressive Movement diese in vielen Staatsverfassungen durchsetzte -- durchaus als Korrektiv für Volksvertretungen verstanden, die den Reformern viel zu sehr unter dem Einfluss von Parteimaschinen und Lobbies standen. Heute sind Elemente direkter Demokratie in rund der Hälfte der Einzelstaaten etabliert.

Bereits in den 1930er Jahren lebten Wahlkampfberater davon, auch der Wirtschaft Instrumente des modernen Medien-Wahlkampfes für Kampagnen um Volksbegehren und Referenda zu führen. In den 1970ern verbreitete sich der professionelle Kampagnenansatz enorm, und nun kamen neben TV- und Radio-Spots Datenbanken, Direct Mail und Telemarketing hinzu. Da auch die Gegenseite aufrüstete, Gewerkschaften und NGOs zum Beispiel, wurden die Kampagnen immer aufwändiger.

In diesen Wahlkämpfen ohne Kandidaten ging es um Energiepolitik und Steuern, Gesundheitspolitik und Bildung, Verbraucherschutz und Versicherungsrecht und vieles mehr.  Aus dieser Zeit stammt der starke Schwerpunkt der amerikanischen PA-Praktiker, die Graswurzeln (Grassroots) zu pflegen und zu mobilisieren sowie eine sehr öffentliche Lobbyarbeit in Gang zu setzen, wenn von der öffentlichen Meinung die Entscheidung abhängt.

Damals jammerten auch viele im Business, wie schwer das alles sei. Natürlich ist es das. Tausende, Hunderttausende oder gar Millionen Wähler zu überzeugen ist immer schwerer als nur eine Handvoll Entscheidungsträger. Es kostet sehr viel mehr Geld, und es verlangt nach noch mehr Professionalität.


Für die Beratungsfirmen war diese Entwicklung natürlich ein Segen. Bald holten sich auch Verbände und Unternehmen die Kampagnenfähigkeit ins eigene Haus.Vielen wurde klar, dass Volksbegehren und Volksentscheide gewisse strategische Vorteile mit sich bringen -- vor allem, wenn man etwas verhindern möchte. Für mitgliederorientierte Verbände zeigt sich zudem die Chance, an der Mitgliederbasis echte politische Aktion und Beteiligungsmöglichkeiten umzusetzen.

Zudem lassen sich die Instrumente, die bei direktdemokratischen Entscheidungen so wichtig sind, hervorragend mit den Werkzeugen kombinieren, die man in der Lobbyarbeit bei den Repräsentativorganen braucht.

Das ist es, was Public Affairs wirklich spannend macht. Wer PA nur als erweitertes Hinter-den-Kulissen-Lobbying versteht, wird das nicht so sehen. Aber zumindest im Heimatland USA war Public Affairs schon immer mehr als das.

Freitag, 23. September 2011

Österreich: Zweiter Public-Affairs-Verband setzt neue Akzente

Die Auseinandersetzung um das geplante Lobby-Gesetz hat in Wien zur Gründung eines neuen Berufs- und Branchenverbandes geführt. Der Österreichische Public Affairs-Verband (ÖPAV) steht seit 13. September PA-Verantwortlichen in Unternehmen, Verbänden und NGOs sowie selbstständigen Beratern offen. Er versteht sich als "Standesvertretung". Der Verband nimmt persönliche Mitglieder auf, keine Organisationen. Unter den veröffentlichten Mitgliedern ist eine starke Fraktion den Beratungsfirmen zuzurechnen. Rechtsanwaltskanzleien sucht man noch vergebens.

Der ÖPAV will jedoch "Diversität" sowohl bei der Mitgliedschaft als auch bei den Inhalten zeigen, er spricht von einer "Zusammenführung aller Disziplinen unter dem Dach der Public Affairs", von Lobbying über Issues und Stakeholder-Management bis zur CSR soll der brancheninterne Wissensaustausch reichen. ÖPAV bietet sich als "institutioneller Ansprechpartner für Politik und Verwaltung in Fragen der rechtlichen Rahmenbedingungen für Public Affairs" an, verfolgt Professionalisierung, Identitätsbildung und Öffentlichkeitsarbeit.

Als "Lobby fürs Lobbying" besteht bereits seit 2004 das Austrian Lobbying and Public Affairs Council (ALPAC). Die Initiatoren und Träger sind teilweise dieselben wie beim ÖPAV. Insofern ist von einer Konkurrenz nicht auszugehen -- oder ist eine Fusion geplant? ÖPAV-Vizepräsident Peter Köppl, dessen Geschäftspartner Andreas Kovar als Vorstand bei ALPAC engagiert ist, sagt auf Anfrage: "Nein, die beiden werden nicht zusammengeführt." Er erklärt den Unterschied: "ALPAC ist der Verband der Eigentümer von Interessenvertretungsunternehmen (IVUs) wie es das bei uns kommenden Lobbying-Register-Gesetz tituliert, ÖPAV ist der breit aufgestellte Branchenverband."
Als ÖPAV-Präsident fungiert Feri Thierry (Thierry Politikberatung), sein Vizepräsidenten sind Ortrun Gauper (Superfund Asset Management Österreich), Manuell Güll (Imperial Tobacco Austria), Veronika Haunold (NPO-Frauennetzwerk), Peter Köppl (Kovar & Köppl) und Ronald Pickler(GlaxoSmithKline und Pharma-Forum FOPI). Der Vorstand lässt sich durch einen wissenschaftlichen Beirat beraten.

Gründungsimpuls: Konflikte um das neue Lobby-Gesetz
Offenbar ist der Auslöser für die Verbandsgründung die Unzufriedenheit mit der Vertretung der eigenen Interessen (siehe Blogbeitrag vom 9.8.: "Österreich: Das strengste Lobbyregister der Welt - mit einigen Macken"). Die von Köppl erwähnten "Interessenvertretungsunternehmen" (IVU) wurden im Gesetzentwurf hervorgehoben und besonderen Pflichten unterzogen. Der Verband konstatiert: "Die jüngsten politischen Ereignisse und Entwicklungen in Österreich haben gezeigt: Die Branche der Interessenvertreter/innen in Österreich ist bisher weder ausreichend konstituiert noch klar positioniert."

In der österreichischen Spielart des Korporatismus beanspruchen Kammern und Spitzenverbände in Österreich eine privilegierte Sonderstellung als halbstaatliche institutionelle Selbstverwaltungskörperschaften Interessenvertretungen, die sich vom sonstigen Lobbying unterscheiden will. Das hierfür genutzte Etikett "Sozialpartner" wird in Österreich anders verstanden als in Deutschland -- die Sozialpartnerschaft hat Quasi-Verfassungsrang, was sich durchaus von der deutschen Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie deutscher Sozialpartner unterscheidet.

Dass der Konsens über die Interessenvertretung durch die Sozialpartner etwas bröselt, hat auch mit der Rolle von NGO/NPO zu tun, die ähnlich wie Unternehmen und Beratungsfirmen massiv an Bedeutung gewonnen haben. ÖPAV-Vizepräsidentin Haunold sieht es so: „Gerade in Österreich sind Public Affairs besonders wichtig, weil es neben den Sozialpartnern auch andere gesellschaftlich relevante Positionen gibt, die eine Öffentlichkeit brauchen.“

Verhaltenskodex, Transparenzversprechen und Erfolgshonorare
Wie ALPAC hat sich der ÖPAV gleich einen Verhaltenskodex gegeben. Nach dem Verbandsverständnis geht dieser über die Vorschriften im Lobby-Gesetzentwurf hinaus, etwa bei der Unvereinbarkeit einer ÖPAV-Mitgliedschaft mit parlamentarischen Mandaten und Ämtern. Außerdem will der ÖPAV seinen Verhaltenskodex durch ein klar geregeltes Verfahren bei Kodexverstößen absichern. Die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (degepol) entwickelte dies erst Jahre nach der Kodexveröffentlichung. Der ÖPAV beruft dafür eine Kommission mit externer Beteiligung durch einen Richter. Anzeigen dürfen Kodexverstöße nicht nur ÖPAV-Mitglieder, aber auch nicht jedermann -- sondern nur "politische Entscheidungsträger, Medienvertreter oder Vertreter der Zivilgesellschaft".

Der Verband will "ein klares Zeichen der Transparenz und Qualität" setzen. Interessant ist dabei auch eine Regelung von Erfolgsprovisionen -- ein Thema, dass auch die PR-Branche seit langem beschäftigt. Diverse internationale Verhaltenskodizes sehen solche Erfolgshonorare zum Teil als unprofessionell und ethisch fragwürdig an, jedoch haben sie in der Praxis der Auftragsvergabe Verbreitung gefunden. Der ÖPAV-Kodex verwirft sie nicht grundsätzlich, sagt aber immerhin: "Ausschließlich oder überwiegend erfolgsabhängige Entgeltvereinbarungen werden von ÖPAV-Mitgliedern weder angeboten noch angenommen."

Donnerstag, 15. September 2011

Was lesen die deutschen Lobbyisten in Brüssel?

Was lesen die deutschen Lobbyisten in Brüssel?  Die Frankfurter Allgemeine, den Spiegel und die Süddeutsche, die Financial Times und den Economist  -- so eine Studie „Informationsverhalten der EU-Akteure" des Hamburger Instituts für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF), die allerdings im Juni 2011 nur 50 Interessenvertreter (und 50 Mitarbeiter der EU-Kommission) telefonisch interviewte.

88 Prozent der Befragten entscheiden sich für die FAZ, 75 für das Hamburger Magazin, 55 für die Zeitung aus München, 93 für die FT und 53 das Londoner Magazin. Le Monde oder Herald Tribune fallen dahinter ab.

Die Webseiten der EU-Institutionen sind allerdings die wichtigsten Informationsmedien der Interessenvertreter: 98 Prozent nutzen sie regelmäßig, 85 täglich. Der mehrmals die Stunde aktualisierte EMM Newsbrief gehört für jeden Zwölften zum Muss.

Mit Blogs, Facebook und Co. können die deutschen EU-Lobbyisten noch wenig anfangen. Zwar kennen sich 74 Prozent gut mit Facebook, Twitter und anderen interaktiven Online-Anwendungen aus -- sagen sie. Doch Social Media sind für 68 Prozentbisher wenig bedeutend. 44 Prozent gingen aber laut Studie davon aus, dass Social Media bei der Arbeit in Brüssel künftig eine wichtige Funktion einnehmen -- "weil sie helfen, EU-politische Trends früh zu erkennen." Der kleine Wissensvorsprung und die Pflege persönlicher Kontakte werden wichtiger.



ZDF enthüllt "Die heimlichen Strippenzieher"

ZDFzoom beschert uns mit dem Film "Die heimlichen Strippenzieher: Wer regiert uns wirklich?" (14.9.) von Henno Osberghaus und Anna Grün eine Lobbykritik der üblichen Machart. Er endet zu dunklen Klängen mit dem Fazit "Demokratie sieht anders aus". Vorhersehbar: Die große Enthüllung bleibt aus. Immerhin, einige Szenen und Recherchen sind bemerkenswert.

Die real existierende Lobby arbeitet in einem Blumenladen: Helmut Prinz in Mönchengladbach sorgt sich um eine mögliche Anhebung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes auf Schnittblumen. Der Film begleitet den Präsidenten des Fachverbands Deutscher Floristen (FDF) bei einem seiner zweimonatlichen Reisen nach Berlin.Das ZDF darf mit zu Ingrid Fischbach, stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende. "Ein Besuch im Namen der Rose", sagt die Reporterin.

"Ist ja super, ist ja wunderschön, sind meine Lieblingsblumen, ganz toll, ganz lieben Dank", freut sich die Politikerin über den Blumenstrauß, den Prinz mitbringt. Sie gibt dem Blumenhändler erst einmal "Entwarnung" bei der Steuerfrage. Fischbach trifft sich nach eigenen Aussagen auch mal privat mit Prinz und feiert mit ihm Geburtstag. Prinz bedankt sich artig, dass Fischbach ihm Türen öffne, etwa bei den Ministerinnen Schröder oder von der Leyen. Dann geht er weiter durchs Abgeordnetenhaus, mit einem neuen Blumenstrauß für eine SPD-Parlamentarierin in der Hand. Ein paar Sträuße wird er heute noch unter die Politiker bringen.

"Ein professioneller Vorgang":
Die Gier der Abgeordneten auf Einladungen

Das Schnittblumenlobbying wirkt noch ganz sympathisch und offenherzig. Dann gelangt der Film, wie vorherzusehen, in die Dunkel-Munkel-Ecke. Mit dem stets jovialen Lobbyveteran Karl Jurka darf das ZDF in den China Club am Pariser Platz schauen. "Ein ganz, ganz furchtbar exklusiver Treffpunkt", sagt Jurka. 2000 Euro Jahresgebühr, 10.000 Euro Aufnahmegebühr, Mitgliedschaft nur über Empfehlung, 800 Mitglieder. Das ZDF ist ganz, ganz furchtbar beeindruckt. Heute Abend hat Jurka für ein Abendessen eine Suite "Concubine" gemietet, aber für wen, sagt er lieber nicht.

Dafür hat er wie stets einige Sätze parat, die sitzen. "Lobbyismus ist genauso wie Journalismus ein professioneller Vorgang", sagt Jurka. "Und der, der mehr Geld hat, kann sich mehr kaufen." Das ist politically incorrect, Jurka weiß es und hat Spaß daran.

Was weiß er noch über Wining and Dining? "Jeder Abgeordnete ist gierig darauf, von den wichtigen Botschaften eingeladen zu werden, von den wichtigen Lobbyfirmen eingeladen zu werden, nur da muss er inhaltlich auch was zu bieten haben."

"80 Prozent in dem Gewerbe ist Recherche, 20 Prozent ist Zuschlagen."
In Jurkas eher schlichtem Büro ("Politikberatung sieht hier nach Schreibtischarbeit aus") darf das ZDF auch drehen. Hier berichtet Jurka, er nehme als Honorar einen Stundensatz 650 Euro, für den Tag 6500 Euro plus Mehrwertsteuer plus Spesen. Bei einem wichtigen Projekt sind schnell ein Dutzend Arbeitstage zusammen, rechnet die Reporterin durch.Wie schafft der Mann das nur? Jurka schlussfolgert aus 20 Jahren Erfahrung: "Sie müssen in unserem Geschäft immer dem Grundsatz folgen: Be unique. Sie müssen einzigartig sein." Wie denn, fragt die Reporterin. "Indem Sie mehr wissen als die anderen. 80 Prozent in dem Gewerbe ist Recherche, 20 Prozent ist Zuschlagen."

ZDFzoom: "Die heimlichen Strippenzieher"
"Sie müssen sich, wenn Sie in der Politik leben, irgendwann mal entscheiden, ob Sie Schauspieler oder Regisseur sind. Ich war immer für Regisseur", so Jurka. "Ich hab nichts gegen Schauspieler in der Politik. Mir geht es um den politischen Prozess. Mir gehts ums Gestalten. Ich will was beeinflussen." Jurka macht in Finanzen, Gesundheitswirtschaft, Auto, Kunststoff. Aber für die Rüstungswirtschaft mag er nicht arbeiten. "Es gibt so ein Minimum an ethischen Überzeugungen, die man haben sollte." – "Die hat nicht jeder?", fragt die Reporterin. Jurka zuckt mit den Schultern. "Da gibts unterschiedliche Vorstellungen."

Dank Jurka darf sich das ZDF auch bei einer Abendveranstaltung der Commerzbank umsehen, Bernd Pfaffenbach ist da und Prominenz aus Ungarn. Ilka Hartmann, verantwortlich für Internationale Regierungskontakte, ist eine freundliche Gastgeberin. Sie weist darauf hin, dass eine erfolgreiche Veranstaltung "nicht über Nacht" entstehe, sondern monatelanger Vorbereitung und Netzwerke bedürfe -- bei dieser Veranstaltung gingen lange Gespräche mit den Wirtschaftsministerin in Deutschland und Ungarn voraus. "Vertrauen ist wichtig in diesem Geschäft", sagt Hartmann.

Der Automatenkönig, Parteitags-Pavillons und windige Vertriebsgeschäfte
Der Film sagt richtig, dass Lobbyarbeit nicht nur in Berlin gemacht wird. Beim Ortstermin in Düsseldorf daddelt die Reporterin an Geräten, die bei der Messe der Automatenindustrie IMA ausgestellt werden. Stargast ist Paul Biedenkopf, es moderiert Jan Hofer von der Tagesschau. Die Branche sieht sich unter Beschuss. "Wir müssen uns verteidigen, sonst werden wir durch Rufmord sterben", konstatiert Merkur-Spiele-Unternehmerlegende Paul Gauselmann (Gauselmann-Gruppe /AWI Automaten-Wirtschaftsverbände-Info) am Rednerpult. Laut Film präferiert er es, Spendenmillionen gestückelt an Parteien zu überweisen und Anzeigen in CDU-Parteiblättern zu schalten sowie Entspannung versprechende Pavillons auf Parteitagen wie bei der FDP in Rostock aufzustellen, wo Gauselmann ganz vorn sitzen darf.
"Wir informieren diejenigen, die Entscheidungen treffen, was richtig und was falsch ist. Dann müssen die sich ihr Bild machen. Und was sie dann entscheiden, damit müssen wir leben. Und wenn wir keine Information überbringen, und nur die Gegner, die das Falsche in den Raum stellen, dann sind wir morgen verloren. Also, Sie nennen das Lobbyismus, ich nenne das Aufklärung auf dem Tatbestand der Tatsachen. Und nichts anderes", sagt Gauselmann.
So richtig geheimniskrämerisch wirkt das allerdings nicht. Um etwas investigativer zu wirken, rücken die Reporter daher undercover mit versteckter Kamera zu einer "Hausmesse" nach Seevetal bei Hamburg aus, wo Automaten Discount Nord, ein Gauselmann-Vertriebspartner, windige Vorschläge für die Aufstellung von Sportwetten-Terminals unterbreitet. Hier werden schon einmal Fakten geschaffen, legal hin, legal her. Motto: Erstmal aufstellen, und wenn die Inspektoren kommen, das Wettbüro schließen und den kostenfreien Anwalt der CashPoint-Gruppe in Anspruch nehmen, dann eine Woche später wieder eröffnen. Die Branche setzt auf baldige Legalisierung durch die Neugestaltung des Glücksspiel-Staatsvertrags. Sportwetten versprechen ein Milliardengeschäft.

Aktionsbündnis Meine Wahl! –
"Ein raffiniert gesteuertes Lobbyprodukt"


Zurück in Berlin, ist ein Treffen mit den LobbyControl-Aktivisten Nina Katzemich und Dietmar Jazbinsek unvermeidlich. Sie blicken über die Dächer der Hauptstadt und bummeln vorbei am Deutschen Brauer-Bund und am Quadriga Campus.

Gesundheitswissenschaftler und Journalist Jazbinsek zeigt der Reporterin die Website Buendnis-meine-Wahl.de als Beispiel für eine Astroturf-Kampagne, ausgedacht vom Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) und der Agentur WeberShandwick.

"Das klingt wie ne Graswurzelbewegung", meint Jazbinsek, "tatsächlich ist es aber ein raffiniert gesteuertes Lobbyprodukt".

Aktionsbündnis "Meine Wahl!"
Das führt die Reporter später nach Marburg zur Sanitätshaus-Filiale der Kaphingst-Gruppe. Geschäftsführer Boris Fichtler und AOK-Hessenschef Winfried Boroch sprechen über Rollatoren und wettbewerbliche Ausschreibungen für Hilfsmittel. Bevor die Krankenkassen neue Verhandlungsmodi und Ausschreibungen durchsetzten, hatte das Standardmodell (Stahl, mit Einkaufskorb und Tablett) einen Preis von 79 Euro, jetzt wegen der Ausschreibungen nur noch 50 Euro.

Um solche Preisunterschiede geht es bei der Kampagne von Buendnis-meine-Wahl.de, die neben Unternehmen diverse Patienten-Selbsthilfegruppen als Bündnispartner auflistet.

In Berlin kritisiert Martin Danner von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG) behinderter und chronisch kranker Menschen aber, das seien "Instrumentalisierungsversuche". Als deutlich geworden sei, dass die Kampagne maßgeblich von Unternehmen gelenkt werde, habe die BAG den Mitgliedsverbänden abgeraten mitzumachen.

Dennoch hat die Kampagne wohl erfolgreich Druck erzeugt: Die Ausschreibungspflicht wurde abgeschafft, eine Kann- in eine Soll-Bestimmung überführt. Die Leistungserbringer, also Hersteller und Sanitätshäuser, konnten sich gegenüber den Krankenkasse durchsetzen. Die Reporter wollen noch einmal bei Verband und Agentur nachfragen, aber: Man möchte über die Aktion nicht mehr reden, gibt am Telefon aber zu, dass man zufrieden sei.

Nur ein Satz, der über Milliarden entscheidet
Die Gesundheitspolitik-Recherche führt das ZDF schließlich in die altehrwürdige Charité. Am Tageslichtprojektor erläutert der in Lobbydingen keineswegs unbeschlagene Karl Lauterbach das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) von 2010.

ZDFzoom: "Die heimlichen Strippenzieher"
Dreh- und Angelpunkt: Die Nutzenbewertung von Arzneimitteln, die zu erheblichen Kosteneinsparungen führen sollte. Ursprünglich sah der Regierungsentwurf für diese Nutzenbewertung den Gemeinsamen Bundesauschuss vor, aber per Änderungsantrag von Unions- und FDP-Fraktionen ging die Verantwortung auf das Gesundheitsministerium über. Ein Vorschlag, den der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) unterbreitete. Weil er, so Lauterbach, "mehr Einfluss auf den Minister als auf ein unabhängiges Gremium von Ärzten und Kassen" habe. Die Regierungsfraktionen hätten "mehr oder minder wortwörtlich" den VFA-Vorschlag übernommen und den Entwurf der eigenen Regierung geändert.

Lauterbach: "In dieser Direktheit beobachtet man das selten, das ist also eine besonders dreiste Form eines Lobbyverbands, ein Gesetz selbst zu schreiben. ... Das ist ja nur ein Satz in einem großen Gesetz, aber es ist der wichtigste Satz im Gesetz. Denn es gibt nicht viele Sätze in Bundesgesetzen, wo Sie mit einem Satz über mehrere Milliarden entscheiden."

Kommentar zum Film
Udo Sonnenberg (Agentur ElfNullElf) kommentiert den Film im Blog Fette Henne:
Am Ende der Sendung könnte der geneigte Zuschauer auf die Idee kommen,  dass die Autorin recht hat: Lobbyisten höhlen die Demokratie aus. Wenn die Welt doch immer so einfach wäre. Richtig ist, dass die Branche einen durchwachsenen Ruf genießt und einige nicht immer mit lauteren Methoden arbeiten. Aber Interessen zu vertreten ist so alt und natürlich wie die Menschheit. Jeder hat sie und sieht sie gerne wahrgenommen bzw. vertreten. Nur wenn es die anderen machen, dann ist es “Lobbyismus”. Oft ist bedauerlicherweise der Neid derjenigen, die es nicht so gut hinbekommen, auf diejenigen, die sich professionalisiert haben, groß und das vergiftet die Atmosphäre. Damit muss man aber leben können.
Eines steht jedoch fest: Wir alle, die wir im Bereich der legitimen politischen Interessenvertretung arbeiten, müssen täglich mit unserer Arbeit dazu beitragen, dass unser Tun und Handeln transparent bleibt.
Sich mit dem gemieteten Separee im China-Club zu brüsten und dann nicht sagen, mit wem man dort ist, bringt alle ehrlichen und vertrauenswürdigen Repräsentanten der politischen Beratungsbranche in Verruf. Diesen Geschmack zu hinterlassen, das hat der Beitrag definitiv geschafft.

Mittwoch, 14. September 2011

"Kollateralschaden": Nonprofits halten Obamas Lobby-Regeln für zu strikt

Allmählich werden selbst Obamas loyalste Unterstützer sauer auf den Mann im Weißen Haus.

Der US-Präsident hat seinerzeit im Wahlkampf eine strikte Transparenzpolitik im Umgang mit Interessenvertretern im Weißen Haus versprochen und durch entsprechende Richtlinien umgesetzt. Typisch Obama war dabei viel Symbolik und Rhetorik im Spiel (siehe Blogbeitrag vom 26.01.11, Obama kritisiert "Lobbyistenparade", fordert Offenlegung der Kontakte)

Allerdings haben einige der Transparenz- und Ethik-Vorschriften reale Konsequenzen -- und es trifft ausgerechnet linksliberale NGOs, die fest im Obama-Lager stehen.

Sie sprechenvon einem „Kollateralschaden“ durch Obamas Anti-Lobby-Politik.  Der Informationsfluss zwischen NGOs und Regierung sei gestört, die Stimme der NGOs drohe zu verstummen. Fachlich herausragende NGO-Vertreter würden vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen.
  • Ihre besten Leute dürfen nicht in Regierungsjobs wechseln -- das betrifft sogar Praktikanten, 
  • die NGOs dürfen Regierungsbeamte auch nicht einstellen, und
  • die Transparenz werde kleiner, weil Lobbyisten die Meldepflichten zu umgehen suchten.
 Zu Obamas Regeln gehört eine harte Linie an der "Drehtür" (revolving door) -- dem Personalaustausch zwischen Regierung und Interessengruppen.
  • Die Vorschriften besagen, dass Neueinstellungen der Exekutive nur dann möglich sind, wenn der Bewerber in den zwei Jahren vor seiner Anstellung nicht mehr als einmal eine Regierungsbehörde kontaktiert hat. Ansonsten muss er eine Ausnahmegenehmigung beantragen.
  • Wenn Regierungsbeamte ausscheiden, dürfen sie für zwei Jahre keine Behörde des Bundes als Lobbyist ansprechen (cooling-off period). 
  • Außerdem hat Obama verfügt, dass beim Bund registrierte Lobbyisten nicht mehr als Mitglieder von Regierungsbeiräten berufen werden dürfen.
Jüngst berichtet Politico, dass sich zahlreiche NGOs über die Regeln beschweren. Das Center for Lobbying in the Public Interest (CLPI) veröffentlichte einen Bericht ("Collateral Damage
How the Obama Administration‘s Ethics Restrictions on Public Service Have Harmed Nonprofit Advocacy and the Public Interest"
), nach dem ausgerechnet die Verbraucherschützer, Umweltschützer, Bürgerrechtler, Demokratiereformer und Vertreter von Kinder-, Familien-, Menschenrechtsrschutzgruppen durch die Regeln Nachteile erführen. Von „Common Cause“ über die „American Civil Liberties Union“ bis „Human Rights Watch“, von Good-Government-Gruppen bis zu den Transparenz-Advokaten reicht die Liste der protestierenden Lobbies.

Tenor: Das neue Regelwerk funktioniert nicht, es schlägt ins Gegenteil um, und es schadet mehr als es nützt. So lautet das Fazit einer CLPI-Umfrage unter (überwiegend links orientierten) NGOs. 80 Prozent von ihnen halten Obamas Lobbyregeln für „schädlich für das öffentliche Interesse“.
  • Im CLPI-Bericht werden mehrere Fälle dargestellt, bei denen offenbar hochqualifizierte Mitarbeiter von NGOs aufgrund ihres Status als registrierte Lobbyisten bei Berufungen in Regierungspositionen ausgeschlossen wurden. 
  • Das betrifft sowohl NGOs direkt als auch Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien, die für sie gearbeitet haben. 
  • Verbraucherschützer dürfen also z.B. nicht für die Verbraucherschutzbehörden der Regierung tätig werden, weil sie vorher Lobbyarbeit für Verbraucherschutz betrieben haben. Dieses Phänomen zieht sich durch mehrere Sektoren.

Es sei zu einem „perversen Effekt“ gekommen, dass politisches Personal lieber nicht bei den NGOs tätig werden wolle: Selbst sehr gute Leute fürchteten, dass das Auftreten als Interessenvertreter für die NGOs ihre Karriereaussichten beeinträchtigen könne. Denn für zwei Jahre dürften sie nicht im öffentlichen Dienst arbeiten.

Die NGOs hätten Schwierigkeiten, selbst Praktikanten und jüngere Mitarbeiter zu finden – denn auch diese müssen damit rechnen, künftig für zwei Jahre von Regierungsjobs ausgeschlossen zu werden.

Nonprofit-Lobbyisten zahlen nun also den Preis für die Ethik- und Transparenzregeln, die Obama wegen des von Nonprofit-Vertretern kritisierten Missbrauchs geschaffen hat.  Die Restriktionen für Lobbyisten, die sie einst forderten, treffen sie nun selbst.


Die Vorschriften hätten die Einstellung zum Lobbyregistergesetz (Lobbying Disclosure Act, LDA) geändert. Früher hätten Interessenvertreter im Zweifelsfall alle Aktivitäten gemeldet. Heute hingegen vermieden sie die Meldung, wenn es nicht unbedingt nötig sei – um weitergehende Einschränkungen zu vermeiden.

Die Zahl der Lobbisten-Registrierungen und Meldungen von Lobby-Aktivitäten durch die NGOs erheblich zurückgegangen. Die NGO-Vertreter gaben im Verhältnis 2:1 in der Umfrage an, sie seien dabei von den Vorschriften beeinflusst worden. Es sei zu einer übergroßen Vorsicht gekommen, da die NGOs besonders sensibel bei der Verletzung der Transparenzvorschriften seien. Die Folge sei, dass sich die NGOs bei der politischen Arbeit zurücknähmen. Sie nähmen weniger Termine mit Politikern wahr, um unterhalb der Zeitschwellen zu bleiben, bei der die Meldepflicht einsetzt.

Der CLPI-Bericht kritisiert, dass der Informationsfluss zwischen Regierung und NGOs gestört sei. Auf der anderen Seite fielen zahlreiche nicht als Lobbyisten registrierte Wirtschaftsvertreter nicht unter die Vorschriften und seien in Positionen in den Ministerien und Behörden gewechselt. Der CLPI-Bericht sagt, nach zweieinhalb Jahren werde immer klarer, dass die privaten Interessenvertreter dadurch in ihrem Einfluss keineswegs beschränkt würden.


Das Weiße Haus reagierte laut Politico erst einmal defensiv – man bleibe bei den Regeln. Auch wenn das heißt, dass man den eigenen politischen Freunden die Tür vor der Nase zuknallt. (Oder etwas diplomatischer: „…even if that means there are talented public advocates who can’t work in the administration”, so Regierungssprecher Eric Schultz.). Bis zu den Wahlen 2012 dürften Änderungen im Regelwerk unwahrscheinlich sein.

Dienstag, 13. September 2011

Altrocker-Lobby: Copyright-Sieg der Musikindustrie in Brüssel

"Wind of Change", sangen einst die Altrocker der Scorpions. So ein Wind blies nach drei Jahren Flaute diesen Sommer voll in die Segel der Musikindustrie. Sie brachte diese Woche die Verlängerung des Copyrights von 50 auf 70 Jahre in den sicheren Hafen, und zwar ziemlich geräuschlos, wie das BrusselsBlog der FT und EurActiv berichten.

Manchmal, nur manchmal, geht es auch bei der EU ganz schnell.

Sogar Cliff Richard, Paul McCartney und "The Who" trugen als Sachverständige und Stakeholder ihren Teil bei: Um eine Verlängerung des Copyrights zu erreichen, hat die Musikbranche -- darunter Universal, Sony Music Entertainment, Warner Music Group und EMI -- in den letzten Jahren intensiv in Brüssel lobbyiert. Das zeitweise heftig debattierte Thema wurde bei der EU diese Woche ohne Getöse in eine neue Richtlinie überführt.

Das ist erstaunlich, denn drei Jahre lang bewegte sich hier gar nichts.

 Die bisherige Copyright-Regelung (50 Jahre, bis ungestraft kopiert werden darf) schien mangels Konsens einfach auszulaufen -- ein Horror für die Musikbranche, die unter sinkenden Verkaufszahlen und steigender Download-Piraterie leidet.

Brüssel hatte vor drei Jahren die Klagetöne der Musikbranche erhört und wollte das Copyright deutlich verlängern. Ursprünglich schlug die EU-Kommission gar ein 95 Jahre währendes Copyright vor. Das Parlament unterstützte eine Verlängerung grundsätzlich, aber eine Handvoll Mitgliedstaaten, angeführt von Schweden, traten auf die Bremse und blockierten die Gesetzgebung. Die notwendigen Super-Mehrheiten schienen in weiter Ferne, der Rechtsakt so gut wie tot.

Dann muss sich aber jemand des ersten Cliff-Richard-Hits von 1958 erinnert haben: "Move It". 

Anfang Juli signalisierte die neue Regierung in Portugal aber einen Richtungswechsel, und auch Dänemark besann sich. Auf einmal fehlten der Opposition die Stimmen, und die Befürworter nutzten die Chance sehr schnell. Am 12. September ging die Sache durch den Ministerrat, und fertig war die Novelle der alten Copyright-Richtlinie 2006/116/EG.

Der gute alte Cliff darf damit für "Move It" noch bis 2028 Tantiemen einsammeln.


Damit nähert sich Europa dem US-Recht an, nach dem Musikern und Plattenverlagen 95 Jahre nach der ersten Aufnahme Exklusivrechte garantiert sind (bei Texten sind es nur 70 Jahre).

Zeiten des Übergangs
Ob das ausreicht, um der illegalen Verbreitung im digitalen Zeitalter Grenzen zu setzen, ist allerdings fraglich. Kritiker meinen, die Musikbranche gehe ein erhebliches Risiko ein, wenn sie sich mit ihrer Lobbyarbeit so stark auf das Bewahren althergebrachter Schutzrechte fokussiere.

Die EU will die Copyright-Verlängerung verstanden wissen als Hilfe, um in einer Übergangszeit Einkommen und Geschäftsmodelle zu schützen, bis sich die Musikbranche an die digitalen Zeiten angepasst hat. Im Rechtsakt sind einige Passagen recht interessant.
  • So gibt es eine "Use it or lose it"-Klausel: Wenn die Musikverlage alte Aufnahmen nicht aktiv vermarkten, gehen die Rechte automatisch an die Künstler zurück. Er kann sich dann entweder für einen neuen Vermarkter entscheiden oder selbst vermarkten -- möglicherweise über das Internet. 
  • Wenn weder Label noch Künstler aktiv werden, erlischt das Schutzrecht. Auf diese Weise will die EU verhindern, dass die Verbreitung kommerziell nicht mehr interessanter Musikstücke blockiert wird. 
  • Außerdem müssen die Musikverlage 20 Prozent ihrer im Verlängerungszeitraum erreichten Umsätze in einen Fonds einzahlen, mit dem Musiker gefördert werden sollen.

Montag, 12. September 2011

Zur Demo per Dienstreise? Anti-Protest-Protest durch "Betriebskampfgruppen" der Berliner Flughäfen

Grundsätzlich ist ja nichts gegen Grassroots-Proteste einzuwenden, zu denen Firmen ihre Mitarbeiter motivieren und mobilisieren. Wenn die Firma aber in öffentlicher Hand ist und der Steuerzahler indirekt für die Fahrt zur Demo und auch noch den freien Tag bezahlt, ist das mindestens kitzlig. Für die brandenburgischen Grünen und die BBI-Flughafengegner vom BVBB ist es bereits ein „Riesenskandal“.

Im Intranet der Berliner Flughafengesellschaft tauchte am Wochenende ein Mitarbeiterbrief der Geschäftsführung auf, den auch die BVBB in die Hände bekam und veröffentlichte (Klick auf Abbildung rechts).

Die Mitarbeiter werden aufgerufen, am 20.9. vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gegen die Einschränkung der Nachtflüge beim neuen Großflughafen Berlin-Brandenburg International (Willy Brandt) Schönefeld zu demonstrieren: „Kein Nachtflugverbot in den Randzeiten!" Am 20.9. wollen auch die Flughafen-Gegner in Leipzig demonstrieren.  „Die Fahrt gilt als Dienstreise“, schließt das Belegschaftsschreiben. Unterzeichnet (aber nicht handschriftlich): Flughäfenchef Rainer Schwarz sowie Bauchef Manfred Körtgen.

Der Brief warnt vor Job-, Passagier- und Einkommensverlusten in der Zukunft. "Sicher wird auch in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis dieses Thema heiß diskutiert. Wir möchten auch Sie bitten: Bringen Sie sich in die Diskussion ein und bekunden Sie Ihre Meinung zum BER [gemeint ist der neue Flughafen] offen."

Eine Panne, offenbar. Der Flughäfensprecher Ralf Kunkel dementierte das alles: „Entweder das Schreiben stammt von einem übermotivierten Mitarbeiter oder es ist ein Entwurf“, sagte er im Tagesspiegel. Schwarz kenne den Brief nicht. Überhaupt sei der vom 5. September datierte Brief  „längst nicht mehr aktuell“. Er räumte aber „großen Unmut bei den Mitarbeitern über die in Teilen unsachlichen Anwürfe mancher Flughafen- und Flugroutengegner“ ein. Man habe Verständnis für Kollegen, "die ihrem Willen Ausdruck verleihen wollen", so der Sprecher in der Berliner Zeitung.
In der Morgenpost sagte er, die Beschäftigten machten sich Sorgen um ihre Arbeitsplätze, falls die Richter für die Randzeiten von 22.00 bis 24.00 Uhr sowie 5.00 bis 6.00 Uhr ein Flugverbot verfügen sollten.

Mobilisiert die Politik die "Betriebskampfgruppen"?

Man fragt sich, ob die von der Lufthansa initiierte Kampagne "Die Fracht braucht die Nacht" dahinter steckt. Oder der Flughafenverband ADV, denn auch der wendet sich gegen Nachtflugeinschränkungen.

Der BVBB sieht das Ganze jedenfalls als mit den Spitzenpolitikern abgekartete Aktion: „Wowereit, Platzeck und FBS-Geschäftsführer lassen FBS-Mitarbeiter auf Steuerzahlerkosten gegen Flughafenanwohner aufmarschieren“. Er schreibt:
Am 28.08.2011 teilte der Brandenburgische Wirtschaftsminister und FBS-Aufsichtsratsmitglied Christoffers (LINKE) mit, dass mit einer 500.000 Euro teuren Kampagne die Betreiber des neuen Flughafens Berlin-Schönefeld (BER) für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung sorgen wollen. Ganz offensichtlich gehen davon schon erkleckliche Sümmchen für Demo-bedingten Arbeitsausfall am 20.09., Demo-Dienstreisen, Demo-Spesen,  Demo-Dienstfahrzeuge und -wie man hört- das Drucken von Pro-Nachtflug-T-Shirts, die die FBS-Arbeitnehmer und Demowilligen übergestreift bekommen sollen, drauf.
Jeder weiß, dass die permanent defizitär wirtschaftende FBS aus öffentlichen Haushalten alimentiert wird. Das geschieht alljährlich durch Gesellschafterdarlehen, die nach Jahresablauf regelmäßig in Eigenkapital umgewandelt werden. So werden unserer Gelder gegen die Wahrnehmung unserer demokratischen Rechte eingesetzt. Schamloser und dreister geht es nimmer.
Laut Tagesspiegel sprach der BVBB-Ehrenvorsitzende Ferdi Breidbach am Samstag bei einer Demonstration der Schönefeld-Gegner von „Betriebskampfgruppen“, die nach Leipzig geschickt werden sollten. „Die laut Veranstalter rund 8000 Demonstranten am Samstag reagierten mit Buh-Rufen.“  Das Blatt meint, die Beziehungen zwischen Flughafengesellschaft und Gegnern würden immer schwieriger. Bereits Anfang Juli hätten Betriebsräte der Flughafengesellschaft in einem offenen Brief „einen Schlussstrich“ unter der Routendiskussion gefordert und auf die Bedeutung des Neubaus für Region, Wirtschaft und Mitarbeiter verwiesen.

Sonntag, 11. September 2011

Gesetzgebung: Der Regierung das Initiativrecht nehmen?

"Die Regierung hat ihr Inititativrecht für Gesetzesvorlagen gründlich missbraucht", schreibt der frühere Bundesrichter und heutige Linken-Fraktionsjustitiar Wolfgang Neskovic heute in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ("Finsternis im Hohen Haus: Die Macht zur Rechtssetzung liegt in den Ministerien, Parlament und Abgeordnete verzwergen. Wir brauchen eine Verfassungsänderung", 11. Sept., S. 15).

Neskovic fordert eine Verfassungsänderung, "nach der der Regierung die Mit- und Zuarbeit am Gesetzgebungsprozess über die Fraktionen untersagt ist". Der Bundestag solle seine Gesetzung "aus eigener Ideenfindung und eigener Facharbeit" entwickeln. Neskovic ist sich über die "dramatischen" Folgen im Klaren und er weiß, dass dafür Personal, Geld und Infrastruktur erforderlich sind. Er will ein erhöhtes Anforderungsprofil, das "Fachpolitiker fördern und politische Schwätzer schwächen" soll, besser informierte, unabhängigere und persönlich verantwortungsvollere Abgeordnete.

Er begründet seine Position auch damit, Lobbyismus "in der öffentlichen Atmosphäre des Parlamentes transparenter" zu machen und Partikularinteressen zurückzudrängen. Neskovic meint:
Die Herauslösung der Rechtssetzungsmacht aus dem Bundestag hat Ursachen. Sie liegen nicht allein im "natürlichen" Bestreben der Regierungsgewalt, die eigene Macht zu mehren. Ein anderer Grund lieg in der wachsenden Verflechtung von Lobbyisten mit den Vertretern der Exekutive. Die deutsche Lobbylandschaft hat längst begriffen, dass die Ministerien für ihre Bemühungen nicht nur besser erreichbar sind, sondern auch viel mehr Macht haben als das Parlament. Zumal Parlamentarier deutlich größeren Transparenzzwängen unterliegen als die Vertreter der Bundesministerien.
Lobbyismus und exekutive Machtkonzentration sind natürliche Partner im Kampf gegen die Gewaltenteilung. Die Lobbyisten können gezielter und geräuschloser Einfluss auf die Politik nehmen. Das stille Bündnis mit der Wirtschaft mehr die Macht einer Regierung. Niemand - das gilt als abgemacht - kann gegen die Wirtschaft Politik machen.
Die Zuspitzung ist hart, aber zumindest zum Teil gerechtfertigt. Die Verflechtung ist groß und lässt an Transparenz zu wünschen übrig. Allerdings ist es fragwürdig, das Argument auf die Interessenvertreter der Wirtschaft zu reduzieren: Wohlfahrtsverbände, Umweltschützer, Gewerkschaften und viele andere machen es genauso.

Zudem suggeriert Neskovic, dass die Interessenvertreter gern im Dunklen mit den Ministern und Ministerialbeamten kungeln. Die Zusammenarbeit ergibt sich zunächst einmal ganz pragmatisch aus der Konstellation, dass die oft sehr komplexe Rechtsmaterie von Experten vorbereitet werden muss, und die Lobby steuert das für die Regierung wertvolle Expertenwissen bei. Ein großer Teil der Materie interessiert nur sehr wenige Politiker, sie ist für die große Bühne des Parteienstreits eher wenig geeignet Umgekehrt suchen Lobbies dann die Bühne, wenn sie eine große Debatte wollen und nicht die gezielte Detaileinflussnahme auf einzelne Paragraphen.

"Natürlich" ist, dass kluge Lobbyisten ihren Einfluss so früh wie möglich geltend machen. Wer auf die Behandlung im Bundestag wartet, hat die besten Chancen bereits verpasst. Das Parlament ist dann das Ziel, wenn im Ausschuss noch an einzelnen Stellen nachkorrigiert werden kann -- in letzter Minute. Vielfach ist es sogar schon zu spät, wenn das federführende Ministerium die Verbände zur offiziellen Stellungnahme zu einem Referentenentwurf  auffordert (GGO Kap. 6, Abschnitt 3 Beteiligungen und Unterrichtungen, insb. § 47 Beteiligung von Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Fachkreisen und Verbänden). Vielmehr liegt die Kunst darin, bereits auf die Vordiskussionen zum Vorentwurf Einfluss zu nehmen. Das ist in der Tat sehr weit weg von den Abgeordneten, die hier oft nur Zaungäste sind.

Eine so radikale Änderung, wie Neskovic sie vorschlägt, hätte zweifellos enorme Rückwirkungen auf die Prioritäten der Lobby. Wie das aussähe, kann man nirgendwo in Europa beobachten. Kein Wunder, denn der Vorschlag stellt das parlamentarische Regierungssystem auf den Kopf.

Ein funktionierendes Modell à la Neskovic hat nur Amerika mit seinem Kongress. Die Begründung für die große Ressourcenausstattung und Machtfülle in der Gesetzgebung, die zu einer intensiven Lobbyarbeit beim Kongress führt, liegt aber in der Machtkonzentration beim Präsidenten. Es ist ein Präsidialsystem mit austarierten "Checks and Balances". Das ist sicher nicht das, was Neskovic im Sinn hat, obwohl er sich mehrfach auf Montesquieu beruft -- den auch die US-Verfassungsväter zum Vorbild ihrer Gewaltenteilung machten.

Samstag, 10. September 2011

Wahltriumph eines Tabaklobbyisten


Wahlkampf im Kaiserreich, 1881

Von Wahlartillerie und Schwarzem Kraut: Wahlkampf im Kaiserreich sah anders aus als heute, aber war keineswegs langweilig. Auch die Verquickung von Parteipolitik und wirtschaftlichen Interessengruppen war sichtbar. Eine Spurensuche in der Tabakregion des Schwarzwalds  nach den Hintergründen eines kolorierten Holzstichs, den ich vor einem Dutzend Jahren in einem Antiquariat in Hannover erstand. Die Geschichte des Tabakfabrikanten Ferdinand Sander als Kandidat und Reichstagsabgeordneter ist spannend.

Althaus, M. (2011, September). Wahltriumph eines Tabaklobbyisten. Bei der Reichstagswahl 1881 knickten den Nationalliberalen die Wahlkreise weg wie Strohhalme. Aber im Schwarzwald boxte sich ein Kandidat gegen den Trend durch. Politik und Kommunikation, 40-41.

Zur Seite "Kolumne P&K HISTORIE" -- bisher erschienene Beiträge zur Geschichte der politischen Kommunikation.

Freitag, 9. September 2011

"Sauberes Lobbying": Forcierte Marktbereinigung per Lobbyregister -- oder Anreize für freiwillige Transparenz?

Der Streit unter Interessenvertretern über die Lobby-Regulierung geht in eine neue Runde. Die vier Branchen- und Berufsverbände im Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) sind sich überhaupt nicht einig, wohin die Reise gehen soll -- weshalb der DRPR dazu gegenüber der Politik derzeit gar keine gemeinsame Position hat. 
  • Zum DRPR gehört die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (degepol). Sie macht sich für ein verpflichtendes Lobbyisten-Register stark und weiß Transparency International an ihrer Seite. An die Registrierung sollen perspektivisch Privilegien gekoppelt sein -- in einem Brief an den Bundestagspräsidenten verlangte die degepol etwa, Bundestags-Hausausweise sollten nur an Interessenvertreter ausgegeben werden, die sich auf Verhaltenskodizes verpflichten sowie „umfassenden und sanktionsbewehrten Transparenzpflichten mit Angaben zu Personen, Zielen und finanziellem Aufwand des Lobbyings“ nachkommen. Auch Privilegien in Gesetzgebungsverfahren sind angedacht. Aber degepol-intern ist diese Position nicht unumstritten. Für Irritation sorgt nicht zuletzt die Aussage, mit dem Register zu einer "Marktbereinigung" im Berater- und Agenturenmarkt zu kommen.
  • Die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) hält davon gar nichts. Ein "öffentliches Verzeichnis" aller Interessenvertreter, das nicht nur die Verbände enthält wie die in den 1970er Jahren eingeführte Verbändeliste des Bundestages, will auch die DPRG. Aber ihr Arbeitskreis Public Affairs setzt weiter auf Freiwilligkeit und will "eine reine Registrierungsdiskussion" verhindern.
DPRG: "Sauberes Lobbying gelingt auch freiwillig"
Für die DPRG macht Kathrin Zabel im August-Heft des PR Report ziemlich unmissverständlich klar, dass ein gesetzlich verankertes Pflichtregister nicht in Frage kommt. Zabel, Mitglied des Lenkungskreises der DPRG-Gruppe, ist bezeichnenderweise auch degepol-Mitglied. Beruflich ist Zabel Senior Manager Government and Public Affairs in der Berliner Konzernrepräsentanz der Deutschen Post DHL. Sie schreibt in ihrem auch auf den DPRG-Internetseiten publizierten Beitrag "Sauberes Lobbying gelingt auch freiwillig":
"Anstelle einer gesetzlichen Regelung sollte vielmehr mittels eines Anreizsystems eine Selbstregulierung auf der Basis von Freiwilligkeit erfolgen. Solch ein öffentliches Verzeichnis, in das sich alle Lobbyisten, politischen Berater und Dienstleister freiwillig mit ihren Kontaktdaten und Schwerpunkten eintragen können, schafft mehr Transparenz. Es sollte beim DRPR geführt werden, der seit Jahren innerhalb der PR-Branche für Absenderklarheit eintritt.Die DPRG setzt in der Transparenzfrage auf einen sachlichen und fairen Interessenausgleich zwischen Politik, Gesellschaft und Interessengruppen. Es gilt, das eigentliche Ziel – sauberes Lobbying – zu diskutieren und die Debatte nicht auf eine reine Registrierungsdiskussion zu reduzieren." 
Als Unternehmenslobbyistin setzt sich Zabel persönlich nicht unbedingt in die Nesseln. Die Auseinandersetzung ist vor allem eine der Agenturen, Beratungsfirmen und freien Berater.

"Politiker sind doch nicht blöd"
Bei einer Veranstaltung der DeutschlandGroup 2010 (siehe Video) sagte Zabel:
"Der Grundgedanke, dass es transparent ist, für wen man unterwegs ist, ist durchaus begrüßenswert. Da habe weder ich ein Problem damit, noch unser Unternehmen. Und wenn jetzt noch irgendwo eine Website existiert, in der steht, `Katrin Zabel wirbt für Deutsche Post DHL`, ist das völlig ok.


Jedoch zweifelt sie, "muss das gesetzlich geregelt werden? Brauchen wir das wirklich eine so detaillierte Regelung, und ist die auch wirklich zielführend?" Für die Politiker sei ein Pflichtregister nicht unbedingt eine Hilfe: "Die sind doch nicht blöd, man muss doch auch mal schauen, das sind doch erwachsene Menschen und darüber hinaus gewählt, die haben alle Erfahrung."

Das ist sicher richtig. Dahinter steckt aber die Frage, ob ein Register -- oder Transparenzregelungen allgemein -- nur für die Politiker gedacht ist. Die Sicht von degepol und DPRG ist begrenzt auf die professionelle Beziehung zu den Adressaten der Lobbyarbeit. Für die Registerfreunde von Transparency International oder LobbyControl ist das Kernanliegen dagegen nicht, Politiker besser über die Lobbyisten zu informieren, sondern die Beziehungen zwischen Politikern und Interessenvertretern öffentlich kontrollierbar zu machen. Es gibt also unterschiedliche Sichtweisen auf das Problem: Transparenz ("Durchsichtigkeit") für wen eigentlich?

"Hauen und Stechen in der Lobbybranche" 
Nach einem Jahrzehnt Berliner Republik und schwierigen Jahren in der Finanz- und Wirtschaftskrise ist längst klar: Die deutsche Politikberaterwelt wird nicht mehr vom Boom bestimmt, sondern von Konsolidierung. Sie zeigt sich an Fusionen, Übernahmen, Verdrängungswettbewerb  – und einem Ringen um Marktanteile und Marktmacht.

Von einem "Hauen und Stechen in der Lobbybranche" sprach im April der Journalist Jens Kiffmeier ("Die Gier der Strippenzieher", news.de):
Verbände, Ex-Politiker, Anwälte, Selbstständige, Berater – sie alle ringen um Einfluss bei den Abgeordneten. Und nicht alle spielen nach den gleichen Regeln. Die einen arbeiten offen, die anderen verdeckt. Laut degepol-Sprecher Kretschmer [Heiko Kretschmer, degepol-Ethikbeauftragter und Repräsentant im DRPR und Chef der Berliner Agentur Johannsen + Kretschmer] sind es vor allem Einzelpersonen, die im Graubereich arbeiten – und die man seiner Meinung nach "mit dem Register aussortieren sollte".

So wie Kretschmer denken viele Lobbyisten. Längst sind nicht alle Interessenvertreter Gegner der Idee. Warum auch? Die Konkurrenz ist groß. Ein Register, mit dem mögliche schwarze Schafe aus dem Geschäft gedrängt werden könnten, eröffnet den anderen vielleicht neue Chancen. Kretschmer gibt das gerne zu: "Natürlich sehen wir in der Initiative eine Möglichkeit zur Marktbereinigung."
[...] [M]it einem Register könnten Politiker schon nachvollziehen, mit wem sie sich treffen und aus welchem Grund. Sollte ein Interessenvertreter nicht registriert sein, bräuchte man kein Gespräch zu arrangieren. "Diese Verantwortung kann man der Politik nicht abnehmen", sagt Kretschmer.
Die degepol macht Berufspolitik für ihre Branche
Die Positionierung der degepol ist das Ergebnis eines längeren Prozesses. Bei der Gründung 2002, damals zunächst als "Berliner Initiative junger Politikberater", ging es um Identitätsfindung, Netzwerk, eine Plattform für junge Politikberater – mehr nicht. "Den Mitgliedern ging es bei der Gründung von degepol nicht um die Etablierung eines neuen Berufsverbandes", schrieb Ko-Gründer und Vorsitzender Dominik Meier 2002 [S. 441].

Das ist inzwischen anders. Heute nennt sich die degepol Berufsverband, und sie lässt -- siehe oben -- Tendenzen zur "Marktbereinigung" erkennen. Man könnte auch Marktabschottung sagen.

Das ist professionstheoretisch nicht überraschend. Es gehört zum berufspolitischen Einmaleins, das Territorium gegen andere Berufsgruppen zu sichern, ja Rivalen als Amateure oder Scharlatane hinzustellen [Althaus, 1998, S. 41]. Da der Berufszugang nicht über staatlich kontrollierte Qualifikationsprüfungen und Lizenzen beschränkt werden kann, geht degepol den Weg über Transparenz- und Ethikfragen. 

Was mit einem freiwilligen degepol-Verhaltenskodex und Qualitätskriterien begann, mündete in die Ko-Trägerschaft des DRPR als Selbstkontrollorgan, dann in Forderungen nach Regulierung und Registrierungspflichten nebst staatlicher Sanktionen. Sie könnten den einen die Zugänge zur Politikberatung erleichtern und den anderen erschweren.

Es ist dementsprechend unter Beratern sehr umstritten,
  • ob es überhaupt ein Register geben sollte und 
  • wie weit es gehen darf, etwa in der Pflichtmeldung von Auftraggebern, Personal, Zeitaufwand, Umsatz und Budgets ab bestimmten Schwellenwerten, oder 
  • ob es sich nur auf den Bundestag oder auch die Bundesregierung beziehen soll, was zur Folge hätte, dass der Bundestag das Register nicht nur in seiner Geschäftsordnung verankern  kann, sondern ein Gesetz machen muss. 

Mit ihrer strikten Forderung steht die degepol derzeit isoliert im DRPR da. Die anderen drei Trägerorganisationen – DPRG, Gesellschaft Public Relations Agenturen (GPRA) und Bundesverband der Pressesprecher (BdP) – halten dazu Abstand.

Im Bundestag erwärmt sich bisher nur die Opposition für diese Ideen. Die Regierungsfraktionen schmetterten deren Anträge auf Einrichtung eines Registers ab. Heiko Kretschmer ist laut news.de der Auffasssung, dass Union und FDP hier einen Fehler machen: "Ihre Rundum-Ablehnung können die Regierungsfraktionen nicht mehr lange aufrechterhalten." Die öffentliche Meinung stehe nicht hinter ihnen. "Mit ihrem Nein sind sie klar in der Minderheit. Das können sie sich nicht leisten."

Rivalitäten zwischen Kommunikationsagenturen und Anwaltskanzleien
Markant ist der Ruf der degepol nach Pflichtregistrierung in einer Hinsicht: „keine Ausnahmen.“ Weder NGOs noch Think Tanks sollen sich drücken können, aber diese Forderung zielt vorrangig auf die Konkurrenz der Anwaltskanzleien, die sich als politische Advokaten nicht auf Mandantenschutz und Schweigepflicht der Rechtsanwaltsordnung beziehen sollen dürfen. [degepol, Eckpunktepapier…, 2009, S. 3.] Darum schaltete sich degepol auch in die Debatte um das Gesetzgebungs-Outsourcing ein: Ministerien müssten über die Mandanten der Kanzlei informiert, Interessenkonflikte im Vergabeprozess transparent gemacht werden [degepol, Mitarbeit..., 2009].


Anwaltskanzleien halten von umfassenden Registerpflichten nichts. Das hat sich in Brüssel beim langen Rangeln ums EU-Lobbyregister gezeigt, und auch in Berlin begegnen die Sozietätsjuristen der Idee kühl. Von der Pro-Register-Position der US-Anwaltsvereinigung ABA sind die in Deutschland tätigen Kanzleien weit entfernt. In der Stellungnahme zum Grünbuch der EU-Kommission zur Europäischen Transparenzinitiative 2006 kommentierte die Bundesrechtsanwaltskammer, sie sehe keine Lobbyarbeit in "anwaltliche Tätigkeiten bei der auf den Einzelfall bezogenen Interessenvertretung gegenüber europäischen Organen und Einrichtungen."
"Vertritt der Rechtsanwalt seinen Mandanten gegenüber der Kommission im Rahmen der unmittelbaren Anwendung bestehenden Gemeinschaftsrechts, so z. B. des Wettbewerbsrechts oder des Beihilferechts, so handelt es sich hierbei um originär anwaltliche Tätigkeit und nicht um Lobbyarbeit. In diesem Fall kommen die geltenden Verfahrensvorschriften der Europäischen Kommission sowie das Berufsrecht des Anwalts zur Anwendung. Originär anwaltliche Tätigkeit in Verfolgung mandatierter Einzelinteressen fällt insofern nicht unter den Begriff der Lobbyarbeit.

Anwaltliche Tätigkeit liegt ferner immer dann vor, wenn der Anwalt für seinen Mandanten eine Rechtsvorschrift anwendet, auslegt oder nachsucht. Ob es sich hierbei um geltendes Recht oder zu schaffendes Recht handelt, macht keinen Unterschied. Der Mandant sucht den Anwalt gerade wegen seiner juristischen Fachkenntnisse in dieser Frage auf. Liegt ein Fall der anwaltlichen Tätigkeit vor, unterliegt der Anwalt dem strengen und vorrangigen Verschwiegenheitsgebot. Das bedeutet, er kann nur mit Einverständnis seines Mandanten die Identität des Mandanten offenbaren. Nur der Mandant kann den Anwalt von der Verschwiegenheit entbinden."
Diese Position nehmen die Juristen grundsätzlich auch bei der deutschen Registerfrage ein. Allerdings räumte der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer, Axel Filges, jüngst zumindest beim Gesetzgebungs-Outsourcing durch Ministerien an Kanzleien einen Bedarf "größtmöglicher Transparenz" und "Offenlegungspflicht für die früheren einschlägigen Mandatsbeziehungen" ein; "vorzugswürdig" sei  "allerdings die Offenlegung nur begrenzt gegenüber einem Parlamentsgremium, damit die letztentscheidenden Parlamentarier die Interessenkonfliktsituation einschätzen können." Immerhin scheint bei den Anwälten Bewegung in die Transparenzfrage gekommen zu sein. Doch beim Lobbyregister ist allzu viel Bewegung erst einmal nicht zu erwarten.

Wirtschaftskanzleien kamen später nach Berlin als die PR-Spezialisten. Zunächst schien es so, als hätten die Juristen den Einstieg ins neue politische Geschäft verpasst [Oppel, 2007]. Um 2000 waren nur wenige amerikanische law firms präsent. Heute ist der Brückenkopf Berlin, zum Missvergnügen der Agenturen, eine gut ausgebaute Festung anwaltlicher Politikberatung.

Bei manchen Projekten arbeiten Kommunikationsberater und Anwaltskanzleien Hand in Hand. Aber die Rivalität zwischen ihnen ist offensichtlich geworden.

Mitte des letzten Jahrzehnts fiel Marktbeobachtern in der Fachpresse auf, dass die neue Konkurrenz sich in der Politikberatung und politischen Interessenvertretung breit macht.
Anwälte sind von Berufs wegen prädestiniert, Interessen zu vertreten. Für welche Mandanten die Arbeit erledigt wird, spielt dabei nicht die entscheidende Rolle“, erläuterte ein Berliner Jurist; neu sei, dass Anwälte offen zugeben, sich auf Lobbying spezialisiert zu haben [Oppel, 2007].
Anwälte haben ja immer schon in diesem Bereich gearbeitet“, bestätigte ein PR-Agenturchef. „Neu ist, dass sie heute diese Beratungsleistung als Paket definieren und – soweit man davon sprechen kann – konkrete Produkte anbieten“. Das Fachblatt Juve beobachtete, die Anwälte hätten bei Selbstvermarktung und Außenwahrnehmung den Fehdehandschuh geworfen und seien von Agenturen nicht weit entfernt. „Strategisches Umdenken“ und „Mentalitätswechsel“ sei festzustellen: Kanzleien warteten nicht darauf, dass sich aus anderen Mandaten Aufträge ergäben, sondern trügen politische Themen aktiv in die Kundenkreise [Barth, 2006, S. 24].  

Anwälte sind deutlich teurer als Agenturen. Aber sie haben Vorteile. Es beginnt beim Zugang zu Kunden und Adressaten: Sie bauen politische Aufträge auf Altmandaten bei Großunternehmen und Verbänden auf. Zu Ministerien – in denen überwiegend Juristen sitzen – haben Verwaltungsrechtler und Spezialanwälte (z.B. für Netzregulierung, Umwelt- und Gesundheitsrecht, Handelsfragen, Steuerrecht) einen guten Draht. Fachkunde wird kombiniert mit dem „juristisch-handwerklichen Teil bei Projekten mit komplexem politischen Hintergrund“ [Barth, 2006, S. 27].

Politik und Verwaltung sind von hoher Verrechtlichung und legalistischer Kultur geprägt. Anwälte intervenieren in der richtigen Form und Sprache. Manche Kanzleien haben prominente Politiker als Türöffner der Akquise rekrutiert.

Anwaltliche Privilegien spielen ebenfalls eine Rolle – die Verschwiegenheitspflicht zum Beispiel, aber auch das bis 2005 geltende Monopol bei der Fördermittelberatung. Gegen nichtjuristische Berater gingen Kanzleien rabiat mit Abmahnungen und Gerichtsverfügungen vor. Public-Affairs-Agenturen versuchten sich durch feine Unterschiede zwischen Fördermittelberatung und Förderpolitikberatung zu retten. Die Unsicherheit wurde erst durch den Bundesgerichtshof beendet, der 2005 feststellte, dass das Rechtsberatungsgesetz hier nicht anwendbar sei, also auch Nichtjuristen tätig sein dürfen. Der Musterprozess wurde vom Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) angestrengt. 

Die Konkurrenz dreht sich nicht nur ums Lobbygeschäft, sondern auch um Regierungsaufträge -- wobei sich Kommunikationsagenturen durch Anwälte freilich nicht bei Öffentlichkeitsarbeits- und Kampagnen-Etats bedroht sehen, aber die Nähe der Kanzleien zu den Ministerien gleichwohl kritisch beäugen.  Denn auch inhaltliche Politikberatung sehen sie als Metier der Agenturen.

Das Nachrichtenmagazin Focus gönnte den internationalen Kanzleien 2010 eine Titelstory: „Die unheimliche Elite – Wie riesige Anwaltsfabriken Wirtschaft und Politik beeinflussen“. Darin wurde erneut die Zuarbeit von Großkanzleien wie Linklaters oder Freshfields für Ministerien thematisiert. Für die renommierten law firms ist das eher ein kleines Zusatzgeschäft, aber immerhin: Allein 2008 gab die Bundesregierung laut Focus € 40 Mio. für externe juristische Beratung aus [Sachse, 2010].

Offenbar gab es zuvor eine eher zurückhaltende Praxis bei der Auftragsvergabe, vor wenigen Jahren aber einen Sprung und deutlich höhere Bereitschaft, externe Berater hinzuziehen. Die Regierung erklärte 2009, zwischen 1990 und 2009 hätten externe Berater (nicht nur Anwälte) an 61 Gesetzen mitgewirkt, davon allein 36 in der Verantwortung des Umweltministeriums, zehn weitere aus dem Verbraucherschutzministerium. Ungefähr € 6 Mio. (wobei einige Daten fehlen) wurden für Beraterhonorare insgesamt fällig – in zwei Jahrzehnten [Deutscher Bundestag, 2009]. Anwaltsleistungen werden aber noch in größerem Ausmaß von Bundesländern und Kommunen in Anspruch genommen [Jahn, 2010].

Große Kanzleien und Beratungen leben oft nicht schlecht vom Bund“, stellte die Financial Times Deutschland 2011 fest, allerdings auch eine „haarsträubende Vergabepraxis der Ministerien“. Von 2005 bis 2009 vergaben diese laut eines Prüfberichts des Bundesrechnungshofs 33 Aufträge bei insgesamt 537 Gesetzesverfahren. Keine gewaltige Zahl, aber trotz großer Honorare gab es nur wenige Ausschreibungen – meist begründet mit Dringlichkeit, was die Prüfer wenig glaubwürdig fanden. Sie wunderten sich auch über den Inhalt der Auftragsarbeiten: So wurde eine Kanzlei damit beauftragt, eine Sitzung des Bundestags-Verkehrsausschusses zu protokollieren (45 Stunden Arbeit, Honorar € 17.200). Ein Ministerium zahlte € 5.900 für die Beantwortung einer Parlamentsanfrage. Zwei Ministerien beauftragten jeweils Anwälte, um einen Streit zwischen den Ressorts beizulegen [Pache, 2011].

Solche Honorarsummen sind für Kommunikationsagenturen nicht leicht zu realisieren; wenn sie diese Art der Aufträge überhaupt erhalten. Dass die Anwälte per freihändiger Auftragserteilung für die Regierung tätig werden, während bei den PR-Arbeitern ein wachsender Aufwand für Ausschreibungen hohe Kosten verursacht, macht die Agenturen ebenfalls missmutig.
 
Agentur-Sorgen um Qualität und Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells

Die wirtschaftliche Situation für Agenturen in der politischen Kommunikation und Interessenvertretung hat sich seit 2008-10 sicher gebessert, aber immer mehr ist die Frage, ob sich im Wettbewerb die Qualität der Beratung durchsetzt -- oder der Preis und aufwändiges Beratungsmarketing.

Kretschmer erörterte 2010 in seinem Strategieblog die "Diskussion um Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftsmodells". Er sorgt sich um Qualität wegen hoher Mitarbeiterfluktuation und Produktionsdruck, um Innovationskraft, Überlebensfähigkeit der Agenturen und den hohen Aufwand für Pitches und Wettbewerbsausschreibungen. Kretschmer argumentiert, dass Agenturen von ihren Auftraggebern Fairness und Verlässlichkeit erwarten, aber auch "nachhaltige Beratung" liefern müssen:
"Nachhaltige Beratung heißt dem eigenen Kunden keine kurzfristigen Erfolge verkaufen, sondern ihn nachhaltig positionieren. Nachhaltige Beratung heißt dem Kunden auch eine kontraproduktive Idee auszureden,  selbst wenn sich damit Geld verdienen ließe. Nachhaltige Beratung heißt Risiken der Kommunikation zu erkennen und daher davon abzuraten. Nachhaltige Beratung empfiehlt relevante, intelligente Kampagnen, statt marktschreiender Auftritte. Und eines ist klar: Projekt- und Beraterteams, die aus Praktikanten und Volontäre bestehen, können diese Form der nachhaltigen Beratung nicht leisten."
Das sind richtige, wichtige und ehrenwerte Einsichten, die Professionalität widerspiegeln. Professionelle Arbeit hat ihren Preis, oder sollte ihren Preis haben. Wollen und können die Auftraggeber ihn zahlen? Ganz offensichtlich nicht immer.

Oder die Auftraggeber legen unterschiedlich Maß an unterschiedliche Berater an, denn Politikberater ist nicht gleich Politikberater. Die Public-Affairs-Szene teilt sich offenbar in einen Premium-Markt und einen zweiten Markt. Wirtschaftskanzleien klagen zwar auch darüber, dass sich mit politischen und insbesondere staatlichen Mandanten nicht so viel verdienen lässt wie mit ihren Firmenklienten. Doch scheint es so zu sein, dass die großen Anwaltssozietäten andere Markt- und Preisstrukturen aufrechterhalten können als die Kommunikationsdienstleister. Auch bei den Kanzleien knechten Jungjuristen, jedoch deutlich besser bezahlt und mit einer viel großzügigeren Infrastruktur.

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Quellen
  • Althaus, Marco, Wahlkampf als Beruf. Frankfurt: Peter Lang, 1998.
  • Barth, Ulrike,  „Distanzierte Nähe - Der lange Weg zur Public-Affairs-Beratung in Berlin“,  Juve, November 2006, S. 23-30, http://marcoalthaus.de/resources/JUVE+RM+11+Lobbying1.pdf [3.3.2011].
  • Bundesgerichtshof, Fördermittelberatung durch Unternehmensberater unterfällt grundsätzlich nicht dem Rechtsberatungsgesetz. Pressemitteilung 34/2005 zu Urteilen vom 24.02.2005, Az.: I ZR 128/02 und I ZR 129/02, 24.02.2005, http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&sid=ffcc1c3bd076da91cfc515e3869abc2a&nr=32259&pos=0&anz=2 [19.6.2011].
  • Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Dr. Barbara Höll, Ulla Lötzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke – Mitarbeit von Privaten an Gesetzentwürfen und Arbeitsfähigkeit der Bundesministerien. Drucksache 16/14025, 26.10.2009, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/141/1614133.pdf [5.7.2011].
  • Deutsche Gesellschaft für Politikberatung, Eckpunktepapier zu einem Register für Interessenvertreter in Deutschland. Beschluss der Mitgliederversammlung vom 17.12.2009. Internetdokument, 2009, http://www.degepol.de/transparenz/das_eckpunktepapier_der_degepol_zu_einem_register_fuer_interessenvertreter_in_deutschland.pdf [28.5.2011].
  • Deutsche Gesellschaft für Politikberatung, Mitarbeit von Rechtsanwälten an Gesetzen muss transparent sein. Pressemitteilung, 12.8.2009), http://www.degepol.de/presse/pressemitteilungen/mitarbeit_von_rechtsanwaelten_an_gesetzen_muss_transparent_sein.pdf [28.5.2011].
  • Filges, Axel C. (2010). Gesetzgebungsoutsourcing - ein neues Berufsfeld für Rechtsanwälte? BRAK Mitteilungen, 41(6), 239-253. Online auf http://www.brak-mitteilungen.de/media/77818_brak0610_druckdatei_low.pdf
  • Jahn, Joachim, „Selbst die Gesetzgebung wird manchmal ,outgesourced‘“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.9.2010, http://www.faz.net/-01ita5 [10.6.2011].
  • Meier, Dominik, „Plattform für ein neues Berufsfeld“, Kampagne! 2 Neue Strategien für Wahlkampf, PR und Lobbying. Hg. Marco Althaus und Vito Cecere, Münster und Berlin: Lit, 2002, S. 436-447.
  • Oppel, Kai, „Kanzleien fassen in der Welt des Lobbyings Fuß“, Financial Times Deutschland, 19.4.07, http://www.ftd.de/karriere-management/karriere/:kanzleien-fassen-in-der-welt-des-lobbyings-fuss/187587.html [3.3.2011].
  • Pache, Timo, „Kontrolleure monieren lasche Auftragsvergabe der Regierung“, Financial Times Deutschland, 30.3.2011, http://www.ftd.de/politik/deutschland/:externe-berater-kontrolleure-monieren-lasche-auftragsvergabe-der-regierung/60033048.html [27.5.2011].
  • Sachse, Katrin, „Die Herren der Welt“, Focus 11, 13.3.2010, http://www.focus.de/finanzen/news/tid-17780/deutschland-die-herren-der-welt_aid_489344.html [9.4.2011]

Donnerstag, 8. September 2011

Google+ "Hangouts" für Kampagnenbüros, "Circles" für Wahlkreise

Im Washingtoner K Street Café gibt es neue Einsichten zu Social Media in der US-Politik zu lesen.

Der letzte Schrei in der Online-Kommunikation ist Google+. Colin Delany macht sich im von e.politics übernommenen Beitrag "What Google+ Means for Political Advocacy and Campaigning: Initial Thoughts" Gedanken darüber, wie sich Politikprofis darauf einstellen können. Die neue Plattform dürfte sich schnell in ihren Funktionen weiterentwickeln. Derzeit sehe man noch recht wenig von den Möglichkeiten. Interessant seien u.a. der Video-Chat (“Hangouts”) für kleine Gruppen von 10 Personen: das sei eine gute Option fürs Freiwilligenmanagement und für regional verstreute Kampagnenbüros.

"Sparks", ein Twitter-ähnlicher Infodienst, könnte sich zu einem bevorzugten Nachrichtenmedium für die Nutzer entwickeln, vielleicht sogar zur wichtigsten Nachrichtenquelle überhaupt. Prognose: News mit Video und Bildern dürften davon besonders profitieren.

Ebenso interessant wie kritisch ist der Hinweis, dass Google bereits heute sehr, sehr viel über seine Kunden weiß. Das dürfte automatisch maßgeschneiderte Nachrichten- und Info-Streams erlauben: Geliefert wird das, was Google als für den Nutzer interessant erachtet. Und das sei dann doch ein sehr wichtiger Zusammenhang -- Wissen ist eben Macht. Wobei darauf hingewiesen wird, dass das Versprechen maßgeschneiderter Push-Infodienste auch schon in den 1990er Jahren gegeben wurde, sich bisher aber nur begrenzt realisiert hat.

Empfohlen wird erst einmal: Ausprobieren und mit Google+ herumspielen, um Ideen für die politische Kommunikation zu gewinnen. Facebook werde zunächst den Vorteil haben, dass nur wenige Menschen und Organisationen ihren angestammten Platz bei Facebook zugunsten von Google+ räumen werden. Die Pioniere bei Google+ würden die technikaffinen Leute sein, außerdem dürften eingefleischte Google-Nutzer überproportional dabei sein (u.a. die Gmail-User).

Recht langsam kommt Google+ offenbar im US-Parlament an,
schreibt Patrick Hynes im Beitrag "Congress slow to grab hold of Google+" Nur ein paar Dutzend Abgeordnete sind bereits mit Profilen und Aktivitäten vertreten.

Das sei deshalb überraschend, weil die Funktion "Circles" sich bei den vor allem auf ihre Wahlkreise konzentrierenden Politiker sehr leicht ihre Bürger im Wahlkreis von anderen Kontaktpartnern trennen können. Ihre Büros investieren viel Zeit, um das weniger relevante Social-Media-Nachrichtenaufkommen von den wirklich wichtigen Wahlkreis-Mitteilungen zu trennen. Zudem ließen sich mit den "Circles" bessere Themen-Verteiler aufbauen: Abgeordnete könnten sich Gruppen z.B. speziell für Umwelt- und Energiepolitik-Interessierte konstruieren, um gezielter Kommunikation zu betreiben.

Offenbar habe sich Google noch nicht intensiv um die Kongress-Klientel bemüht. Facebook und Twitter arbeiteten recht aktiv mit den Politikern, von Google sei noch keine Google+-Promotion auf dem Kapitolshügel zu sehen. Allerdings könnte sich das mit dem anstehenden Wahljahr 2012 ändern: Auch Facebook und Twitter seien in und mit heißen Wahlkampfphasen rasant gewachsen.

Mobil mobil machen: Apps als kritischer Kanal
Jeff Mascott erläutert im Beitrag "Mobile Advocacy Strategy", warum sich die politische Kommunikation mehr und mehr auf mobile politische Kommunikation einstellen muss -- weil die Menschen weniger und weniger Zeit an ihren Desktops und Laptops verbringen. Mobile Apps seien inzwischen ein kritischer Kanal, um sein Publikum zu erreichen.

"The Web is Dead", titelte das IT-Magazin Wired bereits 2010, erinnert Mascott. Schlankere, einfachere Dienste passten einfach besser in den Alltag. Die Menschen wollten nicht mehr im Internet suchen, sondern vor allem etwas bekommen. In Verbindung bleiben und Informationen beziehen sei nicht mehr stationär, sondern zunehmend "on the go".

Mit Websites allein seien Online-Kampagnen nicht mehr zu machen. "Grassroots Action Centers" und die diversen Tools -- etwa für komfortable Protest-Emails an zuständige Abgeordnete -- blieben zwar unverzichtbar. Apps bringen die Funktionen aber auch zum mobilen Nutzer, der zwischendurch Politiker anschreibt, Petitionen unterschreibt oder sich für Verantaltungen anmeldet. 

Und: Da die mobilen Endgeräte meist Telefone wie das iPhone sind, bietet sich die Kombination an -- die Amerikaner lassen sich von Kampagnen gerne mal zu ihrem Abgeordneten durchstellen, und das geht per App dann auch auf Knopfdruck von unterwegs.


CMF-Studie zu Social Media in Abgeordnetenbüros
Brad Fitch fasst im Beitrag "Social Congress: Perceptions and Use of Social Media on Capitol Hill"
eine Studie der Congressional Management Foundation (CMF) zusammen, die die Einstellungen und das Nutzerverhalten in den Abgeordnetenbüros untersucht hat.

Social Media sind laut der Studie bei den meisten Abgeordneten nicht mehr wegzudenken, sie haben sie in ihre Medien- und Wahlkreiskommunikation weitgehend integriert.

Auch für den kurzen Draht zur öffentlichen Meinung taugen sie nach Ansicht der Befragten; Facebook liegt bei dieser Funktion, die Einstellungen der Bürger abzufragen und abzutesten, in der Relevanzeinschätzung vor Twitter und YouTube. Bei der Aufgabe, die eigenen Botschaften zu verbreiten, liegen Facebook und YouTube etwa gleichauf, Twitter liegt deutlich dahinter.


Eine große Mehrheit der Abgeordnetenmitarbeiter ist der Ansicht, dass der Einsatz von Social Media Kommunikation zu Bürgern erlaubt, mit denen die Politiker bisher wenig oder keinen Kontakt hatten.

Montag, 5. September 2011

9 Lobby-Tipps von der Grünen-Spitze: Undine Kurths Merkzettel für deutsche Bibliotheken

Sage keiner, die Grünen hätten kein Herz für Lobbyisten. Undine Kurth, Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, hat sogar einen Merkzettel für gutes Lobbying parat.

Kurth präsentierte diese neun Punkte in einem Vortrag vor der Mitgliederversammlung des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv) im März 2010 in Leipzig („Lobbyarbeit für Bibliotheken – Wer erwartet Was von Wem?“).
  1. Gehe nie davon aus, dass alle dein Problem kennen. Nur weil man sich selber ständig mit einem Problem herumschlagen muss, müssen dieses Problem durchaus nicht alle kennen.
  2. Es gibt mehr als das eine, dich betreffende Problem. Unsere Gegenwart leidet keinen Mangel an wichtigen, dringend zu lösenden Problemen. Es gibt also eine verständliche Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Förderer und Entscheider.
  3. Klage allein reicht nicht – Lösungswege müssen gezeigt werden. Selbst der Gutwilligste ist überfordert, wenn man ein Problem nur in all seiner Schrecklichkeit beschreibt - ohne (als Kenner der Situation) anzubieten, wie man denn aus der schwierigen Lage herauskommen könnte.
  4. Gehe nie davon aus, dass alle das Gleiche wollen. … denn die Erfahrung lehrt, dass es immer auch unterschiedliche Interessen gibt.
  5. Finde heraus, wo Verbündete sitzen und wie man sie gewinnen kann. Dazu gehört auch, den Unterstützern Unterstützung zukommen zu lassen. Auch in der Politik gibt es Konkurrenzen – und da ist es hilfreich für jeden und jede, wenn sie auf Anerkennung verweisen können.
  6. Sieh immer genau hin, wer wie handeln kann. Da es nun einmal Abhängigkeiten, Dienstverhältnisse und Zuständigkeiten im Verwaltungshandeln gibt, ist es für den Erfolg aller Bemühungen nicht nur sinnvoll, sondern unabdingbar notwendig, darauf auch Rücksicht zu nehmen. Verteilte Rollen und das Spiel über Bande sind nicht ehrenrührig.
  7. Von anderen lernen, heißt siegen lernen. Man kann – anders als in der Schule – schon gern mal abgucken. Was machen andere? Wie machen es andere? Vom parlamentarischen Abend bis zum Pressefrühstück, von der Art der Internetpräsentation bis hin zur Zusammenarbeit mit Freundeskreisen – man muss nicht alles neu erfinden. Dazu muss man allerdings die Augen offen halten und auch mal zu Veranstaltungen gehen, die einen vermeintlich nicht unmittelbar betreffen.
  8. Vor dem Schaden klug sein! Reagiere rechtzeitig!! Viele Entscheidungen, gerade in der Kommunalpolitik, haben einen langen Vorlauf und bahnen sich an. Es gilt also ganz zu Anfang Einfluss zu nehmen, denn wenn eine Entscheidung erst einmal gefallen ist, ist es doppelt schwer, sie zu korrigieren. So ist es z.B. nicht sonderlich erotisch, die Tagesordnungen von Stadtrat und Kreistag zu verfolgen, aber es lohnt sich.
  9. Lobbyarbeit heißt nicht betteln und ist nicht ehrenrührig! 
Kurth, Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien und Mitglied der früheren Kultur-Enquete, ist Vorsitzende des Beirats beim Vorstand des Bibliothekenverbands Sachsen-Anhalt.

Internationale Vorbilder für die Bibliotheken
Hintergrund des Kurth-Vortrags ist das wachsende Interesse der deutschen Bibliotheken an einer Professionalisierung der Lobbyarbeit. Bibliotheken sind selbst in der Bildungspolitik oft nur Gäste am Rande, die PR-Arbeit ist ausbaufähig, das zentrale Thema aber ist der massive finanzielle Druck, dem die Bibliotheken oft ohnmächtig gegenüberstehen.

Neben den Hochschul- und Staatsbibliotheken in Länderhand haben vor allem die vielen kommunalen Büchereien erkannt, dass sie ihre Interessen gegenüber der Politik besser vertreten müssen.

Als freiwillige Aufgabe der Kommunen steht das Bibliothekswesen unter dem Diktat der Haushaltskonsolidierung: Stellen werden abgebaut, die Etats für neue Medien zusammengestrichen, Technik- und Bauinvestitionen blockiert, manche Büchereien gar ganz geschlossen. Zudem gehören die zuständigen Kulturpolitiker nicht gerade zu den besonders Einflussreichen in der politischen Hackordnung.

Man will es also besser machen und sucht nach guter Praxis. Vorbild in Europa ist u.a. die Bibliotheksszene in der Schweiz, die sich bereits vor einem Jahrzehnt der Frage systematisch gestellt hat. International ist das - weitgehend unerrreichte - Vorbild aber die American Library Association (ALA). Die ALA setzt seit langem auf eine umfassende Schulung ihrer Mitglieder für die Lobbyarbeit auch lokal und regional sowie unter Nutzung von Grassroots Lobbying. Allein die Informationen und Kursmateralien auf der Internetseite "Advocacy University" sind beeindruckend. ALA hat hier z.B. ein umfassendes Argumentationspaket geschnürt, wie man auch in Zeiten eine Wirtschaftskrise Wert und Rendite von Bibliotheksinvestitionen gegenüber Politik und Medien vermittelt: Das „Advocating in a Tough Economy Toolkit“ ist ein Werkzeugkasten mit Sprechzetteln, Fallbeispielen, Checklisten und Hinweisen für den Dialog mit Politikern, Behördenchefs und Journalisten. Auch wie man Bürger mobilisiert und mit anderen Organisationen Bündnisse aufbauen kann, wird erläutert

Lobby-Schulungsmaterialien der American Library Association
So investieren in die Stärkung der politischen Kommunikation und Interessenvertretung auch die maßgeblichen Verbände in Deutschland -- Bibliothek & Information Deutschland - Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheks- und Informationsverbände (BID) als Dachverband der Institutionen- und Personalverbände des Bibliotheks- und Informationswesens, der Deutsche Bibliotheksverband (dbv), der Berufsverband Information Bibliothek (BIB) und der Verein Deutscher Bibliothekare (VdB). Involviert sind auch die Fachkonferenz der Bibliotheks-Fachstellen in Deutschland und die Spezialfirma ekz Bibliotheksservice.

Bibliothekare lernen sogar von Pharma- und Apotheker-Lobby
In den Fachzeitschriften des Sektors tauchen zahlreiche Artikel auf, und die Liste der Handbücher und Handreichugen wird immer länger. Zuletzt hat der Dachverband BID ein Handbuch "Lobbyarbeit für Information Professionals" (2010) vorgelegt.

Auch eine Vielzahl von Konferenzen und Seminaren dreht sich um die Thematik. Dabei lassen sich die Bibliothekare auch von kommerziellen Public-Affairs-Agenturen erklären, wie es geht. So referierte bei einer Tagung der ekz und Fachstellen im Februar "Impulse 2011: Streitbar, sichtbar, machbar - Lobbyarbeit für Bibliotheken" in Reutlingen die frühere Pharma-Lobbyistin Katrin Schlegelberger, Seniorberaterin bei PRGS (jetzt: Advice Partners) Berlin, die Dos und Don'ts für Bibliotheken am Beispiel Gesundheitswirtschaft, Pharma und Apotheken.
In ihrem Referat "Erfolgsfaktoren für die Lobbyarbeit von Bibliotheken" konstatiert Schlegelberger "mangelnde Awareness" für die Finanznot der Einrichtungen, eine "fragmentierte Verbändelandschaft" mit "zu wenig Durchsetzungskraft".
Interessanterweise empfiehlt sie den Bibliotheken dringend, das (auch von der Kultur-Enquete des Bundestags formulierte) politische Oberziel, das Bibliothekswesen als kommunale Pflichtaufgabe zu verankern, nicht als Lobbyingziel zu setzen. Sie hält dieses nicht für realistisch, denn die Haushaltslage der Länder/Kommunen verhindere die nötige Finanzierung."Zuverlässige Mittelausstattung" sei das bessere Lobbyziel, schreibt sie den Bibliotheken ins Stammbuch. Die gegenwärtige Zuständigkeitsverteilung (Länderebene) sollten die Bibliotheken dabei durchaus in Frage stellen ("in der Politik gibt es nichts Endgültiges!"). Wege dahin könnten sein: a) Rückverlagerung der Zuständigkeit auf den Bund und Verpflichtung des Bundes zur zweckgebundenen Mittelausstattung für die Länder oder b) eine über den Bund durchgesetzte kommunale „Bildungssteuer“ mit festem Anteil für Bibliotheken.
Auch organisatorisch hat Schlegelberger Empfehlungen. So sollten die Verbände zu einer klaren Aufgabenverteilung kommen, um ihre Handlungsfähigkeit zu erweitern -- sie schlägt vor, die Zuständigkeit für das Oberziel bei einem Verband zu bündeln, Länderkoordinatoren einzusetzen und eine Task Force zur zeitnahen Abstimmung über strategische Grundfragen, die alle betreffen, zu bilden.

Literaturhinweise