Samstag, 27. März 2010

Klimapolitik: "The Last Parliament" und das nächste

Die Londoner Öko-Denkfabrik Green Alliance liefert im anlaufenden Unterhaus-Wahlkampf eine Bilanz der Umwelt- und Klima-Politik der letzten Legislaturperiode.

Zugleich mahnt GA die Kandidaten, dass das nächste Parlament unbedingt den Wandel zur "Low-carbon economy" voranbringen müsse -- das sei seine historische Aufgabe. Traditions- und geschichtsbewusst wie die Briten sind, zögert GA nicht, diese historische Aufgabe in einem Video in einen Kontext mit den großen Errungenschaften früherer Parlamente wie die Abschaffung der Sklaverei, die Einführung der Rentenversicherung oder die Gründung des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS zu setzen.

Für das Video "The Last Parliament: How Will You Go Down in History?" gewann GA den bekannten ITN-Moderator Trevor McDonald. Der schließt den Spot mit ernstem Blick, hinter sich die große Lobby des altehrwürdigen Parlamentspalastes, und den Worten:

"Die Abgeordneten des nächsten Parlaments haben die Wahl. Wenn sie bei dieser Gelegenheit versagen, gehen sie vielleicht in die Geschichte ein als Schurken, die die Risiken verstanden, aber nichts taten. Aber wenn sie die Herausforderungen annehmen und handeln, wird man sich an sie in einer Reihe mit den größten Helden der Geschichte erinnern."


The Last Parliament from Green Alliance on Vimeo.

Dienstag, 23. März 2010

Facebook-Krise bei Nestlé: Konzern von Kampagne überrannt

Reichlich Krawall auf der Fan-Seite des Lebensmittelkonzerns Nestlé bei Facebook. Eigentlich war die Seite mal als Service-Plattform gedacht, die die Kunden-Markenbindung stärkt. An der Pinnwand wird aber klar, dass das Unternehmen völlig von einer politischen Kampagne überrannt wurde und nun hilflos zuschaut, wie Aktivisten seine Plattform kapern. Nestlé kommuniziert auf seiner eigenen Fan-Seite kaum noch, sondern zieht sich hinter Statements auf seiner normalen Unternehmens-Website zurück.

Vor allem die gegen Nestle gerichtete Palmöl-Kampagne von Greenpeace treibt die Leute zu bissigen Kommentaren gegen den Konzern. "Name & shame", das Herausgreifen einzelner Unternehmen zur symbolischen Anklage ist der strategische Ansatz. Die Organisation wirft Nestlé vor, zur Zerstörung des indonesischen Urwalds beizutragen und damit die Lebensgrundlage der vom Aussterben bedrohten Orang-Utans zu zerstören. Greenpeace-Aktionen gab es vor der deutschen Zentrale in Frankfurt/Main sowie in Hamburg, Berlin, München, Nürnberg, Soest und Singen. Palmöl wird in Keksen und Riegeln, in Süßwaren, Maggi-Produkten, Kosmetik und Waschmitteln verwendet.

Kernpunkt der Kritik: Nestlés Verträge mit Lieferanten, die Raubbau am Urwald betreiben und gegen das Recht verstoßen. Auch diese Taktik ist Standard: Statt erfolglos die Unternehmen zu kritisieren, die etwa in Indonesien die Regenwälder roden und sich mit harten Bandagen an Landkonflikten beteiligen, setzt Greenpeace die Lebensmittelkonzerne Nestlé, Kraft und Unilever unter Druck, denn sie sind durch ihre bekannten Marken und das notwendige Verbrauchervertrauen viel stärker in der Öffentlichkeit verwundbar.

In diesem Greenpeace (UK)-Videospot "Have a Break, Have a Kitkat" knabbert ein gestresster Büromensch an einem blutigen Affenfinger aus einer Kitkat-Packung:


Unilever und Kraft kündigten ihre Verträge mit der besonders kritisierten indonesischen Firmengruppe Sinar Mas, letzte Woche zog Nestlé nach. In einem Statement zum Thema Palmöl stellte der Konzern fest, nach der Veröffentlichung des Greenpeace-Berichts zur illegalen Waldrodung 2009 habe Nestlé eigene Untersuchungen angestellt und die Lieferverträge mit Sinar Mas gekündigt und ersetzt. Allerdings findet das Palmöl auch noch über den Lieferanten Cargill seinen Weg in Nestlé-Produkte. Auf der Nestlé-Fanseite greifen die "Fans" den Konzern daher weiter an.

Bis Mitte Mai, so heißt es in einem Bericht des britischen Guardian, sollen die letzten Spuren des Sinar-Mas-Palmöls aus der Nestlé-Produktpalette verschwunden sein. Ab 2015 will Nestlé zudem in allen Produkten nur noch "Certified Sustainable Palm Oil" verwenden; bisher seien die Mengen umweltfreundlich produzierten Palmöls allerdings noch zu gering. Immerhin kaufe der Konzern bereits Green Palm-Zertifikate, Teil eines Öko-Handelssystems. Nestlé weist auch darauf hin, dass das Unternehmen seit 2004 dem “Roundtable on Sustainable Palm Oil” (RSPO) angehöre.

Die Facebook-Fanseite ist inzwischen alles andere als eine Fan-Seite, wie DNA13 feststellt. Nestlé lässt das erst einmal laufen und zieht sich defensiv hinter seine Statements auf der Unternehmens-Website zurück. DNA 13 meint, das sei ein "unexpected blitzkrieg":
It's a defensive move that implies the complete absence of any social media crisis planning/escalation procedure. For Nestle, any reactionary planning will be too little, too late-the damage has already been done. (...) their fans-turned-foes destroy the brand's reputation on its own turf.
Dass sich Nestlé so auf Facebook überrennen ließ, gibt zu denken. DNA13 mahnt, "Community Manager" einzusetzen, die das Monitoring auf Facebook & Co übernehmen; klare Verhaltensregeln für die Teilnahme am Dialog auf der Fanseite zu formulieren, ohne sich dabei allerdings die Freiheit der kompletten Zensur kritischer Posts zu nehmen (das sei nur eine erste Verteidigungslinie gegen Gerüchte und Desinformation); und einen Krisenreaktionsplan, in dem die unterschiedlichen Stufen der Kritik und Angriffe beschrieben werden.

Montag, 22. März 2010

Wie ein Miettaxi

"I’m like a cab for hire – at up to £5,000 a day", warb der britische Ex-Verkehrsminister und Parlamentsabgeordnete Stephen Byers offenherzig für seine Dienste. Auf der anderen Seite des Tisches eine Dame, die sich als Vertreterin der amerikanischen Public-Affairs-Agentur Anderson Perry ausgab. Anderson Perry aber gibt es gar nicht, und die Agentur will auch keine britischen MPs für den Beirat gewinnen. Tatsächlich war sie Reporterin für die Sunday Times und Channel 4, und unbemerkt liefen Kamera und Mikrofon mit.

Würde er seine Kontakte in der Regierung nutzen, um für einen Wirtschaftsmandanten die Politik zu beeinflussen. Sicher. Würde er Minister lobbyieren? Natürlich. Würde er aus dem Korridor der Macht vertrauliche Informationen beschaffen? Aber gern. Und die Reporterin bekam kaum Gelegenheit, ihm verfängliche Fragen zu stellen, weil Byers munter drauflos plapperte.

Byers gab damit an, durch seine Kontakte zum Verkehrsminister habe er dem Logistiker National Express Hunderte Millionen Pfund gespart; und die Supermarktkette Tesco konnte auf ihn und seine Kontakte zu Wirtschaftsminister Peter Mandelson zählen, als es um die Lebensmittelkennzeichnung ging. Die Unternehmen und Minister sagen dazu allerdings, das sei Quatsch.

Byers war nicht der einzige Interviewpartner. Die Undercover-Journalisten sprachen 20 Politiker an, 25 sagten ja, 10 wurden zum Interview gebeten. Auch die Gesundheitsministerin Patricia Hewitt und Verteidigungsminister Geoff Hoon und andere priesen sich und ihre Dienste und Adressbücher an. Der Bericht der Sunday Times bietet Innenansichten der Gespräche.

Byers ruderte tags drauf zurück; er habe kräftig übertrieben, so einflussreich sei er gar nicht, und tatsächlich habe er niemals Minister lobbyiert. Zur Klärung legte er seinen Fall gar gleich freiwillig dem Chef der Ethikkommission des Parlaments vor, der nun entscheiden muss, ob Byers gegen die Verhaltensregeln des Hauses verstoßen hat.

Er - und die anderen Politiker - betonen, sie hätten nichts Unrechtes getan. In der Tat sehen die Aussagen eher nicht illegal aus. Aber die Welt, die da in verwackelten TV-Bildern auftaucht, wird den Bürger nicht freuen: Ihre ehemaligen Regierungsmitglieder geben einfach zu frech mit ihrer Strippenzieherei für zahlungskräftige Klienten an. Auch wenn die so an den Pranger gestellten Politiker ohnehin abgehalfterte Blairiten von gestern sind – Labour wird's nicht helfen.

Die Partei tritt nun die Flucht nach vorn an -- und verspricht, die Schrauben bei der Regulierung der Lobbybranche scharf anzuziehen, berichtet die FT. Unter anderem soll ein verbessertes gesetzliches Lobbyistenregister her. Das soll ins Wahlprogramm ("Manifesto") geschrieben werden. Oppositionsführer David Cameron hat sich bereits mit Vorschlägen dazu hervorgetan, nicht zuletzt eine längere Cooling-off-Phase zwischen Regierungsamt und Lobbytätigkeit.


Sonntag, 21. März 2010

Neue Runde im GDA-Ampel-Krieg: Gunter der Aufklärer

Die Ampel-Lösung bei Lebensmitteln ist simpel und populär, aber tricky in jeder Hinsicht. Die Food- und Getränkeindustrie hat enorme Schwierigkeiten, öffentlich die komplizierte Alternative GDA-"Nährwertkompass" (GDA=Guideline Daily Amount) zu erklären. Seit einiger Zeit versucht sich daran die "Initiative Ausgezeichnet Informiert", dahinter stehen Unternehmen wie Pepsico, Coca-Cola, Nestle, Kraft, Metro, Unilever, Mars, Danone.

Zuletzt platzierte die Initiative eine Infratest-Umfrage, nach der die Kunden im Supermarkt eigentlich viel lieber portionsweise Detailangaben wünschen und kein simples Farbsignalsystem. Die Initiative kommt fröhlich werbend daher, während die Unternehmen europaweit mit der flächendeckenden Einführung des GDA Fakten schaffen und auf den Gewöhnungseffekt hoffen.

Klar ist, dass die Industrie in der EU kein wildes Durcheinander von Kennzeichnungsvorschriften möchte, und eine "Bevormundung des Verbrauchers durch ein Farbsystem" natürlich auch nicht, bei dem eine Einteilung von Lebensmitteln in „gut” und „schlecht” herauskommen könnte. Das wäre ja auch Gift fürs Marketing. Und in der Tat führt die Ampel oftmals in die Irre. Die Initiative wirft den Kritikern aus Gesundheitspolitik, Krankenkassen wie der AOK und Aktivisten von FoodWatch & Co den Slogan "Information statt Vorschriften" entgegen.

Ob das hilft, Brüssel langfristig von der Einführung von Pflicht-Kennzeichnungen abzuhalten? Oder einige EU-Länder von der Einführung einer Fast-Food-Steuer? Im EU-Parlament haben die Ampel-Befürworter einen Rückschlag erlitten, aber der Kampf geht weiter, "die Sache ist längst nicht entschieden", sagt Thilo Bode von FoodWatch der Zeit. Im Mai kommt das Thema ins EP-Plenum. Die Lobby- und PR-Arbeit der Industrie zieht an.

Nun setzt Coca-Cola noch eins drauf. Das Unternehmen schickt den Coke-Lastwagenfahrer Gunter alias "Gunter der Aufklärer" (G-D-A) auf der Kampagnen-Website Ganz-Deutschland-Aufklaeren.de (nochmal: G-D-A) ins Rennen. Er bloggt, video- und podcastet seine Ernährungstipps. Und Gunter heißt eigentlich Andreas (41), seit 18 Jahren Getränkekutscher in Bremen. "Vor kurzem wusste ich auch nicht, was GDA bedeutet", gibt er zu. Aber jetzt hat er eine Mission.



Das Rezept: Service plus Kultfigur? Tanja Schüle, Leiterin Public Affairs bei Coca-Cola, erklärt in Horizont, dass Gunter "Hilfestellung" leisten soll. „Unsere Umfragen haben gezeigt, dass die meisten Verbraucher den Nährwertkompass kennen und verstehen, ihn aber zu wenig im Alltag nutzen", meint sie. Na denn, lass mal den Gunter machen.
Vielleicht wird Gunter der Truckfahrer ja so populär wie Günther der Treckerfahrer.

Samstag, 20. März 2010

Ziel für Politiker: Lobbyisten gegeneinander ausspielen

Dass sich Geschasste ihren Frust von der Seele schreiben, gibt es öfter. Aber Selbstanklagen von Politikern, die (noch) in Amt und Würden sind, sind eher selten. Entsprechend sorgt das Buch "Wir Abnicker: Über Macht und Ohnmacht der Volksvertreter" des SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow für etwas Aufsehen – und man rätselt, was die Absichten des Autors sind. Die Kollegen aufrütteln? Das Hamburger Abendblatt bespricht Passagen über "die Lobbyisten, die in Berlin mitregieren":

Im Energiebereich, Bülows Fachgebiet, ist ihr Einfluss groß. Bülow schreibt von Hochglanzbroschüren, freundlichen Menschen mit guter Bildung, ehemaligen Fraktionskollegen, die jetzt der Industrie dienen. "Ich habe selbst bei Lobbygesprächen, die ich mit einem ehemaligen Kollegen meiner Fraktion geführt habe, gespürt, wie ich deutlich offener gegenüber seinen Argumenten wurde."

Sein Aha-Erlebnis war ein Gesetz, an dem er mitarbeitete - vielmehr mitarbeiten wollte. Das Beispiel zeigt, wie Abgeordnete zum Spielball der Lobbyisten werden. Eineinhalb Jahre berieten Bülow und seine Kollegen im Umweltausschuss über ein Gesetz über die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid aus Kraftwerken. Ein Gesetz sollte her, aber nur mit Auflagen für die Industrie. Bülow registrierte, dass plötzlich ein fachfremder SPD-Kollege mitverhandeln wollte - er hatte vorher in der Partei Imagebroschüren eines großen Energiekonzerns verteilt.

Interne Papiere aus dem Ausschuss landeten sofort bei der Energielobby. Die Lobbyisten schrieben einen eigenen Gesetzesentwurf - und leiteten ihn an die entscheidenden Stellen weiter, das Kanzleramt und die zuständigen Ministerien. Die Regierung legte schließlich einen Entwurf vor, der in weiten Teilen dem der Industrie ähnelte, sagt Bülow. Dann änderten erste Kollegen ihre Meinung. Bülow wurde wieder einmal bedrängt, er müsse an sein Ansehen im eigenen Wahlkreis denken.

Am Ende scheiterte das Gesetz zur Kohlendioxid-Speicherung, ohne Debatte. Aber nicht weil die Politiker ein schlechtes Gewissen bekommen hätten. Der Bauernverband, eine andere mächtige Lobby, hatte sich eingeschaltet und gegen das Gesetz mobil gemacht. Bülow ist immer noch empört: "Da habe ich mich wirklich mal machtlos gefühlt. Ich reiß mir hier ein Bein aus - und dann wird handstreichartig die Arbeit von eineinhalb Jahren kaputt gemacht." Seine Stimme ist laut geworden.

Eine Kollegin sagte damals, man müsse sich mit der Macht der Lobbyisten abfinden, Ziel eines Politikers könne es lediglich sein, Lobbyisten gegeneinander auszuspielen. "Dem will ich mich nicht beugen", sagt Bülow. Als ihm zwei Unternehmen im Wahlkampf mit einer Spende aushelfen wollten, hat er abgelehnt. Im klammen Ortsverein war man nicht begeistert.

Er könne in den Nächten vor einer endgültigen Abstimmung nicht gut schlafen. Es komme vor, dass "ich innerlich zerrissen bin und mich immer wieder umentscheide", schreibt er. Und: "Ich weiß, es ist schädlich, wenn sich ein Politiker eine Blöße gibt und Schwächen eingesteht." Andere flüchten sich in die Arbeit. "Der Arbeitsalltag überrollt einen. Da denkt man im Nachhinein nicht mehr viel über die Entscheidungen von gestern nach." 60 Arbeitsstunden verschlingt eine Sitzungswoche, am Wochenende finden Konferenzen, Parteitage, Termine im Wahlkreis satt.

Pro Woche bekommt jeder Abgeordnete 100 Vorlagen, manche davon 200 Seiten stark. "Immer wenn ich glaube, alles abgearbeitet zu haben, erhalte ich die nächste prall gefüllte Mappe", beklagt Bülow. Er appelliert: "Wir Politiker sollten zugeben, nicht alles zu wissen. Wir sollten uns bemühen, nicht zu allem unsere Meinung zu sagen, und lieber häufiger erklären, warum es unmöglich ist, Experte auf jedem Gebiet zu sein."

Bülow will das System verändern, hinschmeißen will er nicht. Er wirbt für ein Lobbyistenregister, für Urwahlen, für weniger Fraktionszwang, mehr freie Entscheidungen im Parlament. "Ich werde meine Forderungen nicht eins zu eins durchsetzen können. Aber ich hab schon vor, noch ein bisschen hierzubleiben. Ich habe die Hoffnung, etwas zu erreichen", sagt er. Bülow sagt, es gebe viele Kollegen, die so denken wie er.

Wenn man sich in der SPD umhört und nach Marco Bülow fragt, trifft man auf Menschen, die sich nicht namentlich zitieren lassen. Typisch für das System, das Bülow kritisiert. Man hört, dass Bülow eine Art Spinner sei, der alle drei Monate in der Fraktion "einen Rappel kriegt" und dafür belächelt werde. "Der ist hier nie richtig angekommen", heißt es. Die Netzwerke, die Ministerialbürokratie, die Strukturen gehörten einfach zum Politbetrieb dazu. "Wer das nicht nutzt, ist ewig allein." Bülow sei Idealist und zu wenig Politiker. "Er wäre ein guter Greenpeacler geworden", lästert ein Parteifreund.

Im letzten Jahr, bei der ersten Sitzung der neuen SPD-Fraktion, hat sich Bülow gleich mal mit dem neuen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier angelegt. Er beklagte, dass Steinmeiers Kandidatur für das Amt wieder einmal im Hinterzimmer ausgekungelt worden sei. "Er hat es sich angehört", sagt Bülow. Und er wird seine Schlüsse daraus ziehen. Bülow ist mittlerweile nur noch stellvertretender energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Ihr Fotowunsch?

Es war schon verdächtig ruhig geworden um die Rent-a-Rüttgers-Affäre. Nun meldet der Spiegel vorab, dass die NRW-CDU Unternehmen mit Ministerfotos auf Parteitagen gelockt habe:

Nordrhein-Westfalens CDU hat in der Vergangenheit Einladungen an potentielle Sponsoren ihres Parteitags verschickt, in denen die Unternehmen ankreuzen konnten, mit welchem CDU-Regierungsmitglied sie sich am Firmenstand fotografieren lassen möchten.

Unter der Überschrift "Fotowunsch am Präsentationsstand" konnten die umworbenen Firmen ihr Kreuzchen hinter den Namen von mehreren Landesministern der CDU machen. Ganz oben auf der Liste stand "Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers MdL" zur Auswahl. Des Weiteren konnten Fotowünsche mit den Ministern Armin Laschet, Christa Thoben, Eckhard Uhlenberg sowie den damaligen Ministern Andreas Krautscheid und Oliver Wittke beantragt werden. Auf deren Funktion als Minister im Landeskabinett wurde jeweils ausdrücklich hingewiesen.

Unter der Liste erfolgte der Hinweis: "Das im Mietvertrag vereinbarte Entgelt ist auch dann zu zahlen, wenn ein Fototermin kurzfristig abgesagt werden muss bzw. nicht zustande kommt." Inzwischen hat die Partei die Ankreuz-Option aus ihrem Anschreiben entfernt.

Vor vier Wochen hatte der SPIEGEL enthüllt, dass die NRW-CDU ihren Parteitagssponsoren "Einzelgespräche" mit Ministerpräsident Rüttgers gegen den Aufpreis von 6000 Euro angeboten hatte.

Zum System des kreativen Sponsorings gehört zudem, dass sich nach den Veranstaltungen ein externer Verkäufer bei den Sponsoren meldet, um Anzeigen für das Mitgliedermagazin "Bei uns in NRW" zu verkaufen – zu horrenden Preisen. Für eine doppelseitige Anzeige in dem Blättchen verlangt die Partei einer internen Preisliste zufolge 17.900 Euro, eine Seite ist für 11.980 Euro zu haben. Das Entree bildet ein Brief des Landesvorsitzenden Rüttgers, der darin für den Kauf von Inseraten wirbt. "Ich bedanke mich schon jetzt herzlich für Ihr En gagement", heißt es am Ende des Schreibens. Auf den Brief folgt in der Regel ein Anruf des Anzeigenverkäufers, der erst mal "schöne Grüße von Herrn Rüttgers" bestellt, bevor es dann um die konkreten Aufträge geht. Anzeigen in Parteiorganen waren schon früher als Versuch der verdeckten Parteispende in die Kritik geraten, vor allem, wenn die Anzeigen nicht zu marktüblichen Preisen verkauft wurden.

Mittwoch, 17. März 2010

Spanien: Wer hat Angst vor der wilden Lobby?

Offen über Lobbying zu reden, ist in Spanien noch nicht sehr verbreitet. Das Institut für Parlamentsrecht IDP an der Universidad Complutense de Madrid widmet diese Woche jedoch eine Konferenz "Die Lobby in Spanien: zur Transparenz bei institutionellen Beziehungen".

Organisiert wird sie von Rafael Rubio, Professor für Verfassungsrecht an der UCM, der zusammen mit dem Doktoranden David Cordoba auch ein bemerkenswertes Blog schreibt: "Quién teme al lobby feroz" heißt es, übersetzt in etwa: Wer hat Angst vor der wilden (oder bösen) Lobby? Das Böse-Lobby-Blog greift viele Themen auf, die auch hier im PAM zu finden sind. Professor Rubio gehört wie sein Kollege Joaquim Molins, Professor für Politikwissenschaft an der Autònoma de Barcelona, zu den Spezialisten auf dem Gebiet.

Die Konferenz greift vor allem Themen rund um Transparenz und Lobbyregister, auch in seiner europäischen Dimension, auf. Beteiligt sind an der Konferenz neben Wissenschaftlern und Politikern auch Praktiker der Interessenvertretung aus der "Asociación de Profesionales de las Relaciones Institucionales" (APRI), einem Politikberater- und Lobbyisten-Berufsverband.

Das Thema Lobbyregister wird auch in Spanien virulent. Immerhin gibt es bereits ein Register der (finanziellen) Interessen der Mitglieder des Parlaments. Abgeordnetenhaus und Senat haben das am 21. Dezember 2009 neu geregelt. Eine Vorgängerregelung stammt bereits aus dem Jahr 1995, die aber keine Dokumente öffentlich machte.

Die Abgeordneten und Senatoren müssen Erklärungen über ihre Tätigkeiten, Mandate und ihre Finanzen öffentlich abgeben, diese sind im Internet einsehbar. Verantwortlich sind die Präsidenten der beiden Kammern. Voll in Kraft sind die Regeln seit Anfang März.

Mit der Transparenz ist es in Spanien bisher auch deshalb nicht weit her, weil, wie Rubio mehrfach betont hat, das spanische Lobbying eng mit der politischen Latino-Kultur verbunden ist, die sehr stark auf persönlichen Beziehungen beruht.

Auch der "Drehtüreffekt" (Revolving Door) ist bekannt, Politiker und Interessenvertreter wechseln häufig die Rollen, wie man selbst bei den ehemaligen Ministerpräsidenten Suarez, Gonzalez und Aznar beobachten konnte.

Andererseits gehen auch in Spanien Unternehmen und Public-Affairs-Agenturen heute allmählich offener mit ihrem Lobbying um. Das Thema Lobbyregister und Regulierung der Branche bekommt zudem auch Rückenwind aus Brüssel.

Aus dem Magazin Tiempo hier ein älterer Bericht "wie die Lobby in Spanien arbeitet".

Internationaler Währungsfonds: Lobbyisten sind systemisches Risiko für die Weltfinanz

Waren Lobbyisten Mitverursacher der Finanzkrise? Die Frage stellen viele, seitdem im Rückblick immer klarer wurden, dass die Nachsicht und Naivität der Regierungen (oder das Komplizentum, je nachdem) gegenüber der Finanzbranche mitverantwortlich sind für das Treiben der Zocker. Nur, wie kam es dazu?

Mitarbeiter des honorigen Internationalen Währungsfonds (IWF) haben sich dieser Frage in einem Forschungsbeitrag "A Fistful of Dollars: Lobbying and the Financial Crisis" angenommen. Deniz Igan, Prachi Mishra und Thierry Tressel recherchierten, rechneten, ließen Regressionen laufen und fanden:
  • Zwischen 2000 und 2007 lobbyierten die Banken und Darlehensgeber besonders aktiv rund um Fragen des Kreditwesens, z.B. bei Verbraucherschutzvorschriften und Sicherheiten mortgage lending (such as consumer protection laws) and Verbriefung, und sie wurden parallel ständig aktiver bei der riskanten Kreditvergabe und Verbriefung. Die Forscher beziehen sich bei der Messung der Lobby-Aktivitäten stark auf die öffentlichen Lobbyregister der USA, bei denen auch die Lobbying-bezogenen Ausgaben und die Gesetzesvorlagen, auf die die Unternehmen und Verbände Einfluss nehmen wollen, publiziert werden müssen.
  • Unternehmen, die stärker lobbyierten, zeigten auch laxe Standards im Geschäft und mehr Risikoverhalten. Das ökonomische Konzept des "Moral Hazard" wird angeführt: Der entsteht, wenn eine Belohnung dafür winkt, sich von den Spielregeln zu verabschieden. Die Forscher sehen genau diesen Mechanismus am Werk, weil sie auf Rettung durch den Staat hoffen durften – und es damit einfacher wurde, sich auf kurz- statt langfristige Renditen zu konzentrieren. Selbst als die Märkte 2005-06 viel wackliger wurden, machten die untersuchten Unternehmen munter weiter. Weil sie, wie vermutet wird, dafür politische Rückendeckung hatten und ausbauten.
  • Die Forscher meinen also durchaus, dass explizit die Lobby-Aktivitäten dazu geführt haben, dass sie von Politik und Aufsichtsbehörden zunehmend Freiraum erwarteten, diese riskanten Kreditgeschäfte in wachsendem Rahmen weiter betreiben zu können. Und, falsch es schief geht, mit einem blauen Auge davon zu kommen. Hohes Risiko im Geschäft, begrenztes Risiko bei der Haftung.
Das Paper ist empirisch gesättigt mit zahlreichen Variablen, Formeln und Tabellen (78 Seiten!). Die Kernaussagen aber haben es auch für Nichtökonomen in sich. Das für Wissenschaftler recht harte Fazit: Politischer Einfluss ist ein systemisches Risiko – ergo, wer künftigen Finanzkrisen vorbeugen will, muss den politischen Einfluss der Finanzwirtschaft schwächen. Originalzitat:
"Our analysis suggests that the political influence of the financial industry can be a source of systemic risk. Therefore, it provides some support to the view that the prevention of future crises might require weakening political influence of the financial industry."

Dazu auch Blogger Olaf Storbeck (31.05.10) und Handelsblatt (22.01.2010).

EU: "Schwarze Liste" der Lobbyregister-Verweigerer

Die europäische Pro-Transparenz-Allianz ALTER-EU hat eine Aufstellung der in Brüssel aktiven PA-Agenturen unternommen und kommt zu dem Schluss, dass nur 112 von 286 identifizierten Firmen im offiziellen Lobbyregister der Kommission eingetragen sind, also rund 40%. Die Organisation hat das Lobbyregister mit dem Verzeichnis der beim Europäischen Parlament akkreditierten Personen verglichen (beide Register sind getrennt) und festgestellt, dass 104 Agenturen bis zu 18 Personen beim EP akkreditiert haben, aber nicht im Kommissions-Lobbyregister auftauchen. Und zahlreiche Firmen eben in keinem von beiden. Die Liste.

ALTER-EU sieht das als Beleg dafür, dass das Lobbyregister auf Basis der Freiwilligkeit nicht funktionieren könne.

Das Blog Brussels Sunshine spießt u.a. das Verhalten der Agentur Cabinet DN auf (auch bei Zimmerlings PA-Blog). Diese sichert auf ihrer Website umfassende Vertraulichkeit zu. Cabinet DN ist gut mit der dänischen Politik vernetzt. Die dänische Tageszeitung Politiken hat nachgehakt, warum sich die Agentur nicht im Lobbyregister eintrage. Anwort von Partner Timme Bertolt Døssing:

"Weil es sich um freiwillige Angaben handelt. Und es ist mein Eindruck, dass das Register nicht besonders gut funktioniert. Und es geht in der Tat darum, ein gemeinsames System von Parlament und Kommission zu schaffen. Bis es kommt, sehe ich keinen Grund, warum wir uns registrieren sollten."
Er gebe zu, dass ein besseres System dazu beitragen könne, einige Vorurteile und Mythenbildung auszuräumen. Aber er sieht derzeit keinen Grund, unnötig seine Wettbewerber über seine Klienten und seine Lobby-Augaben zu informieren.

Politiken weist auch auf eine Analyse des Newsletters A4 vom Herbst hin, nach der nur sechs dänische Unternehmen im Lobbyregister eingetragen sind. Auffällig sei das Fehlen von großen Unternehmen wie SAS, AP Moller - Maersk und Rockwool.

Solar-Lobby in Bayern

Mit der Solarstrom-Lobby und den Subventionen in Bayern beschäftigt sich diese Woche das BR-Magazin Geld & Leben (Video, Text). 40 Prozent der deutschen Solaranlagen stehen in Bayern. Dabei sind die größten Sonnenkraftwerke erst noch in Planung -- und für die steht nun mit einer Gesetzesnovelle die Förderung auf dem Spiel.

Kuriose Details: Eine Solaranlage auf Stelzen, die auf einem Acker steht, gilt als Dachanlage. Der Bauer, dem die Anlage gehört, bekommt so rund 30% mehr Förderung als wenn er sie direkt auf das Feld gestellt hätte. 20 Jahre lang, so will es das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).

Diese Subventionen will sich auch die Fürstin von Thurn und Taxis sichern, mit einem 190 Hektar großen Solarprojekt. Versprochene Investitionssumme: 180 Millionen Euro. Das Magazin hat ausgerechnet, das die Differenz zwischen Strompreis bei Verkauf an der Energiebörse EEX und der garantierten Einspeisevergütung, mal die Leistung der Anlage, mal 20 Jahr genau 180 Millionen Euro beschert. "Fazit: Die Verbraucher zahlen die Anlage und Thurn und Taxis verdient quasi am Strom zu marktüblichen Preisen."

Kein Wunder, dass Kritik an der EEG-Novelle aufkommt, nach der die Förderung für Solarstromanlagen auf Ackerflächen wegfallen soll. Landwirtschaftsminister Helmut Brunner will über den Bundesrat intervenieren:

“Ich halte es auch für sinnvoll, dass man hier in diesem Bereich von 16% auf den Dachflächen eine Absenkung vornimmt. Was ich allerdings nicht nachvollziehen kann, dass man quasi eine Kehrtwende um 180 Grad vornimmt, was die Förderung in der Fläche anbelangt. ...
Ich halte nichts davon, wenn dann großflächig in besten Ackerregionen hier 100 oder 200 Hektar in einem ausgewiesen werden. Wir haben dafür aber auch die Entscheidungs- und Planungskompetenz bei den Kommunen angesiedelt, diese können nach eigenem Gutdünken entscheiden, ob sie überhaupt solche Anlagen in der Fläche haben wollen.“
Ein Dreh- und Angelpunkt der EEG-Novelle ist die so genannte Eigenverbrauchsregelung. Dazu Bernd Schüssler vom Solarfachmagazin Photon:

“Offiziell werden 16% der Vergütung gekürzt, tatsächlich ist es so, dass durch die Eigenverbrauchsregelung weit weniger gekürzt wird. Denn Strom, den man selbst verbraucht im Haushalt, dafür bekommt man mehr Geld als vor der Novelle. Und beispielsweise ein Hotel hat tagsüber einen hohen Stromverbrauch. Wenn die sich nun eine Solaranlage kaufen, bekommen Sie mehr Rendite für Ihre Solaranlagen als vor der Novelle, ohne das damit irgend ein Nutzen für das Stromnetz verbunden ist. Es ist ein reiner Mitnahmeeffekt, der im Endeffekt bezahlt werden muss von Gemeinden, Rentnern und den übrigen Stromverbrauchern".
Es freut sich laut BR-Magazin der Branchenverband der Solarwirtschaft BSW, der die FDP zum Umdenken bewegen konnte. Das Magazin zitiert aus einem Schreiben vom 20. Mai 2009, das Spiegel Online bereits einmal aufgespießt hatte:

"Auslöser der programmatischen Wende war ein Änderungsantrag des Regensburger Bundestagsabgeordneten Horst Meierhofer [Anm.: sein Wahlkreis umfasst auch die Acker der Fürstin TuT], der durch die tatkräftige Unterstützung des BSW-Solar und zahlreicher Branchenvertreter ausreichend Rückhalt bei den FDP-Delegierten fand. Bereits im Vorfeld hatten insbesondere die BSW-Solar-Vorstände Frank Asbeck (Solar-World) und Klaus Hofmann (Schott) ihre guten FDP-Kontakte genutzt."
Außenminister Westerwelle habe im Januar auf seiner Auslandsreise nach Saudi-Arabien Frank Asbeck von Solar-World mitgenommen, den Vorzeigeunternehmer aus seinem Heimatwahlkreis Bonn. "Zufall?", fragt sich das Magazin.

Zum Hintergrund ein FTD-Bericht über die Solar-Lobby.

Dienstag, 16. März 2010

Verbände-Monitor 2010: Krise für ein Drittel der Verbände kritisch

"Was würden sie sich von der neu gewählten Bundesregierung wünschen, um die Verbändelandschaft zu stärken?", fragte die Agentur Valentum Kommunikation (Berlin/Regensburg) in ihrem jährlichen "Verbände-Monitor".

Antwort: 25% wollten "stärkere Mitsprache der Verbände im politischen Prozess", 15% "stärkere Nutzung von Fachwissen der Verbände", 10% "stärkere Anerkennung des Ehrenamtes (finanziell, steuerlich und ideell" und je 6% "Deregulierung und Bürokratieabbau im Verbandsween" sowie "Absicherung bzw. Anpassung der Verbändeförderung". Diese Nennungen sind nur ein Auszug aus einer längeren Liste. Auf diese Frage antworteten allerdings nur 68 von 131 an der Befragung teilnehmenden Verbänden.

Prioritäten der Verbände liegen laut Studie besonders beim Halten und der Neugewinnung von Mitgliedern, nicht zuletzt durch Mehrwert durch Service- und Informationsangebote – dann aber eher Beratung und Veranstaltungen als Discount-Angebote. Nur 20% gehen von einem Mitgliederverlust in den nächsten Jahren aus, so die Studie. 38% sind der Meinung, dass ihre Mitgliederzahl in den kommenden drei Jahren stagniert. Ein großer Anteil in Höhe von 42%der Befragten gab an, dass mit einem weiteren Mitgliederzuwachs gerechnet wird.

Interne Umstrukturierungen sind seltener ein Top-Thema für die Verbandsmanager. Und was ist mit der Krise? Valentum stellt fest: "Die aktuelle Wirtschaftssituation scheint geringere Auswirkungen auf Verbände zu haben, als zunächst befürchtet. Etwa jeder dritte Befragte gab an, dass das geringe Engagement seiner Mitglieder aufgrund der Wirtschaftskrise eine große oder eher große Herausforderung darstellt."

Die Studie kann bei Valentum bestellt werden.

Großbritannien: Kampagne setzt Kandidaten bei Transparenz unter Druck

Bei den britischen Unterhaus-Wahlen werden 2010 Hunderte neuer Abgeordnete gewählt. Darunter werden viele sein, die bisher ihr Einkommen als Lobbyisten bestreiten. Das nimmt die "Alliance for Lobbying Transparency", eine Gruppe, zu der u.a. SpinWatch gehört, zum Anlass für eine Kampagne: Kandidaten werden dazu aufgefordert, Forderungen nach mehr Transparenz zu unterstützen. Und sie sollen offenlegen, ob sie Beziehungen sie zu Politikberatungsagenturen, Verbänden und Unternehmen unterhalten. Im Rahmen einer Grassroots-Kampagne sollen die Wähler mobilisiert werden, um die Kandidaten und Abgeordeneten dazu zu drängen.

Öffentliche Pensionsfonds erzwingen als Anleger mehr politische Transparenz

Mehr Transparenz ihrer politischen Aktivitäten und Parteispenden hat die Bank of America versprochen. Die Bank gab damit Forderungen der öffentlichen Pensionsfonds der Stadt New York und anderer institutioneller Investoren nach, schreibt das Wall Street Journal. Hintergrund ist das Januar-Urteil des Obersten Bundesgerichts, nach dem politische Ausgaben von Unternehmen nicht mehr gesetzlich beschränkt werden dürfen.

Es wird allgemein erwartet, dass damit Hunderte Millionen Dollar in Kampagnen fließen werden, um Wahlen und Abstimmungen zu beeinflussen. Die Politiker lassen jetzt die Muskeln spielen, um die Wirtschaft dann wenigstens zur Offenlegung zu zwingen. Eine Möglichkeit sind gerade bei Banken die öffentlichen Gelder, nicht zuletzt die Pensionsfonds. Der NYC-Fonds hält 36 Mio. Aktien mit einem aktuellen Wert von über 600 Mio. Dollar. Er hatte bereits Anträge für die Hauptversammlung vorbereitet, um die Aktionäre dort zu einer Abstimmung über weitergehende politische Transparenz zu bringen.

Die Zusage der Bank of America hat New Yorks Finanzdezernent (Comptroller) John Liu bewirkt. Die Bank will nun einmal im Jahr auf der Unternehmens-Website eine Zusammenfassung aller politischen Spenden veröffentlichen. Liu erhofft sich, dass andere Großunternehmen nachziehen. Liu hatte bereits das Energieunternehmen AES Corp., den Tabak- und Lebensmittelkonzern Altria Group Inc. (Philipp Morris, Kraft) und den Krankenversicherer Humana Inc. auf ähnliche Vereinbarungen verpflichten können.

Die Daten kann man allerdings schon bei der Bundeswahlbehörde FEC online einsehen. Das Problem besteht in der komplizierten Veröffentlichungsweise, verwirrend für Bürger, Journalisten und Aktionäre, die sich damit nicht auskennen. Die Zusammenstellung auf der Bank-Website soll das vereinfachen.

Was die Bank nicht publizieren wird, sind allerdings Spenden ihrer Mitarbeiter (das lässt sich aber bei der FEC recherchieren, da bei Spenden auch der Arbeitgeber angegeben werden muss) und die Spenden an politische Non-Profit-Gruppen (sog. "501-(c)4 groups", etwa die Handelskammern), die das Geld wiederum für politische Aktivitäten ausgeben können.

USA: Google, Facebook, eBay, Amazon & junge IT-Unternehmen intensivieren Lobbying

Google, Facebook, eBay, Amazon und andere junge IT-Unternehmen intensivieren ihr Lobbying in den USA, berichtet OpenSecrets.org. Sie geben inzwischen deutlich mehr Geld dafür aus als die alten Riesen der Telekom-/IT-Wirtschaft und nähern sich dem Aufwand, den etablierte Soft- und Hardware-Unternehmen wie Microsoft betreiben.

Die Watchdog-Gruppe wertet ständig die öffentlichen Spenden- und Lobbyregister aus. US-Bundesgesetze verpflichten zur Veröffentlichung der Ausgaben für das Lobbying in Washington.

Gesetzgebung und Regulierung haben für die IT-Branche steigende Bedeutung, und mit steigender Bedeutung in der Wirtschaft nimmt nun auch das Bestreben zu, die oft komplexen Technologie-Themen angemessen kommunizieren und sich gegen Einschränkungen ihrer Geschäftsmodelle zur Wehr zu setzen. Auch die Außenpolitik spielt eine Rolle (Stichwort Google in China). Zudem nehmen die Auseinandersetzungen zwischen den IT-Unternehmen massiv zu. So gehen Google und Microsoft ständig gegeneinander vor, und Internet-Firmen streiten mit Telefongesellschaften über Aufpreise für hohen Breitband-Datenverkehr.

Die IT-Branche ist seit den 1990ern politisch immer aktiver geworden. Laut OpenSecrets.org hat sie im vergangenen Jahrzehnt rund eine Milliarde Dollar auf dem bundespolitischen Parkett gelassen (ohne Parteispenden). Damit steht diese Industrie auf Platz 4 der 120 Branchen, die von der Gruppe beobachtet werden. Vor zehn Jahren repräsentierten 925 registrierte Lobbyisten 201 IT-Mandanten; inzwischen sind es 1350, die 427 Mandanten vertreten. 2009, so OpenSecrets weiter, beschäftigten nur Pharmaindustrie und das Bildungswesen (!) mehr Lobbyisten als die IT-Unternehmen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch in den USA die IT-Branche stark vom Mittelstand geprägt wird.

Zu den nach Lobbying-Ausgaben 20 größten IT-Unternehmen gehörten im vergangenen Jahr:
  • Microsoft $6.72 Mio.
  • IBM $5,42 Mio.
  • Oracle $5,1 Mio.
  • Entertainment Software Association $4,6 Mio.
  • Google $4,0 Mio.
  • Intel $3,90 Mio.
  • Hewlett-Packard $3,7 Mio.
  • Dell $2,9 Mio.
  • SAP AG $2,89 Mio.
  • UC Group Ltd. $2,77 Mio.
  • VeriSign $2,40 Mio.
  • Information Technology Industry Council $2,11 Mio.
  • Intuit $2,01 Mio.
  • Yahoo! $1,97 Mio.
  • eBay $1,84 Mio.
  • Amazon.com $1,81 Mio.
  • Texas Instruments $1,79 Mio.
  • Business Software Alliance $1,65 Mio.
  • Computer Sciences Corp. $1,59 Mio.
  • Technology Association of America $1,57 Mio.
Google begann 2003 offiziell mit seinem Lobbying, damals ließ sich das Unternehmen das nur $80.000 kosten; sechs Jahre später investierte der Konzern mehr als $4 Millionen. 2009 meldete Facebook seine ersten Lobbyisten an, Etat: $207.000.

OpenSecrets.org betont, dass die Internet- und Computer-Unternehmen heute deutlich mehr für ihre politischen Aktivitäten ausgeben als die alten Riesen der Telekommunikation und Kommunikationstechnik. Sie haben früher einflussreiche Konzerne wie AT&T längst überholt. Die jungen Unternehmen sind auch dabei, die "alten" wie Microsoft, IBM und Texas Instruments hinter sich zu lassen. OpenSecrets spricht von einer "tektonischen Verschiebung beim politischen Einfluss".

Montag, 15. März 2010

Anwaltskanzleien: "Die Herren der Welt" ?

Der Focus macht diese Woche auf mit "Die unheimliche Elite - Wie riesige Anwaltsfabriken Wirtschaft und Politik beeinflussen". Im Innenteil überschreibt Redakteurin Katrin Sachse ihren Report gar mit "Die Herren der Welt". Vielleicht etwas hoch gegriffen. Ihre Story beschreibt im Wesentlichen das, was das breite Publikum schon bei John Grisham gelesen hat und was in Wirtschaftsmagazinen auch zu finden ist. Dennoch umfassend recherchiert und konzis geschrieben, mit frischen Zahlen von Juve und Soldan. Mit einigen haarsträubenden Details, wie und was Kanzleien so in Rechnung stellen. Und mit Sympathie für die jungen Lohnknechte der Branche, die für ihre "Partner" zigtausende Stunden schrubben.

Das Thema Gesetzgebungs-Zuarbeit für Ministerien und Lobbying wird auch aufgegriffen. Erwähnt wird natürlich Freshfields Zuarbeit beim Finanzmarktstabilisierungsgesetz, Linklaters Projekt für Guttenbergs Gesetz zur Ergänzung des Kreditwesengesetzes, und auch die Involvierung von Nörr Stiefenhöfer Lutz beim Gesetz zur Beschleunigung für Hauptversammlungen, sowie diverse andere Projekte. Schließlich wird die Rolle thematisiert, die Anwaltskanzleien bei den umstrittenen Cross-Border-Leasing-Geschäften deutscher Kommunen spielten.

Aus dem Interview mit Wollburg von Linklaters:
Focus: Auch der Staat lässt sich häufig von internationalen Sozietäten beraten. Übernehmen Sie auch solche Aufträge?
Wollburg: Unsere Sozietät hat das Bundeswirtschaftsministerium beim Entwurf eines Gesetzesvorschlags zum Umgang mit Bankinsolvenzen beraten. Ich halte solche Mandate für unproblematisch, denn der Staat braucht externe Expertise, wenn komplexe Dinge schnell geregelt werden müssen. Das kann ein Ministerium nicht leisten.
Focus: Ist es gleichgültig, ob man einen Dax-Vorstand berät oder einen Minister?
Wollburg: Ich persönlich habe wenig Spaß daran, an Gesetzgebungsverfahren mitzuarbeiten. Ich berate lieber Unternehmer oder Vorstände, weil man einen direkten Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen hat.
(Man könnte ja eigentlich meinen, das genannte Gesetz habe ziemlich direkten Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen gehabt. Gemeint war wohl eher: Beim Staat lässt sich wenig verdienen, im Vergleich zu den Milliardendeals bei M&A.)

Die politische Transparenzdebatte allerdings spielt nur indirekt eine Rolle -- und gar nicht, dass das Thema Lobbyregister mit den Kanzleien derzeit kaum vernünftig zu besprechen ist. Die anwaltliche Sicht auf Ethik und "Ehrenkodex" des Berufsstands ist ja eine sehr spezielle. Focus hat stark die Perspektive der Anwälte eingenommen, wichtig aber wäre auch, die Ansichten anderer Akteure einzubeziehen.





Drei weitere Artikel zum Spezial-Thema:
Oppel, K. (2007, 19. April). Kanzleien fassen in der Welt des Lobbyings Fuß. Financial Times Deutschland.
Dowideit, A. (2005, 2. August). Der diskrete Charme einer Kanzlei.Wie Anwälte sich in Deutschland langsam das Geschäftsfeld Interessenvertretung erarbeiten.
Die Welt.

Barth, U. (2006, November). Distanzierte Nähe. Der lange Weg zur Public-Affairs-Beratung in Berlin. Juve Rechtsmarkt: Nachrichten für Anwälte und Mandaten, 9, 11, 23-30.

"Umfrage-Schock!"

Zum SAT1-Spektakel "Die Grenze" (bei dem u.a. die Sozialistische Republik Mecklenburg-Vorpommern ausgerufen wird) hat Emnid einen "Umfrage-Schock" (Bild) produziert:

Danach kann sich eine große Mehrheit der Deutschen vorstellen, im Sozialismus zu leben -- und natürlich wünschen sich nicht wenige auch die Mauer zurück. Solange für Arbeitsplätze, Solidarität und Sicherheit gesorgt wäre, könnten sich 80 Prozent der Ostdeutschen und 72 Prozent der Westdeutschen ein Dasein in einem sozialistischen Staat vorstellen, heißt es. Freiheit? Ein wichtiges politisches Ziel nur für 28 Prozent der Ostdeutschen, 42 Prozent der Westdeutschen.

Eine der Umfragen, die die Welt nicht braucht – oder ein Warnsignal? Solche Fragen werden immer wieder gestellt, das Ergebnis ist inzwischen nicht mehr sehr überraschend. Beunruhigend sind die Ergebnisse jedoch immer wieder, selbst wenn die simple Gegenüberstellung Freiheit vs. Sicherheit/Wohlstand kontextlos wenig brauchbar ist. Und Sozialismus und Demokratie sich ideologisch und in den Köpfen der Bürger nicht per se ausschließen. Genauso wie die Rechtsparolen und Demokratie. Extremismus kommt oft demokratisch daher. Das ist ja auch genau die Pointe des TV-Films.

Interessant und der öffentlichen Debatte dienlich sind allemal die "Was-wäre-wenn"-Abstimmungsergebnisse und das Polit-o-meter (wo man sich zwischen zwei radikalen Parteien entscheiden muss) auf der Website zu "Die Grenze". Nicht schlecht.

Das Ausgangs-Szenario des Films ist jedenfalls auch etwas für Public-Affairs-Mitdenker: "Als inmitten einer Wirtschaftskrise weltweit Terroranschläge auf Ölraffinerien verübt werden, regiert in Deutschland das Chaos. Benzin, Öl und Lebensmittel werden knapp, die Arbeitslosigkeit steigt rapide an. Der soziale Kitt, mit dem die Gräben zwischen Arm und Reich mühsam verspachtelt waren, bröckelt..." -- Ein Szenario, das in letzter Zeit dank Klima- und Peak-Oil-Diskussionen öfter eine Rolle spielt, etwa in Andreas Eschbachs Thriller "Ausgebrannt". Auch an den Film "Battle in Seattle" sei erinnert. Und an Griechenland kann man auch denken.

Dennoch, was sozialistische und "national-soziale" Träume angeht: Vielleicht sollte man parallel zum TV-Event flächendeckend die Comic-Version von Hayeks "Weg zur Knechtschaft" (Road to Serfdom, 1944) über Deutschland abwerfen. Hier auch als Video:

Samstag, 13. März 2010

Verbandschefin verbarrikadiert sich im Büro

Hoffentlich passiert beim Bankenverband nicht das gleiche: Die Präsidentin des französischen Pendants der Dehoga, des Hotel- und Gaststättenverbands UMIH (Union des métiers de l'industrie hôtelière), Christine Pujol, soll gehen -- aber sie will nicht. Nachdem eine arbeitsrechtliche Klage vorerst gescheitert war, besetzte sie am Mittwoch kurzerhand ihr eigenes Büro, und dort sitzt sie seitdem Tag und Nacht. Schläft auf dem Teppich. Vor der Tür Wachleute. Der Strom ist abgedreht, Kabel-TV ebenso, das Toilettenpapier wurde entfernt, Lebensmittel zieht sie durchs Fenster mit einem Korb hoch. "Business Bizarr", meint der Spiegel.

Damit ist der Machtkampf im Verband auf kuriose Weise eskaliert, wie der Figaro berichtet. Pujol war erst seit November 2008 im Chefsessel und machte sich schnell unbeliebt. Wohl auch, weil sie gegenüber der Regierung unglücklich taktierte:

Die Regierung hatte -wie die deutsche - auf Druck der Lobby die Mehrwertsteuer gesenkt (von 19,6 auf 5,5 Prozent) und erwartete von der Branche Preissenkungen. Davon war aber wenig zu sehen. Die Regierung war wenig amüsiert. Woraufhin der französische Senat (die 2. Parlamentskammer) mit einer MwSt-Erhöhung drohte.

Pujol-Vorgänger André Daguin nutzte die Chance zur Palastrevolution: Bei einer außerordentlichen Hauptversammlung setzten er und seine Freunde Ende 2009 durch, dass Pujol ab- und er zum Interims-Präsidenten gewählt wurde. Als erste Amtshandlung ließ er die Schlösser des Pariser Verbandssitzes auswechseln, schreibt die FR.

"Sie sind umzingelt, Madame, geben Sie auf!", meint die Welt.

Freitag, 12. März 2010

"Ministerien verweigern den Durchblick"

Mit der Transparenz stehen viele Ministerien auf Kriegsfuß, beklagt Thomas Sigmund, Berlin-Korrespondent beim Handelsblatt. Wer wissen wolle, wer auf der Seite der Bundesregierung arbeitet, stehe oftmals vor verschlossenen Türen. Ein Thema, das Unternehmen und Verbände nur allzu gut kennen – und was Beratern nur Recht ist, denn ein von Insidern zugesteckter aktueller, detaillierter Organisationsplan in der Schublade lässt sich leicht versilbern: Zugangswissen heißt manchmal ganz simpel sagen zu können, dass Frau Ministerialrätin X das Referat Y leitet und die Durchwahlnummer 123 sowie die Emailadresse Z hat.

Eigentlich albern, dass einige Ministerien die detaillierten Organigramme immer noch als vertraulich einstufen. Zwar hat sich da seit den 90ern viel getan -- Rot-Grün schnitt einige alte Zöpfe ab und gelobte mehr Transparenz und Serviceorientierung.

Die Gemeinsame Geschäftsordnung (GGO) der Bundesministerien, die die Grundsätze der Organisation und Abläufe recht detailliert beschreibt und vor einigen Jahren gründlich überarbeitet wurde, sagt klar:
§7 (4) Der organisatorische Aufbau des Bundesministeriums ist zu veröffentlichen.

So gibt es inzwischen auf jeder Website Angaben zu Strukturen und Arbeitsbereichen, und einige Ressorts haben die Fenster weit aufgemacht. Andere nutzen den Spielraum und veröffentlichen nur Teile des Organisationsplans. Sie "verweigern den Durchblick", so das Handelsblatt. Und das passe nicht zu den Forderungen nach mehr Transparenz, die die Regierung derzeit besonders der Finanzwirtschaft stellt.

Manche Organigramme der Ministerien verraten, welcher Abteilungs- oder Referatsleiter für welches Thema zuständig ist. Doch die meisten schweigen sich darüber aus.

Ganz durchsichtig sind etwa das Bundesfinanzministerium, das Innenministerium und das Wirtschafts- und Umweltressort. Beim Bildungsministerium stehen zwar veraltete Namen im Netz - aber besser als nichts.

Ganze vorne beim Nichts liegt das Bundeskanzleramt, gefolgt vom Verteidigungsministerium. Das Arbeitsministerium nennt wiederum nur die Ministerin und die Staatssekretäre. Nichts erfährt man auch im Justizministerium, dem Auswärtigen Amt und dem Entwicklungshilfeministerium. Vielleicht liegt es daran, dass wichtige Posten noch nicht besetzt sind und das auffallen würde. Andere Posten sind besetzt, aber auch das soll wohl keiner wissen.

Allerdings:
Selbst wenn die Organisationspläne im Internet veröffentlicht sind, bleiben die detaillierten Geschäftsverteilungspläne meist nur im Intranet verfügbar; hier werden Zuständigkeitsregelungen und Dienstpostenbeschreibungen flexibel geändert, weshalb dafür manchmal auch Spezialsoftware (Beispiel) zum Einsatz kommt. Nur den Knopf "Veröffentlichen" hat man wohl vergessen.

Aktenpläne von Bundesbehörden dagegen müssen nach dem Informationsfreiheitsgesetz im Internet veröffentlicht werden (Suchfunktion bei bundesregierung.de).

Warum hat die Bundesregierung nicht so ein komfortables Mitarbeiter-Register wie die EU-Kommission?

Wie beim Informationsfreiheitsgesetz & Co immer wieder zu beobachten: In Deutschlands Verwaltung ist grundsätzlich alles geheim, was nicht explizit und auf politischen Druck hin öffentlich gemacht werden muss. Ein zähes Ringen wird es bleiben.

Kolumnist Dr. Hajo Schumacher fragte jüngst in der Süddeutschen:
Warum fordern Journalistenverbände eigentlich nicht hörbar nach umfassender, einklagbarer Auskunftspflicht von Behörden wie sie in den USA gilt? Nimmt die tatsächliche Recherchetiefe ab, müssen Recherchemöglichkeiten erweitert werden, damit zumindest die theoretische Kontrolle steigt.
Da könnten sich sogar manche Interessenvertreter anschließen. Recherchemöglichkeiten brauchen auch sie. Und auch sie sind ein Teil der öffentlichen Kontrolle.

Die Relevanz der Public Affairs in Brüssel

Schönes Promotion-Video der Agentur Fleishman-Hillard im eigenen YouTube-Kanal: Das Team erklärt in kurzen Sätzen, warum sich Unternehmen und Branchen um die EU-PA kümmern sollten. Etwas seicht, aber sympathisch und nett gemacht.

Brandherd Bankenverband

Die Krise lässt bei den Interessenverbänden alte Risse deutlicher zu Tage treten. Nicht zuletzt, wenn es um Führung und Strategie geht, beim Personal sowieso. Beim Bankenverband lässt sich das beobachten. Wie das Handelsblatt gestern meldete, räumt Hauptgeschäftsführer Professor Manfred Weber den Chefsessel – nur bis wann ist noch unklar, spätestens zum Jahresende oder vielleicht auch kurzfristig.

17 Jahre als HGF sind eine lange Zeit, vor allem, wenn man Leute wie Josef Ackermann und Martin Blessing sowie den neuen Verbandspräsidenten Andreas Schmitz im Nacken hat. Dass Weber und der Bankenverband eine politisch wichtige oder dynamische Rolle während der letzten zwei Krisenjahre gespielt haben, kann man nicht behaupten. Und: Die großen Banken verlassen sich schon lange nicht mehr auf ihren einst einflussreichen Verband. Während der Krise ist die Neusortierung des Verbands offenbar nicht auf der Prioritätenliste ganz oben gewesen. Als es überall brannte, ließen die Mitglieder den Brandherd Bankenverband einfach vor sich hin glühen.

Dass der Posten des Vize-HGF seit langem immer noch mit "N.N." besetzt ist, obwohl dieser für die wichtigen Gebiete Einlagensicherung, Recht, Steuern, Finanzmärkte, Personal und Verwaltung zuständig ist, spricht Bände. Es ist ganz sicher nicht klug, wenn der andere Stellvertreter, Hans-Joachim Massenberg, das alles auch noch mitmachen muss. Das wäre selbst für Superhelden der Arbeit arg viel.

Es ist ja nicht so, dass es dafür kein geeignetes Personal gäbe oder dass die Headhunter untätig gewesen wären. Was ist da los, fragen sich viele. Die pauschale (und damit vielleicht etwas unfaire) Antwort ist meistens gewesen: Weber.

Nun hat der Vorstand wohl radikalen Frühjahrsputz vor. Es ist ja auch nicht schön, wenn die Querelen und Defizite in die Öffentlichkeit sickern, wie etwa im Januar in der FTD. Die hatte über Weber gesagt:

Der Hauptgeschäftsführer ist intern wie extern hochumstritten - seine Karriere galt bereits 2009 als quasi beendet. BdB-Mitarbeiter beschweren sich, dass Weber die Kommunikation nach außen unterbinde - die aber gerade für einen Verband inmitten der schwersten Finanzkrise seit den 30er-Jahren von größter Bedeutung ist.

In der Tat. Das "Netzwerk Recherche", ein Zusammenschluss kritischer Journalisten, verlieh dem Bankenverband 2009 gar die "Verschlossene Auster" – ein Preis für den „Informationsblockierer des Jahres“. Die Journalisten meinten: "Der Bankenverband und seine Mitglieder waren in der Banken- und Finanzkrise nicht auf Seiten von Transparenz und Aufklärung. Die Vertreter der Banken tauchten ab und stellten sich der Öffentlichkeit nicht ausreichend. Wenn sie eines ihrer wenigen Interviews gaben, dann versorgten sie die Öffentlichkeit mit Ausreden. Sie weigern sich, ihre Fehler einzugestehen, Versäumnisse zu erklären und Verantwortung zu übernehmen." In der Laudatio kommentierte Professor Rudolf Hickel, der Direktor des Institutes Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen, „nicht nur Informationsblockierung, sondern Fehlinformation, Halbwahrheiten, lobbyistische Rechtfertigungen kennzeichnen die Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes.“

Was die Verbandsmitglieder wohl denken, wenn sie so etwas lesen? Die Journalisten prügelten den Verband stellvertretend für die Banken, sicher; aber hätte der Verband sich in der Kommunikation besser aufgestellt, hätte er den Mitgliedern auch etwas den Rücken frei halten können. Im Idealfall.

Wenn die großen Institute strategisch vor allem auf eigene Public-Affairs-Arbeit setzen, ist das aber kaum möglich. Was tatsächlich passiert, ist schon fast informelle Verbandsflucht. Ein klassisches Problem für eine sich durch die Globalisierung und den Wettbewerb schnell verändernde Branche, die politisch massiv unter Druck geraten ist:

Die Interessengegensätze wachsen, die Integrationskraft des Verbands sinkt, von Verpflichtungsfähigkeit keine Spur, die Fliehkräfte werden zu groß, gemeinsam kraftvoll vertretene Positionen selten.

Am Ende muss man befürchten, dass der Bankenverband zu einem Hohlkörper werden könnte, der von der Politik kaum noch als verbindlicher Verhandlungspartner anerkannt wird. Die Regierung würde sich vermutlich freuen, wenn sie von den Privatbanken einheitliche Positionen bekäme und einen Bankenverband als Gesprächspartner hätte, bei dem sie sicher sein kann, dass Problemlösungen und Vereinbarungen auch von der so vertretenen Branche mitgetragen werden. Und der bei der Kommunikation komplexer Lösungen hilfreich ist. Es ist schwer genug, die Konkurrenz zwischen öffentlichen, Genossenschafts- und Privatbanken zu überbrücken (von anderen Akteuren mal ganz abgesehen) und daraus eine einheitliche Finanzmarktpolitik zu bauen. "Das Verhältnis der Bundesregierung zu den Banken hat sich weiter abgekühlt", meint das Handelsblatt. Und die Regierung hat keine Scheu, den Druck auf die Finanzinstitute wegen der anhaltenden Kreditklemme weiter zu erhöhen.

In der FTD war zu lesen:
Commerzbank und Deutsche Bank jedenfalls stocken, statt auf den in der Bundeshauptstadt ansässigen BdB zu bauen, ihre eigenen Repräsentanzen in Berlin auf. Allerdings, so ist beschwichtigend aus den Häusern zu hören, habe das nichts mit einem Bedeutungsverlust des Bankenverbands zu tun. Die Finanzkrise habe die Relevanz der Berliner Politik für die Banken schlichtweg erhöht; sie müssten sich daher stärker selbst dort zeigen.

Hinzu kommt aber, dass es für den BdB immer schwieriger wird, seine einzelnen Mitglieder angemessen zu vertreten. Die Institute haben einfach kaum etwas gemeinsam, weder bei den Geschäftsmodellen noch bei der Eigentümerstruktur.

Da hat es etwa der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) leichter: Er sollte zwar eigentlich auch die krisengeschüttelten Landesbanken vertreten - hat das in den vergangenen zwei Jahren aber kaum getan und sich damit geschickt von schlechten Nachrichten ferngehalten. Stattdessen hat er sich als lautes Sprachrohr der Sparkassen positioniert, die eine relativ homogene Gruppe mit gleich gerichteten Interessen sind.

Überdeutlich ist, dass der BdB seine Zukunftsrolle erst noch finden muss. Um die Treue seiner Mitgliedsbanken muss sich der Verband immerhin keine Sorgen machen: Austreten können die Institute nämlich nur schwerlich. Denn nur über den Verband sind sie in der privatrechtlichen Einlagensicherung vertreten, die über die gesetzliche Sicherung hinausgeht.

Würde der Bankenverband auf eine Trägerorganisation zur Einlagensicherung reduziert, hätte das auch negative Auswirkungen auf den Einfluss Deutschlands in der internationalen Interessenvertretung -- in der European Banking Federation in Brüssel, in der International Banking Federation in London, bei zahlreichen anderen Gremien und auch für die Möglichkeiten der Initiative Finanzstandort Deutschland.

Ob das bei den laufenden schwierigen Verhandlungen um die internationale Finanzmarktregulierung so wünschenswert ist?

Donnerstag, 11. März 2010

Politiker & Beamte: Wie lehnt man höflich Einladungen und Geschenke ab?

Auch Politiker und Ministerialbeamte sind an guten Beziehungen zur Lobby interessiert. Der fachliche Austausch, die präzise Information zur rechten Zeit, das Netzwerk leisten einen Beitrag zu besseren Beratungen und Entscheidungen.

Dabei ist es manchmal nicht ganz einfach, die in der Beziehungspflege üblichen Einladungen, Bewirtungen und Geschenke auf die Waagschale zu legen: Ist das noch okay oder schon an der Grenze?

Während Abgeordnete großen Freiraum haben (es gibt nur wenige fixe Regeln zum Thema Abgeordnetenbestechung), wird Beamten ein engeres Vorschriftenkorsett angelegt, was geht und was nicht. Die Korruptionsprävention stößt sich in der Regel allerdings nicht, wenn Bewirtungen aus Anlass oder bei Gelegenheit dienstlicher Handlungen (zum Beispiel Besprechungen, Besichtigungen) dem - wie es in typischen Vorschriften heißt -"üblichen und angemessenen" Aufwand entsprechen oder wenn sie "ihren Grund in den Regeln des Verkehrs und der Höflichkeit haben, denen sich auch Angehörige des öffentlichen Diensts unter Berücksichtigung ihrer besonderen Verpflichtung zur objektiven Amtsführung nicht entziehen können, ohne gegen gesellschaftliche Formen zu verstoßen (zum Beispiel Erfrischungsgetränke, Imbiss, Mittagessen)." Einschränkung: "wenn die Bewirtung nach Art und Umfang einen nicht unerheblichen Wert darstellt". Aber auch da gibt es - zumal in Berlin, wo üppig bestückte und unterhaltungsstarke Parlamentarische Abende u.a. gängig sind - Spielraum.

Die Vorschriften beantworten aber die Frage nicht, wie man sich geschmeidig aus der Affäre zieht, wenn einem etwas nicht ganz koscher vorkommt. Oder man seine persönliche Integrität berührt sind.

Im Web kursieren einige Musterbriefe, Handreichungen für Verwaltungsmitarbeiter, um genau dies zu erreichen. Zwei Beispiele, courtesy of FH Kiel:
Sehr geehrte Damen und Herren,

für Ihre Einladung zu ............................................. bedanke ich mich.

Da der Charakter der Veranstaltung wesentlich durch das Beiprogramm geprägt ist, bitte ich um Verständnis, dass es mir nicht möglich ist, ihre Einladung anzunehmen.

Zur Wahrung der Neutralität des Öffentlichen Dienstes bin ich grundsätzlich gehalten, von vornherein jeden Anschein der Beeinflussung zu vermeiden, der durch die Teilnahme an einer, über eine reine Informationsveranstaltung hinausgehende Präsentation, entstehen könnte.

An Informationen über ............................... bin ich aber weiterhin interessiert und bitte Sie, mich auch zukünftig in Ihren Verteiler aufzunehmen.

Mit freundlichem Gruß
Und zum Thema Geschenke finden wir:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit der Übersendung/Übergabe Ihres Geschenkes haben Sie sich bei mir für die gute Zusammenarbeit bedankt.

Vor dem Hintergrund, dass für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung das Verbot gilt, Belohnungen und Geschenke anzunehmen, bitte ich um Verständnis, dass es mir nicht möglich ist, ihr Geschenk anzunehmen.

Der Öffentliche Dienst versteht sich als moderner, kundenorientierter Dienstleistungsbetrieb, der sich bemüht, allen Anträgen und Wünschen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten zur vollsten Zufriedenheit der Betroffenen zu entsprechen. Wenn dies gelungen ist, nehme ich das gerne zur Kenntnis und danke für den mit der Übersendung/Übergabe eines Geschenkes verbundenen Ausdruck der Zufriedenheit.

Zur Wahrung der Neutralität des Öffentlichen Dienstes bin ich grundsätzlich gehalten, von vornherein jeden Anschein der Beeinflussung zu vermeiden, der durch die Annahme Ihres Geschenkes entstehen könnte.

Variante 1:
Es würde mich freuen, wenn Sie in Zukunft auf die Übersendung/Übergabe von Geschenken verzichten würden. Ich vertraue auf Ihr Verständnis und füge Ihr Geschenk zu meiner Entlastung wieder bei.

Variante 2: Ich habe Ihr Einverständnis unterstellt und das Geschenk an ...................................... (soziale Einrichtung) weitergegeben. Es würde mich freuen, wenn Sie in Zukunft auf die Übersendung/Übergabe von Geschenken verzichten
würden.

Mit freundlichem Gruß

E-Lobbying und Internet in Themenkampagnen

E-Lobbying und der Einsatz von Social Networks in politischen Themen-Kampagnen treiben viele Kollegen um. Eine gute Gastvorlesung zur Einführung hat Internetexperte Alan Rosenblatt (Blog: Dr.DigiPol) vom Center for American Progress Action Fund kürzlich an der American University in Washington gehalten. Das Video lohnt sich. Rosenblatt spricht eine Reihe praktischer Probleme an, die in der Kommunikation mit der Politik auch in den USA existieren.

Mittwoch, 10. März 2010

Prinz auf Reisen

Es war ja klar - und richtig -, dass jetzt auch mal bei den Dienstreisen früherer Außenminister unter die Motorhaube geschaut wird. Hans-Martin Tillack berichtet bei stern.de über "Steinmeier und seinen Prinz". Gemeint ist der Unternehmer (PrinzMedien Holding, Times Media GmbH), Vorsitzenden der Karl-Schiller-Stiftung, Unternehmensberater, Honorarprofessor der BTU Cottbus und Ex-IG-Metall-Funktionär Detlef W. Prinz, der den Außenminister 11x (von insgesamt 220 Auslandsreisen) begleiten durfte. Die Sache mit den Mietverträgen und den Anzeigen der Energieagentur Dena lassen wir hier mal weg. Interessant ist, was Prinz mit dem Mitflug-Privileg anfing:
Prinz sei wie alle anderen Mitglieder der Wirtschaftsdelegationen "an den Kosten beteiligt" worden. Prinz, der auch ein Beratungsunternehmen für Firmenkunden betreibt, flog nicht nur gelegentlich in der Außenministermaschine mit. Er lud auch anschließend mehrfach die anderen Unternehmer aus den Wirtschaftsdelegationen des Außenministers zu Nachbereitungstreffen ein, zum Beispiel in den "Berliner Salon", den Prinz nahe dem Gendarmenmarkt in der Hauptstadtmitte betreibt [gemeint ist die Fa. Berliner Salon Rahel Varnhagen GmbH]. Auch Steinmeier persönlich beehrte gelegentlich diese Runden. "Die Unternehmensvertreter selbst hatten Interesse, die entstandenen Kontakte weiter zu pflegen", sagte Steinmeier zu stern.de. "Auch ich wollte den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen."
Es hilft bei Verständnis nur begrenzt, wenn man Detlef Prinz als Verleger oder Medienunternehmer beschreibt. Das ist er schon. Allerdings sind die Times-Blätter und Der Hauptstadtbrief ("Hintergrund-Dienst für Entscheider und Multiplikatoren") Medien für bestimmte Zirkel, und, da wird man Prinz nicht zu nahe treten, eher Mittel zum Zweck, eingebettet in die anderen Unternehmensbereiche. Die PrinzMedien-Website wird aber nicht von den publizistischen Aktivitäten dominiert. Unter "Leistungsspektrum" findet man da die Aussage:

Für die integrierte Promotion und Begleitung Ihrer Aktivitäten steht Ihnen ein Leistungsspektrum folgender Schwerpunkte zur Verfügung:

- Vermittlung zwischen Wirtschaft und Politik
- PR und strategische Öffentlichkeitsarbeit
- Imagebildung für Vorstände und Führungskräfte
- Mediengestaltung und Webdesign
- Veranstaltungsmanagement
- Printprodukte und Verlagsarbeit
- Medientraining für Führungskräfte
- Herstellung und Förderung von Geschäftsbeziehungen
- Krisen-Management
- Krisen-PR

Das ist das klassische Leistungsspektrum einer kombinierten PR- und PA-Agentur in Berlin. Nichts Ehrenrühriges, völlig in Ordnung, genauso wie sein persönliches politisches Engagement in SPD-Kreisen oder internationalen Instituten wie Atlantik-Brücke und IZA. Aber es ist durchaus zu fragen, was Kollege Prinz an Bord der Steinmeier-Maschinen machte. Der internationale Zeitungsvertrieb seiner Gratis-Gazetten ist da sicher nicht das Wichtigste. Und Direktinvestitionen und Joint-Ventures seiner eigenen Industrie wird er kaum 11x hintereinander angeschoben haben, für die er den Außenminister als Türöffner brauchte. Ein typisches Mitglied einer Wirtschaftsdelegation sieht anders aus.

Normalerweise fliegen die Chefs Berliner PR/PA-Agenturen jedenfalls nicht in den Bundeswehrmaschinen mit, wenn sie Akquise betreiben oder für Kunden lobbyieren und netzwerkeln wollen. Ein bißchen komisch sieht das schon aus.

Das Lobbying der Solarindustrie, ihre Allianzen, Strategien und Parteispenden

Die Debatte um die Kürzung von Solar-Subventionen hat die Solarenergie-Interessenvertreter etwas ins Licht gerückt. "Im Namen der Sonne" betitelt die Financial Times Deutschland ihre Magazinstory über die "schlagkräftige Lobby, die sich von den Idealen der Gründerjahre längst verabschiedet hat". Eine pointiert und dicht geschriebene Fallstudie über das Werden einer Industrie, die erwachsen geworden ist – und, weil ihr Wohl und Wehe weniger vom Marktwettbewerb als von der politischen Rahmensetzung abhängig ist – sehr professionelles Lobbying betreibt. Mit dem Vorteil einer Reputation, die ihr die traditionellen Energieversorger nur neiden können.

Nikolai Fichtner und Kathrin Werner zirkeln das Technologie-Politikfeld gut ab. Seit 10 Jahren gibt es das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), und es war stets ein Brandherd für zahlreiche Lobbyisten. Für die Solarbranche ist die von der Politik festgesetzte Garantiezahlung – eine Subvention, die nicht direkt vom Staat, sondern von den Verbrauchern bezahlt wird – die Existenzsicherung schlechthin. Die Solarbranche musste befürchten, dass die schwarz-gelbe Koalition das EEG gründlich umstrickt oder gar abschafft. Nichts davon ist passiert. Und das Verhindern großer Brüche ist eben auch ein Lobby-Erfolg.

Die FTD-Geschichte beginnt mit Hans-Josef Fell, den laut FTD "heimlichen Gründer der Solarlobby":

Es gab damals nur fünf Unternehmen in der Fotovoltaik-Branche, mit Lobbyismus hatten sie nichts am Hut. Fell hat sie heimlich zusammengetrommelt und gesagt: "Schreibt einen Brief an den Wirtschaftsminister." Er erinnert sich: "Für die Unternehmen war das schwer damals."

(...) Das Gesetz war inzwischen durch den Bundestag, es garantierte den Betreibern 99 Pfennig Erlös pro Kilowattstunde Solarstrom. Aber die Länder mussten noch zustimmen, und Nordrhein-Westfalens damaliger Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) galt als Gegner der Öko-Energien. Fell und seine Freunde erfuhren, dass Shell eine Solarzellenfabrik einweiht - mit Clement als Gastredner. "Wir haben dann über Shell einen Kontakt zu Clements Redenschreiber hergestellt", erzählt er. Der hat in die Eröffnungsrede reingeschrieben, dass 99 Pfennig dringend nötig seien, auch für diese Fabrik. "Und Clement hat's gesagt." Hinter das öffentliche Wort konnte der Ministerpräsident danach nicht mehr zurück. (...)

Es sind Geschichten aus einer Zeit, als David noch gegen Goliath kämpfte. Eine kleine Gruppe Idealisten, die mit List und Schläue für eine saubere Energieversorgung stritt - gegen die Ministerialbürokratie, gegen das mächtige Oligopol der Energiekonzerne. Sie haben sich damals vorgenommen, ihre Interessen wirkungsvoll in der Politik zu vertreten. Und eins stand dabei fest: Sie wollten eine gute Lobby werden. Eine, die sich mit reinem Gewissen für eine schützenswerte Sache einsetzt. Ganz anders als all die Pharmafirmen und Energiekonzerne, denen es doch immer nur um zusätzliche Profite ging.

Und ach, was ist daraus geworden.

Eine Dekade später ist aus der kleinen Gruppe, die sich nicht einmal traute, einen Brief an Werner Müller zu schreiben, eine schlagkräftige Interessenvertretung geworden, die in ihrer Effektivität den etablierten Wirtschaftslobbys in nichts nachsteht - und die in der Zwischenzeit viel von ihren hehren Motiven aufgegeben hat. Sogar Hans-Josef Fell warnt seine Weggefährten, in ihrem Streben nach mehr Einfluss nicht zu weit zu gehen: "Manche Methoden schaden dem Ganzen!"

Die FTD knöpft sich Frank Asbeck und sein Unternehmen Solarworld vor, eine Firma mit Milliardenumsatz:

"Wir sind ein politisches Unternehmen", sagt ein Solarworld-Sprecher. Und Asbeck ist ein politischer Mensch. Er ist zugänglich und jovial im Umgang, er kann emotional reden und anschaulich erklären. Er versteht die Politik, und die Politiker verstehen ihn. So etwas kann helfen. Auch First Solar, Juwi und der Branchenverband BSW sind in Berlin aktiv. Aber keiner prägt die Debatte um die Einspeisevergütung wie Asbeck.

Zu erfahren ist über Asbeck auch, dass er sich - obschon einst Grünen-Mitgründer - Fundraising für die FDP organisiert hat und auch sonst im Parteispendenwesen bewandert ist:

Am 12. September 2009, zwei Wochen vor der Bundestagswahl, deuten die Umfragen auf einen Sieg von Schwarz-Gelb hin. An diesem Abend lädt Frank Asbeck zum Fundraising-Dinner in die Solarworld-Zentrale im alten Wasserwerk in Bonn/Bad Godesberg. Ein Sternekoch grillt Wildschweine aus Asbecks eigener Jagd. 280 Gäste sind da, darunter fast die komplette FDP-Führung. "Ein absoluter Rekord, wie übrigens auch die Spendensumme", schwärmt die FDP auf ihrer Homepage, "ein unvergesslicher Abend".

Asbeck und Spenden für die Liberalen? Der Unternehmer hat 1979 den ersten Grünen-Landesverband mitgegründet, er pflegt auch gute Kontakte zur SPD. Aber an diesem Abend sammelt er Spenden für Guido Westerwelle . "Solarworld hat nichts an die FDP gespendet", erklärt Asbeck. Das Dinner habe er mit seiner Frau und Freunden organisiert - und die Spenden seien nicht von ihm gekommen, sondern von den Gästen. "Das ist nicht anrüchig", sagt er.

(...) Offiziell spendet Solarworld eher an die traditionellen Förderer der erneuerbaren Energien: Die Grünen bekamen 2007 rund 25.000 Euro. Die SPD erhielt 2008 laut Rechenschaftsbericht 45.000 Euro, mehr als von Volkswagen. Davon hat allein der Bonner SPD-Abgeordnete Ulrich Kelber, Westerwelles direkter Wahlkreis-Konkurrent, 25.000 Euro für seinen Wahlkampf bekommen. Kelber hat Einfluss im Bundestag, er war in der Großen Koalition als stellvertretender Fraktionschef für die EEG-Verhandlungen zuständig.Man kann Kelber glauben, dass er aus Überzeugung für die Energiewende ist und nicht aus finanziellen Motiven. Auf seiner Website listet er sämtliche Spenden und Gespräche mit Lobbyisten auf - freiwillig. "Asbeck ist ein alter Freund von mir", sagt Kelber, "er findet halt, dass ich gute Arbeit mache."

Die Regierung hatte nun Schwierigkeiten, den richtigen Ansatz zur Kürzung der Subventionen zu finden. "In der Praxis hat die Politik gar nicht die Kompetenz, das zu bewerten. Es gibt im Umweltministerium einen Mitarbeiter mit einer halben Stelle, der sich mit der Branche beschäftigt", stellt die FTD fest. Präzise Daten fehlten dabei: Es gebe nur "Stochern im Nebel", beklage ein Koalitionspolitiker, und "Pi-mal-Daumen-Politik". "Auch das erklärt den Lobbyeinfluss: Die Politik kann entweder der Branche glauben - oder ihren Gegnern."

Problem: Die Absprachen der führenden Solarunternehmen in ihrem Verband funktionieren offenbar nicht richtig, Asbeck spielt nach Ansicht der FTD mehr oder weniger gekonnt ein eigenes Spiel. Das Blatt über die Verhandlungen zur EEG-Novelle:

Nachdem Röttgen sein Konzept vorgestellt hat, sind die Bundestagsabgeordneten dran. Wer jetzt gut verhandelt, kann die Kürzung erhöhen, verringern oder verschieben, die Schlupflöcher vergrößern oder verkleinern. Lobbyisten und Abgeordnete haben jetzt viel zu tun. Es gibt Protestbriefe, symbolische Firmenschließungen und viele, viele Arbeitsplatzargumente.(...)

Viele Abgeordnete haben eigene Anlagen zu Hause, quer durch die Fraktionen. Andere sitzen in Aufsichtsräten von Solarfirmen. Viele wurden in ihrem Wahlkampf von Unternehmen aus der Branche unterstützt. "Die spenden an alle ohne Unterschiede", sagt ein Empfänger aus der FDP. Einige Abgeordnete haben Solarunternehmen in ihrem Wahlkreis, vor allem in den neuen Bundesländern.

Zudem ist der Draht der Branche zu den Ministerpräsidenten der Länder eng (...). Besonders effektiv ist bei einer schwarz-gelben Koalition die Zusammenarbeit der Sonnenenergievertreter mit der Handwerkerlobby. Die montieren die Anlagen schließlich - und gehören zur schwarz-gelben Kernklientel.

Genau! Die Solarindustrie ist tatsächlich selbst durch Mittelständler geprägt, auch die großen Unternehmen haben immer noch mittelständische Wurzeln. Es liegt nahe, dass sie ihre mittelständischen Geschäftspartner einbeziehen. Die Handwerker, wichtige Stakeholder der Solarbranche, haben sicher nicht dieselben Probleme wie die Solarfirmen, wohl aber ähnliche Interessen. Mit diesen pragmatisch zu koalieren, ist sinnvolle und erfolgreiche Bündnispolitik. Vor allem, wenn die Handwerker politische Zugänge haben, die den Solar-Leuten fehlen.

Es gehört zu den Stärken der Solarlobby, dass sie auf vielen Ebenen gleichzeitig agieren kann. Sie braucht viele Verbündete, während der Vorstandschef eines großen Energieversorgers direkt bei der Kanzlerin anrufen kann. "Die Solarlobby agiert höchst professionell. Dagegen sind die Energiekonzerne Waisenknaben", sagt Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Der CDU-Politiker ist einer von wenigen Abgeordneten, die sich offen gegen die Solarlobby stellen. "Was mich besonders ärgert, ist, dass sie moralisch so überlegen tut, auch wenn es ihr nur ums Geld geht." Seine Gegner wiederum werfen ihm zu große Nähe zu den Energiekonzernen vor.

Pfeiffer hat seine eigenen Erfahrungen mit der Solarlobby gemacht. Einmal habe ein Branchenvertreter versucht, seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter zu ködern, berichtet Pfeiffer, ein "Korruptionsversuch".

Und da gibt es auch noch diese Episode aus dem Wahlkampf 2005: Pfeiffer tritt im Wahlkreis Waiblingen an, sein direkter Konkurrent ist Hermann Scheer , der in der Szene gern "Solarpapst" genannt wird. Pfeiffer muss seinen Wahlkreis direkt gewinnen, sonst fliegt er aus dem Bundestag. Plötzlich steckt eine Sonderausgabe der "Solarzeitung" in den örtlichen Briefkästen, vier Farbseiten, mit großem Hermann-Scheer-Interview, drei Scheer-Fotos, eins davon mit Arnold Schwarzenegger. Herausgeber: Solarworld. Verantwortlich für den Inhalt: Frank Asbeck.

Scheer sagt, er habe lediglich ein Interview gegeben. Ein Solarworld-Sprecher bestätigt den Vorfall: Man habe die "Solarzeitung" bundesweit in Umlauf gebracht. Aber flächendeckend verteilt wurde sie nur in dem Wahlkreis, in dem es schwerpunktmäßig um Energiepolitik ging. Und das war eben Waiblingen. Pfeiffer glaubt, dass das eine gezielte Wahlkampfaktion gegen ihn war. Am Ende hat er trotzdem gewonnen.

Fazit
Wenn man dem FTD-Portrait folgt, hat die Solarindustrie alles ziemlich richtig gemacht:

  • Nutzen der Informationsdefizite der Politik und Herstellen von Unentbehrlichkeit als informationeller Zuträger,
  • Aufbau eines vielschichtigen Beziehungsnetzwerks,
  • Verständnis für das alte Prinzip "all politics is local",
  • Erhalt und Pflege der Reputation als moralisch "saubere" Branche und zugleich mittelständisch geprägte Industrie,
  • Allianzenbildung bis tief hinein in das parteipolitisch anders gefärbte Lager,
  • gezielter Einsatz von finanziellen Anreizen und Medien,
  • Belohnen der Freunde,
  • Eindämmen und Bestrafen der Gegner.
Was man bei der FTD aber auch herauslesen kann, sind steigende Koordinationsprobleme und gegenläufige Interessen zwischen den Marktwettbewerbern, was, wie der Artikel beweist, den Politikern und Journalisten nicht verborgen bleibt. Und die zunehmend genauer hinschauen. Auch darin ist die Solarindustrie - und ihre Verbandswelt - heute eine Branche wie viele andere auch.

Dienstag, 9. März 2010

Total baut PA-Abteilung um -- Public Affairs Trends in Frankreich

Immer wieder interessant, sich die internen Organisations- und Berichts-Strukturen sowie Titel- und Begriffs-Hierarchien von PA-Funktionen bei Großunternehmen anzusehen. Jan Siedentopp (vor kurzem noch Doktorand an der FU Berlin, jetzt Referent im Wirtschaftsministerium) hat kürzlich in der DIPA-Reihe im Lit-Verlag (Band 11) dazu die umfassende Studie "Public Affairs-Management von Großunternehmen" publiziert.

Aktuell hat der französische Energie- und Ölkonzern Total seine PA-Aktivitäten umstrukturiert und berichtet darüber bemerkenswerterweise sogar in einer Pressemitteilung. Seine drei bisher getrennten Abteilungen ("divisions") für "Institutional Relations", "International Relations" und "European Affairs" wurden zu Jahresbeginn in einer neuen Public Affairs Division zusammengeführt. Berichtet wird an den Chief Administrative Officer (CAO). Die Public Affairs Division wird gegliedert in "Public Affairs, France and NGOs", "International Public Affairs" und "European Public Affairs". Nobles Ziel:
"The new organization is designed to offer Total stakeholders improved transparency and dialogue on all issues related to Total’s activities and reputation in France and worldwide."

Sehr schön. Die Transparenz-Offensive, die das Total-Management seit einiger Zeit auch mit kniffligen Themen wie Korruptionsbekämpfung und internationalen NGO-Beziehungen sowie natürlich CSR, Umwelt und Nachhaltigkeit beschäftigt, findet auch hier ihren Niederschlag.

Geleitet wird die "Division" von Hubert Loiseleur des Longchamps mit dem Titel "Senior Vice President, Public Affairs". Ein klassischer Absolvent der grandes écoles ENA und Sciences Po, der in Politik, Diplomatie und bei Total-Auslandstöchtern Karriere gemacht hat und schließlich als "Vice President, International Relations" reüssierte. Seine Laufbahn und die seiner mitverantwortlichen Kollegen sagen viel aus über PA-Karrieren bei französischen Großkonzernen im Geflecht zwischen Politik und internationalem Geschäft.

PR Week hat übrigens jüngst einen Überblick über die PR- und PA-Landschaft in Frankreich publiziert. Die Essenz:

Das politische Umfeld -- und damit Public Affairs Management -- bleibt für Unternehmen sehr wichtig. Der öffentliche Sektor allgemein (und die hyperaktive Sarkozy-Regierung) sind interventionistisch, die Rolle Frankreichs in der EU ist stark. Das Wort Lobbying allerdings ist auch in Frankreich weiterhin ein böses Wort.

Die führenden Agenturen sind Euro RSCG C&O, Publicis Consultants, Boury & Associes; es folgen Burson-Marsteller, Fleishman-Hillard, Edelman und Hill & Knowlton sowie einige Anwaltskanzleien wie August & Debouzy.

Das Thema Lobbyistenregister wurde angeschoben. Die Nationalversammlung und der Senat haben sich intensiv damit beschäftigt, aber das 2009 eingeführte Register bleibt bislang freiwillig -- und die Angaben zu den Mandanten der Lobbyisten vage. Siehe aktuelle "Liste des représentants d'intérêts".

Ein Verhaltenskodex muss anerkannt werden, um sich (als Einzelpersonen) zu registrieren und im Gegenzug einen Dauerhausausweis zum Palais Bourbon zu erhalten. Im YouTube-Kanal von Public Affairs News kommentiert Marie-Laure Daridan von Affaires Publiques Consultants die Entwicklung insgesamt positiv -- sie sieht das Register als Anerkennung der Professionalität und Legitimität der Lobbyisten. Sie sei "sehr glücklich" darüber (O-Ton Englisch):


"Lobbyisten sind zum Glück fast immer einfach zu durchschauen"

Für "leicht zu durchschauen" hält Gesundheitsminister Philipp Rösler die Lobbyisten in seinem Politikfeld:

"Lobbyisten sind zum Glück fast immer einfach zu durchschauen. Von denen darf man sich nicht beeindrucken lassen", sagte Rösler gegenüber der "Leipziger Volkszeitung". (...) Zu seinem Arbeitsstil als Gesundheitsminister im Milliarden-Geschäft Gesundheit meinte Rösler gegenüber der Zeitung: "Mein Stil ist es nicht, laut zu klappern, aber wenig zu erreichen. Das überlasse ich lieber anderen. Ich arbeite intensiv mit meinen Fachleuten. Und erst, wenn die Konzepte gereift sind, werden diese öffentlich diskutiert."

Hmm. Zu "meinen Fachleuten" gehören zweifellos auch Interessenvertreter. Abgesehen einmal von der Personalie Christian Weber, vor kurzem stellvertretender Direktor des PKV-Verbands und nun Abteilungsleiter für Grundsatzfragen im BMG (nebenbei: sein Vorgänger Knieps war früher bei der AOK): Ohne die Zuarbeit der Lobbies und die Verhandlungen mit den Verbänden wird im Ministerium ganz sicher kaum eine Vorlage erstellt.

Sieht man sich die verhältnismäßig zahme Reaktion etwa von Cornelia Yzer vom VFA auf Röslers Vorstöße zur Pharma-Preispolitik an (auch u.a. bei "Anne Will", Sendung vom 7.3.), muss man annehmen, dass Röslers Fachleute vorher sehr genau vorgefühlt haben, was geht und was nicht. "Big Pharma" macht die Schaukämpfe defensiv mit und lässt sich wie gewohnt als Böseste der bösen Lobbies vorführen.

Hinter den Kulissen dagegen wird normal gefeilscht, Gespräche im Ministerium und fachöffentliche Positionierung von VFA, BAH, ProGenerika, BPI und Kassenverbänden lassen den Aufregungs-Pegel immer noch im grünen Bereich.

Die Akteure wissen, dass sie Rösler zugestehen müssen, dass er öffentlich ein paar Punkte macht. Die Koalition hat's bitter nötig, und einen besseren Minister werden sie sicher nicht bekommen, wenn sie Rösler jetzt schon zu viele Knüppel zwischen die Beine werfen. Auch da sind die Lobbyisten leicht zu durchschauen.

Die LVZ weiter:

Nach seinem Wechsel von der sächsischen Staatsregierung auf den Chefsessel des Bundeskanzleramtes hatte in der vorigen Legislaturperiode Thomas de Maizière (CDU) noch über den "verhängnisvollen Einfluss" der Lobbyisten auf den Gesetzgebungsprozess geklagt: "Bevor ein Vermerk den Minister erreicht, ist er schon bei der Energiewirtschaft und bei der Pharmaindustrie oder wo auch immer. Ich habe mir das aus der fernen Provinz wirklich so nicht vorstellen können."
Die Mitwirkung der Verbände ist allerdings offiziell festgeschrieben. In der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) heißt es zum Gesetzgebungsverfahren in §47:

§ 47 Beteiligung von Ländern, kommunalen Spitzenverbänden, Fachkreisen und Verbänden

(1) Der Entwurf einer Gesetzesvorlage ist Ländern, kommunalen Spitzenverbänden und den Vertretungen der Länder beim Bund möglichst frühzeitig zuzuleiten, wenn ihre Belange berührt sind. Ist in wesentlichen Punkten mit der abweichenden Meinung eines beteiligten Bundesministeriums zu rechnen, hat die Zuleitung nur im Einvernehmen mit diesem zu erfolgen. Soll das Vorhaben vertraulich behandelt werden, ist dies zu vermerken.
(2) Das Bundeskanzleramt ist über die Beteiligung zu unterrichten. Bei Gesetzentwürfen von besonderer politischer Bedeutung muss seine Zustimmung eingeholt werden.
(3) Für eine rechtzeitige Beteiligung von Zentral- und Gesamtverbänden sowie von Fachkreisen, die auf Bundesebene bestehen, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend. Zeitpunkt, Umfang und Auswahl bleiben, soweit keine Sondervorschriften bestehen, dem Ermessen des federführenden Bundesministeriums überlassen.

Dieses Ermessen üben im Alltag natürlich auch die Referenten aus. Sie fangen ja nicht erst mit den Verbänden zu sprechen an, wenn der Referentenentwurf fertig ist, sondern schon bei der Erstellung der Vorentwürfe und ihrer Teile flitzen Emails hin und her. Die GGO sagt ja, "möglichst frühzeitig... wenn ihre Belange berührt sind".

Die "öffentliche Diskussion" erst ganz zum Schluss beginnen zu lassen, wie Rösler meint, ist dabei aber ein Wunschgedanke. Offenheit für fachlichen Input und komplette Verschwiegenheit aller Beteiligten passen in der Praxis nicht zueinander.