Samstag, 4. Dezember 2010

Personal in Bundesministerien: Dem Sieger die Beute?

"Schäuble schiebt 17 Sozialdemokraten vom Finanz- ins Arbeitsministerium ab", meldet der Spiegel. Er "säubert sein Ministerium von Sozialdemokraten":
Gleich drei Referatsleiter, die der SPD angehören, werden mitsamt ihren Mitarbeitern in das Arbeitsministerium von Ressortchefin Ursula von der Leyen (CDU) versetzt. Dort sollen sie bei der Umsetzung der Hartz-Gesetze helfen. Von dem Zwangsumzug sind insgesamt 17 Stellen betroffen. Die Versetzten sollen Anfang nächsten Jahres ihren Dienst im Arbeitsministerium beginnen. Dort wurde ihnen aber bereits eröffnet, dass die ihnen zu geteilten Aufgaben intern schon vergeben worden seien.
Das ist durchaus nicht die erste Meldung dieser Art. Die Financial Times Deutschland berichtete bereits im August 2010 unter dem Titel "Schäuble kehrt Sozialdemokraten aus":
Rund zehn Monate nach der Ernennung zum Bundesfinanzminister baut Wolfgang Schäuble (CDU) die Führungsetage seines Ministeriums um. Drei Abteilungsleiter müssen gehen, zwei davon sind Sozialdemokraten: Henry Cordes, zuständig für Bundesbeteiligungen, und Rainer Türmer, der bisher die Rechtsabteilung führte. Wilfried Steinheuer, der die Europa-Abteilung leitete, wird wegen Kritik an seiner Arbeit zum Unterabteilungsleiter zurückgestuft. Er zählt zum konservativen Lager.

Nach der Bundestagswahl hatten sich nicht nur Unionspolitiker gewundert, dass Schäuble so viele Spitzenbeamte von der SPD auf ihren Posten lässt. Dadurch, dass nun auch Steinheuer degradiert wird, entgeht Schäuble dem Vorwurf, eine rein parteipolitisch motivierte Personalrochade vorzunehmen.

Im Finanzministerium wird aber damit gerechnet, dass bei den Nachbesetzungen vor allem Beamte zum Zuge kommen, die der Union nahestehen. In der CDU/CSU gab es nach dem Regierungswechsel große Unzufriedenheit, weil Schäuble aus ihrer Sicht zu wenige konservative Beamte beförderte.

Ein erster Erfolg für die Union: Die Rechtsabteilung übernimmt Kurt Bley, der langjährige Vorsitzende der CDU-Betriebsgruppe im Finanzministerium. Bley ist derzeit Unterabteilungsleiter und gilt als kompetent. Dass er Türmer ablösen wurde, war schon früher erwartet worden. Auch Schäubles Vorgänger Peer Steinbrück , wie Türmer Sozialdemokrat, sei mit dem Abteilungsleiter unzufrieden gewesen, hieß es. Insbesondere bei Verhandlungen mit den Bundesländern habe Türmer keine gute Figur gemacht.

Der SPD-Mann Cordes hatte zwar in der Wirtschaft einen guten Ruf als Pragmatiker, in seinem eigenen Haus war aber schon länger mit seiner Ablösung gerechnet worden. Unabhängig von seinem Parteibuch galt er nicht als Leistungsträger.

Seinem Amtskollegen Steinheuer wurde vorgeworfen, insbesondere in der Griechenland-Krise nicht optimal agiert zu haben. Für Cordes und Steinheuer gibt es noch keine Nachfolger, aber einige Kandidaten mit CDU-Ticket. Obwohl Schäuble auf der Ebene der Abteilungsleiter und demnächst wohl auch bei den Unterabteilungsleitern einige Umbauten vornimmt, sind die beiden SPD-Staatssekretäre Jörg Asmussen (Finanzmarktpolitik) und Werner Gatzer (Haushalt) nicht gefährdet.

Asmussen habe gerade bei der Euro-Rettung seine Qualitäten bewiesen, hieß es. Und Gatzer liege bei der Umsetzung des Sparkurses auf einer Linie mit Schäuble. Asmussen harmoniert bislang auch sehr gut mit Markus Kerber, dem Leiter der Grundsatzabteilung und Schäuble-Vertrauten. Ein Problem mit Asmussen hat eher Steffen Kampeter (CDU), der parlamentarische Staatssekretär. Er sieht sich als ministrabel und konnte von Anfang an nicht verstehen, dass Schäuble zwei SPD-Staatssekretäre behielt.
Da stellen sich viele Fragen:
  • Bedient der zuletzt unter massiven Druck geratene Minister nun also im Haus Parteifreunde, um sich ressort- und parteiintern mehr Unterstützung zu sichern?
  • Holt er einfach nach, was die Unions-Betriebsgruppe ("Betriebskampfgruppe") schon lange forderte und erwartete?
  • Ist es eine personalpolitische Machtdemonstration, dass der Minister mit seinem Personal und den Strukturen umgehen kann, wie es ihm beliebt?
  • Oder ging es tatsächlich auch um Fachkompetenz (etwa mehr europa- und verfassungsrechtlichen Sachverstand), um Effizienz und Effektivität in einem Haus, das noch große Herausforderungen vor sich hat?

Der Kontext der "Säuberungen"

Fakt: Die Union hat nicht mehr viel Zeit in dieser Legislaturperiode, um entscheidende Personalbesetzungen vorzunehmen. Wer in Ministerien nach einer Wahl nicht rechtzeitig daran geht, bedauert es spätestens, wenn der nächste Wahlkampf seinen Schatten vorauswirft. (Manche meinen ja, es sei schon soweit.)

Bekanntlich können auf Bundesebene nur Staatssekretäre und Abteilungsleiter als "politische Beamte" von jetzt auf gleich in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Und Mitarbeiter mit Zeitverträgen sind nur in den politischen und persönlichen Stäben (Ministerbüro, Presse, Planung) dominant. Im internationalen Vergleich ist der parteipolitischen Ämterpatronage daher durch das Berufsbeamtentum eine gewisse Grenze gesetzt - von einem durchgängigen "Spoils System" kann in Berlin keine Rede sein.

Gleichwohl kann das Prinzip "Dem Sieger die Beute" indirekt durchgesetzt werden: durch das Recht der Minister, ihr Ministerium weitgehend nach Belieben umzustrukturieren, Aufgaben und damit Beamtenmacht neu zu verteilen, also auch Beamte "kaltzustellen" (vom Ausschluss aus dem Aktenumlauf bis hin zur sprichwörtlichen Zuständigkeit fürs Hausarchiv). Bei der Versetzung ist nur darauf zu achten, dass Besoldung und angemessene Beschäftigung und Ausstattung nicht leiden. Spielt ein anderes Ministerium mit, können Beamte auch innerhalb der Regierung horizontal verschoben werden.

Kein leichtes Spiel, sehr zäh und langwierig. Ein bis zwei Jahre zieht sich der Personalaustausch mindestens hin. Umso wichtiger ist es für einen Minister, Personalpläne frühzeitig in der Tasche zu haben. Bis zum Ende einer Wahlperiode - wenn typischerweise auf einen Schlag zahlreiche "Mitternachtsbeförderungen" vorgenommen werden - will man ja normalerweise nicht warten.

Schäube aber hat gewartet, zum Verdruss der CDU-Betriebsgruppe im Finanzministerium. Eigentlich setzte er aber nur das fort, was in der großen Koalition zwischen 2005 und 2009 üblich war: vorsichtige Partei-Personalpolitik, im Zweifel für die Beamten.

Mit der Wahl 2009 rückte natürlich nicht nur eine neue Partei, die FDP, in die Regierung ein, sondern nun witterten auch die Unionsanhänger in der Beamtenschaft Morgenluft. Es galt nun, etwas nachzuholen, was vier Jahre lang nur mit angezogener Handbremse vorangetrieben werden konnte. Sozialen Frieden im Haus schafft nur, wer seine Anhänger gut platziert und Karriereerwartungen bedient. Wer Aussicht auf einen guten Posten hat, hat auch den Anreiz, dem Boss gegenüber loyal zu sein, für eine Weile zumindest, und dessen Arbeitprogramm mitzutragen.

Wissenschaftliche Befunde: Nach Überraschungen zurück zu alten Trends?

In der Wissenschaft ist das Thema der Politisierung von Ministerialbeamten altbekannt und Gegenstand zahlreicher Elite-Studien. Dabei wird übrigens unterschieden zwischen vier Dimensionen: "inhaltliche Politisierung", "formale Politisierung", "Parteipolitisierung" und "funktionale Politisierung".

Interessanterweise hat die Politik- und Verwaltungswissenschaft zuletzt festgestellt, dass der jahrzehntelange Trend zur wachsenden Parteipolitisierung in den Bundesministerien unter der großen Koalition 2005-09 gestoppt wurde:

"Die Zahl der bekennenden Parteimitglieder fiel stark, dagegen stieg die funktionale Politisierung der Akteure sowie die Akzeptanz illoyalen Verhaltens gegenüber einer Regierung deutlich", formuliert der Politikwissenschaftler Falk Ebinger zum Befund der Elitestudie Politisch-Administrative Elite 2009 (PAE 2009)
Quelle: Ebinger, F. (2009). Wessen loyale Diener? Wie die große Koalition die deutsche Ministerialbürokratie veränderte. dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management, 2: S. 335-353.
Die Wissenschaft hat es natürlich nicht leicht, mit anonymen Fragebögen die tatsächliche Parteimitgliedschaft und Parteiensympathien festzustellen. Aber die Elitestudien sind über die Jahre recht konsistent.

Ein neuerer Befund: Auch auf die Laufbahnbeamten färbt die politische Denk- und Handlungsart der "politischen Beamten" sowie der offen parteipolitisch agierenden Mitarbeiter eines Ministeriums ab, "befördert vermutlich durch verdeckte Ämterpatronage", wie Ebinger meint. Hier werde ein Kulturwandel sichtbar: Hohe Laufbahnbeamten imitierten die Führungsebene und profilierten sich "stärker als parteipolitisch loyale Beförderungsreserve mit hoher political craft" (d.h. politisch-strategischem handwerklichem Geschick). Administrative Unparteilichkeit in dem Sinne, dass Beamte jederzeit auch Weisungen pflichtgetreu ausführen, die sie persönlich missbilligten, hätten sich "überlebt".

Direkt feststellbare Parteipolitisierung hingegen sah die PAE 2009 laut Ebinger stark sinken - eine große Überraschung, konkurrierten in der großen Koalition SPD und CDU/CSU mit großen Personalbataillonen um Karrierechancen:
"Entgegen des seit knapp 40 Jahren währenden Trends und trotz der besonderen politischen Konkurrenzsituation zwischen den Regierungsparteien wurde kein höherer Anteil an Parteimitgliedern unter der großen Koalition erfasst. Im Gegenteil, ihre Quote sank von 48,5% in 2005 noch unter den Tiefststand der erstmaligen Erfassung im Jahr 1970 auf lediglich 26,5%. Da die Mehrheit der Akteure jedoch immer noch eine eindeutige Parteiensympathie und ein so schwaches Loyalitätsverständis wie noch nie berichtet, spiegelt dieses Ergebnis vermutlich eher die derzeitige politische Unsicherheit als eine tatsächliche Trendwende."
Lediglich 43% der befragten Staatsekretäre und jeweils rund 25% der Abteilungsleiter und Unterabteilungsleiter gaben an, Mitglied einer Partei zu sein. Zum Ende von Rot-Grün lag die Quote noch bei 75% der Staatssekretäre, 60% der Abteilungsleiter und 33% der Unterabteilungsleiter.

Die Hypothese einer zunehmenden Parteipolitisierung war also aufgrund der Daten nicht haltbar. Ebinger meint, dass das aber eher an der Abfragemethode lag, weil ein Teil der Führungskräfte seine politische Bindung deutlich zurückhaltender nach außen trug. Eine eindeutige politische Identität sei immer noch vorhanden, deswegen sei die Nullhypothese einer Entpolitisierung der Ministerialbeamten auch zu verwerfen.

Auf der höheren Ebene der genuin politischen Beamten war die große Koalition auch ein Kuriosum, denn die übliche Personalfluktuation wollte sich nicht recht einstellen, weil die SPD 2005 an der Macht blieb:
Vom Recht, sich mit loyalem Leitungspersonal zu umgeben, machen die Bundesminister regen Gebrauch. Wurden nach den Regierungswechselns 1969 und 1982 noch jeder zweite Staatssekretär und jeder dritte Ministerialdirektor ausgetauscht, so mussten beim Regierungswechsel 1998 66% der unter der CDU-Regierung tätigen Staatssekretär und 49% der Ministerialdirektoren "ihren Hut nehmen". Betrachtet man das Ausmaß des Personalaustausches nach dem Regierungswechsel 2005, so zeigt sich, dassdie Hypothese eines geringen Anteils ersetzter Beamter für die ersten vier Monate der Regierung Merkel zu bestätigen scheint. Lediglich 48% der Staatssekretäre und 9% der Ministerialdirektoren wurden ersetzt. Somit waren insgesamt nur 16% der politischen Beamten betroffen.
Man darf gespannt sein auf die Befunde der nächsten Elitestudie. Möglicherweise ist Schäubles Säuberungsaktion ein Signal, dass nach Ende der großen Koalition auch die alten Trends und alten Hypothesen wieder ordentlich greifen. Wenn sich das bestätigt, auch in anderen Ministerien, dann kommt ja alles wieder ins gewohnte Lot.

Die Historie des Stellen-Kriegs

Ein Rückblick lohnt in diesem Zusammenhang auf den Artikel "Wem die Stunde schlägt" in der Zeit über die Personalpolitik beim Regierungswechsel 1998, und auf einen noch viel älteren des Spiegel über den Regierungswechsel 1969. Unvergessen die Zitate von Horst Ehmke, der das Kanzleramt aufräumte:
Horst Ehmke, SPD-Starfighter, unterwies seinen Kanzler in der Taktik des Stellen-Krieges: "Willy, wenn du das Kanzleramt übernimmst, dann mußt du auch ein Dutzend Leute feuern. Auch Sekretärinnen müssen dran glauben, die sind doch alle CDU-geschwängert."

Willy wollte keinem weh tun: "Muß das denn sein?" Doch die kampfeslustigen Genossen, die den SPD-Chef Mitte Oktober für den Machtwechsel präparierten, kannten keine Gnade. Ein Brandt-Vertrauter tröstete den künftigen Kanzler: "Der Horst macht das schon. Der geht einmal mit der MPi durchs Palais Schaumburg und -- ra-ta-ta-ta -- schon stimmt die Chose."

(Wie sich zeigen sollte, führten die rabiaten Methoden zu einigen Auseinandersetzungen, siehe den Folgeartikel "Zeitung lesen" im Spiegel 1970)
Im Zeit-Artikel 1998 erinnerte sich Ehmke: "Willy war froh, daß ich ihm das alles abnahm", so der Ex-Kanzleramtschef (der heute Polit-Krimis schreibt). "Ich hatte die MP noch gar nicht gezogen, da war ihm schon schlecht."

Vielleicht hing Schäuble bisher auch dem alten Weber'schen Modell des stets loyalen, fachkompetenten Berufsbeamten nach, vielleicht war ihm auch schlecht bei dem Gedanken, dass die CDU-Betriebsgruppe mit der "MPi" durchs Haus rennt.

So ganz glauben mag man das nicht, war Schäuble doch immer auch Parteipolitiker und stets mit Karriere-Sponsoring an Schaltstellen der Macht befasst: als Fraktionschef und zuvor Parlamentarischer Geschäftsführer, als Kanzleramtschef, als Minister natürlich, als Verhandlungsführer in Koalitionsverhandlungen, als CDU-Vorsitzender. Vielleicht hat er die Personalpolitik zuletzt etwas schleifen lassen, der Parteipolitisierung müde.

Nun scheint es so zu sein, dass er sich den historischen Trends der Parteipolitisierung fügt. Auch deshalb, weil es mit der Loyalität von Ministerialbeamten mit oder ohne Parteibuch nicht mehr weit her ist: Durch Ämterpatronage lässt sich nunmal noch ein bisschen mehr Kontrolle im Apparat einziehen, denn wer spurt, wird belohnt, wer nicht, der wird bestraft. Insofern steckt vielleicht weniger Parteistrategie dahinter als das persönliche Ziel, den Laden zusammenzuhalten.

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