Dienstag, 31. August 2010

"Micky-Maus-Uni für praktizierende Ideologen"

"Lobbyisten haben nicht den besten Ruf, aber gute Berufsaussichten", meint der Berliner Tagesspiegel und berichtet über neue berufsbegleitende Studiengänge -- darunter die Master der Deutschen Universität für Weiterbildung (DUW, halbprivat), der Quadriga Hochschule Berlin (privat, erwähnt wird auch die jüngste Kontroverse um die Hochschule), der Hochschule für Technik und Wirtschaft (staatlich) und des Wildau Institute of Technology an der Technischen Hochschule Wildau (staatlich).

Was er denn davon halte, fragt die Zeitung Klaus Kocks. Launig wie immer gibt der Ex-VW-Kommunikationschef und rührige Berater, selbst Honorarprofessor für Unternehmenskommunikation an der staatlichen FH Osnabrück, auf Tagesspiegel-Anfrage.

Von den Lobby-Studiengängen halte er wenig, sagt Kocks. Nicht aus ethischen Überlegungen, sondern fachlich, erfährt man da: Lobbying sei eine Form der PR und damit der Publizistik, die sich lediglich durch die Zielgruppe von anderen Kommunikationsformen unterscheide.

Für Publizisten gebe es aber bereits „ordentliche akademische Studiengänge an Universitäten und Fachhochschulen“. Von „Pseudohochschulen mit sogenanntem Praktikerwissen“ lässt er sich nicht beeindrucken: „Ich weiß nicht, warum jemand, der vernünftig studieren könnte, auf so eine Micky-Maus-Uni für praktizierende Ideologen gehen sollte.“

Autsch. Ein echter Kocks.

Wahr ist, dass es - noch - für Lobbyarbeit und das Feld Public Affairs keinen allgemein akzeptierten Curricularkanon gibt, der eine jahrzehntelange Tradition wie die Publizistik- und Kommunikationswissenschaften hat, die ja aus der guten alten "Zeitungswissenschaft" entstanden ist. Skeptisch beäugt wurde auch diese in den Anfangszeiten.

Ob Public Affairs Management vorrangig oder ausschließlich eine Kommunikationsdisziplin ist und der PR mit ihren akademischen Aus- und Weiterbildungsangeboten überlassen werden sollte, darüber lässt sich trefflich streiten (Tipp: Aufsatz "PA und PR - ungleiche Schwestern").

Ja, PA gehört ganz sicher auch zur PR, und vielfach sind es PR-Praktiker, die die Tagesverantwortung für PA übernehmen. Aber:
  1. sind die meisten PR-Praktiker keine studierten Kommunikationswissenschaftler, sondern haben sich die PR-Praxis erst nach einem anderen Fachstudium erschlossen.
  2. wachsen viele PA-Leute erst über völlig andere Aufgaben in das Berufsfeld hinein: Juristen, Kaufleute, Ingenieure, die niemals eine PR-Ausbildung durchlaufen haben und sich auch nicht als PR-Praktiker verstehen, wohl aber einen Schwerpunkt etwa im Verbandsmanagement, Regulierungsangelegenheiten, politiknahen Industriegeschäft oder anderen Feldern haben, die erst einmal nicht durch PR definiert sind.
  3. PA wird wissenschaftlich keineswegs nur von den Kommunikationsfächern erforscht und im Sinne der Professionalisierung praxisnah weiterentwickelt, sondern vorrangig von Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern, daneben auch von Rechtswissenschaftlern.
  4. Berufsbegleitende Master-Studiengänge sind sinnvollerweise interdisziplinär angelegt. Das ist auch in den meisten PR-Studiengängen so, mit sehr unterschiedlichen Schwerpunkten.
  5. Dass es bereits "ordentliche Studiengänge" an Universitäten und Fachhochschulen gibt, die man sich als PA-Interessierter zur Basis einer Ausbildung oder als PA-Praktiker zur Weiterqualifizierung auswählen kann, auch damit hat Kocks Recht. Aber auch diese haben sich im Zuge des Bologna-Prozesses vervielfacht und ausdifferenziert.
  6. Glücklicherweise gab es den Mut zum Experiment, und auch private Hochschulen haben dazu beigetragen -- immerhin gehören medienpraxisorientierte Studiengänge zu den beliebtesten und erfolgreichsten privater Anbieter. Es ist ein bisschen einfach, solche als Micky-Maus-Uni durch den Kakao zu ziehen.
  7. Kocks legt viel Wert auf das "ordentliche" und "vernünftige" Studieren. Für Berufstätige, die bereits ein Erststudium hinter sich haben, sieht das eben etwas anders aus als für den Durchschnitts-Abiturienten. Gerade Berufstätige wünschen sich nicht nur abendländische Philosophie, Theorie und Vorlesungen, sondern den Austausch mit Praktikern und alternative Lehr-Lern-Formate. Auch im kleinen Rahmen lässt sich damit ein anspruchsvolles Programm akademischer Erwachsenenbildung aufbauen. Ob es seriös und gut und passend für die Zielgruppe umgesetzt wird, ist nicht per se eine Frage von privat oder staatlich, neu oder etabliert, klein oder groß.
Kollege Kocks (*1952) selbst ist ein Paradebeispiel für die Veränderungen in der akademischen Aus- und Weiterbildungslandschaft: als er Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Philosophie und Germanistik auf Lehramt studierte, gab es das heutige PR-Ausbildungsangebot noch gar nicht, und vermutlich noch keine Professuren für Unternehmenskommunikation (nicht einmal für Marketing, bestenfalls Absatzwirtschaft). Wie Kocks selbst haben viele Praktiker geholfen, kommunikationspraxisnahe Studiengänge einzurichten, an altehrwürdigen Orten wie auch bei Neugründungen, in grundständigen und in weiterbildenden Curricula. Alle mussten erst einmal ihre Probeläufe hinter sich bringen und sich Respekt erarbeiten, bei den Praktikern wie bei den Wissenschaftlern.

Banken: Eine neue Antwort auf die alte Frage "Wer kontrolliert die Kontrolleure?"

Wer ein Unternehmen im Aufsichtsrat kontrolliert, bestimmen im Regelfall nur zwei: die Kapitaleigner und der Unternehmensvorstand. Wie fähig und gewissenhaft die Aufsichtsräte sind, oder ob und welche Interessenkonflikte bestehen, ist deren Angelegenheit, mit allen Konsequenzen. Wer kontrolliert die Kontrolleure?, das war schon immer eine heikle Frage. Die zu Hochzeiten der Deutschland AG stets gleich beantwortet wurde: Jedenfalls nicht der Staat.

Zumindest wenn es um die Banken geht, sieht der Regulierer das inzwischen anders. Seit August 2009 wird bei einem Finanzinstitut nur Aufsichtsrat, den auch die BaFin als "sachkundig" einstuft.

Aber es geht noch weiter: Die BaFin sortiert derzeit ihrer Ansicht nach inkompetente Aufsichtsräte von Banken aus und demonstriert damit ihre Macht. Eine erzwungene Abberufung, sogar ein Tätigkeitsverbot kann die Folge sein.

Das ist möglich, weil der Bundestag vor einem Jahr das Kreditwesengesetz verschärfte. Die FTD berichtet, in zehn Fällen nutze die Aufsichtsbehörde ihre neuen Kompetenzen sogar dazu, Kontrolleure aus dem Amt zu entfernen:
In einem Fall wirft die Behörde dem betroffenen Aufsichtsrat vor, zu wenig vom Bankgeschäft zu verstehen. In drei Fällen bemängelt sie, dass Aufsichtsräte zu viele Kontrollmandate haben. Bei sechs Aufsichtsräten zweifelt die BaFin an deren Zuverlässigkeit. Dies sei etwa dann der Fall, wenn ein Aufsichtsrat zugleich Kunde der Bank ist, sein Kredit aber ausfallgefährdet oder sogar ausgefallen ist...
Betroffene sollen angehört werden, am Ende läuft das komplizierte Abberufungsverfahren über die Hauptversammlung des Unternehmens. Aber schon die Untersuchung dürfte es der BaFin ersparen, am Ende formale Entscheidungen treffen zu müssen. "Wir rechnen damit, dass die Personen dann gegebenenfalls freiwillig zurücktreten werden", heißt es bei der BaFin.

Wie es aussieht, will die BaFin testen, wie weit sie gehen kann mit einer Gesetzesregelung, die vergangenes Jahr noch als recht stumpfes Schwert gesehen wurde. Aber wie immer hängt die Relevanz einer Regelung auch am Willen einer Behörde, sie umzusetzen. Die BaFin wetzt demonstrativ die Klinge.

Nun wird spannend, wen es tatsächlich trifft -- und wie das verkauft wird. Diskret und leise, oder als öffentliche Hinrichtung? Keine Frage, allein das Publikwerden einer BaFin-Untersuchung oder die Drohung damit kann einer Bank massiv schaden. Und Karrieren ruinieren.

Für Intrigenspinner auf der Chefetage bieten sich auch gleich neue Möglichkeiten, per "Durchstechen" unliebsame Aufsichtsräte zu entsorgen: "Hast du schon gehört, den Müller hat die BaFin auf dem Kieker..."

Blöd nur, wenn die BaFin sich mal irren sollte. Eben vergibt sie noch den Persilschein bei der Ernennung, dann lässt der "sachkundige" Aufsichtsrat doch riskante Geschäfte durch und wird später von der BaFin wieder eingesackt.

Ob die neue Praxis die alte Debatte um die Professionalisierung der Aufsichtsräte wieder anfacht?

XXL-Trucks: Maße, Gewichte und die Angst der Autofahrer

Öffentliche Regeln über Maße und Gewichte sind seit über 2000 Jahren ein zentrales Thema der Wirtschaftspolitik, entscheiden - wie viele Standards - über Wettbewerb und Technik. Ein Paradefall für Public Affairs ist der Streit um die Zulassung von überlangen LKW auf Europas Straßen. In Deutschland taucht das Thema dieser Tage verstärkt in den Medien auf.
  • Auf der einen Seite: LKW-Hersteller, Speditionen, Teile der Großindustrie, Teile der schwarz-gelben Bundesregierung, einige Landesregierungen, Teile der EU-Kommission.
  • Auf der anderen Seite: eine kuriose Koalition gegen "Monstertrucks" aus Autofahrer- sowie alternativen Verkehrsklubs, Bahnen und Bahnindustrie, Gewerkschaftern, Straßenbauexperten, Umweltschützern, Landesregierungen, kommunalen Verkehrs- und Spitzenverbänden. Und eine internationale Protest-Kampagne "No MegaTrucks".
  • Mittendrin der verwirrte Bürger und Autofahrer, der demnächst 60-Tonner von der Größe eines Flugzeugs neben sich auf der Straße wähnt.
Seit Jahren rangeln Bund und Länder um Feldversuche und Pilotprojekte für überlange Lkw in Deutschland. 25 Meter lang und 60 Tonnen schwer, das wünschen sich große Speditionen, Hersteller und die logistikschwere Industrie -- bisher sind knapp 19 Meter und 40 Tonnen das letzte Maß der Dinge. Das Bundesverkehrsministerium will 2011 einen Großtest der XXL-Laster auf Autobahnen wagen.

Für die Befürworter ist das ein Durchbruch, für die Gegner ein Desaster. Stand Schwarz-Rot noch auf der Bremse, gibt Schwarz-Gelb nun rechtzeitig vor der nächsten Wahl richtig Gas.

Denn in Andreas Scheuer (CSU), PStS im Bundesverkehrsministerium, haben die langen, schweren Brummis einen Freund gefunden. Ohnehin ist das Ministerium derzeit, da neue Gelder für den Straßenbau angesichts der Finanzlage eine Utopie sind, vor allem damit beschäftigt, der Fracht-Branche neue Schneisen zu schlagen. Scheuers PStS-Kollege Jan Mücke (FDP) beispielsweise zeigt sich offen als Sympathisant der Luftfahrt-Initiative "Die Fracht braucht die Nacht", der die Regierung gern ein hilfreiches Gesetz schenken will, um Gerichtsprozesse gegen Nachfluggenehmigungen zu erschweren.

Populär sind die Lang-LKW weder in Deutschland noch im Ausland. Das mussten auch Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen erfahren, die schon vor drei Jahren Tests erlaubten - es hagelte Proteste, in den Landtagen gab es scharfe Debatten. So schließt der von Scheuer ausgearbeitete Aktionsplan für den bundesweiten Feldversuch nicht nur die üblichen Studien und Gutachten ein, sondern fängt auch erst einmal etwas kleiner an.
"Das Höchstgewicht wird auf 40 bis 44 Tonnen begrenzt", sagte Scheuer der Berliner Zeitung, "mit der Bundesregierung wird es keine 60-Tonner-Monstertrucks geben." Auch werden nicht alle Autobahnen freigegeben, sondern einige Punkt-zu-Punkt-Verbindungen. "Ich könnte mir unter anderem Verbindungen vom Hamburger Hafen nach Wolfsburg oder von Leipzig nach Nürnberg vorstellen", so Scheuer. Diese Autobahnen seien gut ausgebaut. Dort seien Transporteure unterwegs, die zum Teil großvolumige Teile wie Schaumstoffe transportieren. Die teilnehmenden LKW-Fahrer erhielten umfangreiche Sicherheitsschulungen.
Ein Kompromissvorschlag oder eine Falle?

In der Tat hatte Schwarz-Gelb schon im Koalitionsvertrag zu 60-Tonnern nein gesagt. Ein "Nein, aber". Denn da hieß es:
Die Einführung des 60-Tonner-Lkw lehnen wir ab. Wir wollen neue Nutzfahrzeugkonzepte durch die maßvolle Erhöhung der Lkw-Fahrzeuggrößen und -gewichte ermöglichen. Einen Einsatz größerer Lkw sehen wir allerdings nur in geeigneten Relationen. Chancen und Risiken wollen wir in einem bundesweiten Feldversuch evaluieren. (S. 37)
Doch eins ist klar: So ein Großtest wird nicht aus wissenschaftlicher Neugier veranstaltet, er dient dazu, die Zulassung vorzubereiten, zu begründen und zu legitimieren. Nicht nur die technische Machbarkeit und das geringe Risiko für Umwelt, Straßen und Sicherheit sollen demonstriert werden, sondern auch Notwendigkeit und Interesse der Wirtschaft. 300 bis 400 Firmen hätten signalisiert, sich am Feldversuch beteiligen zu wollen, streut das Ministerium. Ursprünglich wollte das Ressort nur 150 LKW im Test haben, doch auf Druck der Lobby wurde das Volumen ausgeweitet, berichtete unlängst die WirtschaftsWoche. Bund und Länder berieten noch, was zu tun sei, wenn sich in bestimmten Regionen besonders viele Unternehmen zum Test anmeldeten oder ein einzelner Spediteur eine große Flotte an Riesen-Lkws auf die Straße schicken wolle. Dies soll bis zum Ende der Sommerpause geklärt sein.

Die Beschränkung auf 40-44 Tonnen klingt nach Kompromiss. Man spricht nicht mehr von Gigalinern, sondern von Longlinern oder Lang-LKW. "Nur lang, nicht viel schwerer" -- die Kritiker meinen, damit erkaufe sich die Politik Zustimmung und vermeide es, sich schon im Feldversuch mit der wohl schnell sichtbaren Straßenbelastung durch 60-Tonner auseinandersetzen zu müssen. Die Fahrzeuge aber sind technisch auf 60 t ausgelegt. Würden sie nach erfolgreichem Test zugelassen, steige der politische Druck, nach und nach das Gesamtgewicht anzuheben.

Der neue NRW-Verkehrsminister Harry Voigtsberger sagte n-tv, er glaube nicht, dass es bei der 44-Tonnen-Obergrenze bleiben wird. "Wenn man die Monster-Trucks einmal hat, wird man sie auch voll beladen wollen". Damit dreht NRW die politische Position um 180 Grad. Per Pressemitteilung ließ er Bundeskollege Ramsauer (CSU) wissen, NRW werde sich nach den landeseigenen Tests nicht noch einmal an einem solchen Versuch beteiligen. Er warf ihm vor, den grundsätzlichen Beschluss der Verkehrsministerkonferenz von 2007 gegen die Einführung unterlaufen zu wollen. Auch das nun schwarz-rot regierte Thüringen, bisher freundlich gesinnt, will nicht mehr mitmachen.

Der ADAC, stets kritisch bei diesem Zankthema, aber inzwischen kompromissbereiter als früher, mahnt "seriöse" Untersuchungen an. Eine Begrenzung der Versuchsfahrten auf die Autobahnen wie in früheren Tests in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen lehnt der Club ab. „Schauveranstaltungen kann man sich getrost schenken“, liest man in einer jüngsten Pressemitteilung. „Bei einer dauerhaften Zulassung der neuen Groß-Lkw wird es nicht ausbleiben, dass diese Fahrzeuge auf Landstraßen mit Ortsdurchfahrten unterwegs sind. Deswegen müssen die Risiken vor allem im untergeordneten Straßennetz ausgelotet werden.“ Das wäre auch vielen Spediteuren wichtiger, um praxisrelevante Erfahrungen zu sammeln. Genau das will das Bundesministerium natürlich aus politischen Gründen auf keinen Fall.

Die Argumenteliste der Befürworter:
  • mehr Ladevolumen = Kostenvorteile für die Industriekunden, neue Aufträge, neue Investitionen bei Herstellern und Logistikwirtschaft
  • weniger Fahrten = weniger CO2 und Umweltbelastung, mehr Fracht auf weniger Verkehrsfläche, zwei 60-Tonner könnten drei 40-Tonner ersetzen
  • bessere Gewichtsverteilung über mehr Achsen, daher relativ geringe Zusatzbelastung von Straßen und Brücken
  • Sicherheitsrisiken sind beherrschbar, erfolgreiche Versuche in mehreren EU-Staaten.
Dahinter stehen der Bundesverband des Groß- und Außenhandels (BGA), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Verband der Automobilhersteller (VDA) sowie der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) und der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE). Auch TÜV-Konkurrent Dekra macht eine gute Miene. Mit zahlreichen Studien, Gutachten und reichlich PR und Reklame werben sie für die überlangen Lastwagen. Zweifellos sehen die großen, schicken High-Tech-Trucks beeindruckend aus, ein Superlativ für die Leistungsfähigkeit der LKW-Hersteller.

Die Gegenargumente

Die Gegner argumentieren:
  • überlange LKW sind gefährlich: mehr Sicherheitsrisiken für PKW, mehr Unfälle, Verkehrsbehinderungen
  • sie sind teuer: hohe Belastung der Straßen und Brücken, hohe Reparaturkosten; fehlende Infrastruktur, die erst aufgebaut werden muss (Autobahnparkplätze, Umladestationen, Bahnübergänge, Kreisverkehre, enge Stadtstraßen)
  • sie bedeuten den Rückzug vom Prinzip "mehr Fracht auf die Schiene": Wettbewerbsnachteile für die Bahn
  • und das heißt am Ende mehr LKW-Verkehr nebst Umweltverschmutzung und Klimaschäden.
In Deutschland wetterte seit 2004 der einflussreiche ADAC seit Jahren gegen die Zulassung der überlangen LKW, andere Autofahrerklubs folgten. Der ADAC hat seine Totalblockade allerdings aufgegeben.

Viele Verkehrsminister und Kommunen machen sich Sorgen um Mehrkosten, Staus und dramatische Unfälle. Die europäische, aber stark von deutschen Organisationen getragene Kampagne "No MegaTrucks" wird von Friends of the Earth Europe, der European Transport Workers' Federation (ETF), dem Verband Europäische Automobil Clubs und der Allianz pro Schiene getragen. Dass die Gewerkschaften dabei sind, hat Gründe: Die Bahnarbeiter fürchten um ihre Jobs wegen möglicher Verkehrsverlagerungen, die LKW-Fahrer sehen das Problem vor allem darin, dass ein Fahrer nun mehr Fracht befördern kann. Wenn zwei 60-Tonner drei 40-Tonner ersetzen, ist das ein Fahrer weniger. Und die Anforderungen an und Risiken für die Lenker der XXL-Trucks steigen.

Die Wirtschaft ist sich gar nicht einig

Interessant ist, dass die Wirtschaft keineswegs einstimmig hinter dem Gigaliner-Konzept steht -- bei den Speditionen sieht man die Politiker eher die Interessen der Hersteller vertreten als die Bedürfnisse der (insbesondere mittelständischen) Transportwirtschaft.

Es liegt zudem auf der Hand, dass der überlange LKW nur für wenige Großspeditionen attraktiv ist -- ein Argument, dass die Gegner zu nutzen und durch Studien zu belegen wissen. Es wird aber auch an der Positionierung der Verbände deutlich.

Skeptischer als die anderen Branchenverbände zeigte sich über lange Zeit ausgerechnet der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), immerhin ein Schwergewicht in der Logistik-Lobbyszene. Ohne den wie so häufig streitbaren BGL fiel es Verkehrspolitikern schwer, das volle Interesse der Wirtschaft zu demonstrieren.

Erst 2009 formulierte ein neues BGL-Positionspapier die Öffnung des Verbands für den "Eurocombi". Allerdings geht der BGL über die politischen Projekte der Bundesregierung in gewisser Weise hinaus: Der bevorzugte XXL-Truck soll auf 46 Tonnen Gewicht begrenzt, aber fast 27 Meter lang sein.

Plausible Begründung: Nur so seien die Fahrzeuge komplett kompatibel mit Standardcontainern im kombinierten Verkehr. Von "Ko-Modalität" und "Intermodalität" spricht er und meint damit, dass die Verkehrsträger zusammenpassen müssen, um Fracht effizient zu befördern. Nicht jeder überlange LKW garantiere das. Das ist eine technische Frage des Fahrzeugtyps, und mittelgroße Speditionen brauchen schon aus Kostengründen solche, die sich gut mit dem alten Fuhrpark kombinieren lassen.

Außerdem mahnt der Verband, es brauche viel Vorlaufzeit, um die notwendige Infrastruktur und Sicherheitsvoraussetzungen zu schaffen -- Zielmarke: 2015. Und: Wenn etwas bei den Fahrzeugvorschriften verändert werden soll, dann bitte europaweit.

Transportunternehmen bräuchten Planungssicherheit und keinen europäischen Flickenteppich mit noch mehr Regelungswut bei den Maßen und Gewichten von Nutzfahrzeugen, heißt es beim BGL. Und wenn schon Fahrversuche, dann nicht regional begrenzt und - siehe Position ADAC - auch auf nachgelagerten Straßen und nicht nur auf der Autobahn. Das will man in Berlin aber nun gerade nicht hören.

Umfragen im Meinungskampf

Logistik-Themen sind normalerweise eher ein Schauplatz für leises Lobbying und Expertenöffentlichkeiten ohne große Resonanz in den Publikumsmedien -- aber dieses hat zumindest das Potenzial für ein Aufregerthema, weil es Autofahrer und Umweltschützer vereint. Davon zeugt das Gerangel um die Begriffe ("Gigaliner", "Mega-Truck", "Monster-Truck"), auch der Versuch, Medientenor und Volkswillen zu steuern.

Der Kampf um die öffentliche Meinung wird auch mit Umfragen ausgetragen. Die Kampagne "No MegaTrucks" etwa verweist auf zahlreiche demoskopische Ergebnisse, dass die Bürger klar gegen die XXL-Lastwagen seien. Allerdings:
  1. Die präsentierten Umfragen zeigen klar die negative Absicht der Auftraggeber (Pro-Bahn-Bündnisse und Umweltverbände),
  2. Es ist gerade bei diesem Thema sehr leicht, spontane Ablehnung abzufragen,
  3. offensichtlich haben - nicht überraschend - große Teile der Befragten noch nie etwas vom Thema gehört -- so dass anzunehmen ist, dass auch die Stimmung und Einstellung der Bürger insgesamt wacklig und wenig durch längere Meinungsbildungsprozesse fundiert ist, geschweige denn durch eigene Erfahrungen mit überlangen LKW.
Ganz seriös ist die Meinungsmache der Gegner mit Umfragen nicht, und was da gemessen wird, ist politisch so lange nicht wirklich relevant, solange die allgemeine Aufmerksamkeit verhältnismäßig gering ist. Das wissen auch die Politiker, Beamten und Interessengruppen.

Die in den Medien nun recht große Resonanz auf die Ankündigung des bundesweiten Feldversuchs mag daran einiges ändern -- theoretisch. Spielt sich aber beim Großtest kein Drama ab und verstopfen die Test-LKW keine Ortsstraßen, bilden sich nicht massenhaft Bürgerinitiativen, dürfte das die Bundesregierung wohl kaum von weiteren Schritten abhalten.

Bislang ist vorrangig entscheidend, ob die Landesregierungen mitspielen (und wer diese beeinflusst), was die Wirtschaftlichkeits- und Kosten-Prognosen besagen -- und was auf EU-Ebene passiert.

Die überlangen LKW sind von Anfang an ein EU-Thema gewesen. Das hat mit dem EU-Beitritt Schwedens und Finnlands zu tun, wo die XXL-Laster schon seit den 1970ern für Holzindustrie und Langstrecken unentbehrlich sind - und gerade Schwedens Regierung unterstützte das Konzept tatkräftig. Mit dem Beitritt musste eine europäische Richtlinie (96/53/EG) her, um Ausnahmegenehmigungen europaweit zu ermöglichen. Und europaweit arbeiteten Hersteller und Industriekunden zusammen, um verschiedene überlange "EuroCombi"-Typen auf die Straße zu bringen.

Das ist alles schon ziemlich lange her. Seitdem wurden Fakten geschaffen, und der politische Druck wächst, zu verlässlichen Entscheidungen zu kommen. Andere EU-Länder, z.B. die Niederlande, sind in der Diskussion schon weiter und stehen vor einer allgemeinen Zulassung, andere, z.B. Frankreich oder Österreich, hadern mit der Zulassungsentscheidung ähnlich wie Deutschland.

Logisch ist, dass überlange LKW vor allem im internationalen, transkontinentalen Fernverkehr ihre Vorteile ausspielen können. Darum käme es auf eine EU-einheitliche Regelung an.

Deutschland ist Europas Transitland Nr. 1, und mit einer besonders hohen Verkehrs-, Straßen- und Bevölkerungsdichte eben auch ein schwieriger Sonderfall für den Einsatz überlanger LKW in beengten Verhältnissen.

Andererseits transportiert Exportmeister Deutschland einen großen Teil seiner Waren ins europäische Ausland, und für die deutsche Industrie hängt Wachstum immer auch am Wachstum der Transportmöglichkeiten.

"The white line is the life line to the nation", sang einst Country-Legende Merle Haggard in "Movin' on". Für Deutschland trifft das absolut zu.

Alle Prognosen sehen voraus, dass der Gütertransport in Deutschland massiv zunehmen wird. Dagegen machen kann man (fast) nichts. Für Umweltschützer und Verkehrsplaner ist das furchtbar. Die Industrie und die Transportwirtschaft dagegen hören die Kassen klingeln.

Fakt ist, dass die Volkswirtschaft von intelligenten technischen Lösungen abhängig ist, um bei all dem Neugeschäft den Verkehrskollaps zu vermeiden. Wie die Position des BGL zeigt, gibt es im Transportgewerbe durchaus differenziertere Meinungen zum Thema. Im Mittelstand und in den meisten Gewerbegebieten werden die XXL-Lastwagen aller Voraussicht nach Exoten bleiben. Und damit kein allgemeines Ärgernis werden.

Sieht man sich in deutschen Fernfahrer-Foren um, ist das Interesse an den neuen Trucks zwar groß, aber die damit verbundenen Herausforderungen werden sehr pragmatisch gesehen. In Nachbarländern sind die überlangen LKW Alltag, aber kein schwerwiegendes Alltagsproblem.

In der polarisierten öffentlichen Debatte kommt das kaum zum Tragen. Die Debatte ist legitim, aber auch verzerrt. Auf die Interessen, die hier artikuliert werden, wird man genau zu achten haben. Nicht alles ist, wie es scheint.

Donnerstag, 26. August 2010

Karrieretag Public Affairs

Am 5. November 2010 bietet der "Checkpoint Karrieretag Public Affairs" für Absolventen, Young Professionals und Verbandsmitarbeiter wieder eine Schnupper- und Jobbörse, organisiert von BJP Interim Consultants (Florian Busch-Janser) in Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung.
  • Studenten und Absolventen können in "Chatrooms" bisherigen Trainees und Volontären von Agenturen und Beratungsgesellschafte vertraulich Fragen zum Arbeitsalltag und Berufsfeld stellen.
  • Wer 1-3 Jahre Berufserfahrung hat ("Young Professionals"), kann sein Können bei der Erarbeitung einer Fallstudie vor einer Agentur-Jury unter Beweis stellen. Fünfköpfige Teams erarbeiten unter Zeitdruck ein Public Affairs-Konzept zu einem Fall. Im Anschluss präsentieren sie ihre Ideen vor potentiellen Arbeitgebern.
  • Verbandsmitarbeiter treffen sich zum "brown bag lunch" zum Thema "Verbandslobbying" und zum Workshop "Quereinstieg Public Affairs", der die Besonderheiten des Berateralltags vorstellt.
Im Messebereich präsentieren sich die Arbeitgeber. In der "Personaler-Lounge" können sich Arbeitgeber und Bewerber zu Vorstellungsgesprächen zurückziehen.

Bewerber können bei den Karriere-Coaches von BJP ihre Bewerbungsunterlagen prüfen lassen und individuelle Fragen zur Karriereplanung stellen.

Voraussichtlich im Grand Hotel Esplanade findet eine Networking Night ab 20 Uhr statt -- Der "Checkpoint" feiert den fünften Geburtstag und BJP das 11jährige Firmenjubiläum.

Forsa: Lobbyisten haben guten Ruf - vor allem bei jungen Leuten

Wer hätte das gedacht? "Lobbyisten haben guten Ruf", wissen die Meinungsforscher von Forsa. Und: Gerade junge Menschen bewerteten Lobbyarbeit positiv.

Das ist das Ergebnis einer Umfrage für die Deutsche Universität für Weiterbildung (DUW), die demnächst einen Master-Studiengang in European Public Affairs anbietet. Forsa befragte telefonisch 1.001 Deutsche ab 18 Jahren vom 27. bis 30. Juli 2010 (Fehlertoleranz +/- 3 Prozentpunkte). Zur Pressemitteilung der DUW.

Fast die Hälfte der Deutschen (48 Prozent) finde es „in Ordnung“, dass Lobbyisten in Berlin und Brüssel Interessen von Unternehmen, Verbänden und anderen Organisationen vertreten. Allerdings: Die andere Hälfte findet das "nicht in Ordnung" (47 Prozent).

Höhere Akzeptanz finden Lobbyisten bei jungen Menschen: 63 Prozent der Schüler und Studenten fänden Lobbyarbeit prinzipiell richtig. Auch unter den 30- bis 44-Jährigen überwiege die positive Bewertung (53 Prozent).

Den tatsächlichen Einfluss von Interessengruppen auf die Politik schätze jeder dritte Befragte als „zu gering“ ein. Die meisten Über-60-Jährigen bewerteten dagegen den Einfluss von Interessengruppen auf die Politik als zu hoch. Anders sehe es bei den 18- bis 29-Jährigen aus: 36 Prozent seien der Meinung, ihr Einfluss müsse zunehmen, nur 31 Prozent findet den Einfluss zu hoch.

1. Frage:

"Wenn Sie einmal an den Einfluss von Verbänden und Interessengruppen in Deutschland denken, was ist denn Ihr Eindruck: Ist der Einfluss von Interessengruppen auf die Politik in Deutschland - alles in allem - zu groß, zu gering oder gerade richtig?"

Hier zeigen sich u.a. deutliche Unterschiede ergeben sich nicht nur zwischen den Altersgruppen, sondern auch zwischen Ost- und Westdeutschen sowie nach formalem Bildungsgrad. Die Westdeutschen und die höher Gebildeten sind deutlich kritischer.

Der größte Teil der Befragten hatte eine Meinung, aber die Kategorie "weiß nicht" bzw. "keine Angabe" lag bei Männern immerhin um 6 Prozent, bei Frauen um 12 Prozent; bei Befragten mit Hauptschulabschluss bei 18, bei denen mit Abitur oder Studium bei 6 Prozent.


2. Frage:

"Unternehmen, Verbände und Interessengruppen beschäftigten bestimmte Fachleute, sogenannte 'Lobbyisten', die auf Bundesebene oder in Europa ihre Interessen gegenueber der Politik vertreten. Diese Fachleute stehen den Politikern einerseits als Experten zur Verfügung, versuchen andererseits aber auch, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Finden Sie es grundsätzlich in Ordnung, dass Interessengruppen solche Fachleute beschäftigen und einsetzen oder finden Sie das nicht in Ordnung?"

Der Blick in die detaillierten Kreuztabellen offenbart Weiteres. So äußern sich in Frage 2 positiv 49 Prozent der Selbstständigen, 48 Prozent der Hausfrauen, 47 Prozent der Arbeiter und gar nur 39 Prozent der Rentner. Etwas höhere Zustimmung findet sich bei den Beamten (51 Prozent) und eben 63 Prozent der Schüler und Studenten. Allerdings lassen die Fehlertoleranz mit +/- 3 Prozentpunkten und die teilweise sehr geringen Fallzahlen (befragt wurden 57 Arbeiter, 40 Beamte, 57 Hausfrauen usw.) zu weitgehende Schlüsse nicht zu. Die Kategorie "weiß nicht" bzw. "keine Angabe" lag bei Männern um 4 Prozent, bei Frauen um 7 Prozent; bei Befragten mit Hauptschulabschluss bei 9, bei denen mit Abitur oder Studium bei 3 Prozent.

Bei der DUW sind die Interpretationen positiv.
Das Image von Lobbyisten wandelt sich – weg von der einseitigen Einflussnahme im Hinterzimmer, hin zu professionellen Interessenvertretern, die ihre Expertise in politische Prozesse einbringen“, so Myriam Nauerz, Studiengangleiterin des Masterprogramms.

„Demokratie braucht Verfahren, mit denen sich Interessengruppen außerhalb von Parteien Gehör verschaffen können – darunter zunehmend auch Organisationen für Menschenrechte, Gesundheit, Umwelt- oder Verbraucherschutz“, so Peter Filzmaier, Professor für Politische Kommunikation an der Donau-Universität Krems und wissenschaftlicher Leiter des DUW-Studiengangs. „Die Diskussionen um Korruption und schwarze Schafe allerdings zeigen, dass mehr Transparenz in der Lobbyarbeit nötig ist. Vor allem bedarf es klarer Regeln, was Lobbyisten als Qualifikation können sollen und in ihrer Arbeit machen dürfen.“

Mittwoch, 25. August 2010

Wer fehlt beim "Appell"?

Der "Energiepolitische Appell" fordert nicht nur die Kanzlerin heraus, sondern auch die Wirtschaft. "Viel interessanter ist, wer den Appell nicht unterzeichnet hat und warum", stellt die Zeit richtig fest. Auch das Manager Magazin glaubt, der in Anzeigen veröffentlichte Brief spalte die Wirtschaft.

Es fehlen: Die Vorstandschefs von 22 der 30 DAX-Unternehmen, obwohl die Initiatoren "auf breiter Basis" Unternehmen angefragt hätten, so MM. Beispielsweise Siemens -- immerhin ein Platzhirsch auf dem Gebiet der Energietechnik und des Kraftwerkbaus. "Wir verfolgen diese Diskussion und beteiligen uns an ihr im direkten Austausch und Gespräch mit der Politik", sagt Siemens nur.

Es fehlt: der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Das sind immerhin die Leute, die Kraftwerke bauen, und hohes Interesse an der Energiepolitik haben. Nur haben sie nicht dasselbe Problem mit dem Atomausstieg wie die Energiekonzerne, im Gegenteil. EON, RWE, Vattenfall und EnBW bekamen beim wichtigen Verband einen Korb. "Der VDMA teilt den Gesamttenor des Aufrufs nicht – uns geht es in erster Linie um Planungssicherheit, wir haben uns auf den Atomausstieg eingestellt und dementsprechend investiert", sagt Geschäftsführer Thorsten Herdan.

Heißt im Klartext: Der Atomausstieg bedeutet Neugeschäft, nämlich bei konventionellen Kraftwerken und bei den erneuerbaren Energien. Eine Laufzeitverlängerung würde das Neugeschäft ausbremsen.

Es fehlen: Zwei von neun Präsidiumsmitgliedern des BDI. Das sind neben dem VDMA-Präsidenten Manfred Wittenstein auch der Präsident von Bitkom, Wilhelm Scheer. "Wir respektieren den Aufruf, unterstützen ihn aber nicht", lässt Bitkom die Zeit wissen. "Lieber betont der Verband, dass seine Mitglieder doch Produkte zum Energiesparen anbieten würden."

Es fehlt: die regioale Energiewirtschaft. Beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) heißt es: "Für uns sprechen die nicht." Auch die VKU-Firmen, vor allem Stadtwerke, sorgen sich offenbar um die Investitionen in erneuerbare Energien und hoffen dabei auf Gewinne bei der Dezentralisierung der Energieversorgung.

Es fehlt: die Gewerkschaft IGBCE. Die Initiatoren hatten versucht, auch diese an Bord zu ziehen. Kurioserweise wurde IGBCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis in einer ersten Version des Briefs als Mitunterzeichner präsentiert, doch der sei gar nicht gefragt worden, weiß Manager Magazin. "Wir sind extrem verärgert", so ein Sprecher der Gewerkschaft. "Wenn Herr Vassiliadis den Appell als inhaltlich sinnvoll und zweckdienlich angesehen hätte, hätte er sich beteiligt."

Die Kampagne polarisiert die Wirtschaft. Offenbar rumort es kräftig bei den Unternehmen, auch wenn die Manager sich überwiegend nicht öffentlich zu Wort melden. Es gilt ja nach wie vor als unschicklich, über die Medien andere Manager anzugreifen. Nicht zuletzt geht es um den Schutz von Aufträgen und Geschäftsbeziehungen mit den Unternehmen, die unterzeichnet haben. Vor allem will man sich nicht hineinziehen lassen in parteipolitische Intrigen, denn der "Energiepolitische Appell" lässt sich auch als unionsinternes Kräftemessen interpretieren.

So ist nun fraglich, ob nach dem "Appell" noch etwas kommt. Die Initiatoren haben es aber nicht bei einer gemeinsamen Anzeigenschaltung belassen, sondern haben einen Verein gegründet -- was man so deuten kann, dass nicht nur eine Ad-hoc-Koalition, sondern eine mittelfristig aktive strategische Allianz beabsichtigt ist. Im Impressum der "Appell"-Seite heißt es:
Der Verein „Energiezukunft für Deutschland e.V. i.G.“ wurde auf Initiative der Energieversorgungsunternehmen E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall Europe im August 2010 gegründet. Gründungsmitglieder sind Mitarbeiter dieser vier Unternehmen. Ziel des Vereins ist es, die gesamtgesellschaftliche Diskussion zum Thema Energiezukunft in Deutschland konstruktiv zu begleiten und als Plattform zur Formulierung grundsätzlicher energiewirtschaftlicher und energiepolitischer Vorstellungen zu fungieren.
"Gründungsmitglieder sind Mitarbeiter dieser vier Unternehmen" -- das sichert, dass der Verein genau das tut, was die Konzernchefs für richtig halten. Aber die Vorstände selbst haben sich nicht als Vereinsmitglieder hergegeben. Das sichert, dass man den Verein ohne viel Aufhebens auch wieder einsargen kann, ohne dass es für die Unternehmensspitze persönlich peinlich wird.

Als Vorstand des Vereins werden Gerrit Riemer (Vorsitzender), Manfred Haberzettel und Stephanie Schunck angegeben. Riemer ist bei EON Vice President "Energy Mix, Climate Protection, Energy Efficiency" und war zuvor Vice President "Power & Gas II - Security of Supply, Nuclear Economic and Public Affairs". Schunck arbeitet für die Unternehmenskommunikation/Energiepolitik der RWE Power.

Haberzettel ist bei EnBW Ressortleiter Technik und Politik, er war früher Mitarbeiter von Rolf Linkohr (SPD), Ex-MdEP, Ex-Direktor der Beratungsfirma Centre for European Energy Strategy (CERES) und vor allem Sonderberater des EU-Energiekommissars (2005-07), eine Position, die offenbar aufgrund von Interessenkonflikten aufgegeben wurde -- Linkohr war in Bei- und Aufsichtsräten tätig und dadurch auch mit EnBW und Vattenfall verbunden. Linkohr und Haberzettel selbst gehörten zu den Unterzeichnern eines SPD-internen Diskussionspapiers zur Energiepolitik "Realitäten annehmen ... ehrliche Fragen stellen!", das 2005 in Brüssel auch von Norbert Glante MdEP (Brandenburg), Barbara Fischer (Büroleiterin von Glante), Rainer Knauber (Leiter Konzernbereich Politik und Gesellschaft, Vattenfall Europe), Bernhard Rapkay MdEP, Jens Rocksien (damals RWE-Büroleiter in Berlin, heute Lei­ter „Politik und Verbände“ bei Hochtief) und Beatrix Widmer (damals Brüsseler Büroleiterin VKU, heute Geschäftsführerein des Bundesverbands öffentliche Dienstleistungen BVÖD) präsentiert wurde. Auch so eine Art offener Brief, nur damals auf die Sozialdemokraten in der großen Koalition zielend. Dessen Unterzeichner fehlen allerdings beim neuen "Appell".