Montag, 12. Juli 2010

Gazprom, RWE und Pipeline-Politik: "Ein unmoralisches Angebot"

Die Nabucco-Pipeline soll die EU-Energieversorgung ohne Russland sichern, aber die geplante Erdgasleitung steckt seit langem im Morast russischer und europäischer Konzern-Interessen fest. Fast ein Jahrzehnt wird die Idee nun schon verhandelt. Nun will Gazprom offenbar die deutsche RWE aus der Nabucco-Koalition herausbrechen -- wenn das klappt, wird es ganz, ganz eng für Brüssels Prestigeprojekt.

Das Handelsblatt will gehört haben, das Gazprom RWE eine Beteiligung an der eigenen Pipeline South Stream anbietet. "Die Russen wollen so Nabucco torpedieren und einen Machtverlust für sich verhindern", schreiben Jürgen Flauger und Klaus Stratmann. "Sollte RWE auf das Angebot eingehen, würden die Chancen von Nabucco gegen Null sinken. Der Konzern zögert aber noch."

South Stream ist das Schwesterprojekt von Nord Stream, in Deutschland besser bekannt als Ostsee-Pipeline und eng mit dem Namen Gerhard Schröder verbunden, der Aufsichtsratschef der Betreibergesellschaft Nord Stream AG ist. Dahinter stecken Mehrheitsaktionär Gazprom und die deutschen Konzerne EON Ruhrgas und BASF Wintershall. Sein Ex-Vize Joschka Fischer hingegen berät die Nabucco-Gesellschaft.

Gemeinsamkeiten: Wie die Karte links zeigt, sollen sowohl South Stream als auch Nabucco Gas aus der kaspischen Region über den Balkan nach Westen bringen. Der Unterschied: South Stream liefert Gas von der russischen Schwarzmeerküste, Nabucco hingegen soll durch die Türkei verlegt und von Russlands Rivalen am Kaspischen Meer gefüllt werden.

RWE steckt in einer Zwickmühle. Sich an South Stream zu beteiligen, wäre zwar teuer, aber auch ein recht sicheres und attraktives Geschäft. Und RWE hat bereits in Osteuropa mit Russland Gas-Beziehungen. Anderseits hat RWE-DEA 2009 in Turkmenistan eine Explorationslizenz erhalten, die Tochterfirma würde von Nabucco profitieren. Und in der Türkei hat RWE Kraftwerke, die via Nabucco beliefert werden könnte.

Fast 90 Prozent des russischen Gasexports gehen in die EU. Russland liefert rund ein Viertel des in Europa verbrauchten Gases, in Deutschland sind es sogar 37 Prozent. Die meisten osteuropäischen Staaten haben aus historischen Gründen seit Sowjet-Zeiten noch eine weit höhere Abhängigkeit von russischem Gas -- bis zu 100 Prozent.

Für die EU wie für Russland sind die Transitländer ein Problem, vor allem Ukraine und Weißrussland. Darum baut Russland zusammen mit europäischen Konsortien Nord- und South Stream. Diese werden einfach umgangen.

Die Prognosen sind unsicher, wie stark der EU-Bedarf wächst -- einige Prognosen sehen den EU-Gasverbrauch bis 2030 um 40 Prozent steigen, andere meinen, er werde kaum wachsen. Aber dass Europa dank der bisherigen Lieferinfrastruktur der Hauptmarkt für Russlands Gas ist, ist bisher unumstritten. Die Alternative läge für Russland im Osten: China.

Der Staatskonzern Gazprom ist bei diesen Projekten eng mit europäischen Energiekonzernen wie EON, BASF, ENI, OMV, EDF und anderen verbunden. Die Regierungen der großen EU-Staaten unterstützen "ihre" Konzerne und sind daher nur halbherzig auf der Seite der Europäischen Kommission, die Nabucco nur mit Mühe voranschieben kann.

Ein Kernproblem für Nabucco ist, dass niemand so genau weiß, woher das Gas kommen soll. Turkmenistan, Aserbaidschan, der Irak, sogar der Iran könnten liefern - theoretisch. Doch es gibt noch keine Lieferverträge. Kein Wunder: Russland setzt insbesondere Aserbaidschan und Turkmenistan unter Druck, ihr Gas an Gazprom zu verkaufen, damit es via South Stream nach Europa geliefert werden kann. Dafür legt Gazprom sogar viel Geld hin, zahlt deutlich über den Marktpreisen -- nur um Nabucco abzudrängen. Und: Aserbaidschan hat auch noch andere Kunden, den Iran und China beispielsweise -- und China ist hungrig und bereit, viel zu zahlen.

Russlands Freund und Gegner

EurActiv zitiert eine kürzlich veröffentlichten Studie, die die EU-Länder entsprechend ihrer Loyalität Russland gegenüber kategorisiert:
  • Das eine Extrem bilden die „Geschiedenen” Länder in Osteuropa, die früher Einflussbereich der Sowjetunion waren und heutzutage Moskau gegenüber größtenteils feindselig eingestellt sind (Estland, Litauen, Polen, Lettland, Tschechien und die Slowakei).
  • Am anderen Ende der Skala finden sich die „treu Ergebenen“, die weiterhin gute Beziehungen mit Russland unterhalten (Italien, Österreich und Griechenland).
  • Dazwischen liegen die „misstrauischen Kritiker” (Rumänien, Slowenien, Schweden, Bulgarien, Ungarn und Großbritannien).
  • und die größere Gruppe der „kooperationsbereiten Partner” (Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien).
Moskau versucht danach, Kritiker wie Polen, Tschechien, die Slowakei und die drei Baltischen Staaten zu isolieren, die in Nabucco eine historische Chance sehen, sich von Russland zu lösen. Währenddessen versucht Russland, die westeuropäischen und südosteuropäischen Länder mit ihren Energieunternehmen durch Beteiligungen an sich zu binden. Die Aussicht auf Diversifizierung der Gaslieferungen lockt auch Staaten wie Großbritannien und die Niederlande, die bisher kein russisches Gas beziehen können und deren eigene Gasreserven sinken.

Brüssel verfolgt eine Strategie der ausgeglichenen Energiepartnerschaft mit Russland, die Gaslieferungen sollen Teil einer allgemeinen Handelsvereinbarung sein. Nicht zuletzt geht es auch um die Interessen europäischer Unternehmen, die in Russland aktiv sind. Für Shell und BP gab es schon schwierige Zeiten, sie mussten sogar Aktien an Gazprom verkaufen, um in Russland weitermachen zu dürfen. Und dann sind da noch die Konflikte mit Weißrussland und der Ukraine sowie der Georgien-Konflikt (Georgien ist auch ein wichtiges Gas-Transitland). Die Kommission macht sich erhebliche Sorgen, wie man Lieferengpässen oder Lieferunterbrechungen begegnen könnte. All das sind die Probleme der Energieaußenpolitiker in Brüssel.

Die EU nimmt Milliarden Euro in die Hand, um Europas Energienetze aufzurüsten und zu diversifizieren. Auch Nabucco soll bis zu einem Drittel mitfinanziert werden. Dafür werden auch die European Investment Bank und die European Bank for Reconstruction and Development mobilisiert. Aber das reicht nicht, wenn die dahinter stehenden Energiekonzerne Nabucco nicht für rentabel oder zu unsicher halten.

Ein weiterer Player wirkt im Hintergrund mit: die USA. Washington unterstützt Nabucco aus geostrategischen Gründen.

Der größte Nabucco-Gewinner wäre die Türkei

Die Denkfabrik Centre for European Reform hat Anfang 2010 einmal tiefer analysiert "Why Nabucco is Stuck". Des Pudels Kern, so die Brüsseler Denker: Die EU-Energiepolitik und die politischen Beziehungen mit den potenziellen Lieferanten-Ländern seien nicht eng genug abgestimmt. Der Lissabon-Vertrag und die Stärkung der EU-Diplomaten könnten das korrigieren. Aber nur, wenn die Mitgliedstaaten mitzögen. Nun seien aber viele europäische Regierungen - nicht zuletzt Deutschland - davon überzeugt, dass die Energieversorgungssicherheit vor allem Sache der Unternehmen sei und die EU sich aus den Verhandlungen über Lieferverträge und Pipelines heraushalten solle.

South Stream sei teuer, technisch kompliziert und unnötig; dagegen sei Nabucco durchaus ein realistisches Projekt, meint das Centre. Dummerweise nehme Russland Nabucco viel ernster als die EU-Regierungen. Die derzeitige Politik laufe darauf hinaus, dass jeder, der etwas von Russland wolle, sich South Stream anschließen müsse. Doch Russland bluffe, und die EU sei gut beraten, den Bluff als solchen bloß zu stellen: Am besten wäre es, Gazprom aufzufordern, Nabucco für seine Gaslieferungen zu nutzen.

Neben den oben genannten Problemen gibt es zum Beispiel Konflikte zwischen Aserbaidschan und der Türkei, die gerne mehr von Nabucco haben möchte als nur ein paar Bauaufträge. Zwischen beiden steht auch noch der Armenien-Konflikt (Nagorno-Karabach). Trotzdem, meint der Think Tank, könnten die beiden noch zusammenkommen, denn beide möchten europäische Investoren anlocken, und die Türkei möchte sich zur Energie-Drehscheibe für Europa entwickeln.

In einem Beitrag für das US-Magazin Foreign Policy hat Daniel Freifeld (New York University) im September 2009 unterstrichen: "Wenn Nabuccco Erfolg hat, wäre die Türkei der größte Gewinner, sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch -- und diese Tatsache ist weder an Russland noch Europa vorbeigegangen."

Donnerstag, 8. Juli 2010

Airlines drehen an Stellschrauben der neuen Luftverkehrs-Steuer

In der Luftfahrtbranche rotieren die Public-Affairs-Abteilungen. Bei den Airlines dreht sich nach den Riesenverlusten aus Wirtschaftskrise und Vulkanwolke derzeit alles um die vom Bund geplante Abgabe für Flugpassagiere, die zum Sparpaket der Regierung gehört (sie hofft auf eine Milliarde Euro jährlich). Zusammen mit Airline-Verband BDF und Flughafenverband ADV sowie der Gewerkschaft Verdi, die Bodenpersonal und Crews vertritt, hoffen die Fluggesellschaften immer noch, die gesamte Steuer zu verhindern. "Die eine Milliarde Euro per anno, die man sich an Staatseinnahmen dadurch verspricht, entspricht dem Gewinn aller deutscher Airlines in einem guten Jahr", sagte Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber dem Handelsblatt.

BDF und Flughafenverband ADV sehen wegen der Abgabe ("neue Reisesteuer") schon 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr, weil das Passagieraufkommen um drei Prozent sinken könnte. Air Berlin meint, das sei ein "Konjunkturprogramm für ausländische Wettbewerber". Und auch der internationale Verband IATA kritisiert die Steuer heftig: "kurzsichtige und unverantwortliche Politik übelster Art", wettert IATA-Chef Giovanni Bisigani in drastischer Wortwahl, und sagt voraus, Deutschland werde damit genauso scheitern wie die Niederlande. "Der Abgabe einen ökologischen Anstrich zu geben, macht alles nur noch schlimmer. Aus dem wirtschaftlichen Schaden wird sich kein Nutzen für den Klimaschutz ergeben." Nur der Verkehrsclub Deutschland (VCD) freut sich, die Abgabe sei ein "Schritt für mehr Kostengerechtigkeit im Verkehr", und schlägt auch noch zusätzlich den Evergreen Kerosinsteuer vor.

Und einen föderalen Aspekt gibt es auch noch. BDF und ADV versuchen die Finanz- und Standortpolitiker der Bundesländer in den Streit hineinzulocken. Sie vergessen nicht darauf hinzuweisen, dass die Steuer ohne Beteiligung der Länder verabschiedet werden soll, obwohl die deutschen Flughäfen in der Verwaltung der Länder stehen und von der Steuer betroffen sein werden.

Da enden die Gemeinsamkeiten auch schon, wie der Vorlauf zu einer Anhörung im Bundesfinanzministerium heute zeigte. Die Airlines sind schon längst dabei, die Steuer wenigstens so zu gestalten, dass sie ihnen Vor- und den Wettbewerbern Nachteile bringt. Dass es dafür Möglichkeiten gibt, liegt daran, dass die Abgabe keineswegs pauschal und einheitlich auf alles erhoben werden soll. Ginge es der Regierung nur darum, möglichst hohe Einkünfte zu erzielen, würde sie das vielleicht tun. Aber sie will auch ein bisschen Umwelt- und Verkehrspolitik machen.

Das wird zum Spiel für Lobbyisten: Wer passt die neue Steuer so an, dass sie am besten zum eigenen Geschäftsmodell passt? Und: Wer hängt sich dabei das grünste Mäntelchen um? Zwar kritisieren die Branchenvertreter, der Klimaschutz sei nur ein Vorwand für die Steuer, aber selbst argumentieren sie intensiv mit Öko-Vorteilen des eigenen Geschäftsmodells.

Blaugelb gegen Rot: Geschäftsmodelle in politischer Konkurrenz

Die Protagonisten: Lufthansa und Air Berlin. Die Kranichlinie ist eine Allround-Fluggesellschaft, die die großen "Hubs" für die umsteigenden Fluggäste bedient, die teure Sitze anbietet und die viel Fracht befördert (auch und gerade in der Passage). Air Berlin dagegen kommt aus dem Lager der Billigflieger, die nur eine Klasse kennen, mit Fracht so gut wie nichts zu tun haben und Punkt-zu-Punkt-Verbindungen fliegen.

Entsprechend die politischen Positionen zur Steuer: Lufthansa will Ausnahmen beim Frachtverkehr, und wer auf einem deutschen Flughafen umsteigt, soll einen Freifahrtschein erhalten. Die Lufthansa befürchtet, dass sie im internationalen Geschäft Umsteigekunden verliert -- oder, wenn sie die Kunden davon abhalten will, in Paris oder Amsterdam umzusteigen statt in Frankfurt oder München, die Steuerbelastung quersubventionieren muss, um im internationalen Wettbewerb im Interkontinentalverkehr preislich mithalten zu können. Wanderten Umsteigepassagiere ins Ausland ab, zöge das auch Geschäft von den großen deutschen Flughäfen ab.

Air Berlin will die Politik überzeugen, Geschäftskunden in First & Business Class höher zu besteuern -- und zwar happig: Vier- bis fünfmal so hoch soll die Steuer für diese ausfallen. Air Berlin argumentiert geschickt: Die teuren Passagiere haben breitere Sitze, also erhöhen sie den Kerosinverbrauch, und das ist schlecht für die Umwelt. Da die Regierung mit der Luftverkehrsabgabe unbedingt auch ökologisch-nachhaltige Politik machen will, passt das perfekt ins Raster. Air Berlin lobt die Regierung auch dafür, dass sie Langstreckenflüge mehr belasten will als die - für Air Berlin zentralen - Kurz- und Mittelstrecken.

Dennoch, das Handelsblatt will in Regierungskreisen gehört haben, dass die Lufthansa voraussichtlich eine Entlastung erwarten darf.

Kein Wunder, die Lufthansa ist zwar inzwischen mehrheitlich im Privatbesitz, doch der Staat hat immer noch Einfluss und wirtschaftliche Interessen. Und die Börsen finden die Öko-Steuer nicht sehr attraktiv. Dass die künftigen Lufthansa-Ergebnisse jährlich wegen der Steuer um mehrere Hundert Millionen Euro geringer ausfallen könnten, hat die LH-Aktie unter Druck gesetzt. Das ist dem Finanzministerium, zumindest der Abteilung, die den Staatsbesitz verwaltet, auch nicht recht. Zudem ist die Lufthansa auch beim Umwelt- und Klimaschutz (relativ) vorbildlich, für die Öko-Vorleistungen will sie nicht bestraft werden, und das sehen auch viele in der Politik so.

Das Handelsblatt zitiert aus den Stellungnahmen, die für die Anhörung vorbereitet wurden: Die Lufthansa warnt, dass bei einer Besteuerung des Frachtaufkommens 10 bis 20 Prozent der Tonnage ins Ausland verlagert würden. 70 Prozent der Lufthansa-Passagiere seien Ausländer. Air Berlin rechnet dagegen vor, man würde sieben Prozent seines Umsatzes einbüßen, Lufthansa hingegen nur 1,9 Prozent. Wären alle Segmente einbezogen, müsste ein Passagier pro Flug 9,41 Euro zahlen, andernfalls bis zu 15 Euro. "Eine Ausgrenzung einzelner Verkehrssegmente führt zu Wettbewerbsverzerrungen", sagt Air Berlin.

EU: Subventionen für DHL am Flughafen Leipzig/Halle illegal

Wettbewerbsverzerrungen im deutschen Luftverkehr haben auch die Wettbewerbshüter der EU-Kommission und den Europäischen Gerichtshof beschäftigt. 6,2 Millionen Euro an Subventionen der Bundesländer Sachsen und Sachsen-Anhalt an die Deutsche Post-Tochter DHL waren nicht zulässig -- das hatte die Kommission schon 2008 so entschieden und fand nun dafür Bestätigung beim EuGH (Az. T-396/08). Die Länder, die DHL mit den Subventionen für den Standort Leipzig gewinnen wollten, hatten gegen die Kommissionsentscheidung geklagt und blitzten nun ab, berichtet Airliners.de. Argument: Die Zuschüsse für die Ausbildung von 485 Mitarbeitern am europäischen DHL-Drehkreuz Leipzig seien gar nicht in zusätzliche Qualifikationsmaßnahmen geflossen, sondern hätten nur die normalen Betriebskosten von DHL subventioniert.

Mittwoch, 7. Juli 2010

Wirtschaftsuni EBS will Politik machen

Mit einer Politik-Fakultät will die jüngst in "EBS Universität für Wirtschaft und Recht" umbenannte European Business School in Oestrich-Winkel und Wiesbaden Studien- und Weiterbildungsprogramme an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und dem Management im öffentlichen und gemeinnützigen Sektor entwickeln. Politische Entscheidungsträger und Manager staatlicher Unternehmen sollen qualifiziert werden.

Die EBS hat kürzlich eine rechtswissenschaftliche Fakultät gegründet, seither darf sie sich Universität nennen. Weitere Fachbereiche sollen folgen, auch einer für Logistik und Auto. Im Zusammenspiel von Wirtschaft und Jura soll auch die Kombination von Politik und Management institutionalisiert werden. „Die Governance School drängt sich doch auf“, sagt EBS-Präsident Christopher Jahns auf dem Karriere-Portal von Handelsblatt und WirtschaftsWoche.

Für die Governance School soll es einen externen Partner geben, der Vertrag steht allerdings noch nicht. Jahns will den Namen des Partners noch nicht nennen. Er könne sich vorstellen, an der neuen politikwissenschaftlichen Fakultät gemeinsame Studiengänge mit den anderen drei Fakultäten zu entwickeln. Sechs bis zehn Politikprofessoren sollen mit den neuen Jurakollegen in einen Neubau in Wiesbaden ziehen.

Die EBS gilt als renommierte Manager-Ausbildungsstätte, keine Frage. Sie fährt nun bis 2014 einen ehrgeizigen Wachstumskurs, benötigt dafür aber politische Unterstützung, nicht zuletzt aus öffentlichen Kassen. Sie hat jüngst bewiesen, dass sie sich im politischen Umfeld geschickt bewegt. Vor allem liefert sie ein Beispiel für erfolgreiches Subventionslobbying einer privaten Hochschule -- kein einfaches Unterfangen, sind in den letzten Jahren doch zahlreiche Privatunis in die Krise gerutscht.

Die EBS schaffte es, für die neue Law School, die im Vollbetrieb 800 Jura-Studenten haben soll, von der Landesregierung 25 Millionen Euro Anschubfinanzierung über acht Jahre zu erlangen, plus bis zu 12 Millionen Euro für die Sanierung des Altbaus, außerdem übernimmt das Land die Kosten für den Abbruch eines älteren Gebäudes und für den Bau einer Tiefgarage. Von der Stadt Wiesbaden erhält die EBS weiterhin zehn Millionen Euro für die "Gestaltung des Innenstadt-Quartiers".

Die staatlichen und kommunalen Finanzzusagen sind umso erstaunlicher, weil die Landesregierung den hessischen Hochschulen in einem Hochschulpakt ab 2011 Einsparungen von 30 Millionen Euro jährlich aufnötigte -- Bildungsjournalist Frank van Bebber hat die Kontroverse im Spiegel aufgegriffen.

Der "Geldregen" zog heftige Kritik der öffentlichen Hochschulen nach sich, insbesondere von der örtlichen Fachhochschule RheinMain, die – wenn Wiesbaden unbedingt „Universitätsstadt“ auf sein Ortsschild schreiben möchte – theoretisch auch mit öffentlichen Geldern zur Universität hochgerüstet werden könnte. Auch die spendable Jamaika-Koalition im Wiesbadener Rathaus musste sich Kritik von Eltern- und Schülervertretern sowie der Gewerkschaft GEW gefallen lassen, dass für die EBS Geld da ist, gleichzeitig aber den öffentlichen Schulen Sanierungsgeld fehlt. Beim Festakt mit 1000 Gästen zur Umbenennung der EBS in Universität kam es sogar zu einer Protestdemonstration vor den Türen. Die Frankfurter Rundschau wetterte, der "Geldregen für Elite-Uni" sei "ein klarer Fall von Klientelpolitik". Auch die Landtagsopposition hat die Subventionen scharf kritisiert.

Der Spiegel analysiert – wie viele andere Medien auch – die ausgezeichneten politischen Verbindungen der Hochschule:

Hessens Regierende mögen die EBS. Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) sitzt im Gründungskuratorium der Law School, neben Vertretern von Großkanzleien wie Linklaters LLP. Hahn hofft durch die neue Verknüpfung von Jura und Wirtschaft auf Wettbewerb in der Juristenausbildung. Im Vorstand der EBS-Trägerstiftung engagiert sich Florian Rentsch, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion. Wiesbadens Oberbürgermeister Helmut Müller (CDU) ist Gründungsmitglied eines lokalen EBS-Freundeskreises.
Die SPD im Wiesbadener Rat warf dem FDP-Landtagsfraktionsvorsitzenden Rentsch vor, er betreibe "in dieser Angelegenheit lupenreinen Lobbyismus, der sich einzig und allein an den Interessen der EBS orientiere" (FR). Rentsch habe eine "fragwürdige Doppelrolle" als Landtagsabgeordneter, Bezirks- und Stadtchef der Wiesbadener FDP und zugleich Stiftungsvorstand der EBS sei. Er führe "Öffentlichkeitsarbeiten und Spendensammlungen" zugunsten der Privathochschule mit Studiengebühren von jährlich 12.000 Euro durch.

EBS-Präsident Christopher Jahns sah sich zur Vorwärtsverteidigung genötigt. „Ich schäme mich nicht“, sagte er in einem Interview. Gegenüber der FR sagte er, die Anschubfinanzierung sei

doch wirklich nicht so schlimm, wenn man bedenkt, was Land und Stadt dafür bekommen (…) Sie bekommen eine Top-Wirtschaftsuni, die international wettbewerbsfähig sein wird, Arbeitsplätze für 80 BWL- und 30 Jura-Professoren und 200 Mitarbeiter, Studienplätze für 800 Jurastudenten und 1000 Weiterbildungsplätze. Top-Wirtschaftsleute wie etwa Friedensnobelpreisträger Mohammad Yunus werden zu uns nach Wiesbaden kommen, es wird ein studentisches Leben geben, eine Verjüngung der Stadt. Das sind nur einige Effekte der 120 Millionen Euro-Investition in den Bildungsstandort Wiesbaden.

Die EBS finanziere von den 120 Millionen Euro Kosten rund 95 Millionen über private Spenden von Unternehmen und Stiftungen, Studiengebühren und Bildungsfonds für Stipendien. Und: „Das Landgericht hätte sowieso saniert werden müssen, egal wer das nutzt“. Auf die prinzipielle Frage, ob es zur Aufgabe eines Staates gehöre, Privathochschulen zu fördern, meinte Jahns:

Sagen wir so: Es kann doch nicht sein, dass staatliche Universitäten wie Goetheuniversität oder TH Darmstadt in unserem privaten Teich nach Geldern fischen dürfen, wir umgekehrt aber nicht. So würden wir am Ende von der Platte gedrückt. Man muss beiden beides erlauben.
Die EBS ist zweifelsohne in 40 Jahren zu einer erfolg- und prestigereichen Hochschule geworden. Insofern investieren Land und Stadt in ein bewährtes Modell, das wachsen und zum Leuchtturm werden soll. Nicht nur die bildungspolitischen, sondern vor allem regional- und strukturpolitische Argumente zogen. Für Land und Stadt sieht es nach einer Investition aus, mit der sich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen – zumal sich erhebliche Summen aus privaten Kassen mobilisieren lassen.

Diese Hoffnung haben und hatten viele Standorte privater Hochschulen. Allerdings bescherten eine Reihe von Privathochschulen den staatlichen Paten in vielen Bundesländern auch reichlich politische Probleme, wenn sie mangels Nachfrage oder Unternehmensunterstützung finanziell in die Krise gerieten oder der Wissenschaftsrat die institutionelle (Re-) Akkreditierung versagte. Dann hagelte es Kritik an mangelnder Aufsicht und dem Verschleudern von Subventionen.

Beispiele sind die International University in Bruchsal, die Private Hanseuniversität in Rostock, das Baltic College Güstrow, die University for Management and Communication (UMC) Potsdam, das Stuttgart Institute of Management and Technology (SIMT), die Kassel International Management School (KIMS) oder die Universität Witten-Herdecke. Manche gingen in die Insolvenz, andere fanden private oder öffentliche Retter. Es ist deutlich geworden, dass regionale Trägerinitiativen, aber selbst Wagniskapitalfonds und Konzern-Konsortien sich in der engen Rechtslage und notwendig teurem Geschäftsmodell mit Hochschulen überheben können. Man muss hoffen, dass Hessen und Wiesbaden bei der EBS auf das richtige Pferd setzen.

Dienstag, 6. Juli 2010

Spiegel vs. Quadriga: PRGS-Chef Hofmann zieht sich aus Hochschule zurück

Der gestern hier aufgespießte Spiegel-Beitrag zur Quadriga Hochschule Berlin sorgt in der PR- und PA-Szene weiter für (etwas) Wirbel. Gerhard Pfeffers PR-Journal greift im Beitrag "Zwei "Spiegel"-Attacken gegen Quadriga-Hochschule" das Thema auf. Thomas Zimmerling fragt sich im Public Affairs Blog, ob das Hamburger Magazin eine "Schmutzkampagne" gegen die Quadriga Hochschule im Sinne hat. "Machen wir es kurz: Der Spiegel scheint Helios Media nicht zu mögen. Und schon gar nicht die angeblich mit Helios-Gründer Rudolf Hetzel verbandelte Quadriga Hochschule Berlin." Der Artikel sei handwerklich schlecht, schlecht recherchiert, wenig aktuell und nicht ausgewogen - eine "Polemik".

Die Hochschule hat in der Zwischenzeit eine Stellungnahme abgegeben. Präsident Peter Voß wehrt sich darin gegen die Vorwürfe und kritisiert den Artikel heftig. Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) - die Institution der freiwilligen Selbstkontrolle der Kommunikationsbranche - habe keineswegs ein Verfahren gegen die Agentur PRGS eröffnet, erst einmal komme es zu einer Anhörung zu den Vorwürfen gegen PRGS und deren Chef Thorsten Hofmann, der nebenberuflich auch Ko-Leiter des Fachbereichs Politik und Public Affairs an der Hochschule ist. Hofmann werde vorerst seine Aufgaben an der Quadriga ruhen lassen. Die Stellungnahme im Wortlaut:
Der Präsident der Quadriga Hochschule Berlin, Prof. Peter Voß, hat sich gegen Vorwürfe verwahrt, die "Der Spiegel" in seiner aktuellen Ausgabe unter dem Titel "Lehrer für die Lobby" erhoben hat. Der Artikel suggeriert mit Blick auf die Hochschule eine problematische Nähe zwischen Journalisten (z.B. im Kuratorium) und PR-Praktikern, wobei, so Voß, Kommunikation und Kommunikationsmanagement bzw. PR nicht nur auf unreflektierte Weise mit Lobbyismus gleichgesetzt, sondern pauschal als "professionelle Manipulation" diskreditiert würden.

Der Artikel wirft unter anderem die Frage auf, warum sich angesehene Journalisten für die Hochschule engagieren und "ihre guten Namen hergeben". Dass gerade auch die kritische Begleitung der Hochschule und ihrer Arbeit ein Beitrag zur Wahrung ethischer Standards, wie etwa des Transparenzgebotes, ist, wird nicht erwähnt, obwohl Voß im Gespräch mit einem der Autoren darauf besonderes Gewicht gelegt hatte.

Im Hinblick auf eventuelle Fakten, die seine Tendenz begründen könnten, gäbe der Artikel, so Voß, nicht viel her. Im Kern handelt es sich um den Vorwurf an die Agentur PRGS, 2008 in einem Akquisepapier, das 2009 bekannt und öffentlich diskutiert wurde, den Namen des angeblichen Auftraggebers E.ON verschwiegen und damit gegen das Transparenzgebot verstoßen zu haben.

Wie schon 2009 hat PGRS gegenüber der Hochschule erneut erklärt, dass es für das fragliche Papier keinen Auftrag von E.ON gab - dies hatte damals auch der Spiegel korrekt berichtet.

Anders als vom Spiegel behauptet, hat der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) bisher auch kein Verfahren gegen PRGS eröffnet.
Bevor über ein solches Verfahren entschieden wird, ist in solchen Fällen zunächst eine Anhörung vorgesehen.

Voß erklärt dazu: "Ich sah und sehe in Anbetracht der Tatsache, dass hier eine alte Geschichte vom Spiegel wiederbelebt, aber ein entscheidender Punkt dabei ignoriert wurde, keinen Anlass, mich von Herrn Dr. Hofmann oder seiner Mitarbeit an der Quadriga Hochschule Berlin zu distanzieren.

Gleichwohl möchte Herr Dr. Hofmann seine Mitarbeit an der Hochschule ruhen lassen, bis der gesamte Vorgang in einer eventuellen Anhörung beim DRPR geklärt ist. Ich bedaure die Entscheidung von Herrn Dr. Hofmann sehr, habe sie aber zu respektieren und danke Herrn Dr. Hofmann für sein großes Engagement für unsere Hochschule."
Der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) hat sich zum Status seines vom Spiegel als "Verfahren" bezeichneten Vorgangs noch nicht klärend geäußert. Zuständig ist die Beschwerdekammer II, Politische Kommunikation. Den Vorsitz hat Heiko Kretschmer (Johanssen + Kretschmer) für die degepol in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Günter Bentele (Uni Leipzig) für die DPRG und Dr. Roland Stahl (Kassenärztliche Bundesvereinigung) für den Bundesverband deutscher Pressesprecher.

Konzernfinanzen: Eine Privatagentur als Quasi-Gesetzgeber - und ihr politischer Selbstmord

Die internationalen Bilanzierungsregeln sind ein Thema, bei dem selbst ausgebuffte Finanz- und Wirtschaftspolitiker eine Schnute ziehen. Politisch langweilig, technisch knifflig. Und dem deutschen Mittelstand schnuppe, weil der überwiegend weiter nach Handelsgesetzbuch (HGB) Abschlüsse macht. Für international orientierte, börsennotierte Unternehmen dagegen ist das schon von realer Bedeutung.

Globale Standards
sind wichtig, will man das Vertrauen der Anleger behalten. Es geht darum, ob und wie die internationalen Kapitalmärkte funktionieren. Intransparenz und fehlende Informationen und Finanzberichterstattung waren ja auch ein Auslöser der Weltfinanzkrise.

Globale Abschluss-Standards sind allerdings auch ein Beispiel für staatliche geduldete Selbstregulierung und Expertokratie. Bei den Debatten um den intransparenten Einfluss von Interessenvertretern auf Ministerien und Parlamente wird gern vergessen, dass ein wichtiger Teil von Normen und Standards für die Wirtschaft von völlig unbekannten Expertengremien fabriziert wird - weitgehend an der Aufmerksamkeit der Politiker und Medien vorbei.

Es ist indessen wichtig, dass Deutschland bei der Gestaltung und Weiterentwicklung international mitredet. Dafür hat man vor 12 Jahren das im besten Denglisch benannte "Deutsche Rechnungslegungsstandards Committee" (DRSC) gegründet, international bekannter als "German Accounting Standards Committee" (GASC).

Das ominöse Gremium wurde vom Justizministerium als privates Rechnungslegungsgremium anerkannt -- so schloss das Ministerium 1998 einen Vertrag mit dem DRSC und gab ihm praktisch die staatliche Lizenz, Normen für Rechnungslegung zu interpretieren, das heißt auch: in der Praxis zu setzen, und zudem die deutsche Bundesregierung offiziell in internationalen Standardisierungsgremien zu vertreten.

Staatliches Outsourcing...

Zum DRSC gehört der Deutsche Standardisierungsrat - kurz DSR, alternativ German Accounting Standards Board (GASB), und das „Rechnungslegungs Interpretations Committee (RIC)“ (doch, ja, der Name lautet genau so). Der "selbstlos tätige" Verein wird finanziert von 130 Unternehmen und Wirtschaftsprüfungsfirmen (50.000 Euro pro Jahr für die Dax-Konzerne und die führenden Prüfer, kleine Mitglieder zahlen weniger).

Dafür gibt es eine gesetzliche Grundlage, § 342 HGB:
(1) Das Bundesministerium der Justiz kann eine privatrechtlich organisierte Einrichtung durch Vertrag anerkennen und ihr folgende Aufgaben übertragen:

1. Entwicklung von Empfehlungen zur Anwendung der Grundsätze über die Konzernrechnungslegung,
2. Beratung des Bundesministeriums der Justiz bei Gesetzgebungsvorhaben zu Rechnungslegungsvorschriften,
3. Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in internationalen Standardisierungsgremien und
4. Erarbeitung von Interpretationen der internationalen Rechnungslegungsstandards im Sinn des §315a Abs. 1 HGB.

Es darf jedoch nur eine solche Einrichtung anerkannt werden, die aufgrund ihrer Satzung gewährleistet, daß die Empfehlungen und Interpretationen unabhängig und ausschließlich von Rechnungslegern in einem Verfahren entwickelt und beschlossen werden, das die fachlich interessierte Öffentlichkeit einbezieht. Soweit Unternehmen oder Organisationen von Rechnungslegern Mitglied einer solchen Einrichtung sind, dürfen die Mitgliedschaftsrechte nur von Rechnungslegern ausgeübt werden.

Die vom DRSC erarbeiteten „Deutschen Rechnungslegungs Standards (DRS)“ sind formal zwar kein verpflichtendes Recht. De facto läuft es aber so, dass der Staat bei jedem Unternehmen, das den DRS folgt, automatisch ordnungsmäßige Buchführung annimmt.

Eine Privatagentur als Quasi-Gesetzgeber und verbindlicher Deuter, was staatliche Normen zu bedeuten haben; außerdem das Vertretungsrecht Deutschlands im Ausland und das institutionalisierte Vorrecht zur Beratung der Bundesregierung:
Das geht ganz schön weit und taucht so in Politik-Lehrbüchern selten auf. Das ist der deutsche Korporatismus des 21. Jahrhunderts.

Nun sollte man meinen, die Wirtschaft freut sich über diese generöse Form der Selbstregulierung. Doch: Nach 12 Jahren hat sie davon genug. Das DRSC löst seine Geschäftsgrundlage selbst auf und wirft dem Justizministerium den Krempel vor die Füße -- Frau Leutheusser-Schnarrenberger darf sich nun wieder selbst darum kümmern.

Ende Juni beschloss eine außerordentliche Mitgliederversammlung des DRSC, den Vertrag mit dem Justizministerium zum Jahresende 2010 zu kündigen.

...und eine böse Überraschung: Die Wirtschaft mag sich nicht mehr selbst regulieren

Wie die WirtschaftsWoche unter dem Titel "Bilanzierungsrat steht vor dem Aus" berichtet, gab es schon lange Querelen um die Finanzierung des Komitees sowie Streit um die Kompetenz dieser Einrichtung. "Das ist ein ziemliches Desaster", kommentiert ein hochrangiger Bilanzierungsfachmann laut WiWo die Entscheidung, "und eine Blamage für die deutsche Wirtschaft." Das Blatt analysiert:
Die Mitgliedschaft [im DRSC] hindert die Großen aber nicht daran, in Brüssel oder beim IASB in London ihre eigene Meinung zu vertreten. Seit Jahren kritisieren Beobachter daher, dass die heimische Wirtschaft nicht mit einer Stimme spricht. Frankreich und Großbritannien machen das geschickter - und setzen sich damit auch besser durch. (...)

"Das DRSC hat ein Akzeptanzproblem", sagt Christian Zwirner von der Kanzlei Kleeberg. Das Gremium erhalte in der Breite nicht die gleiche Anerkennung wie etwa das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW).
Das DRSC selbst verfasste eine Pressemitteilung, die ein wenig klingt wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod:
"Damit“, so Heinz-Joachim Neubürger, Vorstandsvorsitzender des DRSC, „wollen wir die Möglichkeit schaffen, die Meinungsbildung und Vertretung deutscher Interessen in Fragen der internationalen Rechnungslegung neu zu ordnen“.

Dies sei vor dem Hintergrund der veränderten Rahmenbedingungen als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise und der anstehenden, mit politischen Dimensionen verbundenen Grundsatzfragen dringend erforderlich. „Im Zuge der Neuordnung“, so Neubürger weiter, „ist neben der inhaltlichen Neupositionierung auch die zukünftige Finanzierung dieser wichtigen Aufgaben zu regeln“.

Das Ministerium wird vor dem Hintergrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen entscheiden müssen, wie es sich diese Neuordnung vorstellen kann. Um die nationale Meinungsbildung orchestrieren und auf internationaler Ebene die Interessen der deutschen Unternehmen wirkungsvoll vertreten zu können, bedarf es unbestrittener Fachkompetenz, einer hohen internationalen Anerkennung sowie ausreichender Finanzmittel. Der DRSC kann aufgrund seiner erfolgreichen Arbeit dazu wesentliche Beiträge leisten. Daher wird das DRSC dem BMJ als Berater und auch möglicher Nukleus für die erforderliche Neuaufstellung zur Verfügung stehen und sich in die Gespräche zur Neuordnung einbringen.
Das Gremium wählt den Exitus, empfiehlt sich aber im letzten Stöhnen als "möglicher Nukleus für die erforderliche Neuaufstellung". Ist das jetzt ein Rettungs-Appell oder gar eine Art Erpressungsstrategie, mit dem die Bundesregierung nun genötigt werden soll, die Finanzierungslücke aus dem Bundeshaushalt zu schließen? Dafür spricht, dass sich der Verein nicht aufgelöst hat, sondern nur den Vertrag kündigte. Zum "Nukleus" gehört der DRSC-Chef Neubürger jedenfalls nicht mehr, egal, ob das DRSC gerettet wird oder nicht. Sein Amt als Vorstandsvorsitzender hat er schon zum 30. Juni niedergelegt, meldet die Börsen-Zeitung. Den Job übernimmt Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser.

Was nun?
Wird eine neue Privatagentur gegründet? Oder bekommt der ewige Rivale, das - deutlich besser finanzierte - IDW etwa die Rolle auf den Leib geschneidert? Dann wären allerdings nur noch die Wirtschaftsprüfer am Hebel, nicht mehr die eigentliche Kundschaft, also die Unternehmen. Die "Big Four", die vier größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die die meisten börsennotierten AGs weltweit prüfen und beraten, geben hier den Ton an; es sind Deloitte Touche Tohmatsu, PriceWaterhouseCoopers, Ernst & Young und KPMG. Die "Big Four" gehören auch zum DRSC, aber ihr Einfluss auf das IDW ist selbstredend viel größer.

Profitieren sie und ihr IDW nun vom Exitus des Wettbewerbers? Oder wählt das Bundesjustizministerium stattdessen eine hauseigene Lösung, dicht ans Ressort gespannt?

Geht's nur ums Geld – oder um grundsätzliche Interessenkonflikte?

In der Finanz- und Prüferbranche herrscht Überraschung. "Zwar hatte es hinter den Kulissen schon immer rumort. Man erwartete allerdings, dass es irgendwie weitergehe", heißt es beim Branchendienst Haufe Finance. Dessen Analyse:
Die Idee, ein unabhängiges Gremium zu schaffen, das Deutschlands Stimme in der internationalen Rechnungslegung ist, war gut. Nicht gut war dagegen, dieses Gremium mit unzulänglichen Finanzmitteln auszustatten. Zumal das DRSC nicht die einzige deutsche Stimme im internationalen Konzert war. Das mächtige und finanziell gut ausgestattete IdW meldete sich ebenfalls fortlaufend mit seinen Verlautbarungen zur internationalen Rechnungslegung zu Wort. Das IdW wird seit Jahren von den großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften dominiert. Zwei Standardsetter, dafür war wohl längerfristig doch kein Platz. Und wer letztlich überleben würde, war eine Frage des Geldes.

Ob mit dem Schritt des DRSC dem Einfluss Deutschlands auf internationale Bilanzierungsregeln gedient ist, wird die Zukunft weisen. Wachgerüttelt dürfte das BMJ sein. Und die Big Four werden sich fragen müssen, ob diese Entwicklung wirklich in ihrem Sinne war. Denn sie waren auch beim DRSC nicht ohne Einfluss. Nach dessen Kündigung kann das BMJ gem. § 342 a HGB einen unabhängigen, ministeriumsnahen Rechnungslegungsbeirat berufen. Der würde dann die Bundesrepublik Deutschland in internationalen Standardisierungsgremien vertreten und wohlmöglich viel unabhängiger sein, als es das DRSC je war.
Die Börsen-Zeitung kommentiert die Vorgänge im DRSC etwas anders:
Die Finanzierung dürfte ein vorgeschobenes Thema sein, geht es doch um eine Lücke von weniger als 1 Mill. Euro. Dem Gremium fehlt es inhaltlich an Rückhalt in Industrie und Finanzwirtschaft, und zur Debatte steht nichts Geringeres als eine grundlegende Neuausrichtung oder gar Auflösung - wobei die internationalen Konsequenzen nicht zu unterschätzen sind.

Das DRSC hatte seit der Gründung 1998 einen schweren Stand. Zwar ging es der Privatwirtschaft vor allem um die Etablierung eines Gremiums, das eine einheitliche deutsche Position zur Rechungslegung erarbeitet und diese international vertritt. Gleichzeitig sollte das DRSC Berater der Regierung sein und eigene Standards für die Konzernrechnungslegung entwickeln. Da börsennotierte Unternehmen inzwischen im Konzernabschluss auf die internationalen Standards IFRS verpflichtet sind, haben die nicht kapitalmarktorientierten Firmen, die nach dem Handelsgesetzbuch bilanzieren, verständlicherweise keine Neigung, das DRSC zu finanzieren - zumal die Bilanzrechtsmodernisierung Sache des Gesetzgebers ist.

In dieser ungesunden Konstruktion hat sich das DRSC zunehmend internationalen Aufgaben gewidmet, sich erfolgreich vernetzt und die nötige Anerkennung gewonnen. Die deutsche Stimme in der Rechnungslegung ist die Institution indes nicht geworden, es herrscht Polyphonie.

Das DRSC sei nicht der Vertreter deutscher Interessen, sondern verlängerter Arm des internationalen Standardsetzers IASB, so die Kritik der abtrünnigen Gegenspieler
.

Die Verbände waren einst bewusst nicht als DRSC-Mitglieder zugelassen worden, um die Fahne der Unabhängigkeit hochzuhalten. Doch Bilanzierung ist zum Politikum geworden, das hat auch der internationale Standardsetzer IASB leidvoll erfahren müssen. Hier wird sich das DRSC bewegen müssen, ohne ein Fähnchen im Wind zu werden - dann wäre das internationale Ansehen gefährdet. Es ist zu hoffen, dass die Neupositionierung zur Stärkung des Gremiums führt. Fatal wäre es, wenn Deutschland keinen nationalen Standardsetzer mehr aufzuweisen hätte.

Schnarrenberger: "Mach mir Deine Rechung; wir sind geschiedene Leute"

Offenbar haben sich die DRSC-Mitglieder einfach nicht über die Finanzbeiträge einigen können. Drei Millionen Jahresetat sollten es werden, aber die Mitglieder wollten nur 1,7 Mio. Euro in die Kasse legen. Und einige Konzerne weigerten sich offenbar schlicht, 2011 irgendwelche Extra-Umlagen zu zahlen. "Neubürger wie Knorr mussten zuletzt mit dem Klingelbeutel durch die Mitgliederreihen gehen, um Geld für zusätzliche Aufgaben einzusammeln", so die WiWo. Peinlich: Das DRSC schuldet der übergeordneten European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) 350.000 Euro, weil die Mitglieder einfach nicht genug einzahlten. Konsequenz: "Deutschland war dadurch zwar in Brüssel vertreten - durfte aber nicht abstimmen", stellt das Blatt fest. Und zitiert ein Mitglied: "Wenn keine neuen Aufgaben für das DRSC gefunden werden, dürfte sich der Verein wohl nächstes Jahr auflösen."

Fazit: Selbstregulierung der Wirtschaft scheitert nicht nur am mangelnden Willen, sich selbst Regeln zu geben. Sondern auch an Interessenkonflikten, an Inakzeptanz, am Geld und möglicherweise an Inkompetenz. Man könnte sagen, ein Fall von Marktversagen. Indem die Politik der Privatagentur eine eigentliche staatliche Aufgabe anvertraute, war dieses Marktversagen auch gleichzeitig Staatsversagen.

Die Ministerin hat zur "Zukunft der Rechnungslegung" eine schöne Rede gehalten, im April, bei einer Fachtagung im eigenen Haus. Da waren alle eingeladen, die mit Bilanzen professionell zu tun haben. Wer die Rede liest, ahnt, dass die Ministerin bereits wusste, was beim DRSC passieren könnte oder würde:
Die Rechnungslegung steht derzeit vor großen Herausforderungen - international, europaweit und national. Es geht dabei allesamt um Grundsatzfragen mit politischer Dimension. (...)

In der letzten Legislaturperiode ist das deutsche Bilanzrecht umfassend modernisiert worden. Damit hat der deutsche Gesetzgeber seine Hausaufgaben zunächst einmal gemacht. Das deutsche Handelsrecht ist damit gut gerüstet für den Wettbewerb mit internationalen Standards und für die Diskussion über die Reform der europäischen Bilanzrichtlinien. An alledem hatte auch der deutsche Standardsetter DRSC maßgeblichen Anteil; er hat in den letzten Jahren auch bei der internationalen Vertretung deutscher Interessen sehr gute Arbeit geleistet.

Aus diesem Grund sollte heute auch über die Zukunft der Standardsetzung in Deutschland und die zukünftige Ausrichtung des DRSC gesprochen werden. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Finanzierung dieser wichtigen Institution.

Die Ressourcen des Bundes sind hier begrenzt, deshalb sehe ich vor allem die Wirtschaft selbst in der Pflicht, denn in ihrem unmittelbaren Interesse wird der Standardsetter tätig. Heute sind wichtige Vertreter der deutschen Wirtschaft unter uns und meine Bitte an Sie ist: Stellen Sie eine angemessene Finanzierung des DRSC sicher, damit diese bedeutende Arbeit fortgesetzt werden kann.
Der Appell hat offenkundig nichts gefruchtet. Finstere Ironie liegt darin, dass Schnarrenberger in ihrer Rede noch Lessing zitierte, der seinen Major von Tellheim in der "Minna von Barnhelm" sagen ließ: "Mach mir Deine Rechung; wir sind geschiedene Leute." Ein paar Wochen später bekam sie die Kündigung vom DRSC. Anders als bei Minna: Kein Happy End.

Man darf gespannt sein, was sich "Schnarri" nun als Lösung ausdenkt. Die liberale Antwort wäre, siehe oben, eigentlich Selbstregulierung der Wirtschaft. Aber wer will daran jetzt noch glauben? Und was hält die Ministerin eigentlich persönlich davon, dass die DRSC-Träger ihren eindringlichen Appell auf solche Weise ignorieren?

Das Ministerium kann laut §342 HGB ein privates Rechnungslegungsgremium beauftragen, muss aber nicht. Noch sind die Folgen der Finanzkrise nicht verdaut, die internationale Regulierung der Finanzmärkte bleibt bisher weit hinter den Erwartungen zurück. Da wäre ein verlässlicher Partner viel wert. Nun reißt das DRSC eine weitere Baustelle auf. Die DRSC-Krise mag nicht die ganz große Aufmerksamkeit in den Medien finden, doch der Suizid des Vereins kommt zur Unzeit.

Vielleicht ist ein direkt ans Ministerium angedocktes Staats-Gremium ohnehin die transparentere, verantwortlichere und politisch klügere Lösung. Es läge im Trend der Zeit. Mehr Staat, mehr öffentliche Regulierung und Kontrolle. Was will die Wirtschaft noch dagegen haben. Eigentor!

Autolobby gegen Autolobby: Zank um Strafzoll für China-Räder

Dass die Wirtschaftskrise Regierungen zu mehr Protektionismus getrieben hat, lässt sich quer durch alle Branchen beobachten. Viele Industrien wollen sich vor der Konkurrenz schützen lassen und machen politisch Druck. Die US-Zollpolitik gegen Chinas Autobranche hat für Zündstoff gesorgt, aber auch zwischen Europa und China schlagen Konflikte um Schutzzölle in der Autowirtschaft reichlich Funken. In Deutschland wurden chinesische Lobbyisten jüngst im Bundeswirtschaftsministerium vorstellig und drängten, Berlin solle gegen den jüngsten EU-Strafzoll gegen chinesische Autozulieferer vorgehen, meldet der aktuelle Spiegel (S. 68). Der Druck sei sehr groß, wird ein Spitzenbeamter zitiert.

Zumal sich die europäische Autoindustrie gar nicht einig ist, was ihr wichtiger ist: der große, aber stagnierende EU-Heimatmarkt (der mit Schutzzöllen umhegt werden soll) oder der aufblühende, rasante Wachstumsmarkt China (wo Vergeltungs-Zölle und Restriktionen drohen, wenn die EU rabiat gegen China vorgeht).

So raufen sich die Lobbyisten der europäischen Auto-Branche derzeit vor allem untereinander. Peking muss vermutlich gar nicht so stark intervenieren, denn die besten Lobbyisten Chinas sind europäische - insbesondere deutsche - Autohersteller.

Über dem wunderbaren Wachstumsmarkt China liegt „der Schatten des Protektionismus“, warnte schon 2009 die Europäische Handelskammer in China (EUCCC). Restriktionen bei Investitionen aus dem Ausland hätten noch zugenommen. Rund 21 Milliarden Euro gingen Unternehmen aus Europa durch Handels- und Investitionsschranken in China verloren, berichtet die WirtschaftsWoche.

So zwinge Peking ausländische Autokonzerne, die in China produzieren wollen, noch immer in Joint Ventures mit lokalen Unternehmen. Technische Vorschriften und Zertifizierungen würden zunehmend dazu benutzt, ausländische Firmen systematisch vom Markt zu drängen. Das lasse sich zum Teil mit den gewaltigen Überkapazitäten Chinas als Folgen des unkoordinierten Investitionsbooms erklären. Das enorme Konjunkturpaket der Regierung und die Schwemme an neuen Bankkrediten würden die Überkapazitäten noch erhöhen, so die WirtschaftsWoche. Daher sei es nicht ausgeschlossen, dass China darum in Zukunft noch weitere Handelsbarrieren einziehen wird – trotz regelmäßiger Plädoyers für den Freihandel aus der chinesischen Regierung.

Die Chinesen finden derzeit überhaupt nicht lustig, dass die EU einen Straf- und Schutzzoll auf Alu-Räder aus China erhebt, um den Rückgang der Verkaufs- und Produktionszahlen europäischer Unternehmen zu stoppen. China droht bereits mit Vergeltung. "Europa riskiert einen Handelsstreit", meint der britische Telegraph. Die chinesische Presse wettert schon seit letztem Jahr, die EU "missbrauche" ihre Anti-Dumping-Rechte und behandle Chinas Hersteller völlig unfair.

Nun ist China aber keine reine Werkbank des Westens und Billigexporteur mehr, sondern auch ein riesiger Automarkt. Chinesen wollen Auto fahren, und die westlichen Hersteller bedienen den Bedarf mit großen Dollarzeichen in den Augen. In den letzten Monaten haben sich europäische Automarken mit allerlei Ideen für den chinesischen Markt geschmückt.

So kommt es, dass die Lobby der EU-Autohersteller lieber keinen Protektionismus für den EU-Markt will, wenn damit zu befürchten ist, dass China ihnen im eigenen Heimatmarkt Probleme bereitet. Das Hemd ist eben näher als der Rock. Die wirtschaftliche Lage der EU-Zulieferer ist ihnen da relativ egal.

Die EU-Kommission wurde vom Verband der Europäischen Radhersteller (EUWA) intensiv lobbyiert. EUWA beschwerte sich über angebliche Dumping-Preise der Chinesen. Ziel der Radhersteller: Die EU solle handeln, bevor China den Markt mit billigen Felgen überschwemme.

Unter anderem geht es um Räder für BMW und Renault. In der EUWA lassen sich sechs europäische Hersteller vertreten, die insgesamt mit einem Anteil von 80 Prozent an der EU-Räderproduktion beteiligt sind, wie der Branchendienst Reifenwelt berichtet.

Unter den Herstellern sind offenbar AEZ (Deutschland), Speedline (Italien) und Ronal (Schweiz). Auf der Gegenseite stehen chinesische Firmen wie Baoding Lizhong Wheels und YHI Manufacturing (Marken: OZ, Enkei, Advanti, Breyton, Konig).

Die Kommission kündigte im August 2009 eine Untersuchung an und informierte rund 60 chinesische Hersteller über das Verfahren. China bestritt die Vorwürfe, aber Brüssel legte sich im Mai in einer Verordnung auf einen 20,6-Prozent-Strafzoll für Radimporte fest, zunächst für ein halbes Jahr mit der Option, ihn auf fünf Jahre zu verlängern.

Im Bericht der Kommission heißt es, die Importe seien zwischen 2006 und 2009 um 66 Prozent gestiegen, in dieser Zeit habe China seinen Marktanteil auf über 12 Prozent verdoppelt. Zwar seien die Rezession, türkische Importe und der harte Wettbewerb der Hersteller ebenso Schuld an der üblen Situation der EU-Unternehmen, doch die Dumping-Importe aus China hätten ihr "signifikante Produktions- und Absatzverluste, Marktanteilsverluste und Preisverfall" beschert. Dass Europas Autokäufer (und auch jene Verbraucher, die mal ein Rad ersetzen müssen) große Preisaufschläge durch den Strafzoll befürchten müssten, glaubt die Kommission hingegen nicht.

Die Verteidigung des neuen Strafzolls - Attacke auf deutsche Auto-Verbände

Deutschland spielt eine zentrale Rolle bei der im Herbst anstehenden Entscheidung, ob der Strafzoll nun verlängert wird oder nicht. Von "enormem Druck chinesischer Handelslobbyisten auf die Bundesregierung" ist nun die Rede, die EUWA teilt über die als Projekt-Lobbyisten angeheuerte Brüsseler Anwaltskanzlei Covington & Burling eine Pressemitteilung mit:
"Wir appellieren an die Kommission und die Mitgliedstaaten, insbesondere auch die Bundesregierung, dem offenkundig enormen Druck der chinesischen Handelslobby und ihren augenscheinlichen Drohungen mit Vergeltungsmaßnahmen beim Import europäischer Automobile in China bei der im November 2010 anstehenden Entscheidung über einen dauerhaften Anti-Dumpingzoll zu widerstehen".
Das ist nun nicht so überraschend. Bemerkenswert ist allerdings die heftige Kritik der EUWA am europäischen Automobilverband ACEA und am deutschen Verband der Autohersteller VDA, die "in offenkundiger Sorge über die Stellung ihrer Mitgliedsfirmen auf dem bedeutsamen chinesischen Markt sich - wie die chinesische Handelslobby - für die Abschaffung des Anti-Dumpingzolls stark machen", kritisiert EUWA. "Sollten Deutschland und die EU in diesem prominenten Fall den Drohungen Chinas nachgeben, würde ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen, der China ermutigen würde, in Zukunft in noch verstärktem Maße die EU und die Mitgliedstaaten durch Drohungen mit Vergeltungsmaßnahmen zu erpressen".

Die EUWA mag sich dem Wettbewerb ohne EU-Schutz nicht stellen, weil sie meint, dass der chinesische Staat massiv und ständig in die Preisfestsetzung von Aluminium und Preisbildungsmechanismen an der Shanghaier Börse eingreife. Der chinesische Staat sei sowohl Käufer als auch Verkäufer sowie Aufseher des Rohstoffhandels; zudem seien ausländische Hersteller vom chinesischen Aluminiummarkt faktisch ausgeschlossen, da sie - anders als die chinesischen Hersteller - 17 Prozent Ausfuhrumsatzsteuer und 15 Prozent Exportzoll zahlen müssten. Nur die Chinesen kaufen ihren Rohstoff in Shanghai, während der Rest der Welt an der London Metal Exchange einkauft. Theoretisch sollte es egal sein, an welcher Börse man kauft, aber aus Sicht der EUWA macht es einen Riesenunterschied in der Praxis -- und die Auswirkungen auf die Preise seien viel größer als etwa Chinas Lohnkostenvorteile.

"Der Fall ist ein klassisches Bespiel, für Chinas Politik, Zugang zu Rohstoffen zu beschränken, um seine Exportindustrie zu unterstützen. Wenn die Kommission und Deutschland in einem solchen Fall von Maßnahmen absehen, schwächen sie ihre Rohstoffpolitik, was gravierende Folgen für weite Bereiche der deutschen Industrie haben kann, die auf offene Rohstoffmärkte angewiesen sind", betont die EUWA.

Aus EUWA-Perspektive sind die Anti-Dumping-Zölle kein Handelshemmnis, sie glichen nur die Unebenheiten auf dem jetzigen Spielfeld aus. Das sieht man in Peking logischerweise anders. Das chinesische Handelsministerium meint, das EU-Verfahren könnte die heimischen Produzenten fast 400 Millionen Dollar kosten, heißt es im Branchendienst Tire Review. Dieser kritisiert - wie die Chinesen - auch mangelnde Transparenz auf Seiten der EUWA, die nicht einmal genau ausführen wollte, welche Mitgliedsfirmen denn nun genau wie betroffen sind. Der Verband habe keinerlei Interesse daran gezeigt, die Sache öffentlich zu debattieren, und den Weg über die Zollbeamten der Kommission eingeschlagen.

Nun sieht es allerdings so aus, als starte die EUWA eine laute Kommunikations-Offensive, um den auf leisen Wegen errungenen Strafzoll zu verteidigen. Hinter dem Festungswall brüllt es sich bekanntlich leichter als davor.

Montag, 5. Juli 2010

Wirbel um PR-Branche und "Atomlobby" - Berufsethik in der Grauzone

Drei Seiten widmet der Spiegel heute der privaten Berliner Quadriga-Hochschule (Helios-Verlag) unter dem Titel "Lehrer für die Lobby". Am Wochenende hatte das Blatt den Kollegen bereits eine wenig erfreuliche Vorab-Meldung geschenkt: Die nicht mehr ganz taufrische Personalie, dass die neue Vorsitzende von Transparency International, die Ex-Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands und frühere schleswig-holsteinische Umweltministerin Edda Müller, den Fachbereich Politik und Public Affairs ko-leitet, lief unter der Schlagzeile "Interessenkonflikt: Transparency-Chefin arbeitet für PR-Schmiede".

Der Spiegel bewertete das neue Engagement Müllers nicht so positiv wie dieses Blog (Public Affairs Manager am 11. Mai). Man mag darüber streiten, ob die beiden Aufgaben zueinander passen, sicher. Aber eigentlich passt es besonders gut. Frau Müller, Honorarprofessorin an der Verwaltungshochschule Speyer, hat schließlich reichlich Erfahrung und ein einschlägiges Profil, das der Lehre in den neuen Studiengängen an der Quadriga nur nutzen kann.

Damit halten sich die Autoren Markus Brauck und Markus Grill nicht lang auf. Ihr Ziel ist offenbar ein ganz anderes. Sie knöpfen sich den von Rudolf Hetzel gegründeten Helios-Verlag in ähnlich spöttisch-aufdeckerischem Tonfall vor wie zuvor in der Süddeutschen Tom Schimmeck ("Promis in der Suppenküche") und suggerieren, da gehe es nicht sehr transparent zu. Zu viel Nähe zwischen Journalisten - insbesondere Chefredakteuren und Medienmanagern - und PR beklagen die Autoren, wie schon diverse andere Medien, seit der frühere ARD-Vorsitzende Peter Voß die Quadriga-Präsidentschaft übernahm (NDR: "PR-Schule - Journalisten als Aushängeschilder", Spiegel: "Ex-Intendant Voß soll PR-Schmiede leiten").

Unter anderem ziehen Brauck und Grill die Helios-Netzwerke, Helios-Medien, Helios-Veranstaltungen, von Helios mandatsgeführte Berufsverbände und den Helios-Journalistenpreis "Goldener Promotheus" durch den Kakao: "Auch etliche Spiegel-Journalisten wurden dabei ausgezeichnet, aber mancher Preisträger fühlte sich veralbert und für PR missbraucht." Meint Ko-Autor Grill sich selbst? Grill -- er ist einer der führenden investigativen Journalisten (Stories: Ratiopharm-Bestechungsskandal 2005, Bayers Aspirin-Kartell 2007, Lidl-Affären 2008 und 2009) -- erhielt 2009 den Prometheus als "Bester Magazinjournalist". Darum beworben hat er sich dem Vernehmen nach allerdings nicht.

Auch das ist eigentlich nur Garnitur. Dreh- und Angelpunkt der Spiegel-Geschichte ist dagegen die Agentur PRGS und ihre Arbeit für die Energiewirtschaft. Die Verbindung zur Quadriga-Hochschule ergibt sich dadurch, dass Edda Müllers Kollege in der Leitung des Politikfachbereichs PRGS-Chef Thorsten Hofmann ist. E.ON hatte die Agentur angefragt, für das Geschäftsfeld Atomenergie "neue Botschaften und Argumente zu entwickeln". Allerdings sagt eine Sprecherin des Unternehmens, PRGS sei "weit darüber hinausgegangen". Ergebnis war ein 109-seitiges "Kommunikationskonzept Kernkraft - Strategie, Argumente und Maßnahmen" vom 19. November 2008, das knapp ein Jahr später in die Hände von Greenpeace und den Medien gelangte. Greenpeace veröffentlichte das komplette Papier im Blog "Am Reaktor" im September 2009, kurz vor der Bundestagswahl.

Der Spiegel berichtete bereits im September 2009 ausführlich ("Atomlobby plante Wahlkampf minutiös"). Dabei wurde nicht ganz klar, ob PRGS "im Auftrag" arbeitete oder mit dem großen Konzept erst einen Auftrag erlangen wollte. Der PRGS-Schriftsatz sei "eine Art Bewerbungspapier", mit dem die Agentur einen E.on-Auftrag an Land ziehen wollte, berichtete der Spiegel damals mit Berufung auf einen Konzernsprecher. "Zu einer Zusammenarbeit ist es aber nicht gekommen." Es habe keinen Auftrag von E.ON an PRGS zum Verfassen des Strategiepapiers gegeben. Das habe auch PRGS so bestätigt.

Der Spiegel findet im aktuellen Heft, das Strategiepapier lese sich "wie ein Brevier für die Manipulation der öffentlichen Meinung". Das wirkt etwas überzogen, Kommunikationsstrategie ist ja nun nicht per se Manipulation, auch wenn investigative Journalisten stets solche wittern. PRGS empfiehlt E.ON, keine lauten Pro-Atomkraft-Kampagnen zu fahren ("unglaubwürdig"), sondern auf politische Fachgespräche und "leise" PR zu setzen, sich insgesamt der virulenten Themen Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Erneuerbare Energien anzunehmen. Das macht der Konzern sowieso, nicht nur aus Imagegründen, sondern aus wirtschaftlichem Kalkül.

Wer das Papier liest, wird viele altbekannte Analysen und einige Empfehlungen finden, die für sich genommen niemanden erschüttern können. Parlamentarische Abende? Betriebsbesuche? Argumente aufbereiten? Meinungsumfragen? Blogs? Alles schon gehabt. Innovativ sind höchstens die Vorschläge zur Grassroots-Mobilisierung der Kernkraft-Freunde. Auch dass Politiker und Journalisten im Rahmen einer Stakeholder-Analyse nach Freund-Feind-Schema eingeordnet werden, ist gerade für die polarisierende Atomsparte der Energiewirtschaft nicht völlig unplausibel.

Mit der Transparenz allerdings könnte es etwas problematisch sein, schließlich hat die Agentur das Papier auf der Basis von Informationen geschrieben, die sie durch Recherchegespräche in Politik, Wirtschaft und Medien erhalten hat, bei denen weder Auftrag noch Auftraggeber genannt wurden. Selbst Quadriga-Präsident Voß wird nun zitiert, das PRGS-Papier sei ein "Musterbeispiel dafür, wie man es gerade nicht machen darf, wenn man das Transparenzgebot ernst nimmt".

Nun ja. Der Wirbel darum schien sich im letzten dreiviertel Jahr gelegt zu haben. Nun aber meldet der Spiegel, dass der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) - das gemeinsame Gremium der GPRA, DPRG, BdP und degepol für berufspolitische Ethik- und Verhaltensfragen - gegen die Agentur PRGS "ein Verfahren eröffnet" habe und Hintergründe untersuchen wolle. Allerdings hat das Blatt Vorbehalte: Die Untersuchung übernommen habe Günter Bentele, PR-Professor an der Universität Leipzig, der allerdings auch an der Quadriga unterrichtet; sein früherer Lehrstuhlmitarbeiter René Seidenglanz ist Quadriga-Vizepräsident. Und der Pressesprecher-Verband BdP, der den Rat neben den anderen drei PR-Verbänden trägt, lässt seine Geschäfte von der Helios-Gruppe abwickeln. "Es bleibt alles in der Familie", witzelt der Spiegel.

In der Tat dürfte es beim PRGS-Vorgehen Konflikte mit den (freiwilligen) Verhaltenskodizes der Branche geben:
  • Die DRPR-Richtlinien für den Umgang mit Journalisten und zur Kontaktpflege im politischen Raum formulieren recht klar, "Public Affairs-Berater und Lobbyisten haben ihren politischen Gesprächspartnern ihre Auftraggeber sowie ihre und deren Interessen jeweils offen zu legen", und sie "dürfen nicht durch eine vorgeblich neutrale Position ihre tatsächliche Funktion verschleiern".
  • Der degepol-Verhaltenskodex sagt, degepol-Mitglieder "achten auf Transparenz und vermeiden Irreführung durch Verwendung falscher Angaben. Bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit geben sie den Namen ihres Auftraggebers bekannt, wenn sie für ihn tätig werden."
Auf der Website der Agentur PRGS heißt es unter dem Titel "Selbstverpflichtung":
Die zunehmende Internationalisierung und der stetige gesellschaftliche Wandel stellen die Unternehmensberatung vor neue Herausforderungen. Für eine verlässliche Beratung sind deshalb Professionalisierung und Transparenz geboten.

PRGS verpflichtet sich daher auf die Einhaltung des Verhaltenskodex der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung und des Code de Lisbonne des Deutschen Rats für Public Relations.
Insofern liegt es nahe, dass der DRPR sich der Sache annimmt, in Sorgfalt und Umsicht hoffentlich und nicht gedrängt von Spiegel, Greenpeace & Co.

Formal gesehen ist das übrigens eine Grauzone. Wenn PRGS tatsächlich nicht im direkten Auftrag von E.ON gehandelt hat, als sie das Konzept schrieb, sondern auf eigene Rechnung und Verantwortung, kann man der Agentur auch nicht vorwerfen, dass sie den Auftraggeber verschleiert hat. War es tatsächlich nur eine Ideenskizze für die Auftragsakquise? Merkwürdig ist nur, dass auf Seite 9 doch von einem "Auftrag" die Rede ist. Und dass PRGS zum Zeitpunkt der Erarbeitung des Konzepts für E.ON mit PR-Arbeiten tätig war, steht außerdem außer Frage. Das macht die DRPR-Untersuchung vermutlich nicht einfach.

Das Blog von LobbyControl seziert im September 2009 einige Passagen des Papiers und diskutiert die "Debatte um den Status des Papiers":
Auf der einen Seite gibt es das durchaus, dass Lobby- und PR-Agenturen auf eigene Faust möglichen Kunden Vorschläge machen, um an Aufträge zu kommen. Auf der anderen Seite werden Strategiepapiere gerne als Vorstufen oder Fingerübungen bezeichnet, wenn sie unerwünscht öffentlich werden. Es gibt in diesem Fall einige Aspekte, die Version einer reinen Ideenskizze zumindest in Frage stellen (...) Auch der Umfang des Papiers und die in dem Methodik-Kapitel beschriebene aufwendige Vorbereitung sprechen nicht für ein Akquisepapier ohne konkreten Anlass. Fest steht auf jeden Fall, dass das Papier für E.ON erstellt wurde und dass PRGS 2008 auch für E.ON tätig war und damit nahe dran am Strategieprozess des Energiekonzerns.

Die Auftraggeber von Lobbyagenturen müssen transparent sein – für die Öffentlichkeit, aber auch für Politik und Medien. Lobbyisten behaupten gerne, dass sie immer ihre Auftraggeber nennen, wenn sie sich an die Politik wenden. Das Papier zeigt, das dem nicht so ist und bestätigt damit auch LobbyControl-Informationen aus der Berliner Lobby-Szene.

Dass Agenturen versuchen, Politiker, Medien- und Wirtschaftsvertreter in vertraulichen Gesprächen abzuschöpfen, ohne den Auftraggeber zu nennen, ist inakzeptabel.

Die DRPR-Untersuchung ist allerdings Angelegenheit der Agentur PRGS, nicht der Quadriga. Da sollte man klar trennen. PRGS-Chef Hofmann ist kein angestellter Professor und untersteht mit seinem Brotberuf nicht der Hochschulleitung. Wenn jede Hochschule in Deutschland dafür einstehen müsste, was ihre Lehrbeauftragten hauptberuflich tun, wäre das kaum praktikabel.

Wahr ist aber nun, dass Kollege Hofmann - der sich seit langem für die Aus- und Weiterbildung engagiert, u.a. früher am Politik- und Krisenmanagement-Institut der Steinbeis-Hochschule und am Deutschen Institut für Public Affairs (DIPA) - als Ko-Leiter der Quadriga-Studiengänge eine besondere Verantwortung trägt.

Es bleibt abzuwarten, wie Agentur und Hochschule weiter mit dem Thema öffentlich umgehen wollen. Da die Quadriga erst im Mai ihren Pionier-Jahrgang gestartet hat, wäre ihr und ihren Studenten zu wünschen, dass der DRPR mit Augenmaß vorgeht. Wenigstens eins ist schon mal sicher: Im laufenden Studium ist das eine delikate Fallstudie für das Fach Reputations- und Issues Management.

Alle diese Themen sind zweifelsohne eine Diskussion wert. Am Kopf kratzen muss man sich allerdings schon, warum der Spiegel diese Geschichte mit ihren aufgewärmten, eher News-armen Elementen so und zu diesem Zeitpunkt präsentiert -- und ob es ein Zufall ist, dass im selben Heft nicht nur drei Seiten zu Quadriga/Helios/PRGS/PR-Rat, sondern auch drei Seiten zum Fall des PR-Beraters Norbert Essing (S.74-76) zu finden sind.

Sieht so aus, als müssten sich Deutschlands Kommunikationsmanager trotz Sommerhitze warm anziehen. Da kommt bestimmt noch was hinterher.

Freitag, 2. Juli 2010

Schlaflos am Flughafen? Verständnis-Kampagne "Die Fracht braucht die Nacht"

Wenn Bürger etwas an Flughäfen wirklich nervt, dann sind es Nachtflüge. An allen größeren Verkehrsflughäfen sind Bürgerinitiativen gegen Fluglärm aktiv, die Medien thematisieren das ständig, zahlreiche Gerichte beschäftigen sich damit, für die Politik ist das ein Dauerbrenner: Wirtschaftsinteressen und Jobs gegen empörte Anwohner.

Nun ist die Logistikbranche - immerhin der drittgrößte Arbeitgeber auf der Verkehrsdrehscheibe Deutschland - aber der Meinung, dass man mehr und nicht weniger Nachtflüge braucht -- sonst kann sie im harten internationalen Wettbewerb mit weit großzügigeren Nachtflugregelungen nicht mithalten. Dabei geht es nicht nur um Amsterdam, Paris, London oder Madrid, sondern zunehmend auch um die Rivalen in der Golfregion, die zur Konkurrenz im Transkontinentalverkehr mit Asien und Amerika geworden sind -- und auf ihre Bürger eher weniger Rücksicht nehmen muss. Die Bedeutung des Exports für die deutsche Volkswirtschaft wird betont. Nachtflugverbote seien ein Jobkiller. Selbst die Gewerkschaft Ver.di geht da mit: Allein in Frankfurt seien bei der Lufthansa Cargo AG über 2.700 Arbeitsplätze in Gefahr und im direkten Umfeld noch einmal über 5.000 Stellen. Die Lufthansa Cargo hält ein absolutes Verbot von Nachtflügen in Frankfurt für existenzgefährdend. Firmenchef Spohr mag sich nicht vorstellen, dass die zweitgrößte Exportnation der Welt ihre größte Luftverkehrs-Drehscheibe nachts von den internationalen Frachtströmen abtrenne. Martin Gaebges, Generalsekretär des Fluglinien-Verbands BARIG, meint: Wenn am Drehkreuz Frankfurt rechtlich keine Nachtflüge mehr möglich seien, dann werde es in ganz Deutschland an den Flughäfen kaum noch Gründe gegen Nachtflugverbote geben.

Jüngst rief die Flug- und Logistikbranche eine Initiative ins Leben, die um Verständnis werben soll: "Die Fracht braucht die Nacht" heißt die Kampagne. Mit dabei: Lufthansa Cargo, der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV), der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), der Speditions- und Logistikverband Hessen/Rheinland-Pfalz, das Board of Airline Representatives in Germany (BARIG) und der Air Cargo Club. Offizielles Gesicht und Geschäftsführer der Initiative ist der Ruheständler Ewald Heim, der bis 2009 in der Luftfracht tätig war, als ehrenamtlichem Geschäftsführer vertreten, lange tätig bei Lufthansa Cargo und Speditionen, bis 2009 auch Vorstandsmitglied im Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) und Chef des Hessisch-Rheinland-Pfälzischen Speditionsverbands.

Beim Kick-off der Kampagne im Sheraton am Flughafen verteilten lärmgeschädigte Aktivisten - u.a. von der Bundesvereinigung gegen Fluglärm - gleich Flugblätter mit dem Motto: "Lieber 1000 Vuvuzelas als ein Nachtfracht-Jumbo"! Seit einem Monat läuft eine Unterschriftenkampagne gegen die Änderung des § 29.b des Luftverkehrsgesetzes, das vor allem für den Ausbau Frankfurts wichtig ist. Die Gewährleistung "wettbewerbsfähiger Betriebszeiten" soll als Schutzziel ins Gesetz, als Gegengewicht zum Ruhebedürfnis.

Vor allem geht es darum, dass die Gerichte nicht allein die Fluglärmpolitik machen sollen -- sondern dass man weiteren Genehmigungsverfahren und Klagen branchenfreundlichere und gesetzliche Kriterien vorgibt. Die Logistiker-Initiative sagt dazu: "Aktuell gibt es bei der Entscheidung über die Zulässigkeit von Nachtflügen an deutschen Flughäfen keine hinreichende gesetzliche Grundlage. Die Abwägung der Anforderungen der Logistikbranche mit den Bedürfnissen der Anwohner erfolgt auf den Einzelfall bezogen, was regelmäßig zu Insellösungen und nicht nachzuvollziehenden Verboten führt." Also müsse "ein verlässlicher gesetzlicher Rahmen" her.

Die Richtersprüche der letzten Jahre hätten zu "zunehmend einseitiger Interessensabwägung geführt", sagt die Initiative. "So müssen seit einigen Jahren deutsche Flughäfen, die ihre Kapazitäten dem Bedarf anpassen und erweitern wollen, damit rechnen, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der planfestgestellten Erweiterungsmaßnahmen keine gleichberechtigte Abwägung zwischen dem privaten Schutzinteresse vor nächtlichem Fluglärm und den öffentlichen Belangen mehr stattfindet. Dem Schutz der Nachtruhe ist Vorrang eingeräumt worden, ohne dass dabei eine ausreichende Abwägung der widerstreitenden Interessen stattfand."

Das erbost die Hessen, denn das Landesverkehrsministerium hat im Planfeststellungsbeschluss für die neue Frankfurter Nordwest-Bahn, die 2011 in Betrieb genommen werden soll, bereits 15 Flüge pro Nacht genehmigt (Lufthansa Cargo wollte 23), obwohl Politiker vor nicht allzu langer Zeit ein absolutes Verbot versprochen hatten. Das Verwaltungsgericht Kassel monierte das, die Branche erwartet nun sehnlichst einen positiven Urteilsspruch des Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Im Landesparlament läuft das Thema auch heiß. Der hessische Landtag wird im September eine Anhörung zur Fluglärm-Belastung des Rhein-Main-Gebiete abhalten. Neben Wissenschaftlern werden Flughafen-Experten, Umweltbundesamts und die Lärmkommission angehört.

Das Bundesverkehrsministerium hat offenbar schon sein Herz an die Kampagne verloren. Die Änderung des Gesetzes ist bereits im Koalitionsvertrag enthalten. In einem Video auf der Kampagnen-Website beglückwünscht der Parlamentarische Staatssekretär Jan Mücke die "absolut lobenswerte und sehr sinnvolle" Initiative. Die Öffentlichkeit müsse größeres Verständnis für die Bedürfnisse der Industrie haben, so Mücke. Auf der Fachtagung zum Kick-off sagte er weiter: “Um die Spitzenposition der deutschen Logistikbranche zu erhalten und auszubauen, muss die Politik die Wettbewerbsbedingungen des Gewerbes optimieren. Neben der Kapazitätsentwicklung der Flughäfen ist das Ziel der Bundesregierung, international wettbewerbsfähige Betriebszeiten sicher zu stellen.” Ein klares Statement, das die Branche gerne hört. Und auch Mückes Appell an die Landesregierungen, in der Genehmigungspraxis liberaler im Sinne der Branche zu sein, nimmt die Lobby gerne mit.

Politik und Öffentlichkeit sollen verstärkt für die Bedeutung der Luftfracht für die exportabhängige deutsche Wirtschaft "sensibilisiert" werden, heißt es in der Selbstdarstellung. Noch unklar ist, welche Dialogangebote und Aktionen nun folgen werden. Einen Newsletter und eine spärliche Website mit Tagungsbericht gibt es schon, aber sonst?

Die Begleitung der Gesetzgebungs- und Gerichtsverfahren mit der Initiative "Die Fracht braucht die Nacht" ist eine bemerkenswerte Idee. Das Mitglied Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) hat reichlich Erfahrung mit Kampagnen auf der Straße. Für die Luftfahrt ist diese Bündnis- und Kampagnenpolitik einer formellen Strategischen Allianz aber neu. Man darf daher skeptisch sein, ob die Frachtflieger und Logistiker eine kreative Öffentlichkeitsarbeit betreiben, das alte Thema mit neuem Zuschnitt in den Medien platzieren und tatsächlich Bürger interessieren können.