Sonntag, 23. Januar 2011

Uni-Lobby in den USA: Private Forschungsunis sind ein politisches Schwergewicht

US-Universitäten haben ihre Lobbyarbeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten hochgradig professionalisiert und ausgebaut. Das gilt auch und gerade für die privaten Spitzenunis, für Harvard & Co., die ihre Interessen sehr systematisch in vielen Politikfeldern vertreten. Wie diese Praxis aussieht und die Lobbyarbeit organisiert wird, habe ich in einem Vortrag in der Konferenzreihe "Science-Ethics-Politics" der ZIBI Graduate School (Max-Planck-Gesellschaft/Charité Berlin) dargestellt. Das ergänzte die Konferenzbeiträge zur deutschen und europäischen Forschungspolitik von Enno Aufderheide (Generalsekretär der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Bonn) und Jens-Peter Gaul (KoWi, Brüssel).  

Bis in die 1980er Jahre hinein war Lobbyarbeit für die meisten US-Unis eine schwach besetzte Aufgabe; die Washington Post nannte das einmal eine "two-horse operation". Die politischen Rahmenbedingungen und die Finanzierung wurden jedoch immer schwieriger. Seit den 1990ern ist eine wachsende Professionalisierung zu beobachten, die sich im vergangenen Jahrzehnt stark weiterentwickelt hat. Dabei verlassen sich die Unis längst nicht mehr auf ihre etablierten Verbände, sondern investieren in eigene politische Ressourcen:
  • eigene Politikstäbe im Zuständigkeitsbereich der Präsidialverwaltung, oft aufgeteilt in "Federal Relations", "State Relations" und lokale "Community Relations" unter dem Generaletikett "Public Affairs" oder "Government Relations;
  • eigene Verbindungsbüros in den Staatshauptstädten und in Washington;
  • aktive Bündnispolitik und Beteiligung an strategischen Allianzen (z.B. der Science Coalition) und thematische Ad-hoc-Koalitionen mit und parallel zur Lobbyarbeit der großen Wissenschaftsverbände;
  • große Ausgaben für Vertragslobbyisten, d.h. Beauftragung von Beratungsfirmen;
  • und die Ausweitung der politischen Kommunikation durch PR und Mobilisierung ("grassroots advocacy") von Alumni, Studenten, Mitarbeitern und z.B. auch Patienten der Unikliniken.
Die großen Privatunis sind dabei besonders aktiv.  Das ist kein Wunder, denn de facto sind die Privathochschulen von Staat und Politik ebenso abhängig wie die öffentlichen. "Private universities are just public universities in disguise", schreibt William McMillen, Cheflobbyist der University of Toledo, in seinem neuen Buch From Campus to Capitol: The Role of Government Relations in Higher Education. Die Privaten beziehen gewaltige Subventionen vom Staat, direkt oder indirekt (die hohen Studiengebühren werden oft erst durch Bundeszuschüsse und -darlehen bezahlbar, und die Stiftungen haben große Steuervorteile); sie sind hochgradig reguliert und beziehen ihre Legitimation, ihre "license to operate", durch die Erfüllung eines öffentlichen Auftrags. Überdies haben die Spitzenunis inzwischen erhebliche kommerzielle Interessen, vor allem bei der Vermarktung von Patenten und beim Technologietransfer.

Fragmentierung der Lobby-Landschaft

Die Verbändepolitik hat nach wie vor einen wichtigen Einfluss - mit zunehmenden Verwerfungen allerdings. Die elitären Privatunis stellen rund die Hälfte der Mitglieder des einflussreichen Verbandes AAU, einem der "Big Six" der Hochschullobby. Die AAU hat zwar nur rund 60 Mitgliedsuniversitären , aber diese forschungsstarken Unis produzieren rund die Hälfte der Doktorgrade in den USA und erhalten auch die Hälfte aller Forschungsmittel.

Neben der AAU gehören zu den "Big Six" NAICU (private Hochschulen), AASCU und APLU (öffentliche Staatshochschulen) AACC (öffentliche Community Colleges) und die Dachorganisation American Council on Education (ACE). ACE betreibt zudem das Washington Higher Education Secretariat, das rund 50 Verbände koordiniert. Insgesamt sind in der US-Hauptstadt rund 200 Verbände aktiv, die sich um Hochschul- und Forschungspolitik kümmern.

Die "Big Six" haben die Wissenschaftspolitik seit den 1960ern mit einer geradezu europäisch anmutenden, korporatisch und auf Konsens orientierten Verbändemechanik dominiert. Dass es gelang, die Einrichtungen des hochgradig fragmentierten US-Hochschulsystems zu einer "geeinten Front" gegenüber der Politik zu verpflichten, ist schon ein kleines Wunder. Es gelang wohl vor allem deshalb, weil in den ersten Jahrzehnten sehr viel Geld zur Verfügung stand, das nur verteilt zu werden brauchte – und die Politik grundsätzlich das Hochschulsystem nicht in Frage stellte.

Seit den 1990ern wird der Konsens immer schwieriger herzustellen, die politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Interessengegensätze werden deutlicher. De facto begehen immer mehr Unis bei ihren Lobbyprojekten Verbandsflucht und suchen alternative Wege über individuelle Politikstrategien. Die großen privaten Forschungsuniversitäten haben daran einen großen Anteil: Sie haben die Mittel und die Wege, um auch ohne die Verbände ihre Ziele durchzusetzen.  

Die Fragmentierung nimmt zu. Das kann nicht überraschen:

Der tertiäre Bildungssektor ist, gemessen an deutschen Verhältnissen, unvorstellbar groß. Die rund 4.400 Einrichtungen, die akademische Abschlüsse vergeben, immatrikulieren knapp 20 Mio. Studenten und haben 3,6 Mio. Beschäftigte; die Budgets liegen bei über 430 Mio. Dollar jährlich (US Census, 2011 und US Department of Education, NCES, 2009). Rund 1.600 private Non-Profit-Hochschulen sowie etwa 1.000 private kommerzielle Einrichtungen stehen etwas mehr als 1.600 öffentlichen Institutionen gegenüber. Die privaten Institute haben etwa 5 Mio. Studenten, also deutlich weniger als die öffentlichen, unter denen es - wie in Deutschland - zahlreiche "Massenuniversitäten" gibt. 

Bei der Spitzenforschung sind die privaten Spitzenunis deutlich dominanter als in der Lehre. In einer Studie über "Top American Research Universities" hat das Center for Measuring University Performance an der ASU untersucht, welche Unis nach typischen Leistungsindikatoren der Forschung spitze in den USA sind. Von den 88 Unis, die in den Top 25 der USA bei mindestens einem der Indikatoren stehen, sind immerhin 35 Privathochschulen (non-profit). Nicht überraschend stehen ganz oben - auch vor den öffentlichen Unis - vertraute Namen wie Columbia, MIT, Stanford, Harvard, Penn, Duke, Yale (MUP 2009 Annual Report).
  • Zu den Indikatoren gehören die Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung, der Anteil an den hochgradig kompetitiven Bundes-Forschungsmitteln, die Zahl der Professoren, die Mitglieder der nationalen Wissenschaftsakademien sind, die Zahl der prestigeträchtigen Forschungspreise, die Leistungsstufen der Studenten, die Zahl der vergebenen Doktorgrade, die Zahl Postdoktoranden-Stellen, der Umfang der Uni-Stiftungsvermögen und der eingehenden Spenden.
Geld, Geld, Geld

Fast immer geht es bei der Privatuni-Lobby ums Geld, vor allem in vier Bereichen: 
  • Fördermittel für die Forschung, vor allem des Bundes,
  • Bundes-Zuschüsse und Darlehen für Studierende (student aid), 
  • die Gesundheitspolitik (wegen der wichtigen Medizinforschung, wegen der Einnahmen für die Uniklinika, und weil die Unis als große Arbeitgeber die Krankenversicherung bezahlen müssen)
  • und die Steuerpolitik, weil die Vermögensverwaltung und kommerziellen Aktivitäten der Privatunis hochgradig steuerrelevant sind.
Die Privatunis sahen in der Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Stiftungsvermögen dahinschmelzen und die Einnahmen aus Studiengebühren wegbrechen. Obamas Krisenpaket für die US-Wirtschaft war darum ein wichtiges Lobbyziel für die Unis. Von rund 790 Mrd. Dollar bekamen Forschung und Entwicklung an Hochschulen rund 21 Mrd. ab, als der "American Recovery and Reinvestment Act" (ARRA, auch als "Stimulus" für die Konjunktur bekannt) 2009 verabschiedet wurde, wie man auf der Internetseite ScienceWorksforUS sehen kann. Der Anteil der Bildungsinvestitionen am ARRA insgesamt ist mit über 140 Mrd. Dollar sogar noch viel größer, geht aber zu einem großen Teil in die Schulen.

Die Bandbreite der politischen Interessen in Forschung und Technologie ist groß. Darunter sind
  • wirtschaftliche Interessen im Bereich des geistigen Eigentums (Patente/Lizenzen, Urheberrecht usw.), Technologietransfer-Initiativen, regionale Wirtschaftsentwicklungsförderung (Cluster à la Silicon Valley, North Carolina Research Triangle, Boston-Cluster) und Public-Private Partnerships;
  • gesetzliche Einschränkungen und Regulierung der Wissenschaft, etwa bei der Stammzellforschung und Tierversuchen; bei der Netzneutralität des Internets, Datenschutz und Berichtspflichten, Fragen der IT-Sicherheit und Sicherheitspolitik (hier zeigt sich auch die hohe Bedeutung der Zusammenarbeit von Unis, Militär und Sicherheitsbehörden;
  • und eine Vielzahl von Themen wie bei der Einwanderungspolitik (Visa für ausländische Wissenschaftler und Studenten), Medizinerausbildung, Antidiskriminierungspolitik u.a.
In welchen Politikbereichen die Privatunis lobbyierten, lässt sich dank des Lobbyistenregisters bei Datenbanken wie opensecrets.org leicht nachvollziehen, und zwar im Detail von Gesetzentwurf zu Gesetzentwurf. Beispielsweise das Washingtoner Büro der Harvard University: Bildungspolitik war für dieses in den Pflichtberichten 2010 nicht das am häufigsten genannte Politikfeld, sondern vorrangig Forschung und Technologie, Steuerpolitik, Einwanderung, Krankenversicherung, Kunst und Kultur sowie geistiges Eigentum; außerdem Energiepolitik und natürlich der Bundeshaushalt. Dafür wurden die Harvard-Politikprofis vorrangig beim Kongress, aber auch bei zahlreichen Ministerien, beim Weißen Haus und sogar bei der Börsenaufsicht vorstellig.

Die Budgets fürs direkte Lobbying sind ebenfalls weitgehend öffentlich. Harvard etwa gab 2009 über $600.000 für sein Bundes-Lobbying aus, im ersten Dreivierteljahr 2010 meldete die Uni bereits $460.000. Damit lag Harvard keineswegs an der Spitze aller Unis, wie die Übersicht zeigt.

Einzirkelung der Politik: Unibüros in Washington

Harvard unterhält ja auch "nur" ein 5-köpfiges Team in Washington. Große öffentliche Unis - wie die Hochschulverbünde von Kalifornien, New York und Texas - beschäftigen durchaus ein Dutzend Köpfe in der US-Hauptstadt. Unter den Privatunis liegt Harvard aber ganz vorn.

Inzwischen haben Dutzende von Unis ein eigenes Verbindungsbüro in Washington. Hunderte lassen sich zudem ständig oder projektweise von Politikberatern auf Honorarbasis unterstützen. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Bundesbüros der Privatunis in D.C. oft nur einen Steinwurf von den Entscheidungszentren entfernt liegen (Abb. links, eigene Darstellung, Kartenbasis GoogleMap). Einige Privatunis leisten sich ganze Gebäude, in denen dann allerdings nicht nur der politische Stab sitzt, sondern auch Büros für Gastwissenschaftler (die gern und gezielt als Experten für Anhörungen in Kongress und Behörden vermittelt werden), Veranstaltungsräume für Seminare und Alumni (von denen es in Washington sehr viele gibt - oft in einflussreichen Positionen) und sogar Wohnheimzimmer untergebracht werden.

"Bringing home the bacon"

Um die Lobbyarbeit der Hochschulen wird seit längerer Zeit auch kontrovers gestritten. Auch innerhalb der Hochschulszene. Neben den sehr unterschiedlichen Zugangschancen zu politischen Entscheidern, Interessenkonflikten und der Verquickung von Wirtschaft und Wissenschaft sowie Sicherheitsbehörden und Wissenschafts geht es oft um die "Earmarks". Das sind Haushaltsvorlagen, die jenseits des ordentlichen Haushaltsverfahren von Kongressabgeordneten in diverse Gesetze geschmuggelt werden. Meist zugunsten ihres eigenen Wahlkreises oder Heimatstaates. Das ist kein Kleinkram: Jährlich werden rund 2 Mrd. Dollar für über 2000 Einzelprojekte eingefügt, und in den letzten Jahren sind Präsident und Fraktionsführungen immer wieder daran gescheitert, diese "Earmarks" zu begrenzen oder gar zu verhindern. Kein Wunder: Öffentliche und private Unis geben viel Geld fürs Lobbying aus, um ihre Parlamentarier zu bearbeiten – neben Infrastrukturprojekten (beispielsweise Alaskas berühmte "Brücke nach Nirgendwo") sind Hochschulprojekte Lieblinge der Wahlkreiskümmerer. "Bringing home the bacon" nennt man das, oder "pork" - die Schweinespeck-Metapher beschreibt eine gängige Praxis. Damit werden beispielsweise Wissenschaftszentren, Forschungs- und Weiterbildungsprojekte finanziert.

Die privaten Forschungsuniversitäten haben dabei erhebliche Bauchschmerzen. Denn diese Art der Wissenschaftsförderung entzieht zunehmend den regulären Fördertöpfen Geld. Während die großen Bundesetats für Forschungsmittel ihre Gelder ausschließlich im formalen Wettbewerb nebst wissenschaftlicher Begutachtung vergeben (und die Spitzenunis bekommen davon sehr, sehr viel), wird über die "Earmarks" praktisch nur politisch entschieden. Letzteres gefällt natürlich allen (öffentlichen wie privaten) Unis, die in der Hackordnung der wissenschaftlichen Exzellenz weiter unten stehen und weniger Chancen bei den formalen, kompetitiven Forschungsausschreibungen haben. "Earmarks" sind für kleinere und weniger forschungsstarke Unis die einzige Chance, von der US-Regierung größere Summen für Projekte und Wissenschaftlerstellen zu erhalten.

Dagegen wehren sich die Spitzen-Forschungsunis seit Jahren. Es gehört zur offiziellen Politik, die "Earmarks" als nicht-wissenschaftlich legitimierte Subventionen grundsätzlich abzulehnen und sich auch nicht um solche lobbyistisch zu bemühen (siehe dazu die Statemenst der Duke University und Yale University). Allerdings kommt es vor, dass die Hochschulleitung entdeckt, dass sich entgegen der offiziellen Linie einzelne Institute und Professoren oder ausgelagerte Uni-Unternehmen um eben solche "Earmarks" bemühen - was die Glaubwürdigkeit oftmals erschüttert hat.

Die Uni-Lobbyisten im Web

Fast alle Privatuniversitäten veröffentlichen eigene Internetseiten über Personal, Struktur und politische Schwerpunkte ihrer Politikstäbe und Verbindungsbüros. Eine Auswahlliste:

Literatur zum Hintergrund:
Althaus, M. (2007, März). Die Campus-Lobbyisten – Wie Amerikas Hochschulen professionell ihre Interessen vertreten. Public Affairs Manager 2(3), 213-229. 
Cook, C. E. (1998). Lobbying for Higher Education. How Colleges and Universities Influence Federal Policy. Nashville: Vanderbilt University Press.
McMillen, W. (2010).  From Campus to Capitol: The Role of Government Relations in Higher Education. Baltimore: The Johns Hopkins University Press.



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