Mittwoch, 19. Januar 2011

Politikagentur J+K inspiriert wohl TV-Atomschocker "Restrisiko"

Ähnlichkeiten sind rein zufällig: Drehbuchautoren sammelten Stoff für die fiktive Beratungsfirma eines Atomenergiekonzerns – ein paar Dinge erinnern an das reale Unternehmen Johanssen + Kretschmer 


Sat1 hat gestern den TV-Film "Restrisiko" ausgestrahlt. Zwei Millionen Euro hat der Streifen gekostet, rund zwei Millionen Zuschauer sahen ihn. Ein außerordentlich aufwändiger Film (u.a. gedreht im österreichischen AKW Zwentendorf, das nie ans Netz ging) und für einen Privatsender ein hochpolitisches Signal.

Über die Story über den GAU in einem fiktiven Atomkraftwerk "Oldenbüttel" bei Hamburg  ließe sich vieles sagen. Bei den Politik-Details mussten sich stellenweise die Haare sträuben – seit wann sind parlamentarische Untersuchungsausschüsse in der Lage, über Laufzeiten und Betriebsgenehmigungen von Atomkraftwerken zu entscheiden?

Amüsant für Kenner dagegen die Figur des Kommunikationsberaters und Lobbyisten Steffen Strathmann, der von Matthias Koeberlin gespielt wird. Der Schauspieler selbst sagt auf der Sat1-Website zum Film:
"Ich hoffe, wir halten mit diesem Film die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Atomkraft am Leben, auch wenn das für einen Film ein übergroßer Anspruch ist. Vielleicht wird ein Interesse geweckt und ein Szenario aufgezeigt, das es unseren Regierenden schwerer und schwerer macht, mit fragwürdigen Entscheidungen durchzukommen."
Der Typ Strathmann: ein zynischer Profi, der anfangs reichlich gelackt und unsympathisch daherkommt, aber mit der Zeit zum Sympathieträger wird und am Ende gegen den eigenen Kunden - den AKW-Betreiber - arbeitet; allerdings auch selbst verstrahlt wird und sterben muss. Ein unwahrscheinlicher Held und Märtyrer.

Ähnlichkeiten sind ja bei Filmproduktionen immer "rein zufällig", aber mit etwas Phantasie darf man vermuten, dass für die Figur Strathmann Heiko Kretschmer von  Johanssen + Kretschmer Strategische Kommunikation, einer der führenden Public-Affairs-Agenturen in Berlin, Pate stand... (die Brille weg, den Bart etwas fülliger, die Frisur etwas anders – wenn man die Augen zusammenkneift, kann man sich das einreden) und das Unternehmen selbst ebenso.

Die Figur Stratmann wird im Film eingeführt bei einer Bauerndemonstration vor einem Regierungsgebäude. Bauern kippen Milch auf die Straße, Kühe muhen, in Begleitung Stratmanns tritt eine Sprecherin des Landwirtschaftsministers vor die wütenden Landwirte mit einer offenbar guten Botschaft für die Bauern. Ein fröhlicher Verbandschef mit bayerischer Färbung bedankt sich mit einem Glas Milch in der Hand bei Strathmann: "Jo, der Herr Strathmann. Vielen herzlichen Dank für die Lobby. Ich mein natürlich die Überzeugungsarbeit, die Sie geleistet haben Darauf trinken wir." Strathmann: "Ich bin auch wirklich stolz darauf, dass ich die Regierungskommission vom Wert einer Extraportion Milch überzeugen konnte."

Das war offenbar eine bewusst gewählte Reminiszenz an die von ähnlichen Bildern geprägte "Faire Milch"-Kampagne des Bundesverbands der Deutschen Milchviehhalter (BDM) 2009, die die Agentur Johanssen + Kretschmer begleitete. Ein cleverer Schachzug und Paradebeispiel für innovative PA-Beratung war damals die Bildung einer Aufsehen erregenden Koalition zwischen der Milchlobby und NGOs wie dem BUND, dem Deutschen Tierschutzbund, Germanwatch und Oxfam.
Der Name der fiktiven Kommunikationsberatung "Morgenthal + Bremer" wirkt sprachlich nicht weit entfernt von "Johanssen + Kretschmer". Die Szenen im modern gestalteten Eingangsbereich eines Hochhauses und im Agenturbüro wirken ebenfalls vertraut und erinnern an die J+K-Büros im Beisheim-Center am Potsdamer Platz... und selbst das blau-grüne Logo "M+B" vermittelt Assoziationen zum Vorbild "J+K".

Morgenthal + Bremer arbeitet für einen Energiekonzern und, so wird angedeutet, für den "Verband für Kernenergie" in Berlin. In der Wirklichkeit hat Johanssen + Kretschmer wichtige Agenturkunden aus dem (auch nuklearen) Energiesektor.

"Wie berät man kommunikativ eine Branche, die von Politikern, Verbraucherschützern und ihren Kunden massiv angegriffen wird?" ist die Ausgangsfrage einer J+K-Selbstbeschreibung in der Kampagnendatenbank PR Report, wo dargelegt wird, wie J+K für den Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW, seit 2007 BDEW) ein Issues-Management-System mit täglichen Berichten zur Medienagenda, Medienresonanzanalysen und Datenbankfunktionen entwickelte.

Das computergestützte Monitoring setzt der Film "Restrisiko" in Szene: Beim "Verband für Kernenergie" durchsuchen in der Nacht zahlreiche Computer automatisch die Pressedatenbanken nach Medienberichten über Störfälle.

Undercover darf die AKW-Ingenieurin dank Berater Strathmann später die Datenbanken in seiner Firma "Morgenthal + Bremer" nutzen, um an behördeninterne Unterlagen zu kommen. "Damit bekommst du alles, vom Latte Macchiato bis zum Protokoll der letzten Kabinettssitzung im Kanzleramt", sagt Strathmann, als er der gegen den eigenen Arbeitgeber ermittelnden Ingenieurin die Karte mit dem Zugangscode für die Datenbank übergibt.


Im Film sind die PR-Leute recht fleißig, als die ersten Krisen kommen. Strathmann konzipiert nach dem ersten Störfall (ein Trafobrand wie beim AKW Krümmel) eine Imagekampagne mit Plakat-Testimonials der Mitarbeiter des AKW, die auf einer von Strathmann moderierten Pressekonferenz im Hamburger Hotel Atlantic präsentiert wird.  (Abbildung links: Filmausschnitt).


Auch in der realen Kampagne bekannten sich in Anzeigen drei AKW-Mitarbeiter aus Biblis, Isar und Philippsburg zu den Sicherheitsstandards und menschelten in ihren Testimonials (Abbildung rechts, Quelle). 

Die zur Print-Reihe gehörende Kampagnen-Microsite sicher.kernenergie.de (gehört zum weiter bestehenden Webauftritt http://www.kernenergie.de) ist im Internetarchiv WayBackMachine zu finden. "Es ist ein Versuch, sich zu dieser Energieform zu bekennen und deutlich zu machen, dass es eine sichere Form der Energiegewinnung ist - ohne zu provozieren", sagte Kretschmer damals dem Branchenblatt Horizont. Ein Artikel vom PR Report dazu steht auf der Homepage von J+K – für die Drehbuch-Rechercheure offenbar ein hilfreiches Fundstück.

Nun, so viel Zufall war nie. Man wird schon nachdenklich. Der Wandel des Film-Beraters Strathmann zum Anti-Atom-Streiter ist so ein Grund zum Nachdenken. Auch er habe "seine Prinzipien", sagt er in einer Schlüsselszene. Statt die Machenschaften des Energiekonzerns zu vertuschen, hilft er der AKW-Mitarbeiterin beim Aufdecken des Skandals. Bei "Morgenthal + Bremer" fliegt er genauso auf wie die Ingenieurin, die er in die eigene Firma geschmuggelt hat. Er leitet die internen Dokumente, während schon Soldaten Gewehre auf ihn richten, online an die Presse weiter. Und weil er selbst ins verstrahlte Gebiet fährt, um die Protagonistin zu retten, wird er zum Strahlenopfer, spuckt blut – und am Filmende klemmen Frau und Kinder sein Foto an einen Baum, an dem schon viele Todesanzeigen hängen. Das Sprachrohr der Atomwirtschaft, ein Opfer unter vielen.

Trotz der kruden Story: Reichlich Stoff für eine Diskussion über die professionelle Ethik eines Kommunikations- und Politikberaters. Das müsste dem Ethikbeauftragten der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (degepol) eigentlich gefallen. Sein Name ist übrigens Kretschmer.

P.S.

Übrigens: Heiko Kretschmer stellt ausdrücklich fest, dass weder die Autoren des Films, noch SAT 1 oder dritte Personen jemals Kontakt zur Agentur Johanssen + Kretschmer Strategische Kommunikation hatten. 

Filmzitate 

Szene Betriebsversammlung in der Kantine des Atomkraftwerks, Strathmann stellt sich den Mitarbeitern vor:
"Ich habe enormen Respekt vor der Kernkraft. Sie ist effektiv. Sie ist lukrativ. Sie ist die einzige klimaneutrale Form der Energiegewinnung. Und jetzt kommt das Aber.
Eine Wasserstoffexplosion, die einen Riss im Reaktordeckel verursacht hat. Ein defektes Sicherheitsventil. Die fehlerhafte Simulation des Reaktorsicherheitssystems. Und so weiter und so fort. Ein Trafobrand ist da nichtig, das mag sein. Er ist aber nur ein Teil einer ganzen Serie von Pannen, die sich hier in den letzten Jahren ereignet haben.
Es tut mir Leid, das sagen zu müssen, aber durch Sie bekommt die Kernkraft ein mieses Image. Und wenn Sie Ihren Gegnern weiterhin so große Angriffsflächen bieten, dann kann es sein, dass Sie trotz verlängerter Laufzeit dauerhaft abgeschaltet werden.
Gut, Sie werden sagen, dass dann der Strompreis explodiert. Aber das wird er nicht tun, wie wir alle wissen. Es ist auch völlig egal, ob Sie wie bisher eine Million Euro Gewinn pro Tag erwirtschaften oder ob es nach Abschluss der Nachrüstungsarbeiten zwei Millionen sind. Ihre Konzernleitung würde eine Verdopplung ihrer Gewinne vorziehen.
Und deswegen bin ich hier. Mein Name ist Steffen Strathmann. Ich bin Kommunikationsberater."

Sicherheitschefin Wernecke: "Kommunikationsberater, ist das eine nette Umschreibung für Lobbyist?"
Strathmann: "Nette Umschreibungen sind eigentlich nicht ganz mein Stil. Ich denke, das habe ich gerade bewiesen."
Wernecke: "Ich habe Ihren Namen noch nie gehört. Wie lange arbeiten Sie in der Kernkraft?"
Strathmann: "Seit etwa zwölf Stunden."

Szene im Atomkraftwerk. Eine Beamtin der Aufsichtsbehörde verlässt den Raum, Strathmann verabschiedet sich:
"Bitte grüßen Sie den Ministerpräsidenten ganz herzlich von Herrn Morgenthal."
AKW-Chef: "Wer ist Morgenthal?"
Strathmann: "Das ist mein Chef. Den werden Sie aber nicht zu Gesicht bekommen."
AKW-Chef: "Ach, was müssten wir denn anstellen, damit der Herr sich zu uns herablässt?"
Strathmann: "Mit Ihrer Ölplattform den Golf von Mexiko verseuchen, zum Beispiel. Oder mit einer Giftgaswolke aus Ihrer Chemiefabrik einige Tausend Menschen in einem indischen Slum töten. Na sehen Sie, so gesehen ist es doch besser, dass mein Chef nicht hier ist."

Szene im Büro der Sicherheitschefin Wernecke, die Zwangsurlaub nehmen muss:
Wernecke: "Wenigstens habe ich eine Haltung. Ich verkauf mich nicht an den Meistbietenden."
Strathmann: "Ach, so wie ich, meinst du. Keine Rechtsextremen, keine Päderasten, keine Befürworter von Gewalt. Auch ich hab' meine Prinzipien, Katja."

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen