Mittwoch, 24. Februar 2010

Reformkommunikation und ein "Lehrstuhl für Propaganda"

"Wird es am Bodensee bald die erste Professur für Propaganda nach 1945 in der Bundesrepublik geben?", fragte Rudolf Stumberger bei Telepolis; und fand Kopisten. "Lehrstuhl für Spinning ausgeschrieben", textet der Spindoktor, und auch Heftklammer, Goldseiten und unsereunibrennt greifen das auf.

Gemeint ist eine neue Juniorprofessur für Reformkommunikation an der privaten Zeppelin University in Friedrichshafen, die sich seit Längerem um die Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Kommunikation kümmert.

Die Friedrichshafener werden sich über die Propaganda zum "Lehrstuhl für Propaganda" bestimmt freuen, selten bekommt eine Juniorprof-Ausschreibung soviel Aufmerksamkeit. Obwohl Zeppelin sagen müsste, dass es sich weder um Propaganda noch um einen Lehrstuhl handelt. Bei der Lehrprobe vor der Berufungskommission können die Bewerber ja anhand der Blog-Kommunikation gleich die Begriffsdynamik im Web 2.0 analysieren.

Telepolis definiert beherzt:
Reformkommunikation, das ist, was das wissenschaftliche Ordnungsgefüge anbelangt, ungefähr so, als wenn man innerhalb der Veterinärmedizin noch eine Professur für das Schweineschlachten ansiedelt. Und das, was bei der "Reformkommunikation" geschlachtet werden soll, ist der mündige Bürger. Denn wie man ihm das Fell über die Ohren zieht und er dabei noch immer meint, das sei zu seinem Besten, das ist der Gegenstand der "Reformkommunikation".
Autsch.

Stumbergers rhetorisches Schlachtefest mal beiseite, sein Text weist immerhin daraufhin, dass der Begriff "Reformkommunikation" inzwischen eine Begriffskarriere hinter sich hat. Vermutlich hat Stumberger einfach mal gegoogelt, weil ihn der Begriff interessierte. Und wurde fündig bei einer älteren Tagung der Bertelsmann-Stiftung, die sich natürlich vielseitig auf Reform versteht, und bei der INSM, laut Selbstbild "Agentur für Reformkommunikation", bekanntlich auch eine Agentur für Gesamtmetall-Kommunikation. Die Thesen zur Bertelsmann-Tagung sind übrigens immer noch recht lesenswert.

Reformkommunikation ist freilich seit langem Kernthema aller Professuren und wissenschaftlichen Arbeitsgruppen, die sich mit politischer Kommunikation beschäftigen.

Seit es politische Reformen gibt, sind sie schwierig, und sie sind schwierig, weil sie (a) Interessenkonflikte verschärfen und (b) Reformer meist wenige lauwarme Unterstützer, aber dafür viele laute Kritiker vorfinden. Reformen (und Regierungen) scheitern oft, weil Ziele und Mittel nicht überzeugend kommuniziert werden.

Da es bei der Politik stets um Veränderung geht, dreht sich fast alle politische Kommunikation um Reformkommunikation, so oder so. "Veränderung bewirkt stets eine Veränderung", wusste schon Machiavelli, dessen Werk sich ja ohnehin um Veränderung und Erhalt einer neuen Ordnung drehte. Der oft gehörte Zitat-Bestseller aus dem Fürsten:
„Kein Vorhaben ist schwieriger in der Ausführung, unsicherer hinsichtlich seines Erfolges und gefährlicher bei seiner Verwirklichung, als eine neue Ordnung einzuführen; denn wer Neuerungen einführen will, hat alle zu Feinden, die aus der alten Ordnung Nutzen ziehen, und hat nur lasche Verteidiger an all denen, die von der neuen Ordnung Vorteile hätten.“

Der Begriff ist in der Literatur daher längst verankert, heute gern mit Bezügen zur Veränderungskommunikation im Change Management von Unternehmen, heute fast schon eine eigene PR-Disziplin, und mit dem Thema Führung. Gestanzt wurde der Begriff Reformkommunikation erst im Zuge der großen Sozialstaatsreformen in Europa und in den USA seit den 1990ern.

Karl-Rudolf Korte von der Uni Duisburg-Essen, NRW School of Governance, publizierte dazu, empfehlenswert, 2008 den Sammelband "Wohlfahrtsstaatliche Reformkommunikation: Westeuropäische Parteien auf Mehrheitssuche", ein Vergleich von Schweden, Frankreich und Großbritannien mit den deutschen Erfahrungen der Agenda 2010. Ein Seminar dazu hier.

Die Temperaturkurve beim Wort "Reformkommunikation" ist eigentlich schon weit unten, heiß war der Begriff bei den Praktikern eigentlich vor fünf Jahren. Heiko Kretschmer, damals Kommunikationsberater der Regierung, schrieb dazu 2006 einsichtige Stichworte auf ("Reformkommunikation ist Change-Kommunikation"), noch einmal nachzulesen auch im Handbuch Regierungs-PR von Schuster/Köhler, in dem Reformkommunikation bei vielen Autorenbeiträgen eine zentrale Rolle spielt. Matthias Machnig hatte jüngst in einem Fachgespräch auch einiges zu den Strategien der Reformkommunikation zu sagen, lesenswert.

Natürlich greifen wir Reformkommunikation auch im Studiengang Master of Public Affairs Management am WIT auf, versprochen. Mit der Begriffsgeschichte von "Propaganda" sollten wir anfangen...

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