Dienstag, 2. März 2010

Standorte für Atommülllager: Freiwillige vor, bitte

Protest gegen große Infrastrukturprojekte ist eine typische Baustelle im Public Affairs Management. Experten sprechen vom NIMBY-Syndrom – "Not in my back yard". Hierzulande gern auch Sankt-Florians-Prinzip – Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd' andre an: Die Bürger sehen ein, dass eine Einrichtung notwendig ist, aber bitte nicht in der Nähe.

Protest gegen Mülldeponien und Müllverbrennungsanlagen ist schon heftig, aber immerhin sehen Anwohner ein, dass auch ihr eigener Unrat dort entsorgt wird und ihre Kommune dafür verantwortlich ist. Bei Atommüll wird es aus nahe liegenden Gründen komplizierter und der Protest heftiger.

Um den Protest zu minimieren, ist nur logisch, dass man sich für Standorte vorrangig solche Kommunen aussuchen sollte, die sich freundlich verhalten und ein Lager haben wollen. Gibt es nicht? Gibt es doch. In der Schweiz und in Spanien lässt sich das gerade beobachten.

Wie u.a. im Tagesspiegel zu lesen ist, tingelt derzeit der Chef des schweizerischen Bundesamts für Energie (BFE) durch die sechs von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) vorgeschlagenen Standorte für den Bau von Atomendlagern. Es sind Anhörungen an jedem der – überwiegend nahe an der deutschen Grenze gelegenen – Standorte zu meistern. Große Protestkundgebungen gab es bisher nicht. Das liegt laut BFE vor allem daran, dass die Bürger frühzeitig und ausführlich über das Verfahren informiert worden sind. Je nach Verlauf der Diskussion wird entschieden, wo welche Art von Lager platziert wird. Schließlich soll es auch zu einer Volksabstimmung kommen. Ohne Entsorgungskonzept wird es in der Schweiz keine neuen AKW geben können.

Spanien geht noch weiter, wie z.B. in der taz und der Welt zu lesen. Die Regierung lässt die Kommunen um den Standort für eine 700 Millionen teure Hochsicherheitslagerhalle konkurrieren. Über 100 Kommunen haben dem Vernehmen nach ihren Hut in den Ring geworfen. In der Wirtschaftskrise ist die Aussicht auf 6 Millionen Euro für die Gemeindekasse pro Jahr plus 300 krisensichere Arbeitsplätze im Lager, im Forschungszentrum, Industriepark und Wohnsiedlung verlockend.

Selbstverständlich gibt es Demonstrationen mit Tausenden von Menschen, die Umweltschützer laufen Sturm, anders als in der Schweiz gibt es tumultartige Szenen in den Bürgerhäusern. Dennoch stimmten Gemeinderäte für die Bewerbung um das Lager, Bürgermeister werben öffentlich zum Zustimmung der Anwohner und vermarkten ihre Kommunen als die geeignetste.

Für die politischen Parteien und die Regierung allerdings eine brisante Sache, weil Befürworter und Gegner sich auch innerhalb der Parteien streiten und der atompolitische Kurs der Regierung Zapatero unklar ist. Zudem wettern Gegner, die Regierung betreibe blanke Bestechung. Da ist was Wahres dran, aber was ist die Alternative, wenn irgendwo in Spanien ein Lager her muss?

In jedem Fall haben Spanien und die Schweiz aus dem deutschen Beispiel Gorleben gelernt, dass man einen Standort nicht gegen den erklärten Willen der Region durchsetzen sollte. Und Spanien zeigt, dass ein attraktives Angebot durchaus einen dynamischen Wettlauf auslösen kann. Der Rahmen der Debatte ist so ein völlig anderer.

Transparenz, Offenheit, Freiwilligkeit und Wettbewerb sind im Umgang mit dem NIMBY-Phänomen Schlüssel zum Erfolg bei Projekten dieser Art. Man kann ja der Meinung sein, dass alle Atomkraftwerke vom Netz sollen, aber die Verantwortung für unseren Atommüll der Vergangenheit und Gegenwart haben wir trotzdem noch lange.

In seinem Buch "Slaying the NIMBY-Dragon" hat der US-Physiker, Mathematiker und Risikomanagement-Experte Herbert Inhaber schon 1998 dafür geworben, Standorte per Ausschreibung oder auch Modellen wie der umgekehrten Holländischen Auktion ("reverse Dutch auction") festzulegen. Das heißt, der "Käufer" ist der Auktionator, und der Preis wird solange erhöht, bis der erste Verkäufer bereit ist, für diesen Preis zu verkaufen. Umgekehrt deshalb, weil ein unerwünschtes Objekt versteigert wird.

Das funktioniert besser als jede Verhandlungslösung, meint Inhaber, weil die Kommune den Streit intern erledigen muss, und erst wenn ein befriedigendes Ergebnis oder Konsens hergestellt sind, legt sie ein Angebot vor – in der Hoffnung auf einen dicken Bonus, den die erste Kommune erhält, die einem Bau zustimmt. Inhaber diskutiert in seinem Buch auch zahlreiche ökonomische, politische und psychologische Stolperfallen rund um das NIMBY-Syndrom. Immer noch sehr lesenswert.

1 Kommentar:

  1. "Slaying the NIMBY-Dragon" von Herbert Inhaber scheint einige interessante Ansätze zu bieten. Allerdings scheint mir das Beispiel Spanien nicht als geeignet zur Stützung der Thesen.

    1. Die über 100 Kommunen sind laut Berichten von telepolis.de (http://www.heise.de/tp/blogs/2/147062) am Ende doch eher 8-14, dradio.de (http://www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/1113741/) spricht sogar von nur 3 verbleibenden Bewerbungsorten gegen Ende der Suche. Damit ist vom im Beitrag beschriebenen "dynamischen Wettlauf" nicht viel übrig geblieben.

    2. Inwiefern sollte die Situation in Spanien mit Gorleben zu vergleichen sein?
    Bei Gorleben ging es um ein Endlager, in Spanien geht es um ein Zwischenlager. Dieses ist technisch überall (http://de.wikipedia.org/wiki/Zwischenlager_%28Kerntechnik%29) zu errichten, ein Endlager hat viele geologische Kriterien zu erfüllen.

    Die Bundesregierung hatte also gar keine andere Wahl als diverse mögliche Lagerstätten zu suchen und dann zu entscheiden. Dass dies nicht nach wissenschaftlichen Kritereien ging, sondern nach politischem Landesproporz (http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/frisierte-gorleben-studie-alarmiert-merkel;2454916;0) ist dann noch eine ganz andere Debatte.

    Fazit: Das spanische Beispiel eignet sich nur sehr begrenzt für den Beleg der Thesen von Inhaber. Und wie in der sehr ruhigen, konsensgeprägten Alpenrepublik über das Endlager entschieden wird, steht zum jetzigen Zeutpunkt noch in den Sternen.

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