Der Fall: Da hat ein deutscher Mittelständler ökonomisch alles richtig gemacht, ist dank seiner Produkte und Unternehmensführung ein in Russland gefragter Handels- und Investmentpartner; er hat sich gut vorbereitet, den russischen Joint-Venture-Partner sorgfältig ausgewählt, und vieles mehr. "Sie haben die Zertifizierung Ihrer Produkte beantragt, Sie kennen die Zollbestimmungen, die Probleme des Zahlungsverkehrs und der Infrastruktur. Aber Sie gehen davon aus, dass unter den Bedingungen zunehmender rechtstaatlicher Zuverlässigkeit kein unannehmbares Risiko für Ihr Unternehmen besteht. Ja, Sie haben sogar viele neue Kontakte in Ihr russisches Partnerunternehmen aufgebaut. Gegenseitiges Vertrauen ist gewachsen. Alles deutet auf Erfolg", beschreiben Frank und Wiese die Ausgangssituation.
Wie kommt es zu einer solchen Lage? Möglicherweise durch Vernachlässigung der politischen Ebene – und Naivität, was die Rahmenbedingungen erfolgreichen Wirtschaftens in Russland angeht, meinen die Berater:Und dennoch könnten Sie fast von heute auf morgen urplötzlich aus dem Land geworfen werden. Die Zulieferung bleibt aus, die baulichen Genehmigungen lassen auf sich warten, Sonderkontrollen werden durchgeführt. Irgendwann bedeutet man Ihnen, Sie seien nicht mehr erwünscht auf dem Gebiet der Region oder Verwaltungseinheit.
Der Totalverlust einer Investition ist nicht unbedingt das wahrscheinlichste Risiko in Russland. Aber Situationen wie angedeutet kommen vor – als katastrophische Spitze eines Eisbergs oder besser eines strategischen Versagens oder einer Unkenntnis bei der Absicherung des Investments.
Ein treffendes Beispiel ist der dramatische Rückzug eines großen deutschen Automobilzulieferers aus dem Moskauer Gebiet im Jahre 2004. Offiziell wurde von einem Verlust von 30 Millionen Euro gesprochen. Nach inoffiziellen Informationen aus dem Unternehmen wurden in Jahren 2002 bis 2004 über 60 Mio. € in Moskau vergraben. Als Grund für den demütigenden Rückzug wurden die aus dem Ruder laufenden Baukosten genannt. Der Hauptgrund war aber wohl, dass man geglaubt hatte, in Russland auch ohne Baugenehmigung bauen zu können.
Sie gingen davon aus, dass Politik in Russland hauptsächlich in Form lokaler Korruptionsbewältigung für Sie relevant sei. Sie glaubten, dass Ihr Geschäftspartner, der aus einem früheren staatlichen Unternehmen hervorgegangen ist, mögliche Probleme schon auf diese oder eine andere Weise lösen könnte.
In Ihrem Businessplan gab es keinen Etatposten für Public Affairs. Dafür haben Sie aus vermeintlich guten Gründen auch in Deutschland keinen Planansatz. Ihre Unternehmenspressestelle ist ja mit anderthalb Stellen schon stark ausgerüstet.
Für die Publikation des jährlichen Geschäftsberichtes, zwei, drei Pressekonferenzen und die Redaktion der Unternehmenszeitung für Mitarbeiter war das mehr als genug.
Klassisches Missverständnis also: PA ist sowas wie PR. Das bißchen PR macht sich fast von allein, im Bauchladen der heimischen Pressestelle. Und politische Strategie, im Sinne von Risikomanagement? Fehlanzeige.
Frank und Wiese kritisieren zudem, dass sich Unternehmer manchmal zu stark auf ihre Verbände verlassen:
Es ließe sich entgegnen, dass viele Verbände, je nach Branche und Ausrichtung, schon stark um das internationale Geschäft kümmern und sich der Risiken bewusst sind, die ihre Mitglieder eingehen. Koordinieren lässt sich vieles im von den Spitzenverbänden getragenen Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, der sich selbst als Mittler zwischen Wirtschaft und Politik sieht; dominant sind dort zwar die Großunternehmen, aber auch für Mittelständler ist der OA offen. Und die Auslandshandelskammern der IHK-Organisation sind auch wichtige Ansprechpartner.Sie zahlen darüber hinaus bereits ein erkleckliches Sümmchen als Mitgliedsbeitrag in Ihrem Fachverband, der das meiste der komplizierter werdenden Auflagen durch die EU und z.B. das deutsche Umweltministerium im monatlichen Journal aufbereitet.
Der Verband passt auf, dass nichts anbrennt auf dem Binnenmarkt. Der Referent des Verbandes hatte Ihnen sogar freundlich zugeraten, Ihr Glück in Russland zu versuchen. Eine tiefere Analyse lieferte der Verband freilich nicht, denn die sehr unterschiedlichen Mitgliedsunternehmen hätten ja sonst alle eine Individualberatung verlangen können.
Wahr ist aber, dass Verbände nur begrenzt individuell zugeschnittene Strategien für einzelne Unternehmen liefern können. Während Konzerne eigene Expertenteams und Repräsentanzen aufbauen können und auch im Inland Public-Affairs-Etats bewirtschaften, bleibt mittelständischen Unternehmen nur die Option, projektweise politische Berater hinzuzuziehen. Zu dieser Erkenntnis kommen viele Firmen allerdings erst oft dann, wenn es schon zu spät ist. Eine harte Lektion, besonders bei den begrenzten Ressourcen eines Mittelständlers.
Nicht wenige Berliner PA-Berater beschäftigen sich zunehmend mit dem Kundenkreis aus dem Osteuropageschäft und den "Emerging Markets". Politik spielt für sie eine wichtige Rolle bei der Geschäftsanbahnung und -absicherung. Typisch ist gerade für die postkommunistischen Staaten ein sehr enges Verhältnis von Staat und Wirtschaft.
Mit dem Public Affairs Management in den "Emerging Markets" beschäftigt sich allmählich auch die Wissenschaft. Jenseits der klassischen Fragen der Internationalisierung in der BWL und jenseits der institutionellen Thematik von Handelspolitik wird versucht, die Praxis der Beziehungen zwischen Unternehmen und Staat zu ergründen – und daraus Lektionen für westliche Investoren und Geschäftspartner abzuleiten.
Ein Beispiel für diese Initiativen war die von der Uni Bremen (Alexander Krylov) organisierte West-Ost-Konferenz "Government Relations" 2008. Eine Zusammenfassung von Vorträgen und Themen findet sich hier (Verbandsnachrichten des Verbands der Deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation).
Der Kommunikationsexperte Yuri Gaft zieht in der XING Ambassador Group seine eigenen Schlüsse:
Was die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas Russland und Lobbying angeht, beschränkt sich die empirische Untersuchung oft auf die "Oligarchen" und Financial-Industrial Groups (FIGs), die per definitionem alles andere als typisch für die Unternehmenswelt sind. Einer der besseren Artikel, die der Frage nachspüren, ist schon etwas betagt: "Capture or Exchange? Business Lobbying in Russia" in den Europe-Asia Studies (2002, 54,7, S. 1017-36).Während die deutschen Teilnehmer Government Relations als eine Art Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der relevanten Zielgruppen in Regierungskreisen oder allgemein in staatlichen Entscheidungsgremien bezeichnet haben, und davon ausgehen, dass alle relevanten Institutionen wie der Staat, die Zivilgesellschaft und die Medien zueinander in reziproken Beziehungen stehen, sorgt die politische Wirklichkeit in Russland für ein ganz anderes Bild.
Die russischen Kollegen haben zu ihrem Bedauern ein Bild darstellen müssen, das eine „lineare“ Abhängigkeit widerspiegelt von der gewichtigsten Determinante – dem Kreml. Der Duma-Abgeordnete Wladimir Medinskij (Geeintes Russland), der gleichzeitig Vorsitzender der RASO, des russischen Pendants zur DPRG, und ein überzeugter Demokratiegegner ist, hat die heutige Lage in Russland wie folgt beschrieben: Wenn es in Russland um Öffentlichkeitsarbeit gehe, handele es sich ungefähr zu 95% um Government Relations und (nur) zu 5% um Public Relations.
[Ich fand] die Worte eines deutschen Teilnehmers im Gespräch am Rande der Veranstaltung sehr bemerkenswert: Was Government Relations und speziell Lobbying in Russland betrifft, haben seiner Meinung nach die „rauen Sitten der 90er“ in den letzten Jahren an Bedeutung eingebüßt. Jetzt müsse man die Entscheidungsträger nicht mehr durch monetäre Zuwendungen überzeugen, sondern zunehmend so, wie es im „modernen Westeuropa“ gehandhabt werde. Diese Worte können unterschiedlich interpretiert werden, aber trotz der offensichtlichen Ambivalenz dieser Aussage darf man von einer Konvergenz reden, was in gewissem Sinne und ohne Werturteil für eine Annäherung beider Gesellschaften spricht und den Fachleuten die Erbringung grenzübergreifender Dienstleistungen erleichtert
Autor Timothy Frye – er ist Professor an der Columbia University in New York – befragte damals 500 Unternehmen in acht Städten des europäischen Teils Russlands. Jenseits der kritischen methodischen Frage, ob man ausgerechnet in der russischen Kultur mit dem Interviewfragebogen eines westlichen Sozialforschers verlässliche Antworten zum Thema Politikbeziehungen bekommt: Frye hat sich bemüht, dicht zu beschreiben, was er vorfand.
- Besonders auf regionaler Ebene spielt der Eigentümertyp eine wichtige: Firmen in Staatshand sind bei den Regionalregierungen erfolgreicher als privatisierte und private Unternehmen. Auf nationaler und lokaler Ebene ist der Faktor geringer. Frye sagt explizit: Das Spielfeld ist für private Unternehmen im Bereich der Regionalpolitik ungünstig – fragt sich aber selbst, warum das so ist.
- Je größer ein Unternehmen ist, desto wahrscheinlicher ist der Lobbying-Erfolg auf allen drei Ebenen (national, regional und lokal).
- Auf allen drei Ebenen sind Unternehmen, die Verbänden und Vereinigungen angehören, politisch erfolgreicher. Frye fragt sich, ob sich hier ein Trend zum "institutionalisierten Lobbying" abzeichnen könnte, wie effektiv die Verbände sind und inwiefern sie als Ersatz oder Ergänzung zu persönlichen Beziehungen zur Politik dienen.
- Zugehörigkeit zu Financial-Industrial Groups (FIGs) hat keine signifikante Auswirkung auf den Lobby-Erfolg; auch Monopolisten sind nicht erfolgreicher als andere.
- Branchen wie Energie und Kommunikation sind besonders erfolgreich auf der nationalen Ebene, die Finanzwirtschaft auf allen drei Ebenen.
- Zu den Lobby-Methoden: Rund die Hälfte der erfolgreich lobbyierenden Unternehmen sprechen direkt mit lokalen und regionalen Behörden; etwa die Hälfte arbeitet über ihre Verbände; ein Drittel nutzt die Massenmedien zur Verstärkung; etwa ein Viertel Gespräche mit regionalen und lokalen Parlamentsmitgliedern oder nimmt Verbindung mit einzelnen politisch einflussreichen Persönlichkeiten auf.
- Gegen das übliche Bild, dass sich mächtige Wirtschaftsinteressen den Staat gekapert haben, stellt Frye kontrastreich die These, dass Staats- und Wirtschaftseliten in einem regen Austausch befinden – und zwar so, dass es dem Staat gelingt, Unternehmen im Austausch für politischen Einfluss dazu zu bringen, höhere Regulierung, Preiskontrollen und mehr Inspektionen zu akzeptieren.
Wie David Johnson zu Recht kritisiert, entzieht sich der faktische politische Einfluss der Oligarchen und der von ihnen kontrollierten FIGs einer solchen Befragung. Das ist auch dem Russlandprofessor Frye klar. Die Erkenntnisse waren aber ein erster Schritt im Versuch, empirisches Material zum Thema zu gewinnen.
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