Dienstag, 22. Juni 2010

TÜV im BDI - Neues von einer Traditionslobby

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) hat im Juni einen neuen, 35. Mitgliedsverband aufgenomme: Den Verband der TÜV. Keine große Meldung, scheint es. Doch zum einen belegt sie den Wandel des BDI, der sich nach langer Strategiediskussion in den Neunzigern auch als Interessenvertretung von Dienstleistern verstehen will -- solange sie industrienah sind. Zum anderen hat der VdTÜV, der neben den TÜVs selbst auch Industriemitglieder hat (z.B. BASF mit eigener Prüfer-Organisation), eine aufreibende eigene Strategiedebatte in den eigenen Reihen hinter sich und positioniert sich Schritt für Schritt neu.

Der Verband wird nun als BDI-Mitglied stärker als Industrie-Branchenvertretung gesehen werden. Das mag gegenüber der deutschen Politik von Nutzen sein, vielleicht auch nicht – normalerweise haben es die TÜV vermieden, ihren neutralen, quasi-halbstaatlichen Experten-Nimbus durch zu große Nähe zum klassischen Wirtschafts-Lobbying in Frage zu stellen. Im Verständnis deutscher Politiker ist der TÜV keine Wirtschaftsbranche, sondern eine vorstaatliche Institution. Das war bisher ein großer Vorteil.

Geschäftlich mag der Türöffner BDI helfen, gerade in den Auslandsmärkten mit den regionalen Ausschüssen. Und: Die europäische Dimension ist für den VdTÜV wichtig geworden. Der Verband wolle "im europäischen Expresszug mit Innovationskraft und entschlossenem Gestaltungswillen als kompetenter, kooperativer Aktivposten mitreisen", bekräftigte VdTÜV-Politikchef Rainer Gronau etwa im Jahresbericht 2010. "Dabei spielt die enge Kooperation und Abstimmung zwischen nationalen Verbänden und europäischen Dachverbänden eine gewichtige Rolle." Vermutlich auch ein Grund, mit Blick auf die starken EU-Ressourcen des BDI. In Brüssel sitzt der VdTÜV nicht weit davon, und fast Tür an Tür mit der deutschen Ständigen Vertretung in der Rue Jacques de Lalaing.

Da bewegt sich also etwas. Intern hat der VdTÜV sich in den letzten Jahren um verbesserten Informationsfluss (z.B. über ein Online-Gremienportal und Vernetzung) gekümmert, auch an der Verbandskommunikation gewerkelt. Alles in allem keine aufgeregten Schritte und Innovationen, aber immerhin. Doch sind die Grundprobleme des Verbands gelöst?

Global Players

Die großen TÜV-Gesellschaften, wie TÜV Nord und TÜV Süd und der 2004 dem Verband abtrünnig gewordene TÜV Rheinland, sind gemeinhin auf die Effektivität der VdTÜV-Lobbyarbeit nicht besonders gut zu sprechen ("Die haben vom Lobbying keine Ahnung", sagte mir jüngst ein Manager). Von der Notwendigkeit des Verbands als Sprachrohr der Branche sind sie wohl nicht überzeugt, haben sie doch ihre eigenen einflussreichen Repräsentanzen in Berlin, den Landeshauptstädten, in Brüssel und vielen ausländischen Hauptstädten.

An der Schwäche ihres Verbandes haben sie auch selbst schuld. Es ist typisch für viele Verbände mit sehr großen Mitgliedsunternehmen, dass diese sich oft wenig um eine effektive Verbandsarbeit kümmern, wenn sie auf niemanden wirklich Rücksicht nehmen müssen. Als internationale Konzerne mit Dutzenden Landesgesellschaften, Zehntausenden Mitarbeitern und Milliardenumsätzen liefern sie sich als technische Dienstleistungsunternehmen nicht nur mit deutschen Organisationen wie der DEKRA, sondern mit teilweisen noch größeren, auch in Deutschland aktiven Unternehmen wie Bureau Veritas, SGS oder Intertek sowie untereinander einen heftigen Konkurrenzkampf.

In diesem Markt zählt vor allem eins: Größe.

Wachstumshungrig
haben die großen TÜV-Holdings mehrfach versucht, miteinander weiter zu fusionieren. Die Fusionswelle ist jedoch erst einmal abgeebbt. Die große Lösung zum TÜV Deutschland wurde irgendwann aufgegeben, die Fusion TÜV Nord + TÜV Süd scheiterte 2007 ebenso wie die von TÜV Süd und TÜV Rheinland zum "Super-TÜV". Umso härter bekriegen sich die Einzelunternehmen im In- und vor allem im Ausland um die lukrativen Aufträge. Das ist ein beinharter globaler Wettbewerb.

Die meisten deutschen Politiker haben keine Ahnung davon, dass die TÜV nicht nur die netten Prüfer sind, die im Staatsauftrag und guter Ingenieurstradition Deutschlands Straßen sicher halten. Oder Brücken, Flughäfen, Kraftwerke, Aufzüge, Tankstellen oder Geräte und Produkte.

Sondern dass hier im Zuge der Deregulierung und Liberalisierung der Prüfmärkte stramm durchorganisierte Global Players entstanden sind, die ihren privilegierten Zugang zu Behörden und Politik zu Schutz und Festigung ihrer Marktposition zu nutzen wissen -- nicht nur beim Marketing, auch beim Lobbying steht ihre Power der anderer internationaler Konzerne in überhaupt nichts nach.

Wann immer der Staat der Industrie technische Auflagen macht oder sich neue Geschäftsfelder formieren - derzeit zum Beispiel die von der EU vorgeschriebenen neuen Luftfracht-Sicherheitschecks - nehmen sie, wie andere internationale Prüfdienstleister auch, Witterung auf und nehmen Einfluss darauf, was, wie, wann und wo gesetzlich geprüft werden soll. Das ist ein integrierter, existentieller Teil des Geschäftsmodells, eine Symbiose zwischen Staat und Branche.

Zwischen den Fronten seiner Mitglieder

Nur bei ihrem Verband im Heimatland, da sah es lange sehr traurig aus. Dem VdTÜV kam bei der rasanten Entwicklung der Branche keine glückliche Rolle zu, geriet er doch zwischen die Fronten seiner Mitglieder. Den großen TÜV Rheinland hat der VdTÜV gar 2004 als Mitglied verloren. Die internen Querelen um die richtige Positionierung ließen den Verband ratlos werden -- mehr als der kleinste gemeinsame Nenner war nie drin. Exzellente Profi-Lobbyarbeit für die gesamte Branche oder gar innovative Konzepte der Interessenvertretung und Kommunikationsoffensiven zu entwickeln war schwierig. Ambitionierte Mitarbeiter verließen das rund 20-köpfige VdTÜV-Team enttäuscht und suchten bei anderen Verbänden, Unternehmen oder bei Beratungsgesellschaften neues Glück.

Der VdTÜV schien nur gut dafür zu sein, den Minimalkonsens in Deutschland zu organisieren. Dazu gehören ganz brav, Netzwerk und Erfahrungsaustausch der TÜV-Sachverständigen zu pflegen und auf der politischen Agenda das markttragende Privileg der Übernahme hoheitlicher Prüfung zu verteidigen und die Marke „TÜV“ zu schützen. (Gar nicht so einfach, denn jeder, auch in der Politik, der etwas für Qualität tun will, ruft nach einem XYZ-TÜV.)

Das größte politische Kapital der TÜVs ist immer noch, dass sie dem Image nach als uneigennützige technische Sachverständige nur dem Gemeinwohl dienen und in hoheitlichem, oft von Gesetzen legitimiertem Auftrag korrekte, neutrale Politikberatung liefern – und eben normalerweise nicht als Vertreter von Geschäftsinteressen gesehen werden. Das Mantra beherrschen die TÜV-Lobbyisten perfekt. Und fügen gern hinzu: "Lobbying machen wir gar nicht, wir sind im Auftrag des Staates unterwegs."

Das macht es einfacher, wenn Ministerien oder Parlamente zu Anhörungen laden oder Gutachten vergeben, oder wenn man auf Parteitagen an TÜV-Ständen mit der Politik ins Gespräch kommen will. Der VdTÜV ist seit 2008 auf Bundesparteitagen aktiv, dazu der Jahresbericht 2010 auf S. 24. Wie schön, wenn dort "insbesondere die Bundestagsabgeordneten ihre Kontakte zum Verband intensivieren" und Prominente vorbeischauen. Auch der neue SPD-Chef und Ex-Umweltminister Sigmar Gabriel kam im November 2009 mit einer Traube Journalisten vorbei und lobte: "Es gibt nur wenige Institutionen, denen man so vertrauen kann wie den TÜV."

Die Macht der technischen Experten - eine deutsche Tradition

Erst recht ist der Einfluss spürbar, wenn TÜV als selbstverständliche Mitglieder in einer Vielzahl von Expertenkommissionen arbeiten, die unbemerkt von öffentlichem Geplänkel mit quasi-gesetzgeberischer Wirkung Standards definieren – und damit auch Märkte für die Prüfer gestalten und schaffen. Weil man - siehe oben - nur wenigen Institutionen so vertrauen kann wie den TÜV, wächst mit zunehmend komplizierteren internationalen Vorschriften die Macht der Expertokratie. Nicht die Schuld der TÜV, natürlich, aber eben auch deren Interesse.

Etwas Misstrauen allerdings gab es schon immer, nicht nur beim Kartellamt, das den TÜV-Konzernen genau auf die Finger schaut.

"Ein lupenreines Monopol", nannte der Spiegel schon im Juni 1977 die TÜV, mit "gutbezahlten Managern", die "Klagen über die zunehmende Machtfülle und den Expansionshunger" nicht beeindrucken; außerdem schalt das Blatt die TÜV "publizitätsscheu" wegen ihrer "streng unter Verschluss gehaltenen Bilanzen".

Das waren Zeiten, in denen die TÜV den Inlandsmarkt und ihre qua staatlicher Lizenz verbrieften Marktrechte noch fein säuberlich nach Regionen aufteilten -- aber auch schon begannen, sich als Unternehmen aufzustellen und die Auslandsmärkte zu erobern (mit politischer Hilfe sogar im Ostblock, ein guter Kunde).

Der Spiegel kritisierte die Intransparenz der "Vereinsbrüder" und die mangelnde Kontrolle, da nur Vorstände und die Abgesandten größerer Firmen aus den wichtigsten Branchen etwas zu sagen hatten. Und grub peinlicherweise auch noch die Tatsache aus, dass die TÜV der neuen Wirtschaftsordnung des Nazi-Staates einiges zu verdanken haben (wie andere Verbände des deutschen Korporatismus auch, etwa das Handwerkswesen). "Erst das energische Eingreifen des nationalsozialistischen Staates", so berichtet der TÜV-Biograph und ehemalige VdTÜV-Geschäftsführer Günter Wiesenack, hat 1938 "zum Erfolg geführt", zitierte der Spiegel. Und analysierte weiter die damals aktuelle Unternehmens-Strategie:
Dabei kommen sie stets nach demselben Muster ins Geschäft: Weil der Staat am Ende die Erfüllung der in gesetzlichen Vorschriften definierten Auflagen für verschiedene Objekte vom TÜV abnehmen läßt, wenden sich die Firmen schon zu Beginn der Arbeiten an den Verein -- obgleich auch eine Vielzahl von Spezialfirmen die entsprechenden Messungen leisten könnte. "Es wäre schlicht dumm", sagt ein Hamburger Bau-Installations-Unternehmer, "den TÜV nicht von vornherein einzuschalten, wenn er den Kasten schließlich doch abnehmen muß."

Darüber hinaus profilieren sich die elf Vereine als Testinstitut der Nation:
TÜV-Plaketten prangen verkaufsfördernd auf Staubsaugern und Grillgeräten, auf Verbandskästen, Ralley-Lenkrädern und Schwimmer-Hilfen. Selbst das umstrittene Skateboard wird, kaum eingeführt, mit dem Siegel des TÜV unters Volk gebracht.

Doch am besten gedeiht das Geschäft mit dem Staat. Denn bei jedem einschlägigen Gesetzesvorhaben ist der TÜV mit von der Partie. Sachverständige helfen bei der Formulierung der Entwürfe und verdienen später an ihrer Durchsetzung.

In kaum einem technisch-wirtschaftlichen Beraterkreis, in kaum einer Kommission fehlen die TÜVler, sowohl innerhalb der Landesgrenzen als auch im internationalen Rahmen. Beispiel Umweltschutz: Neun internationale und insgesamt 29 nationale Gremien kommen nicht ohne Abgesandte des Vereins aus.

"Die direkte Beeinflussung der Rechtsprechung zu technischen Fragen", erläutert Josef Wolff, geschäftsführender Direktor des TÜV Bayern, "erfolgt dadurch, daß unsere Erfahrungen in das einfließen, was man den Stand der Technik nennt." Wolff weiter: "Ohne Gesetze zu sein, sind diese Regeln in einem Maße verbindlich, daß sich jedes Gericht nach ihnen richten wird." Deshalb finde das TÜV-Wissen zuverlässig "in einschlägigen Gesetzen seinen Niederschlag".

(...) Die vielfältigen Umweltschutzauflagen arrondierten das Geschäft. Seit Jahren offerieren die Überwacher ihren Behördenpartnern ein lückenloses "Programm Umwelt", das bei der Entwicklung von Bebauungsplänen beginnt, die Planung und die Überprüfung der Planung umfaßt, fast zwangsläufig auch für die Überwachung in der Bauzeit sorgt und schließlich auch noch die Endkontrolle sowie die Nachprüfung der Endkontrolle anbietet.

Kaum einem Beteiligten fällt bei dieser Prozedur auf, daß der TÜV sich lediglich von Stufe zu Stufe selbst bestätigt, daß in Ordnung ist, was vorher TÜV-geplant, TÜV-gefordert und TÜV-überwacht wurde.

(...) Die Neutralität des TÜV gegenüber den Kernkraft-Freunden ist zumindest ebenso strittig. Denn allzu eng sind die TÜV-Organisationen mit dem bundesdeutschen Atom-Estahlishment liiert.

TÜV-Experten mischen in allen wichtigen Gremien zur Förderung und Entwicklung des Atomstroms mit. Und etliche der prominentesten und einflußreichsten Vereinsmitglieder zeichnen sich als eindeutige Atom-Interessenten aus: Es sind Vorstandsmitglieder von Stromkonzernen. (...) Auf die aktive Mitarbeit des TÜV in Sachen Atom können sowohl das Deutsche Atomforum -- die mächtigste Kernkraft-Lobby Deutschlands -- wie der kerntechnische Ausschuß und die Reaktorsicherheits-Kommission der Bundesregierung bauen.
Juni 1977. Der Spiegel-Verriss ist nun 33 Jahre her. Vieles hat sich geändert, die Welt der TÜV ist heute eine andere. Die Monopole werden weniger, Strukturen und Organisation haben sich massiv verändert, das Geschäft ist global, die TÜV sind weniger behördenähnlich und staatsnah als damals. Aber die Spiegel-Spitzen klingen doch irgendwie so, als fänden Beobachter leicht aktuelle Bezugspunkte, wenn sie wollten. Ein Jahrhundert Tradition. Auch beim politischen Einfluss.

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