Montag, 14. Juni 2010

Die Frösche fragen, bevor man den Sumpf trockenlegt

"Wer den Sumpf trockenlegen will, darf die Frösche nicht fragen", pflegt Finanzminister Wolfgang Schäuble zum Thema Lobbyisten in der Finanzmarktregulierung zu sagen. In einem Interview mit der FTD widerspricht Columbia-Ökonom, Globalisierungs-Vordenker und WTO-Berater Jagdish Bhagwati: Man soll durchaus die Frösche fragen, bevor man den Sumpf trockenlegt. Auszug:
FTD Wäre es besser, zur stark regulierten Finanzwelt der 60er-Jahre zurückzukehren?

Bhagwati Ich denke, nicht. Was mich im Gegenteil besorgt, ist die derzeit verbreitete Tendenz, die Finanzmärkte komplett zu verteufeln. So einfach ist das nicht. Wir brauchen beides: Real- und Finanzwirtschaft. Ein Muskel braucht Blut. Sonst ist er nutzlos. Der Muskel ist die Realwirtschaft, die Wall Street das Blut. Spekulation kann ja sogar stabilisieren.

FTD In der Asien- wie Immobilienkrise lag das Problem doch eher darin, dass es hier keine stabilisierende Spekulation gab. Hat das nicht vieles noch verschlimmert?

Bhagwati In diesen Fällen stimmt das. Da gab es Herdentrieb und schädliches Verhalten. Eben das sind die gefährlichen Schattenseiten. Nur sind Finanzmärkte deshalb nicht durchweg schlecht.

FTD Irgendwer muss in der Praxis dann aber entscheiden, wo die Trennlinie ist. Sind Politiker damit nicht heillos überfordert?

Bhagwati Ja, wenn man den Schattenseiten durch gute Regulierung effektiv vorbeugen will, muss man deshalb auch mit den Leuten auf den Finanzmärkten zusammenarbeiten. Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble hat kürzlich gesagt: "Wer den Sumpf trockenlegen will, darf die Frösche nicht fragen." Das sehe ich anders. Gegen sie zu kämpfen bringt nichts.

FTD Aber kann man den Finanzakteuren hier vertrauen? Sie selbst nennen die Lobbys als Problem.

Bhagwati Es gibt eine tief sitzende Tradition der Skepsis gegenüber Finanzmärkten. Und derzeit gibt es die Tendenz, das Ganze zu begrenzen, ohne es zu durchdenken. Aber man muss es erst mal verstehen, um es sinnvoll zu regulieren. Der moralische Vorschlaghammer hilft hier nicht. Der britische Ökonom Richard Kahn sagte mal: Ökonomen verstehen die Finanzmärkte nicht. So ist es bis heute. Viele haben keine Ahnung.

FTD Wie wollen Sie Leute aus der Finanzbranche dafür gewinnen?

Bhagwati Was vor der Krise fehlte, waren Leute, die den Finanzsektor gut kennen, also aus dem System kommen, trotzdem aber unabhängig denken und die Risiken sehen. Man sollte daher ein unabhängiges Aufsichtsgremium formen, das die Finanzmärkte überwacht. Und zwar mit Experten aus den G20-Staaten, die wirklich etwas von Finanzmärkten verstehen, wie die Ökonomen Ken Rogoff, Willem Buiter oder auch Ben Bernanke. Das Ganze sollte dem Rotationsprinzip folgen, denn jeder ist korrumpierbar. Dann würden Risiken besser erkannt.

FTD Sollte so ein Gremium dann den Job übernehmen, den bisher die Ratingagenturen hatten?

Bhagwati Was die Agenturen tun, ist sehr problematisch. Und hier ist bisher nichts passiert in der Krise. Aber ich bin mir sicher: Die Amerikaner werden sich dem Problem noch widmen, ebenso wie die Europäer.

FTD Sind Sie denn optimistisch, dass sich am Einfluss der Finanzmarktlobbys etwas ändert?

Bhagwati In den USA gibt es 535 Präsidenten. Jeder Kongressabgeordnete hat seine eigenen Anspruchsgruppen. Es ist sehr schwer, sich da auf etwas zu einigen. Dafür braucht es außergewöhnliches Verhandlungsgeschick. Aber ich bin froh, dass wir Barack Obama als Präsidenten haben. Denn er hat ein besonderes Verhandlungsgeschick.

FTD Hat die Wall-Street-Lobby noch nichts an Einfluss eingebüßt?

Bhagwati Im Moment kann diese Lobby nicht mehr so viel Druck ausüben wie früher. Aber der Schlüssel liegt nicht in der Beseitigung der Lobby. Im Gegenteil: Lobbys haben auch einen Vorteil. Du bekommst wichtige Informationen aus der Branche und kannst sie diskutieren. Man sollte die Frösche eben fragen, bevor man den Sumpf trockenlegt. Man darf nur ihrem Druck nicht nachgeben.
Politikberatung statt purer Interessendurchsetzung -- das erfordert kompromisswillige Lobbyisten, die einen öffentlichen Beitrag leisten wollen, sowie souveräne und fachkompetente Politiker, die Lobbyisten richtig zu nutzen wissen, ohne sich einwickeln zu lassen. Tun sie das aber, lautet der Vorwurf: Die kuschen vor der Lobby. Ein Dilemma.

Populärer ist derzeit der "moralische Vorschlaghammer" allemal. Er erfordert auch keine Sachkenntnis. Das verleitet zu Symbolpolitik. Und die Finanzbranche zum Blockieren und Aussitzen, bis die Experten wieder mal unter sich sind und hinter den Kulissen die Spielregeln pflegen, die wieder keiner versteht. Am Ende hängt es an den Finanzprofis selbst zu verstehen, dass bessere Governance im ureigenen Interesse liegt.

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