Das Handelsblatt will gehört haben, das Gazprom RWE eine Beteiligung an der eigenen Pipeline South Stream anbietet. "Die Russen wollen so Nabucco torpedieren und einen Machtverlust für sich verhindern", schreiben Jürgen Flauger und Klaus Stratmann. "Sollte RWE auf das Angebot eingehen, würden die Chancen von Nabucco gegen Null sinken. Der Konzern zögert aber noch."
South Stream ist das Schwesterprojekt von Nord Stream, in Deutschland besser bekannt als Ostsee-Pipeline und eng mit dem Namen Gerhard Schröder verbunden, der Aufsichtsratschef der Betreibergesellschaft Nord Stream AG ist. Dahinter stecken Mehrheitsaktionär Gazprom und die deutschen Konzerne EON Ruhrgas und BASF Wintershall. Sein Ex-Vize Joschka Fischer hingegen berät die Nabucco-Gesellschaft.
Gemeinsamkeiten: Wie die Karte links zeigt, sollen sowohl South Stream als auch Nabucco Gas aus der kaspischen Region über den Balkan nach Westen bringen. Der Unterschied: South Stream liefert Gas von der russischen Schwarzmeerküste, Nabucco hingegen soll durch die Türkei verlegt und von Russlands Rivalen am Kaspischen Meer gefüllt werden.
RWE steckt in einer Zwickmühle. Sich an South Stream zu beteiligen, wäre zwar teuer, aber auch ein recht sicheres und attraktives Geschäft. Und RWE hat bereits in Osteuropa mit Russland Gas-Beziehungen. Anderseits hat RWE-DEA 2009 in Turkmenistan eine Explorationslizenz erhalten, die Tochterfirma würde von Nabucco profitieren. Und in der Türkei hat RWE Kraftwerke, die via Nabucco beliefert werden könnte.
Fast 90 Prozent des russischen Gasexports gehen in die EU. Russland liefert rund ein Viertel des in Europa verbrauchten Gases, in Deutschland sind es sogar 37 Prozent. Die meisten osteuropäischen Staaten haben aus historischen Gründen seit Sowjet-Zeiten noch eine weit höhere Abhängigkeit von russischem Gas -- bis zu 100 Prozent.
Für die EU wie für Russland sind die Transitländer ein Problem, vor allem Ukraine und Weißrussland. Darum baut Russland zusammen mit europäischen Konsortien Nord- und South Stream. Diese werden einfach umgangen.
Die Prognosen sind unsicher, wie stark der EU-Bedarf wächst -- einige Prognosen sehen den EU-Gasverbrauch bis 2030 um 40 Prozent steigen, andere meinen, er werde kaum wachsen. Aber dass Europa dank der bisherigen Lieferinfrastruktur der Hauptmarkt für Russlands Gas ist, ist bisher unumstritten. Die Alternative läge für Russland im Osten: China.
Der Staatskonzern Gazprom ist bei diesen Projekten eng mit europäischen Energiekonzernen wie EON, BASF, ENI, OMV, EDF und anderen verbunden. Die Regierungen der großen EU-Staaten unterstützen "ihre" Konzerne und sind daher nur halbherzig auf der Seite der Europäischen Kommission, die Nabucco nur mit Mühe voranschieben kann.
Ein Kernproblem für Nabucco ist, dass niemand so genau weiß, woher das Gas kommen soll. Turkmenistan, Aserbaidschan, der Irak, sogar der Iran könnten liefern - theoretisch. Doch es gibt noch keine Lieferverträge. Kein Wunder: Russland setzt insbesondere Aserbaidschan und Turkmenistan unter Druck, ihr Gas an Gazprom zu verkaufen, damit es via South Stream nach Europa geliefert werden kann. Dafür legt Gazprom sogar viel Geld hin, zahlt deutlich über den Marktpreisen -- nur um Nabucco abzudrängen. Und: Aserbaidschan hat auch noch andere Kunden, den Iran und China beispielsweise -- und China ist hungrig und bereit, viel zu zahlen.
Russlands Freund und Gegner
EurActiv zitiert eine kürzlich veröffentlichten Studie, die die EU-Länder entsprechend ihrer Loyalität Russland gegenüber kategorisiert:
- Das eine Extrem bilden die „Geschiedenen” Länder in Osteuropa, die früher Einflussbereich der Sowjetunion waren und heutzutage Moskau gegenüber größtenteils feindselig eingestellt sind (Estland, Litauen, Polen, Lettland, Tschechien und die Slowakei).
- Am anderen Ende der Skala finden sich die „treu Ergebenen“, die weiterhin gute Beziehungen mit Russland unterhalten (Italien, Österreich und Griechenland).
- Dazwischen liegen die „misstrauischen Kritiker” (Rumänien, Slowenien, Schweden, Bulgarien, Ungarn und Großbritannien).
- und die größere Gruppe der „kooperationsbereiten Partner” (Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Irland, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien).
Brüssel verfolgt eine Strategie der ausgeglichenen Energiepartnerschaft mit Russland, die Gaslieferungen sollen Teil einer allgemeinen Handelsvereinbarung sein. Nicht zuletzt geht es auch um die Interessen europäischer Unternehmen, die in Russland aktiv sind. Für Shell und BP gab es schon schwierige Zeiten, sie mussten sogar Aktien an Gazprom verkaufen, um in Russland weitermachen zu dürfen. Und dann sind da noch die Konflikte mit Weißrussland und der Ukraine sowie der Georgien-Konflikt (Georgien ist auch ein wichtiges Gas-Transitland). Die Kommission macht sich erhebliche Sorgen, wie man Lieferengpässen oder Lieferunterbrechungen begegnen könnte. All das sind die Probleme der Energieaußenpolitiker in Brüssel.
Die EU nimmt Milliarden Euro in die Hand, um Europas Energienetze aufzurüsten und zu diversifizieren. Auch Nabucco soll bis zu einem Drittel mitfinanziert werden. Dafür werden auch die European Investment Bank und die European Bank for Reconstruction and Development mobilisiert. Aber das reicht nicht, wenn die dahinter stehenden Energiekonzerne Nabucco nicht für rentabel oder zu unsicher halten.
Ein weiterer Player wirkt im Hintergrund mit: die USA. Washington unterstützt Nabucco aus geostrategischen Gründen.
Der größte Nabucco-Gewinner wäre die Türkei
Die Denkfabrik Centre for European Reform hat Anfang 2010 einmal tiefer analysiert "Why Nabucco is Stuck". Des Pudels Kern, so die Brüsseler Denker: Die EU-Energiepolitik und die politischen Beziehungen mit den potenziellen Lieferanten-Ländern seien nicht eng genug abgestimmt. Der Lissabon-Vertrag und die Stärkung der EU-Diplomaten könnten das korrigieren. Aber nur, wenn die Mitgliedstaaten mitzögen. Nun seien aber viele europäische Regierungen - nicht zuletzt Deutschland - davon überzeugt, dass die Energieversorgungssicherheit vor allem Sache der Unternehmen sei und die EU sich aus den Verhandlungen über Lieferverträge und Pipelines heraushalten solle.
South Stream sei teuer, technisch kompliziert und unnötig; dagegen sei Nabucco durchaus ein realistisches Projekt, meint das Centre. Dummerweise nehme Russland Nabucco viel ernster als die EU-Regierungen. Die derzeitige Politik laufe darauf hinaus, dass jeder, der etwas von Russland wolle, sich South Stream anschließen müsse. Doch Russland bluffe, und die EU sei gut beraten, den Bluff als solchen bloß zu stellen: Am besten wäre es, Gazprom aufzufordern, Nabucco für seine Gaslieferungen zu nutzen.
Neben den oben genannten Problemen gibt es zum Beispiel Konflikte zwischen Aserbaidschan und der Türkei, die gerne mehr von Nabucco haben möchte als nur ein paar Bauaufträge. Zwischen beiden steht auch noch der Armenien-Konflikt (Nagorno-Karabach). Trotzdem, meint der Think Tank, könnten die beiden noch zusammenkommen, denn beide möchten europäische Investoren anlocken, und die Türkei möchte sich zur Energie-Drehscheibe für Europa entwickeln.
In einem Beitrag für das US-Magazin Foreign Policy hat Daniel Freifeld (New York University) im September 2009 unterstrichen: "Wenn Nabuccco Erfolg hat, wäre die Türkei der größte Gewinner, sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch -- und diese Tatsache ist weder an Russland noch Europa vorbeigegangen."
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