Online-Politikberater und Blogger Ralf-Thomas Hillebrand hat untersucht, warum DGB-Gewerkschaften, Sozialverbände, Parteien und Initiativen mit ihrer E-Petition gegen die "Kopfpauschale" nur mit Ach und Krach Etappenziele erreichten -- und weit davon entfernt blieben, im Internet eine politische Welle zu erzeugen.
Auf den ersten Blick scheint die Kampagne "Aktionsbündnis Köpfe gegen Kopfpauschale" ordentlich gemacht und durchdacht, auch Social Media sind scheinbar sinnvoll integriert.
Doch im Blog-Beitrag "ePetitionen: Alles nicht so einfach…" belegt Hillebrand "massive Mängel in der Vorbereitung und Durchführung" der Kampagne gegen die gesundheitspolitischen Pläne der Bundesregierung. Er meint: "eine interessante Fallstudie, die den Visionären der eDemocracy deutliche Grenzen aufzeigt."
Immerhin: Die Gegner der Kopfpauschale erreichten das Ziel einer E-Petition, ihr Anliegen in öffentlicher Sitzung vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vortragen zu dürfen.
Wie Hildebrand feststellt, lag das aber eben nicht an der E-Mobilisierung. Es waren Zehntausende "altmodischer" Unterzeichner auf Papier und Postkarten, die die Hürde überwinden halfen, ein Vielfaches der Online-Unterstützer. Angesichts der von den Organisatoren auf 25 Millionen Menschen bezifferten Potenzial-Basis und klarer Meinungslage gegen die Kopfpauschale stellt sich die Frage, wo die Kampagnenführung versagt hat.
Der Autor macht drei Gründe aus: Chaos bei der praktischen Anleitung zum Mitmachen (Defizite in Didaktik und "Usability"), mangelnde Vernetzung und Überforderung der Zielgruppen.
Statt die E-Petition so zu benutzen, wie die Technik es vorsieht, nämlich per Mitzeichnungs-Formular, überschütteten viele Sympathisanten den Bundestag mit Emails. Und die wurden nicht akzeptiert. Die Kampagne erklärte das Verfahren laut Hildebrand nicht hinreichend, und verleitete durch zweideutige Kontaktangaben sogar zum Versenden von unerwünschten und nutzlosen Emails.
Hillebrand macht "Wissensdefizite" der Organisatoren aus und wirft ihnen vor, die Unterstützer mit ihren Verständnisfragen allein gelassen zu haben. Peinlich auch, dass die Kampagne aufgrund der Schwierigkeiten dazu überging, die Unterstützer zum Unterschreiben von Postkarten aufzufordern.
"Wenn der Initiator einer ePetition um Postkarten bittet, dann ist wohl unzweifelhaft etwas schief gelaufen", so Hillebrand.
Die Kampagne nutzte die Vernetzungsmöglichkeiten über Social Media nur halbherzig, etwa bei Facebook: Dort erklärten sich nur rund 1.500 Facebook-Mitglieder per Mausklick auf "Gefällt mir" für die Gruppe “Köpfe gegen Kopfpauschale”. Statt viraler Massenverbreitung lautet Hillebrands Fazit: Die Facebook-Gruppe konnte gerade einmal ein halbes Promille dieses zu erwartenden Unterstützerpotenzials für sich gewinnen.
Das Argument, dass die typischen Unterstützer der Gewerkschaften, Verbände und Parteien Social Media zu wenig nutzen, lässt Hillebrand nicht gelten. Die Ursache sieht er vielmehr darin,
Schließlich spitzt Hillebrand zu, dass die Kampagne ihre Zielgruppen überfordert habe. Er greif die These von der "digitalen Spaltung" auf und weist auf eine Studie hin, nach der zwei Drittel der Deutschen nach wie vor keine Online-Kompetenz besäßen. Die Organisatoren der Kampagne hätten das Problem massiv unterschätzt. Beim Thema Gesundheitspolitik sei das Unterstützerpotenzial längst nicht so internetaffin wie etwa beim Thema Internetsperren.
Ergo: Eine solche Kampagne muss unbedingt Offline-Optionen einschließen. "Das tat der DGB zwar, aber zwischenzeitlich wurde es bei der Anti-Kopfpauschalen-Kampagne dann doch brenzlig, weil man anfangs zu sehr auf den Pfad der Online-Petition gesetzt hatte – und plötzlich mehr als erhofft auf das zeitraubende Verfahren mit Unterschriftenlisten und Postkarten angewiesen war."
Hillebrands Analyse ist zuzustimmen. Allerdings ist es nicht so, dass den Gewerkschaftsstrategen das Problem völlig unbekannt wäre. Im Gegenteil.
Die Gewerkschaften haben eine breite Internetpräsenz und eine Millionen-Mitgliederbasis, die allerdings überaltert und nur begrenzt internetaffin ist. Die digitale Spaltung der Gesellschaft behindert die Entwicklung der Gewerkschaften zu E-Organisationen massiv, relevante Teile der Beschäftigten bleiben von Online-Kommunikation ausgeschlossen – und wer sich gewerkschaftlich im Web 2.0 beteiligt, hinterlässt auch für seinen Arbeitgeber, für Vorgesetzte und Kollegen eine keineswegs vorteilhafte Datenspur, wie Verdi-Berater Claus Zanker in einem Beitrag zum "Projekt E-Union" festgestellt hat.
Dahinter steckt auch eine Identitäts- und Kulturfrage. Die Mobilisierung von Grassroots-Aktivisten im Internet für politische Kampagnen hat keineswegs überall im Sozialsektor eine feste Heimat.
Die jüngere Bewegungs-, Kampagnen- und Bündnispolitik in Gewerkschaftskreisen hat unterschiedlichen Einfluss gehabt: Das alte Stellvertreter-Modell erfährt Konkurrenz durch ein aus den USA inspiriertes, rekrutierungsorientiertes Selbstvertretungsmodell („Organizing“) und kämpferischen „Movement Unionism“, der sich von traditioneller Sozialpartnerschaft verabschiedet, politischer orientiert ist und sehr offene Organisationsformen (z.B. Kampagnen, Bündnisse mit NGOs) pflegt. Das überträgt sich auch auf das Web 2.0. Während Verdi schon 2003 ein großes „Projekt E-Union“ anging und Teile von Verdi aggressive US-Konzepte umsetzen, in dem auch das Web 2.0 eine wachsende Rolle spielt (z.B. Lidl-Kampagne), verharren andere Gewerkschaften in korporatistischen Kommunikationsformen.
Seit Jahren ringen die Gewerkschafter mit diesem Binnenproblem - insofern lässt sich das Aktionsbündnis zur Kopfpauschale auch als ein weiteres Kampagnen-Experiment bewerten, aus dem die Interessenvertreter nun einiges zu lernen haben werden.
Wie Hildebrand feststellt, lag das aber eben nicht an der E-Mobilisierung. Es waren Zehntausende "altmodischer" Unterzeichner auf Papier und Postkarten, die die Hürde überwinden halfen, ein Vielfaches der Online-Unterstützer. Angesichts der von den Organisatoren auf 25 Millionen Menschen bezifferten Potenzial-Basis und klarer Meinungslage gegen die Kopfpauschale stellt sich die Frage, wo die Kampagnenführung versagt hat.
Der Autor macht drei Gründe aus: Chaos bei der praktischen Anleitung zum Mitmachen (Defizite in Didaktik und "Usability"), mangelnde Vernetzung und Überforderung der Zielgruppen.
Statt die E-Petition so zu benutzen, wie die Technik es vorsieht, nämlich per Mitzeichnungs-Formular, überschütteten viele Sympathisanten den Bundestag mit Emails. Und die wurden nicht akzeptiert. Die Kampagne erklärte das Verfahren laut Hildebrand nicht hinreichend, und verleitete durch zweideutige Kontaktangaben sogar zum Versenden von unerwünschten und nutzlosen Emails.
Hillebrand macht "Wissensdefizite" der Organisatoren aus und wirft ihnen vor, die Unterstützer mit ihren Verständnisfragen allein gelassen zu haben. Peinlich auch, dass die Kampagne aufgrund der Schwierigkeiten dazu überging, die Unterstützer zum Unterschreiben von Postkarten aufzufordern.
"Wenn der Initiator einer ePetition um Postkarten bittet, dann ist wohl unzweifelhaft etwas schief gelaufen", so Hillebrand.
Die Kampagne nutzte die Vernetzungsmöglichkeiten über Social Media nur halbherzig, etwa bei Facebook: Dort erklärten sich nur rund 1.500 Facebook-Mitglieder per Mausklick auf "Gefällt mir" für die Gruppe “Köpfe gegen Kopfpauschale”. Statt viraler Massenverbreitung lautet Hillebrands Fazit: Die Facebook-Gruppe konnte gerade einmal ein halbes Promille dieses zu erwartenden Unterstützerpotenzials für sich gewinnen.
Das Argument, dass die typischen Unterstützer der Gewerkschaften, Verbände und Parteien Social Media zu wenig nutzen, lässt Hillebrand nicht gelten. Die Ursache sieht er vielmehr darin,
"dass sich die 1.500 nicht mit Personen vernetzt haben, denen das Thema wichtig ist oder werden könnte. Und so reißt die Kette, statt Unterstützerkaskaden zu kreieren, einfach zwischendrin immer wieder ab. Das Unterstützerpotenzial der Kampagne hat sich also, soweit es in Sozialen Netzwerken aktiv ist, kaum mit politisch motivierten und gleichgesinnten Menschen vernetzt, sondern überwiegend mit Familienmitgliedern, Arbeitskollegen, Sportkameraden oder Bekannten aus anderen sozialen Zusammenhängen – denen politische Aktivitäten weitgehend egal sind. Diese apolitische Vernetzung hilft der Kampagne nicht."Der DGB habe sich offenbar, zu stark darauf verlassen, dass viele seiner Mitglieder und Sympathisanten ohnehin in Sozialen Netzwerken aktiv sind und es schon richten werden. Die längerfristige Vorarbeit, Koordination, Vernetzung und Motivation wurden vernachlässigt
Schließlich spitzt Hillebrand zu, dass die Kampagne ihre Zielgruppen überfordert habe. Er greif die These von der "digitalen Spaltung" auf und weist auf eine Studie hin, nach der zwei Drittel der Deutschen nach wie vor keine Online-Kompetenz besäßen. Die Organisatoren der Kampagne hätten das Problem massiv unterschätzt. Beim Thema Gesundheitspolitik sei das Unterstützerpotenzial längst nicht so internetaffin wie etwa beim Thema Internetsperren.
Ergo: Eine solche Kampagne muss unbedingt Offline-Optionen einschließen. "Das tat der DGB zwar, aber zwischenzeitlich wurde es bei der Anti-Kopfpauschalen-Kampagne dann doch brenzlig, weil man anfangs zu sehr auf den Pfad der Online-Petition gesetzt hatte – und plötzlich mehr als erhofft auf das zeitraubende Verfahren mit Unterschriftenlisten und Postkarten angewiesen war."
Hillebrands Analyse ist zuzustimmen. Allerdings ist es nicht so, dass den Gewerkschaftsstrategen das Problem völlig unbekannt wäre. Im Gegenteil.
Die Gewerkschaften haben eine breite Internetpräsenz und eine Millionen-Mitgliederbasis, die allerdings überaltert und nur begrenzt internetaffin ist. Die digitale Spaltung der Gesellschaft behindert die Entwicklung der Gewerkschaften zu E-Organisationen massiv, relevante Teile der Beschäftigten bleiben von Online-Kommunikation ausgeschlossen – und wer sich gewerkschaftlich im Web 2.0 beteiligt, hinterlässt auch für seinen Arbeitgeber, für Vorgesetzte und Kollegen eine keineswegs vorteilhafte Datenspur, wie Verdi-Berater Claus Zanker in einem Beitrag zum "Projekt E-Union" festgestellt hat.
Dahinter steckt auch eine Identitäts- und Kulturfrage. Die Mobilisierung von Grassroots-Aktivisten im Internet für politische Kampagnen hat keineswegs überall im Sozialsektor eine feste Heimat.
Die jüngere Bewegungs-, Kampagnen- und Bündnispolitik in Gewerkschaftskreisen hat unterschiedlichen Einfluss gehabt: Das alte Stellvertreter-Modell erfährt Konkurrenz durch ein aus den USA inspiriertes, rekrutierungsorientiertes Selbstvertretungsmodell („Organizing“) und kämpferischen „Movement Unionism“, der sich von traditioneller Sozialpartnerschaft verabschiedet, politischer orientiert ist und sehr offene Organisationsformen (z.B. Kampagnen, Bündnisse mit NGOs) pflegt. Das überträgt sich auch auf das Web 2.0. Während Verdi schon 2003 ein großes „Projekt E-Union“ anging und Teile von Verdi aggressive US-Konzepte umsetzen, in dem auch das Web 2.0 eine wachsende Rolle spielt (z.B. Lidl-Kampagne), verharren andere Gewerkschaften in korporatistischen Kommunikationsformen.
Seit Jahren ringen die Gewerkschafter mit diesem Binnenproblem - insofern lässt sich das Aktionsbündnis zur Kopfpauschale auch als ein weiteres Kampagnen-Experiment bewerten, aus dem die Interessenvertreter nun einiges zu lernen haben werden.
Claus Wichmann (über Facebook, 19.11.10)
AntwortenLöschenEin Stück weit symptomatisch für den Zustand der politischen Gruppierungen jenseits von Schwarz/Gelb...
Die Binnensicht der Gewerkschaften verhindert, dass hier ein Sammelbecken gesellschaftlicher Alternativen zu Merkels und Westerwelles Lobbyistenstuhlkreis entsteht.
Die SPD bleibt mit ihrem Gegenkonzept der Bürgerversicherung derzeit noch ein gutes Stück die Inhalte schuldig, wohl auch, weil sie vor den realen Machtverhältnissen in der selbstverwalteten Gesundheitswirtschaft zurückschreckt.
Die halbherzige Anti-Stimmung zu kanalisieren geht entlang der Idee von Pierre Bourdieu nur mit neuen sozialen Bewegungen, Gewerkschaft und Sozialdemokratie (die andere nicht ausschließt).
Gewerkschaft mit ihrer Organisationsmacht (die allerdings auch außerhalb der betrieblichen Strukturen abzuholen ist), die Sozialdemokratie als parlamentarischer Arm und die sozialen Bewegungen mit ihrer unmittelbaren Nähe zu den Themen.
Die Gewerkschaft ermahnt die SPD zu ihren Kernaufgaben, die SPD die sozialen Bewegungen zur Praktikabilität von Politik und die sozialen Bewegungen gegen den Beton in den Gewerkschaftshierachrchien. Gewerkschaft und SPD schieben die Ego-Betroffenheit der sozialen Bewegungen über den engen Horizont des eigenen Kiezes hinweg.
Wenn dieses Aktionsdreieck stünde, wären handwerkliche Defizite wie der "Köpfe gegen Kopfpauschale" Kampagne leicht zu beheben. So ist aber leider der ganze konzeptionelle Ansatz zu kurzatmig und zu wenig nachhaltig, leider...