Sonntag, 9. Januar 2011

Kakao, Krise und Lobbyisten

Wer Schokolade liebt, dem kann die Elfenbeinküste nicht egal sein. Immerhin produziert das Land, das am Rande des Bürgerkriegs steht und wo eine internationale Militärintervention wahrscheinlicher wird, fast 40 Prozent des Rohkakaos in der Welt

Bei den Präsidentschaftswahlen Ende Oktober ging es nicht zuletzt darum, wer Kakaoproduktion und –handel wieder nach vorn bringt: Präsident Laurence Gbagbo (kontrolliert den Süden des Landes) oder Herausforderer Alassane Ouattara (paktiert mit den Rebellen im Norden). Ein großer Teil der Wähler lebt direkt oder indirekt vom Kakao, und die rivalisierenden Parteien füllen mit den Geldern des Kakao-Weltmarkts ihre Kassen (Hintergründe bei der NZZ). 

So ist in der Elfenbeinküste Kakaopolitik immer eine zentrale Machtfrage. „Der Unmut der Kakaobauern hat Gbagbo den Wahlsieg gekostet“, analysierte die taz. Gbagbo baute die Kakaohandelsstrukturen um, versuchte die Korruption im Sektor zu bekämpfen, aber das Ergebnis stellte wenige zufrieden – am Ende wurde alles unübersichtlicher, korrupter und die Armen ohnehin ärmer. Der Verband der Kakao- und Kaffeeproduzenten der Elfenbeinküste (Anaprocci), wichtigster Bauernverband des Landes, gab gar eine Wahlempfehlung für Ouattara ab. 

Die Elfenbeinküste war lange ein Wirtschaftswunderland mit relativer Stabilität und engen Beziehungen zu Europa und Amerika, ein Vorzeigeland für den Westen und Investitionshafen für internationale Unternehmen. Das Chaos des letzten Jahrzehnts verbuchen die Ivorer umso stärker mit dem Namen Gbagbo.

Die Konzerne des "Big Chocolate" sind nervös

Mehr als 90 Prozent des ivorischen Kakaos werden nach Europa und Nordamerika exportiert, die EU erhält 60 Prozent der Exporte aus der Elfenbeinküste, vor allem die Niederlande, Belgien und die Ex-Kolonialmacht Frankreich, aber auch die Schweiz und Deutschland. 

Unternehmen wie Nestlé, Mars, Kraft (Milka, Suchard, Cadbury), Hershey, Barry Callebaut, Cargill, Blommer, ADM, Ferrero schauen nervös auf die Wirren in dem westafrikanischen Land. Der Schoko-Industriekomplex („Big Chocolate“) hat gewaltige Interessen (wie die Kaffee-, Zucker-, Baumwoll- und Ölindustrie auch). Denn der wachsende Weltmarkt – derzeit auf rund 40 Milliarden Euro taxiert – braucht die Bohnen der ivorischen Plantagen.

Politik spielt dabei stets eine Rolle. Das "Braune Gold", jener Rohstoff für unsere Schokoladen, wird von korrupten Cliquen im Gewand staatlicher Regulierung und halbstaatlicher Zwischenhändler kontrolliert, und Sklavenarbeit auf Plantagen wird in diesem System toleriert. Die Unternehmen stehen seit Jahren unter Druck, die Arbeits- und Erlösbedingungen für die Kakaobauern zu verbessern sowie Kinderhandel und sklavenartige Kinderarbeit auf den Plantagen nicht weiter zu dulden. Unter dem Etikett der International Cocoa Initiative (ICI) engagieren die Konzerne sich mit allerlei Projekten, allerdings zweifeln viele NGOs die Wirksamkeit, solange das von der Politik installierte System der Profitabschöpfung weiter besteht (Hintergründe bei der Zeit , beim InfoZentrum Schokolade und in einer Studie von 2010 der Uni Duisburg-Essen im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums, "Menschenrechte im Anbau von Kakao. Eine Bestandsaufnahme der Initiativen der Kakao- und Schokoladenindustrie").

Qualitäts- und Nachhaltigkeitskontrollen sind in der Elfenbeinküste extrem schwierig. Die deutsche Firma RitterSport, die sich um Ökologie und Soziales durchaus kümmert, kauft daher lieber in Lateinamerika ein – aber nicht nur. Im Greenpeace-Magazin stellte der Firmenchef fest:
"Als Volumenhersteller kommen wir nicht 
umhin, auch aus der weltweit größten Kakaoanbauregion Rohstoffe zu beziehen. Unser Lieferant kann nicht mit Sicherheit ausschließen, dass sich in den sogenannten Westafrika-Partien auch Kakao aus der Elfenbeinküste befindet, was an sich unser Wunsch wäre. (...) Allein sind wir – insbesondere im internationalen Vergleich – zu klein, um auch vor Ort in Westafrika signifikant einwirken zu können. Deshalb versuchen wir das 
über die Mitgliedschaft in Institutionen sowie Verbandsarbeit. Ehrlicherweise muss man jedoch anfügen, dass auch deren Einflussnahme sehr begrenzt ist, zumal in einem Land wie der Elfenbeinküste, in dem bis vor kurzem Bürgerkrieg herrschte und 
Direktkontakte zu Produzenten nahezu unmöglich sind."
Die Krise treibt die Preise – aber noch sind die Märkte nicht in Aufregung

Zwar sind an den Rohstoffbörsen noch keine großen Turbulenzen eingetreten. Allerdings trieb die Krise rund um den Schokoladentag Nikolaus den Kakaopreis schon in die Höhe, wie die FTD berichtete. Im November/Dezember blieben die Häfen zeitweilig geschlossen, Hunderttausende Tonnen Kakaobohnen steckten in den Häfen und auf den Plantagen fest. Nach Schätzungen wurden im letzten Quartal bis zu 100.000 Tonnen ins Nachbarland Ghana geschmuggelt, um sie auf die Weltmärkte zu bringen. Auf diesem Weg finanzieren sich ohnehin seit Jahren die FN-Rebellen im Norden des Landes, die hinter dem Oppositionspolitiker und gewählten Präsidenten Alassane Ouattara stehen.

Wie die NZZ berichtet, herrscht allerdings noch gewisse Normalität trotz der politischen Krise. Der Hafen der Hauptstadt Abidjan ist wieder geöffnet, der Betrieb im Hafen von San Pedro, wo zwei Drittel des ivorischen Kakaos verschifft werden, ist unproblematisch. Und die Ernte war gut, „Zurzeit gewichten die internationalen Märkte diese positive Entwicklung zumindest ebenso hoch wie die Risiken der politischen Krise“, so die NZZ.

Das muss allerdings nicht so bleiben. Zocker und Spekulanten wetten garantiert auf kontinuierlichen Anstieg der Preise, wenn sich die Krise weiter zuspitzt. Zurzeit hoffen Politik und Wirtschaft noch darauf, dass die Krise im Land mit den zwei Präsidenten durch eine internationale Vermittlungsaktion entschärft werden kann. Afrikanische Regierungschefs waren dabei bisher ebenso erfolglos wie die Drohungen der EU, die Finanzhilfen für die Elfenbeinküste zu kürzen, wenn Präsident Laurent Gbagbo nicht geht. Bisher hat das Land 1,7 Milliarden Euro EU-Hilfen erhalten. Im Zeitraum von 2008 bis 2013 sind 254,7 Millionen Euro vorgesehen, berichtet der Tagesspiegel. Auch die Weltbank und die USA wollen den Geldhahn zudrehen.

Gbagbos alte Freunde in Europa

Dass die internationale Staatengemeinschaft sich so stark für das kleine Land interessiert, ist angesichts der heutigen Rohstoffkonflikte in der Welt nicht verwunderlich.

Zur Krise sind inzwischen viele Hintergrundberichte in den Medien erschienen, die das internationale Interessengeflecht analysieren. Beispielsweise widmet sich die französische Zeitung Libération den „französischen Netzen von Gbagbo“.

Der Ivorer spielt zwar innenpolitisch hart die nationalistische Karte und wirft dem früheren IWF-Direktor und in den USA promovierten Ouattara vor, eine Marionette des Auslands zu sein – wahlweise der Amerikaner oder der Franzosen. In Richtung Paris wettert Gbagbo gern mit „Neokolonialismus“. Er selbst aber ist mit französischen Interessen seit langem verbunden, spätestens seit seinem Exil in Frankreich in den 1980er Jahren. Libération zählt die sieben „Familien“ auf, die ihn unterstützen: eine alte Riege französischer Mitterand-Sozialisten, die Souveränisten (der reaktionäre Front National eingeschlossen), die Muskelpakete (Sicherheitsspezialisten), Werber, Geschäftsleute, Lobbyisten und Anwälte. 
  • Hintergrund ist das Konzept der Françafrique, eine Art Special Relationship zwischen Elfenbeinküste (und anderen afrikanischen Ländern) und der Ex-Kolonialmacht. Gemeint ist "jenes teilweise staatliche, teilweise private Netzwerk, das auf mafiöse Art und Weise erhebliche Teile der afrikanischen Politik und Ökonomien kontrolliert", wie Telepolis einmal schrieb.
    Vor Jahren hatte Nicolas Sarkozy eine radikale Abkehr von diesen innigen Verbindungen angekündigt, daraus wurde jedoch nicht viel. In dubiose Machenschaften und den Erhalt autoritärer Regimes ist Frankreich nach wie vor verstrickt, und französische Konzerne nutzen das Netzwerk und ihre Vorteile, an Rohstoffe und Märkte zu gelangen, unter dem Schutz der französischen Regierungen, wie der Sender RFI ("50 years later, Françafrique is alive and well ") ebenso feststellte wie unlängst der Deutschlandfunk ("Françafrique - eine Schule der Diktatoren. Frankreichs Afrikapolitik in der Kritik").

Françafrique ist auch ein politischer Dauer-Zankapfel der Ivorer und ein persönliches Problem für Gbagbo, denn seine Macht verdankt er auch dem Françafrique-System gegenseitiger Bevorteilung. „Die Geschichte der Beziehung zwischen Gbagbo und der alten Kolonialmacht ist jene einer enttäuschten Liebe“, meint die Zeitung Libération. Zu Frankreich habe er mal heiße, mal kalte Gefühle. Seiner Freunde in Paris bedient er sich aber immer wieder, egal was diese motiviert. Und da diese beste Kontakte in der französischen Politik- und Wirtschaftswelt haben, beeinflusst das die Linie in Paris sehr wohl.

Lobbyist in Washington angeheuert - doch der wirft hin

Auf der anderen Seite des Atlantiks nahm Gbagbo prominente Lobbyisten und PR-Leute unter Vertrag, um auf die US-Regierung und die westlichen Staaten Einfluss zu nehmen: den früheren US-Landwirtschaftsminister Michael Espy und Lanny Davis, Ex-Rechtsberater von Bill Clinton. Das zog erhebliche Kontroversen mit sich. Davis bot sich für 100.000 Dollar Monatssalär als alternativer Kommunikationskanal und Vermittler an und verteidigte öffentlich die Entscheidung, Gbagbo zu repräsentieren (z.B. in Interviews mit Salon und der NY Times). 

Am 29. Dezember teilte Davis allerdings der ivorischen Botschaft in Washington mit, dass er von dem Mandat zurücktrete (NY Times). Angeblich weil sich Gbagbo geweigert hatte, ein Telefonat mit US-Präsident Obama zu führen. Dem Vernehmen nach hat Gbagbo auch Davis‘ Rat zurückzutreten brüsk zurückgewiesen. Vielleicht wurde Davis es auch zu heiß, als Freund eines Diktators gesehen zu werden. Einige Menschenrechtsorganisationen wie HumanRights.org hatten eine Kampagne gestartet, um Davis zur Rückgabe des Mandats zu drängen. Der Medienwirbel war enorm.

Inzwischen fordert Gbagbo 200.000 Dollar von den bereits gezahlten 300.000 Dollar Honorar zurück; Davis hat das Geld allerdings schon für sein Team ausgegeben, das „rund um die Uhr“ arbeitete. Die Höhe des Honorars sei nicht unüblich bei ausländischen Regierungen und dem erheblichen Personalaufwand (Politico).

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