Montag, 8. August 2011

Lobbykritik von Rechts: Wenn der Interessenvertreter lieber seine eigenen Interessen vertritt

Lobbykritiker, vor allem jene von Links, gehen stets davon aus, dass Wirtschafts-Lobbyisten konsequent die Interessen der Unternehmen als Auftraggeber vertreten.

Das ist nicht unbedingt so, unterstreicht Jonathan Adler, Juraprofessor  an der Case Western Reserve University, in einem Beitrag für die erzkonservative US-Zeitschrift National Review.

Das Kernargument der Kritik von Rechts vor allem an Auftragslobbyisten, also Beratungsfirmen und Anwalstkanzleien: Lobbyisten seien dann gut im Geschäft, wenn die Politik ihre Auftraggeber unter Druck setzt. Das sei eines jener „kleinen schmutzigen Geheimnisse“ der Hauptstadtszene. Adlers stramm konservative Auffassung:
„Unternehmen sind gut bedient, wenn Washington sie in Ruhe lässt, damit sie sich um ihr Geschäft kümmern können. Lobbyisten haben Vorteile, wenn sich ihre Klienten im Belagerungszustand befinden. Manager bevorzugen klare, einfache Rahmenregeln, die ein stabiles und vorhersehbares Wirtschaftsklima erzeugen. Aber wenn die Regeln einfach und klar sind, dann gibt es weniger für Lobbyisten und Anwälte zu tun. Wie viele Steueranwälte plädieren für eine Einheitssteuer [flat tax]?“
Adler verweist auf Medienberichte, nach denen sich die Branche der Lobby-Dienstleistungen in der amerikanischen Hauptstadt 2011 bisher wirtschaftlich nicht gut entwickelt habe. Grund: Die krisenhafte Debatte um die US-Schuldenobergrenze hat die Aufmerksamkeit für alle anderen Gesetzgebungsprozesse verdrängt. Für die „Lobbyshops“ bedeutete das Auftragseinbrüche.

2010 war noch ein Boom-Jahr, in dem der Kongress zahlreiche kleine und große Gesetze beriet und verabschiedete. Gesundheitsreform und die Neuregulierung des Finanzsektors brachten Politik-Dienstleistern große Nachfrage, die Unternehmen brauchten Unterstützung. Das werde auch bei künftigen Reformrunden so sein. Doch sei nicht zu erwarten, dass die Berater von der K Street, der Lobbymeile in Washington, sich dafür einsetzten, die problematischsten Teile der Reformgesetzeswerke wieder abzuschaffen.  „Man kann Millionen damit verdienen, Unternehmen bei der Einflussnahme und der Orientierung in der neuen Regulierungs-Architektur zu helfen, die auf die Gesundheits- und Finanzbranchen aufgesetzt wurden.“  Den Regulierungs-Beratern gehe es prima.

Die Spannung zwischen den Interessenvertretern der Unternehmen und den Unternehmen selbst sei das perfekte Beispiel für das theoretische Principal-Agent-Problem – also jenem Konflikt zwischen der erfolgreichen Erfüllung des Auftrags und dem Eigeninteresse des damit Beauftragten.
"Der Agent arbeitet zwar für den Auftraggeber, teilt aber eben nicht dessen vorrangiges Interesse. Je mehr Bedrohungen es für die Unternehmensbilanz gibt, desto wertvoller ist der Vertreter in Washington für das Unternehmen. Und wenn Lobbyisten zu erfolgreich die Ziele ihres Klienten vertreten, verlieren sie ihren Job. Wenn ein kostenträchtiges Regelwerk eliminiert wird, was soll dann im Jahr darauf das große Honorar rechtfertigen?"
Adler weist richtig darauf hin, dass das Principal-Agent-Problem schwer zu lösen ist. Was ihre Interessenvertreter in der Hauptstadt tun, ist für die beauftragenden Unternehmen nur mit großem Aufwand zu kontrollieren. „Wie soll eine Firma den Unterschied kennen zwischen dem bestmöglichen Deal und vorzeitiger Kapitulation?“, fragt Adler.

Unternehmen suchten sich Polit-Profis in der Hauptstadt, um deren Insider-Netzwerke und Expertise, deren Verfahrenswissen und Zugangsmöglichkeiten zu Entscheidungsträgern zum eigenen Vorteil zu nutzen. Den meisten fehle es jedoch an praktischer Erfahrung, um die von ihnen finanzierten Handlungen der Interessenvertreter sachgerecht und kritisch zu beurteilen.
"Genau das, was Interessenvertreter in Washington wertvoll macht – ihr Wissen, ihre Beziehungen, ihre Expertise – macht es auch schwer für die Außenstehenden festzustellen, ob sie bekommen, wofür sie das Geld zahlen. Es liegt im Interesse des Lobbyisten, sich mit den politischen Mitspielern gut zu stellen, Deals zu verhandeln und Allianzen zu bauen, sogar auf Kosten ihrer Klienten. Wenn der Lobbyist im Sinne eines seiner Klienten sehr hart drängt, untergräbt er möglicherweise den eigenen Wert für den nächsten Klienten. Und viele Insider werden nichts tun, was ihre Chancen einschränken könnte, sich einen Spitzenjob beim nächsten Regierungswechsel zu greifen oder in der Hierarchie der Interessengruppen-Insider aufzusteigen."
Auch in der Unternehmenswelt ist das Principal-Agent-Problem kein Unbekannter. Adler schreibt, viele Firmen hätten ganze Unternehmensbereiche, deren Interessen überkreuz mit denen der Eigentümer und der Unternehmensführung liegen. Der für Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsfragen zuständige Manager verdanke seine Position allein den in der Politik produzierten Regelwerken. Je mehr Vorschriften es gebe, und je höher die dadurch entstehenden Kosten seien, desto wichtiger werde diese Führungskraft. „Da ist es kein Wunder, wenn diese Manager so oft bei Umweltschützer-Soireen mit Aktivisten herumturteln“, frotzelt Adler.

Adler meint, dagegen ließen sich trotz der Grundprobleme einige Schritte unternehmen:
  • So könnten die Firmen klarere Anreize setzen – etwa die Honorare an die Unternehmens-Performance koppeln. So hätten die „Agenten“ einen Grund, sich für die Bilanz zu interessieren und einen Beitrag zu leisten, diese nicht zu belasten. 
  • Zudem könnten Informationsfluss und Beobachtung der eigenen Interessenvertreter verbessert werden. 
  • Im Lobbyteam eines Unternehmens sollte auf jeden Fall mindestens ein Vertreter sitzen, der das Unternehmen tatsächlich versteht, so Adler, vielleicht jemand, der seine Karriere in dem Unternehmen selbst gemacht hat. „Es ist schockierend, wie viele der vorgeblichen Wirtschafts-Interessenvertreter nicht einmal die einfachsten Dinge des Tagesgeschäfts ihrer Auftraggeber erklären können.“ Politische Beziehungen seien wichtig, aber ebenso das Wissen über die Wirtschaftsinteressen, die zu repräsentieren sind.
Die Chefetage der Unternehmen, meint Adler, sollte auch langfristig denken. Die taktischen Maßnahmen eines Unternehmens im Lobbying müssten mit strategischen Initiativen gekoppelt werden, um das System freien Wettbewerbs zu verteidigen, auf dem der Unternehmenserfolg beruhe.

Das heißt manchmal auch, auf den Platz am Tisch zu verzichten und den freien Wettbewerb um seiner selbst willen zu verteidigen“, mahnt Adler. „Das produziert vielleicht weniger Einladungen zu Washingtoner Cocktail-Parties, but könnte am Ende besser für die Bilanz sein – und für das Land.“

Kommentar
Jon Adlers Analyse ist in zweifacher Hinsicht interessant.

Zum einen zeigt sie ein starkes Misstrauen gegen Staat und Politik, das sich vom europäischen Korporatismus und der Kooperation klar abgrenzt. Früher war das im Wirtschaftsflügel der Republikaner auch schon ausgeprägt („Main Street“- gegen „Wall Street“-Konservative), mit der Tea Party hat sich das Anti-Washington, Anti-Big-Government-Argument radikalisiert – was die Freunde der Reagonomics oder selbst manche Hardcore-Libertarians nicht mehr nachvollziehen können.

Zweifellos ist Adlers Sicht naiv oder zumindest ideologisch und nicht sachgerecht, weil auch in den USA zahlreiche Unternehmen ihre Marktvorteile durch politisch-rechtliche Intervention und nicht durch „freien Wettbewerb“ sichern – von dem großen Geschäft mit der öffentlichen Hand einmal ganz abgesehen. Für viele – aber eben nicht alle – Unternehmen lässt es sich mit dem Insider-Spiel ganz gut leben, wenn es gelingt, spezifische Interessen durchzusetzen. Adlers Einwurf legt hier einmal mehr den großen Graben innerhalb der Wirtschaftswelt in Amerika offen. Adlers Appell ist immerhin ethisch begründet, er mahnt schließlich auch die Verantwortung der Wirtschaft für das Gemeinwohl an und plädiert sogar auf bewussten Verzicht auf den „Platz am Tisch“.

Zum anderen weist Adler darauf hin, dass politische Insider eben ein Insider-Spiel spielen wollen. Die Professionalisierung der Interessenvertretung führt zu einem Expertenwesen, in dem die Experten die Laien bewusst und im Eigeninteresse auf Abstand halten. Sie können das tun, weil es immer eine Informationssymmetrie gibt. Was für Absichten der Experte hat, wie er handelt, welche Informationen er zurückhält, das alles weiß der Auftraggeber häufig nicht so genau. Die Amateure müssen den Experten vertrauen. Dabei ergeben sich diverse Risiken.

Das Verhältnis zwischen Lobby-Auftraggeber und Lobbyist ist in der Tat konfliktbehaftet – übrigens nicht nur bei Consultants, sondern auch in Unternehmen (worauf Adler richtig hinweist) und in Verbänden (Konflikte zwischen Haupt- und Ehrenamt, Basis und zentraler Geschäftsstelle). In den Wirtschafts- und Politikwissenschaften gibt es inzwischen eine breitgefächerte Literatur, die sich mit den theoretischen und praktischen Auswirkungen befasst. Die theoretischen Aspekte – von „Agency Cost“ bis „Moral Hazard“ – werden in der Wissenschaft häufig nur in sehr formal-abstrakten Leitsätzen und sogar mathematischen Gleichungen diskutiert.  Dabei sind die kritischen Punkte praktisch äußerst wichtig.

Dass die Praktiker darüber lieber nicht so gerne reden, liegt auf der Hand. Wie bei allen Professionen geht es am Ende um Berufsethik und Berufskultur – um Redlichkeit und Verantwortung gegenüber dem Klienten, um Werte, Überzeugungen, Nachprüfbarkeit und Transparenz, Kompetenzen und Qualitätskriterien (für die sich Berufsverbände ja auch einsetzen, siehe z.B. den degepol-Kriterienkatalog zum Qualitätsmanagement).

Bei den öffentlichen Debatten um Ethik in der Lobbyarbeit und Politikberatung liegt der Fokus ja selten bei der Frage, ob die Lobbyisten eigentlich das Richtige für ihre Auftraggeber tun. Zumindest in den Unternehmen und Branchen selbst sollte die Frage aber häufiger diskutiert werden.

Praktisch ist das Dilemma eigentlich nur dann in den Griff zu bekommen, wenn Unternehmen und ihre Top-Manager selbst etwas mehr von Politik verstehen, im eigenen Haus stärker über Politik sprechen und mit eigenen Ressourcen Politik machen können.

Diese Politisierung möchten die meisten Manager allerdings eher vermeiden. Es ist eben einfacher, bei Problemdruck einen externen Wunderheiler zu beauftragen, der das Problem wegmacht. Auch wenn die Theorie warnt, dass der Schamane vom Problem leben muss und nicht von der Lösung.

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