Zwei Gesundheitswissenschaftler aus York und London haben die Quellen genutzt, um die Lobbyarbeit von British American Tobacco (BAT) in Mittelamerika nachzuvollziehen. Im Fokus: Steuern und Zölle im Zuge der Handelsliberalisierung. Dem Konzern gelang es, für seine Fabriken erhebliche Vorteile gegen Wettbewerber (wie Philip Morris und andere Tabakfirmen) zu gewinnen. Zugleich baute BAT seine Firmenstrukturen um, um besonders von den Vorteilen des neuen Binnenmarktes zu profitieren. Die Autoren der Studie halten die Erkenntnisse auch für andere Weltregionen relevant: Zwischenstaatliche Organisationen sollten genau beobachten, wie transnationale Konzerne Handelsabkommen beeinflussten -- bei der Zigarettenindustrie etwa wegen der Umsetzung des WHO-Tabakrahmenabkommens.
Holden, C. & Lee, K. (2011). A major lobbying effort to change and unify the excise structure in six Central American countries: How British American Tobacco influenced tax and tariff rates in the Central American Common Market. Globalization and Health, 7(15): 7-15. Abgerufen von http://www.globalizationandhealth.com/content/7/1/15 [20.08.2011] (Open Access)Neue Handelsabkommen sind für transnationale Unternehmen immer eine Herausforderung, Chance und Risiko zugleich. So musste BAT reagieren, als in Mittelamerika Initiativen zur Handelsliberalisierung und Schaffung einer Freihandelszone bzw. Binnenmarktes in den frühen 1990ern den politischen Trend bestimmten. Schon 1960 war der Zentralamerikanische gemeinsame Markt (Central American Common Market, CACM; spanisch Mercado Común Centroamericano, MCCA) geboren wurden. In den 1970ern und 1980ern war das Abkommen so gut wie tot, und Mittelamerikas Staaten versanken in Krisen und Bürgerkriegen. 1990-93 wurde die Idee reaktiviert, auch beeinflusst von den Fortschritten in Europa von der EG zur EU und dem später zur WTO führenden Fortentwicklung des Welthandelsabkommens GATT -- zwischenstaatliche Organisationen und Handelsblöcke sowie Liberalisierung entsprachen dem Zeitgeist. Mit dem Zentralamerikanischen Integrationssystem (SICA) erhofften sich die Staaten einen Bund, der sich politischen Zielen wie Frieden, Freiheit, Demokratie, Entwicklung und Schutz der Menschenrechte verschrieb, aber auch durch einen Binnenmarkt die Wirtschaftskraft stärken sollte.
Der CACM-Binnenmarkt war nun das Ziel der Staaten Guatemala, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Costa Rica und Panama. Da BAT in allen diesen Staaten Fabriken unterhielt (in Honduras und Nicaragua sogar als Monopolist) und als Inlandsproduzent den Markt dominierte, war es das Ziel, die Zölle auf Importzigaretten möglichst hoch zu schrauben – und zwar höher, als es in dem CACM-Handelsabkommen eigentlich vorgesehen war. Innerhalb des mittelamerikanischen Binnenmarktes sollten die Tabaksteuern harmonisiert werden. Diese Ziele wurden weitgehend erreicht.
Länderübergreifende Koordination: Wenn die Konzernzentrale sich über die Tochterfirmen ärgert
Ein Schlüssel zum Erfolg waren nicht nur ranghohe Kontakte zu den Regierungen der beteiligten Staaten, sondern vor allem länderübergreifende Koordination und Informationsaustausch zwischen den nationalen BAT-Büros.
Die Informationen liefen in der Regionalmanagement-Abteilung der Konzernzentrale zusammen, die dafür sorgte, dass die BAT-Büros einheitlich und mit abgestimmten Timing argumentierten: mit der Bedeutung für Arbeitsplätze und Steueraufkommen sowie mit den Zolleinnahmen (nicht zuletzt in ausländischer Währung, also US-Dollars). Lobbyiert wurde beim Sekretariat der CACM-Binnenmarktorganisation als auch national bei den Präsidenten, Ministern, Beamten und Parlamentariern sowie anderen Interessenverbänden in den sechs Staaten.
Die Public-Affairs-Verantwortlichen vereinbarten wöchentliche Aktualisierung per Rundschreiben in ihrer Gruppe. Die Länderbüros hatten der Zentrale und untereinander ständig Bericht über ihre Lobbykontakte und Gespräche zu erstatten, „selbst die kleinsten Hinweise“ sollten untereinander ausgestauscht werden. Die Ländermanager sollten sichergehen, dass ein „proaktives Vorgehen beim Lobbying“ und ein „positives Programm für jede Landesgesellschaft entwickelt“ werde.
Bisweilen ärgerte sich die Zentrale über nicht ausreichendes Monitoring und unbefriedigenden Informationsaustausch – etwa, wenn die Landesgesellschaften es dabei beließen, nur ein paar Zusammenfassungen von Presseartikeln zu übersenden. Das sei „inakzeptabel“. Die Public-Affairs-Verantwortlichen sollten doch bitte sichergehen, dass sie aktuelle Informationen aus erster Hand und engere Kontakte für effektives Lobbying hätten. Ein von der Londoner Zentrale bestellter Koordinator für die CACM-Staaten sollte das nun überwachen. (Siehe Protokoll im Faksimile: CACM Public Affairs Coordination Meeting in Chelwood, 7. Oktober 1992)
Die Tochterunternehmen sollten eng mit den Industrieverbänden ihrer Länder zusammenarbeiten, um Unterstützung für die BAT-Positionen zu sichern. Den Politikern sollten die Auswirkungen niedriger Einfuhrzölle und Billigimporte auf die örtliche Wirtschaft im Einzelnen dargelegt werden, möglichst mit Zahlen belegt. Die Zentrale verfügte „intensives Lobbyieren“ und „Priorität bei allen Gesprächen mit dem Staat“.
Den Politikern sollte verdeutlicht werden, dass die Steuern der heimischen Zigarettenindustrie „sicher und pünktlich“ gezahlt würden, das sei aber bei Zöllen keineswegs so. Die Firmen sollten auch auf das Beispiel der EG hinweisen, die seinerzeit einen gemeinsamen Außenzoll von 90% auf Importzigaretten hatte. Die Folgen niedriger Weltmarktpreise und niedrigen Zöllen, so sollten die Lobbyisten argumentieren, könnten sein, das die inländische Produktion gänzlich unwirtschaftlich werde und weder beim Preis noch bei der Qualität dem internationalen Wettbewerb standhalten könne. Dann käme es zu Währungsabflüssen, Einbrüchen bei den Steuereinnahmen und erhebliche Jobverlusten nicht nur bei den Zigarettenfabriken und Tabakplantagen, sondern auch bei Zuliefer- und Servicebetrieben.
Wie es BAT passt: Protektionismus statt Freihandel, oder umgekehrt
Im Kern geht es hier um Protektionismus, um Schutzzölle für die heimischen Agrar- und Industriejobs. Eigentlich sollte das Handelsabkommen die Zölle weitgehend absenken, bei Importen auf pauschal 20 Prozent. BAT befürchtete, der Außenschutz für die Inlandsproduktion von Zigaretten würde „effektiv halbiert“. Damit wäre der mittelamerikanische Markt auf einen Schlag sehr attraktiv für Hersteller aus Übersee. Also versuchte BAT die Politiker zu überzeugen, Importzigaretten auf eine Extraliste höher verzollter Produkte zu setzen. Statt der geplanten 20% Zoll sollten 60% gelten. 1993 steigerten die meisten – nicht alle – Staaten ihre nationalen Zölle, sie lagen bei 30-75%, 1996 galt dann ein gemeinsamer Tarif von 55%. (Übersichtstabelle)
Anders positionierte sich BAT bei Rohprodukten, die BAT für die eigene Zigarettenproduktion benötigte: Hier unterstützte BAT das Ziel des Abkommens, nur 5 Prozent Zoll zu erheben. Hier ging es z.B. um Filter, Zigarettenpapier, Geschmackszusätze und Verpackungen. Verschiedene Politiker wollten hier höhere Zölle – BAT versuchte sie davon abzubringen.
Bei der Steuerharmonisierung bremste BAT, um sich Zeit zu verschaffen, um die unterschiedlichen Besteuerungspraktiken zu beeinflussen. BAT wollte möglichst niedrige oder gar keine Steuerunterschiede, um den Vertrieb im gesamten Binnenmarkt zu erleichtern. Gegen eine Steuersenkung hatte BAT nichts, aber das war unwichtig. Allerdings: wie besteuert werden würde, war BAT sehr wichtig.
Hier ging es um steuerrechtliche Details: die Steuer sollte im gesamten Binnenmarkt prozentual auf den Einzelhandelspreis der Zigaretten und nicht auf den Preis "ab Fabrik" aufgeschlagen werden. Warum? Als Inlandshersteller wollte BAT unbedingt, dass Importzigaretten teurer sind. Bei diesen haben die größeren Transportkosten im Einzelhandelsverkaufspreis einen höheren Anteil. Wird die Steuer darauf aufgeschlagen, ist der gesamte Preis für die Packung höher. Für den Verbraucher sind das nur Kleinstbeträge, sie summieren sich aber und schaffen einen Wettbewerbsvorteil gegen Importeure.
Doppelstrategie: Arbeitsplätze schützen, um sie dann abzubauen
BAT verkaufte den Regierungen die hohen Außenzölle für Importzigaretten als notwendig, um die bestehenden Arbeitsplätze zu sichern. Kaum war der Binnenmarkt aber etabliert, strich der Konzern Hunderte von Stellen und verfügte Werksschließungen. Denn die Skaleneffekte des größeren Marktes machten es nun wirtschaftlicher, die Produktion zu zentralisieren und zu rationalisieren. Bis dahin hatten BAT-Fabriken nur im jeweiligen Land für den nationalen Markt produziert, denn Zölle und Steuern erschwerten den zwischenstaatlichen Handel. Die Idee war nun, nur noch ein bis zwei Fabriken für den gesamten Mehrstaaten-Binnenmarkt produzieren zu lassen.
Das entspricht der Logik eines Binnenmarktes, wie die Autoren der Studie betonen. Sie weisen aber darauf hin, dass BAT zeitgleich die Regierungen mit dem Job-Argument lobbyierte und die Stellenstreichungen und Werkschließungen plante. Die Strategie „Außenschutz + Effizienzgewinne innen“ ist betriebswirtschaftlich konsistent. Politisch war das allerdings fragwürdig und hätte Proteste, Streiks, ein Wiedererstarken der Gewerkschaften und Unruhen unter den Arbeitern auslösen können. BAT wusste das und bereitete sorgfältig Krisenreaktionspläne wegen der „politischen Implikationen“ seiner Rationalisierungsprozesse vor, wie die Wissenschaftler anhand der Dokumente nachweisen können.
Was die Autoren im Prinzip sagen wollen, ist: BAT war groß im Heucheln. Was der Binnenmarkt für die Arbeitsplätze bedeuten würde, sagte das Unternehmen den Politikern nicht -- es hoffte darauf, dass die Folgen wirtschaftspolitisch akzeptiert würden. Stattdessen redete BAT nur über die Bedrohung von außen und erreichte eine wettbewerbsfeindliche Sonderbehandlung für seine Produkte.
Die Autoren sehen BAT auch „in keiner Weise“ als grundsätzlichen Befürworter der Freihandelsidee. Der Konzern unterstützte das Bemühen der Politiker um regionale Integration und Liberalisierung nicht aus Prinzip, sondern aus „rein instrumentellen“ Gründen. Da BAT in allen Staaten des CACM-Binnenmarktes selbst produzierte, musste sich der Konzern um neue Marktzugänge nicht sorgen; vielmehr ging es darum, die bereits dominante Position zu sichern und abzuschotten. Ausschlaggebend war die Rivalität mit Philip Morris, dem einzigen Konzern, der in der Region noch fest verankert war.
Die Autoren mahnen Handels- und Industriepolitiker, die regionale Wirtschaftsabkommen zwischen Staaten anstreben, aufmerksam die politischen Interventionen der Konzerne zu beobachten. Sie seien in der Lage, die Verhandlungen zu beeinflussen – in ihrem eigenen Interesse und weniger im Interesse der Mitgliedstaaten. Das habe Implikationen für die Gesundheitspolitik, etwa die Umsetzung der WHO-Tabakrahmenkonvention von 2005 (Framework Convention on Tobacco Control, FCTC). Wer den Gesundheitsschutz durchsetzen wolle, müsse sich mit den regionalen Strategien der Tabakunternehmen auseinandersetzen, mit denen sich diese Steuer-, Zoll- und sonstige Wettbewerbsvorteile verschafften, und dazu Gegenstrategien entwickeln.
Recherchetechnik
Interessant ist im Übrigen das Vorgehen der Autoren. Wie erwähnt, basiert die Forschung auf der amerikanischen Datenbank Legacy Tobacco Documents Library (LTD). Hier sind vorrangig US-Dokumente abgelegt, die Unterlagen ausländischer Tochterfirmen nicht. Allerdings kommt man so auch an die Korrespondenz zwischen dem Hauptquartier und den Konzerntöchtern heran. Die Autoren belegen ihre Quellen in ihrem Artikel mit Links, so dass man sich die eingescannten, z.T. als Text digitalisierten Vermerke, Protokolle von Meetings, Strategiepapiere usw. gleich ansehen kann.
Die Wissenschaftler holten sich per Suchmaske zunächst BAT-Unterlagen zum CACM-Binnenmarkt und ermittelten dann Querverweise zu anderen Dokumenten sowie weitere nützliche Suchbegriffe. Eine zentrale Frage ist dabei, wie man archivierte Firmendokumente überhaupt auswerten kann – wie man die Bedeutung einzelner Akten erfassen kann, welchen Zusammenhang sie mit anderen haben, wie man repräsentative Materialien auswählt und so weiter (siehe Methodik-Teil und Literaturverweise zur Methode).
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