Mittwoch, 10. März 2010

Das Lobbying der Solarindustrie, ihre Allianzen, Strategien und Parteispenden

Die Debatte um die Kürzung von Solar-Subventionen hat die Solarenergie-Interessenvertreter etwas ins Licht gerückt. "Im Namen der Sonne" betitelt die Financial Times Deutschland ihre Magazinstory über die "schlagkräftige Lobby, die sich von den Idealen der Gründerjahre längst verabschiedet hat". Eine pointiert und dicht geschriebene Fallstudie über das Werden einer Industrie, die erwachsen geworden ist – und, weil ihr Wohl und Wehe weniger vom Marktwettbewerb als von der politischen Rahmensetzung abhängig ist – sehr professionelles Lobbying betreibt. Mit dem Vorteil einer Reputation, die ihr die traditionellen Energieversorger nur neiden können.

Nikolai Fichtner und Kathrin Werner zirkeln das Technologie-Politikfeld gut ab. Seit 10 Jahren gibt es das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), und es war stets ein Brandherd für zahlreiche Lobbyisten. Für die Solarbranche ist die von der Politik festgesetzte Garantiezahlung – eine Subvention, die nicht direkt vom Staat, sondern von den Verbrauchern bezahlt wird – die Existenzsicherung schlechthin. Die Solarbranche musste befürchten, dass die schwarz-gelbe Koalition das EEG gründlich umstrickt oder gar abschafft. Nichts davon ist passiert. Und das Verhindern großer Brüche ist eben auch ein Lobby-Erfolg.

Die FTD-Geschichte beginnt mit Hans-Josef Fell, den laut FTD "heimlichen Gründer der Solarlobby":

Es gab damals nur fünf Unternehmen in der Fotovoltaik-Branche, mit Lobbyismus hatten sie nichts am Hut. Fell hat sie heimlich zusammengetrommelt und gesagt: "Schreibt einen Brief an den Wirtschaftsminister." Er erinnert sich: "Für die Unternehmen war das schwer damals."

(...) Das Gesetz war inzwischen durch den Bundestag, es garantierte den Betreibern 99 Pfennig Erlös pro Kilowattstunde Solarstrom. Aber die Länder mussten noch zustimmen, und Nordrhein-Westfalens damaliger Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) galt als Gegner der Öko-Energien. Fell und seine Freunde erfuhren, dass Shell eine Solarzellenfabrik einweiht - mit Clement als Gastredner. "Wir haben dann über Shell einen Kontakt zu Clements Redenschreiber hergestellt", erzählt er. Der hat in die Eröffnungsrede reingeschrieben, dass 99 Pfennig dringend nötig seien, auch für diese Fabrik. "Und Clement hat's gesagt." Hinter das öffentliche Wort konnte der Ministerpräsident danach nicht mehr zurück. (...)

Es sind Geschichten aus einer Zeit, als David noch gegen Goliath kämpfte. Eine kleine Gruppe Idealisten, die mit List und Schläue für eine saubere Energieversorgung stritt - gegen die Ministerialbürokratie, gegen das mächtige Oligopol der Energiekonzerne. Sie haben sich damals vorgenommen, ihre Interessen wirkungsvoll in der Politik zu vertreten. Und eins stand dabei fest: Sie wollten eine gute Lobby werden. Eine, die sich mit reinem Gewissen für eine schützenswerte Sache einsetzt. Ganz anders als all die Pharmafirmen und Energiekonzerne, denen es doch immer nur um zusätzliche Profite ging.

Und ach, was ist daraus geworden.

Eine Dekade später ist aus der kleinen Gruppe, die sich nicht einmal traute, einen Brief an Werner Müller zu schreiben, eine schlagkräftige Interessenvertretung geworden, die in ihrer Effektivität den etablierten Wirtschaftslobbys in nichts nachsteht - und die in der Zwischenzeit viel von ihren hehren Motiven aufgegeben hat. Sogar Hans-Josef Fell warnt seine Weggefährten, in ihrem Streben nach mehr Einfluss nicht zu weit zu gehen: "Manche Methoden schaden dem Ganzen!"

Die FTD knöpft sich Frank Asbeck und sein Unternehmen Solarworld vor, eine Firma mit Milliardenumsatz:

"Wir sind ein politisches Unternehmen", sagt ein Solarworld-Sprecher. Und Asbeck ist ein politischer Mensch. Er ist zugänglich und jovial im Umgang, er kann emotional reden und anschaulich erklären. Er versteht die Politik, und die Politiker verstehen ihn. So etwas kann helfen. Auch First Solar, Juwi und der Branchenverband BSW sind in Berlin aktiv. Aber keiner prägt die Debatte um die Einspeisevergütung wie Asbeck.

Zu erfahren ist über Asbeck auch, dass er sich - obschon einst Grünen-Mitgründer - Fundraising für die FDP organisiert hat und auch sonst im Parteispendenwesen bewandert ist:

Am 12. September 2009, zwei Wochen vor der Bundestagswahl, deuten die Umfragen auf einen Sieg von Schwarz-Gelb hin. An diesem Abend lädt Frank Asbeck zum Fundraising-Dinner in die Solarworld-Zentrale im alten Wasserwerk in Bonn/Bad Godesberg. Ein Sternekoch grillt Wildschweine aus Asbecks eigener Jagd. 280 Gäste sind da, darunter fast die komplette FDP-Führung. "Ein absoluter Rekord, wie übrigens auch die Spendensumme", schwärmt die FDP auf ihrer Homepage, "ein unvergesslicher Abend".

Asbeck und Spenden für die Liberalen? Der Unternehmer hat 1979 den ersten Grünen-Landesverband mitgegründet, er pflegt auch gute Kontakte zur SPD. Aber an diesem Abend sammelt er Spenden für Guido Westerwelle . "Solarworld hat nichts an die FDP gespendet", erklärt Asbeck. Das Dinner habe er mit seiner Frau und Freunden organisiert - und die Spenden seien nicht von ihm gekommen, sondern von den Gästen. "Das ist nicht anrüchig", sagt er.

(...) Offiziell spendet Solarworld eher an die traditionellen Förderer der erneuerbaren Energien: Die Grünen bekamen 2007 rund 25.000 Euro. Die SPD erhielt 2008 laut Rechenschaftsbericht 45.000 Euro, mehr als von Volkswagen. Davon hat allein der Bonner SPD-Abgeordnete Ulrich Kelber, Westerwelles direkter Wahlkreis-Konkurrent, 25.000 Euro für seinen Wahlkampf bekommen. Kelber hat Einfluss im Bundestag, er war in der Großen Koalition als stellvertretender Fraktionschef für die EEG-Verhandlungen zuständig.Man kann Kelber glauben, dass er aus Überzeugung für die Energiewende ist und nicht aus finanziellen Motiven. Auf seiner Website listet er sämtliche Spenden und Gespräche mit Lobbyisten auf - freiwillig. "Asbeck ist ein alter Freund von mir", sagt Kelber, "er findet halt, dass ich gute Arbeit mache."

Die Regierung hatte nun Schwierigkeiten, den richtigen Ansatz zur Kürzung der Subventionen zu finden. "In der Praxis hat die Politik gar nicht die Kompetenz, das zu bewerten. Es gibt im Umweltministerium einen Mitarbeiter mit einer halben Stelle, der sich mit der Branche beschäftigt", stellt die FTD fest. Präzise Daten fehlten dabei: Es gebe nur "Stochern im Nebel", beklage ein Koalitionspolitiker, und "Pi-mal-Daumen-Politik". "Auch das erklärt den Lobbyeinfluss: Die Politik kann entweder der Branche glauben - oder ihren Gegnern."

Problem: Die Absprachen der führenden Solarunternehmen in ihrem Verband funktionieren offenbar nicht richtig, Asbeck spielt nach Ansicht der FTD mehr oder weniger gekonnt ein eigenes Spiel. Das Blatt über die Verhandlungen zur EEG-Novelle:

Nachdem Röttgen sein Konzept vorgestellt hat, sind die Bundestagsabgeordneten dran. Wer jetzt gut verhandelt, kann die Kürzung erhöhen, verringern oder verschieben, die Schlupflöcher vergrößern oder verkleinern. Lobbyisten und Abgeordnete haben jetzt viel zu tun. Es gibt Protestbriefe, symbolische Firmenschließungen und viele, viele Arbeitsplatzargumente.(...)

Viele Abgeordnete haben eigene Anlagen zu Hause, quer durch die Fraktionen. Andere sitzen in Aufsichtsräten von Solarfirmen. Viele wurden in ihrem Wahlkampf von Unternehmen aus der Branche unterstützt. "Die spenden an alle ohne Unterschiede", sagt ein Empfänger aus der FDP. Einige Abgeordnete haben Solarunternehmen in ihrem Wahlkreis, vor allem in den neuen Bundesländern.

Zudem ist der Draht der Branche zu den Ministerpräsidenten der Länder eng (...). Besonders effektiv ist bei einer schwarz-gelben Koalition die Zusammenarbeit der Sonnenenergievertreter mit der Handwerkerlobby. Die montieren die Anlagen schließlich - und gehören zur schwarz-gelben Kernklientel.

Genau! Die Solarindustrie ist tatsächlich selbst durch Mittelständler geprägt, auch die großen Unternehmen haben immer noch mittelständische Wurzeln. Es liegt nahe, dass sie ihre mittelständischen Geschäftspartner einbeziehen. Die Handwerker, wichtige Stakeholder der Solarbranche, haben sicher nicht dieselben Probleme wie die Solarfirmen, wohl aber ähnliche Interessen. Mit diesen pragmatisch zu koalieren, ist sinnvolle und erfolgreiche Bündnispolitik. Vor allem, wenn die Handwerker politische Zugänge haben, die den Solar-Leuten fehlen.

Es gehört zu den Stärken der Solarlobby, dass sie auf vielen Ebenen gleichzeitig agieren kann. Sie braucht viele Verbündete, während der Vorstandschef eines großen Energieversorgers direkt bei der Kanzlerin anrufen kann. "Die Solarlobby agiert höchst professionell. Dagegen sind die Energiekonzerne Waisenknaben", sagt Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Der CDU-Politiker ist einer von wenigen Abgeordneten, die sich offen gegen die Solarlobby stellen. "Was mich besonders ärgert, ist, dass sie moralisch so überlegen tut, auch wenn es ihr nur ums Geld geht." Seine Gegner wiederum werfen ihm zu große Nähe zu den Energiekonzernen vor.

Pfeiffer hat seine eigenen Erfahrungen mit der Solarlobby gemacht. Einmal habe ein Branchenvertreter versucht, seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter zu ködern, berichtet Pfeiffer, ein "Korruptionsversuch".

Und da gibt es auch noch diese Episode aus dem Wahlkampf 2005: Pfeiffer tritt im Wahlkreis Waiblingen an, sein direkter Konkurrent ist Hermann Scheer , der in der Szene gern "Solarpapst" genannt wird. Pfeiffer muss seinen Wahlkreis direkt gewinnen, sonst fliegt er aus dem Bundestag. Plötzlich steckt eine Sonderausgabe der "Solarzeitung" in den örtlichen Briefkästen, vier Farbseiten, mit großem Hermann-Scheer-Interview, drei Scheer-Fotos, eins davon mit Arnold Schwarzenegger. Herausgeber: Solarworld. Verantwortlich für den Inhalt: Frank Asbeck.

Scheer sagt, er habe lediglich ein Interview gegeben. Ein Solarworld-Sprecher bestätigt den Vorfall: Man habe die "Solarzeitung" bundesweit in Umlauf gebracht. Aber flächendeckend verteilt wurde sie nur in dem Wahlkreis, in dem es schwerpunktmäßig um Energiepolitik ging. Und das war eben Waiblingen. Pfeiffer glaubt, dass das eine gezielte Wahlkampfaktion gegen ihn war. Am Ende hat er trotzdem gewonnen.

Fazit
Wenn man dem FTD-Portrait folgt, hat die Solarindustrie alles ziemlich richtig gemacht:

  • Nutzen der Informationsdefizite der Politik und Herstellen von Unentbehrlichkeit als informationeller Zuträger,
  • Aufbau eines vielschichtigen Beziehungsnetzwerks,
  • Verständnis für das alte Prinzip "all politics is local",
  • Erhalt und Pflege der Reputation als moralisch "saubere" Branche und zugleich mittelständisch geprägte Industrie,
  • Allianzenbildung bis tief hinein in das parteipolitisch anders gefärbte Lager,
  • gezielter Einsatz von finanziellen Anreizen und Medien,
  • Belohnen der Freunde,
  • Eindämmen und Bestrafen der Gegner.
Was man bei der FTD aber auch herauslesen kann, sind steigende Koordinationsprobleme und gegenläufige Interessen zwischen den Marktwettbewerbern, was, wie der Artikel beweist, den Politikern und Journalisten nicht verborgen bleibt. Und die zunehmend genauer hinschauen. Auch darin ist die Solarindustrie - und ihre Verbandswelt - heute eine Branche wie viele andere auch.

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