Freitag, 21. Mai 2010

Machtbalance: Lobbying für und gegen grüne Gentechnik in Brüssel

Die Machtbalance zwischen dem Biotechnologieverband EuropaBio und seinen Verbündeten einerseits und Greenpeace andererseits hat Juliana Veit an der Technischen Hochschule Wildau untersucht. Bei Tectum ist nun ihre Studie erschienen, die als Master's Thesis im Studiengang Europäisches Management angenommen wurde. Veit ist beschäftigt bei der Europäischen Akademie für Steuern, Wirtschaft und Recht in Berlin.

Auf der Basis einer theoretisch eingeordneten dual-vergleichenden Fallstudie legt Juliana Veit ein Buch vor, bei dem die Autorin Managementorientierung und die Perspektive der planenden und handelnden Führung von Unternehmen und Organisationen nicht aus dem Auge verloren hat – und so ist der Band auch sinnvolle Lektüre für Praktiker. Nicht zuletzt für Europa-Strategen in transnationalen Unternehmen und NGO.

Juliana Veit formuliert die Frage, was den Erfolg wirtschaftsverbandlicher Interessenvertretung im Sinne effektiver Einflussnahme auf den Politikgestaltungsprozess ausmacht und welche Kriterien als Vergleichsbasis herangezogen werden können. Die Kandidatin problematisiert aus akademischer wie praktischer Sicht zu Recht simplifizierte Erfolgsmessungen anhand der politischen Ergebnisse.

Sie stellt daher die alternative Frage nach strukturellen und handlungsorientierten Voraussetzungen der Lobbyarbeit, also den Ressourcen. Veit geht von Machtasymmetrien zwischen lobbyierenden Akteuren aus, um den Kontrast zwischen einem Branchenverband und einer NGO herauszuarbeiten. Laut Veit ist der „rote Faden“ der Studie die Gegenüberstellung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Mobilisierungs- und Artikulationspotenziale bzw. –praktiken.

Die Autorin begründet die Auswahl des Politikfelds Gentechnik durch die kontroverse und polarisierende Debatte sowie die Komplexität der Entscheidungsbedarfe, die einen hohen Bedarf der Politik an externem „Input“ mit sich bringt. Auch die Auswahl der Untersuchungsgegenstände EuropaBio und Greenpeace wird klar begründet.

Veit liefert einen Überblick über die EU-Gentechnikpolitik und stellt die Stakeholder im Regulierungsgeflecht dar. Sie erörtert die Theorien (oder besser: theoretischen Ansätze) und stellt ihre Methode und Operationalisierung dar. Jeweils parallel nimmt sich Veit dann jeweils für Ressourcen-Ansatz und Institutionen-Ansatz die beiden ausgewählten Organisationen vor. Das heißt, der Untersuchungsverlauf verläuft anhand der gleichen Untersuchungskriterien. Die Struktur erschließt sich schnell und gibt der empirischen Bearbeitung einen sehr festen Rahmen. Veit gelingt es, im jeweiligen Fazit die Vor- und Nachteile der Ansätze präzise zu benennen und den empirischen Forschungsgewinn deutlich zu machen.

Sie schreibt sehr dicht und zeichnet ein differenziertes, oft sehr detailliertes und mit Beispielen sowie farbigen politischen Einschätzungen der Akteure gespicktes Bild der Lobbyarbeit von EuropaBio und Greenpeace in Brüssel und auch im nationalen Rahmen (Deutschland). Dabei gelingt ihr ein sehr kontrastreiches Bild.

Wie zu erwarten war, unterscheiden sich die GMO-interessierte Industrie und die Umweltorganisation sehr stark durch die Verfügbarkeit und Nutzung interner und externer Ressourcen. EuropaBio ist besonders stark bei den internen Ressourcen, insbesondere bei der Finanzaustattung, Größe, Vertretungsanspruch, wissenschaftlicher Expertise; Greenpeace kann und muss vor allem die externen Ressourcen, insbesondere die Mobilisierung der Öffentlichkeit(en) nutzen.

Veit betont allerdings, dass die Asymmetrien bei den Ressourcen für sich genommen kein ausreichendes Erklärungspotenzial für den Erfolg besitzt. Sie legt sehr ausführlich dar, dass die geschickte und projektabhängige Nutzung von Zugängen, Instrumentarien und politischen Strategien von erheblicher Bedeutung sind und im Sonderfall der Gentechnik sogar als wichtiger erscheinen müssen.

Hierbei zeigt Veit auch, dass der erhebliche Einfluss der nationalen Öffentlichkeiten auf die Fähigkeit der europäischen Institutionen in Brüssel, rein nach technokratischen Kriterien zu entscheiden, sehr groß ist und diese massiv begrenzt. Sie kommt zu dem Schluss, dass die öffentliche Meinung zum Nutzen der GMO-Produkte und die sich dieser anpassende Einstellung der politischen Akteure der entscheidende Erfolgsfaktor sind; erst wenn diese sich wesentlich ändern sollten – was sie schon sehr lange Zeit nicht getan haben – ergäben sich neue Chancen für die Industrie und eine Verringerung der Chancen der Umweltorganisation.

Wie jede Fallstudie kann auch diese ausschließlich Erklärungsansprüche für die untersuchten Organisationen haben. Die Erkenntnisse sind jedoch aufschlussreich für jede Branche und jedes Unternehmen, das sich in ähnlicher Weise in einem hoch regulierten Tätigkeitsfeld bewegt und sich der Kritik von NGOs stellen muss. Veit arbeitet die unterschiedlichen Logiken so heraus, dass auch andere Wirtschaftsorganisationen (und andere NGOs) die Arbeit mit Gewinn für die Managementpraxis ihrer Public Affairs und Regulierungsangelegenheiten lesen könnte. Zugleich liefert Veit einen Beleg dafür, wie die Analyse der Interessenvertretung mit Hilfe der verwendeten theoretischen Ansätze ganzheitlich gestaltet werden kann.

Wer im Feld Gentechnik und Lobbying recherchiert, wird sich auch am Literaturverzeichnis freuen: Es ist umfangreich und umfasst in großem Maße englischsprachige Literatur. Für den empirischen Teil der Fallstudie wurde vorrangig auf aktuelle Medienberichterstattung, Dokumente (Pressemitteilungen, Positionspapiere, Studien, Selbstdarstellungen, Kampagnen-Websites, Kampagnen-Materialien u.a.) von Organisationen und Unternehmen sowie mit Bezug auf Gesetzgebungsprozesse auf amtliche und politische Quellen zurückgegriffen.

Die Autorin hat ihre Literatur- und Dokumentenauswahl in erheblichem Umfang durch telefonische, persönliche und schriftliche Befragungen von Akteuren ihrer Fallstudie sowie durch Experten ergänzt. Diese insgesamt 24 Interviews – viele davon in Brüssel – spielen eine tragende Rolle.

Die Autorin zeigt sich in der Lage, auch komplizierte Sachverhalte und theoretische Ansätze verständlich darzulegen, kompakte Fazits zu ziehen, Kontrast herzustellen und zugespitzt und thesenhaft zu formulieren. Veit nutzt auch grafische Visualisierungen, um Kernkonzepte zu erläutern. Diese erleichtern das Verständnis und werden in angemessener Weise genutzt.

Aus dem Klappentext:

"Entscheidet Geld allein über den Erfolg gezielter Lobbyarbeit? Großunternehmen und ihre Verbände gelten noch längst als übermächtige und ungeschlagene Akteure, wenn es darum geht, ihre Interessen im politischen Prozess auf nationaler und europäischer Ebene durchzusetzen. Finanziell und personell unverhältnismäßig stark ausgestattet, können sie mit wissenschaftlicher Expertise und aufwendigen Informationsplattformen einen Weg zu Multiplikatoren und politisch-administrativen Akteuren ebnen. Andererseits sind diese großen Spieler oft behäbige Tanker, gefangen im Spannungsfeld zwischen den Wünschen ihrer Mitglieder und den konsensorientierten Spielregeln auf dem politischen Parkett. Straff organisierte, klar ausgerichtete Nichtregierungsorganisationen können hier mit Konsequenz und persönlicher Überzeugungsarbeit punkten.

Juliana Veit stellt die Lobbyingaktivitäten von Industrieverbänden und NGOs gegenüber und ergründet, wer den Politikgestaltungsprozess zielführender beeinflusst. Anhand zweier theoretischer Ansätze - der Ressourcentheorie und der Institutionentheorie - entwickelt sie Erfolgsfaktoren, um die Lobbyingaktivitäten von Verbänden zu analysieren.

Die kontrovers diskutierte grüne Gentechnik liefert den passenden Handlungsrahmen zur praktischen Überprüfung: Anhand der Machtbalance zwischen dem Biotechnologieverband EuropaBio und der Umweltschutzorganisation Greenpeace untersucht die Autorin auf europäischer Ebene, welche Seite im politischen Spiel mehr Einfluss nimmt."
ISBN 978-3-8288-2257-3, 169 Seiten, Paperback, Tectum Verlag 2010 Preis: 24,90 €

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