Dienstag, 15. Juni 2010

Lobbying statt FuE -- Macht Deregulierung die USA bei Technik schlapp?

Die USA werden vom Lobbyismus geschwächt, schreibt Stephan Richter in der FTD. Der Chefredakteur vom Online-Wirtschaftsmagazin The Globalist meint: Mächtige Interessenvertreter sind nicht nur ein Risiko für die demokratische Kultur. Ihr erfolgreiches Werben für Deregulierung untergräbt zudem die Wettbewerbsfähigkeit der USA.

Dabei bezieht sich Richter nicht nur auf erfolgreiche Produkte, sondern auf die Leistungsfähigkeit von Forschung und Entwicklung, die er nicht zuletzt durch strenge Regulierung wie in Europa und Japan getrieben sieht.

Er hält es für besser, wenn die Unternehmen sich der Herausforderung durch strikte Regeln stellen. Die amerikanische Antwort, die Regeln aufzuweichen, um sich an den notwendigen Veränderungen vorbeizumogeln, hält er für selbstmörderisch. Zugleich attackiert er das US-Parlament und die Republikaner, die ideologisch der Deregulierung das Wort reden, ohne die Konsequenzen für die Wirtschaft und Wissenschaft zu beachten. Auszüge:
Für eine Nation, die in jüngerer Vergangenheit mit Konzepten wie Transparenz, Offenlegung und Rechenschaftspflicht von sich reden machte, ist es schmerzhaft, die Harmlosigkeit und das Komplizentum mit ansehen zu müssen, mit denen Bundesbehörden vorsätzliches Wegschauen und eine unbekümmerte Haltung der Unternehmen - wenn nicht gar direkte und systematische Verstöße - billigen und ermöglichen. ...

Lässt man das Finanzwesen außen vor, ist dieser Trend vor allem im Bereich Umweltschutz ausgeprägt - von der Wasseraufbereitung und Abgasnormen bis hin zur effizienten Treibstoffnutzung und Gewinnung von Bodenschätzen. Vollkommen übersehen wird bei aller Rhetorik, welch verheerende Wirkung dieser Akt des stillschweigenden Duldens durch die Politik letztlich auf Wissenschaft und Technik hat - und auf die Erträge dieser Disziplinen für die gesamte Gesellschaft.

US-Konzerne hören ständig die Versprechen der Politiker, alle starren und einschränkenden Richtlinien zu lockern, Versprechen, die die Konzerne zweifellos mit verführerischen Wahlspenden herbeigeführt haben. Unter diesen Umständen wäre es nur "vernünftig", die internen Anstrengungen der Unternehmen so auszurichten, dass das politische System optimal ausgenutzt wird.

Die Alternative wäre, schwer dafür zu arbeiten, die strengen Auflagen und Regulierungen zu erfüllen. Aber das ist suboptimal. Denn es ist immer noch billiger, über "das Washingtoner Büro" erfolgreich Lobbyarbeit für lockerere Normen zu betreiben als mit großen Teams aus Managern und Wissenschaftlern viel Zeit und Geld zu investieren, um die Anforderungen zu erfüllen.
Mit anderen Worten, so Richter: Es gebe unter solchen Bedingungen gar keine Notwendigkeit, neues Wissen zu produzieren und in neue Verfahren und Güter umzusetzen. Die Wirtschaft wird also faul und träge, verzichtet auf Innovationen und verlässt sich auf Uncle Sam. Die Politiker ermutigen sogar zu dem Verhalten.
Dieser Zustand herrscht auch heute noch in Washington vor. Und er könnte durchaus hauptverantwortlich dafür sein, dass Wissenschaft und Technik in der US-Gesellschaft kontinuierlich an Ansehen verlieren - und für den damit in direktem Zusammenhang stehenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit Amerikas.

Andere Faktoren kommen hinzu, etwa dass Wissenschaftler weniger verdienen als Anwälte und Investmentbanker und dass seit mittlerweile zwei Jahrzehnten die universitäre Ausbildung in Wissenschaft und Technik auf ausländische Studenten verlagert wird.

(...) Vielleicht klopfen sich die Republikaner ja gegenseitig auf die Schulter, weil sie es geschafft haben, Versuche zu blockieren, mit denen in praktisch allen Bundesbehörden Auflagen und Regulierungsvorschriften hätten an Bedeutung gewinnen sollen - von der Umweltschutzbehörde EPA über die Arzneimittelzulassungsbehörde FDA bis hin zur Auftragsvergabe des Pentagon. Und bei der US-Handelskammer ist man wahrscheinlich zufrieden, dazu beigetragen zu haben, US-Unternehmen vom Joch der Regulierung zu "befreien", als gehe es um eine Art zweiten Kampf gegen den Kommunismus. Für die USA besteht die Tragödie darin, dass die Konzerne sich nicht mehr darauf konzentrieren, strikte Richtlinien einzuhalten und die Erträge einzustreichen, die es mit sich bringt, im Bereich Technologie weltweit führend zu sein.

Wer an den Vorteilen strenger Regulierung zweifelt, braucht nur nach Europa und Japan zu blicken. Die Volkswirtschaften dieser Regionen haben zwar ihre Probleme, aber trotz staatlich verordneter strikter Richtlinien ziehen europäische und japanische Unternehmen gegenüber den US-Wettbewerbern nicht den Kürzeren.

Die Tatsache, dass führende US-Unternehmen wie GE ihr Personal für Forschung und Entwicklung (F&E) in Europa aufstocken - was kaum ein billigerer Standort ist als die USA -, dürfte auf viel mehr hindeuten als auf die Globalisierung von F&E. Es unterstreicht, dass solche Unternehmen erkannt haben, dass es ein Wettbewerbsvorteil sein kann, in einer Region mit strengen Auflagen zu agieren.
Die Folge sei, so Richter, dass US-Unternehmen in vielen Umwelttechnologien "wertvolle Zeit und Einfluss verloren" hätten. Die vom ihm beschriebene "perverse Logik" gelte nicht nur für den Bereich des Klimaschutzes, sondern für eine ganze Bandbreite von Technologien.

Richter spitzt vielleicht übertrieben zu. Wahr ist aber, dass die Krise eine für amerikanische Verhältnis ungewöhnliche Staatsnähe der Wirtschaft erzeugt hat -- und die starke Konkurrenz als Triebfeder für Innovationen abzuspannen droht. Richters ungewöhnliche Warnung zeigt allerdings auch, dass man im latent anti-amerikanischen Europa gut daran tut, das US-System differenziert zu sehen. Manchmal ist Amerika ganz anders, als man denkt.

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