Freitag, 18. Juni 2010

Wissenschaft im EU-Lobbyregister -- wissen sie, was sie tun?

"Mancher steht im Lobbyregister der Europäischen Kommission und weiß es nicht", stellt die Deutsche Universitäts-Zeitung duz in ihrer Juni-Ausgabe verdutzt fest. Frank van Bebber hat das 2008 eingerichtete und rund 2600 Einträge umfassende Register der Interessenvertreter nach Wissenschaftlern und Hochschulen durchforstet. Er fand auch welche.

Die duz fand 92 akademische Organisationen im Register – immerhin schon doppelt so viele wie ein halbes Jahr zuvor. Sechs der Einträge kamen laut duz aus Deutschland, darunter die Uni Münster und das Deutsche Studentenwerk (DSW). Unter der Nummer 21477873138-06 wurde sie auf den Eintrag der Universität Münster aufmerksam. Doch:
Wer dort nach Einträgen fragt, löst Ratlosigkeit aus. Erst nach einer Weile stellt sich heraus: Die Uni hat Professoren eines Master-Studiums für Zollfragen eingetragen. Sie beteiligen sich am Dialog über die EU-Handelspolitik. (...)

Der Eintrag war eher eine Privatinitiative“, sagt ein Uni-Sprecher. Doch die Universität steht jetzt mit Rektorin, 37 000 Mitgliedern und ihrem Etat von 331 Millionen Euro im Lobbyregister.

Auch das Deutsche Studentenwerk findet man im Register. Ein DSW-Sprecher klärt auf, es sei um einen Beitrag zu einem EU-Grünbuch gegangen: „Es hieß, das geht nur so.“ Und: „Wir verfolgen von Berlin aus, was in Brüssel los ist.“

Mussten sich Universität und Studentenwerk überhaupt in das „Register der Interessenvertreter“ eintragen? Nein, heißt es bei der Kommission. Es sei eine irrtümliche Annahme, „nur aufgrund der Registrierung an den öffentlichen Verfahren teilnehmen zu können“, erklärt Margot Tuzina, Sprecherin der deutschen Vertretung der EU-Kommission in Berlin.
Das ist aus mehreren Gründen kurios, wie die duz richtig feststellt. Das (freiwillige) Register ist für Interessenvertreter gedacht, die Einfluss nehmen wollen. Die Beteiligung als Sachverständige oder Teilnahme an öffentlichen Konsultation gehört also eigentlich nicht dazu. Und: Mit der Register-Eintragung ist die Anerkennung des Verhaltenskodex der Kommission verbunden.

Von der Kommission hört die duz ein Argument, warum manche Hochschulen sich registrieren: "Es gebe mittlerweile Universitäten, die von sich aus versuchten, Aufträge für Studien zu erhalten oder ihre Analysen auf europäischer Ebene einzubringen. Sie hofften, auf diese Weise einen Imagegewinn für sich zu erreichen."

Weiterhin stellt die duz fest, dass die deutsche Hochschulrektorenkonferenz (HRK) im Register fehlt -- obwohl sie ein eigenes Büro in Brüssel unterhält.

"Die wenigen verzeichneten Organisationen machen oft lückenhafte Angaben", analysiert das Blatt. Das Deutsche Elektronen-Synchroton (DESY) benenne weder Gegenstand noch Kosten der Lobbyarbeit – obwohl Ute Krell vom Hamburger EU-Projektbüro des DESY sich durchaus als Lobbyistin verstehe, die vor forschungspolitischen Entscheidungen gute Kontakte zur Kommission nutze.

Politologin und Lobby-Forscherin Cornelia Woll erläutert, was manche zu einer Eintragung verleiten könne: „Für Interessengruppen, die nicht so bekannt sind, ist es eine Art, in bestimmten Dokumenten zu erscheinen und informiert zu werden." Dies liege am Charakter des Lobbyismus in Brüssel, bei dem es oft für beide Seiten zunächst wichtig sei, Ansprechpartner zu finden. Die EU-Kommission befriedige diese Wünsche, indem sie ihre Beamten dazu anhalte, ins Register zu schauen. Und sie informiere die Registrierten automatisch, wenn ein Aufruf zu einer Konsultation in ihrem Gebiet startet. Dieser Service wiederum führe zum Eindruck, der Eintrag sei für eine Teilnahme Pflicht.

Zu Wort kommt auch der Prozessmesstechnik-Professor Anthimos Georgiadis (Uni Lüneburg), der registriert ist. Warum das?
"Die EU-Förderung ist für meine Forschung wichtig. Ich interessiere mich darum auch für die Definitionsphasen der Programme und investiere Zeit und Geld, um den EU-Mitarbeitern meine Meinung zu sagen. Als ich gemerkt habe, dass es diese Lobbyplattform gibt, wollte ich mitmachen, damit auch die Universitäten gehört werden. Die angewandte Forschung ist auf die Industrie ausgerichtet. Das ist gut so, aber oft ist eine bessere Kommunikation mit uns nötig. (...)

Ich nehme regelmäßig an EU-Veranstaltungen zu meinen Fachgebieten teil. Ich habe gehört, dass es das gibt, und ich wurde nach einer EU-Konferenz angemailt. Bis auf ein paar E-Mails und ein paar Broschüren hatte der Eintrag allerdings noch keine Konsequenzen für mich.

duz: Das Register soll Transparenz schaffen ...

Ja, denn sonst versteht man nicht, warum die Förderung plötzlich von Multimedia Richtung Nanotechnologie geht. Wenn Ihr Thema plötzlich nicht mehr da ist – was machen Sie dann? Wenn Sie nicht vorbereitet sind, haben Sie keine Chance.

duz: Finden Sie die Verhaltensrichtlinien des Registers gut?

Ja. Aber dass industrielle Partner in Sitzungen ihre Ziele offenlegen, habe ich bislang nicht erlebt. Immerhin: Wenn man die Einträge sieht, kann man sich ein Bild darüber machen, wer sich interessiert. Das ist ja auch schon eine Information.
Plausible Erklärung. Aber davon haben die meisten Professoren und Hochschulen offenbar noch nichts gehört -- oder es ihnen nicht wichtig genug. Während andere augenscheinlich nicht so genau wissen, was es mit dem Lobbyregister auf sich hat und wozu man sich damit verpflichtet. Aber das ist ja nicht nur in der Wissenschaft so.

Was die Lücken angeht:

Wer im Haus der deutschen Wirtschaft in der Brüsseler Rue de Commerce, mitten im Europaviertel, zu Besuch ist, findet Tür an Tür von BDI, BDA und diversen Wirtschaftsverbänden die Büros von Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer und Leibniz-Gemeinschaft. Im Lobbyregister sind sie alle nicht. (Ein einziges Mitglied der Fraunhofer-Institute ist registriert, aber mit Adresse in Freiburg.) Kurios, kurios.

Wetten, MPG, FhG und Leibniz lobbyieren genauso und oft im Tandem mit den Lobbyisten von den (selbstverständlich registrierten) BDI- und BDA-Repräsentanzen, mit denen sie auf demselben Korridor sitzen? Und warum sind sie dann nicht im Register?

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