Dienstag, 6. Juli 2010

Autolobby gegen Autolobby: Zank um Strafzoll für China-Räder

Dass die Wirtschaftskrise Regierungen zu mehr Protektionismus getrieben hat, lässt sich quer durch alle Branchen beobachten. Viele Industrien wollen sich vor der Konkurrenz schützen lassen und machen politisch Druck. Die US-Zollpolitik gegen Chinas Autobranche hat für Zündstoff gesorgt, aber auch zwischen Europa und China schlagen Konflikte um Schutzzölle in der Autowirtschaft reichlich Funken. In Deutschland wurden chinesische Lobbyisten jüngst im Bundeswirtschaftsministerium vorstellig und drängten, Berlin solle gegen den jüngsten EU-Strafzoll gegen chinesische Autozulieferer vorgehen, meldet der aktuelle Spiegel (S. 68). Der Druck sei sehr groß, wird ein Spitzenbeamter zitiert.

Zumal sich die europäische Autoindustrie gar nicht einig ist, was ihr wichtiger ist: der große, aber stagnierende EU-Heimatmarkt (der mit Schutzzöllen umhegt werden soll) oder der aufblühende, rasante Wachstumsmarkt China (wo Vergeltungs-Zölle und Restriktionen drohen, wenn die EU rabiat gegen China vorgeht).

So raufen sich die Lobbyisten der europäischen Auto-Branche derzeit vor allem untereinander. Peking muss vermutlich gar nicht so stark intervenieren, denn die besten Lobbyisten Chinas sind europäische - insbesondere deutsche - Autohersteller.

Über dem wunderbaren Wachstumsmarkt China liegt „der Schatten des Protektionismus“, warnte schon 2009 die Europäische Handelskammer in China (EUCCC). Restriktionen bei Investitionen aus dem Ausland hätten noch zugenommen. Rund 21 Milliarden Euro gingen Unternehmen aus Europa durch Handels- und Investitionsschranken in China verloren, berichtet die WirtschaftsWoche.

So zwinge Peking ausländische Autokonzerne, die in China produzieren wollen, noch immer in Joint Ventures mit lokalen Unternehmen. Technische Vorschriften und Zertifizierungen würden zunehmend dazu benutzt, ausländische Firmen systematisch vom Markt zu drängen. Das lasse sich zum Teil mit den gewaltigen Überkapazitäten Chinas als Folgen des unkoordinierten Investitionsbooms erklären. Das enorme Konjunkturpaket der Regierung und die Schwemme an neuen Bankkrediten würden die Überkapazitäten noch erhöhen, so die WirtschaftsWoche. Daher sei es nicht ausgeschlossen, dass China darum in Zukunft noch weitere Handelsbarrieren einziehen wird – trotz regelmäßiger Plädoyers für den Freihandel aus der chinesischen Regierung.

Die Chinesen finden derzeit überhaupt nicht lustig, dass die EU einen Straf- und Schutzzoll auf Alu-Räder aus China erhebt, um den Rückgang der Verkaufs- und Produktionszahlen europäischer Unternehmen zu stoppen. China droht bereits mit Vergeltung. "Europa riskiert einen Handelsstreit", meint der britische Telegraph. Die chinesische Presse wettert schon seit letztem Jahr, die EU "missbrauche" ihre Anti-Dumping-Rechte und behandle Chinas Hersteller völlig unfair.

Nun ist China aber keine reine Werkbank des Westens und Billigexporteur mehr, sondern auch ein riesiger Automarkt. Chinesen wollen Auto fahren, und die westlichen Hersteller bedienen den Bedarf mit großen Dollarzeichen in den Augen. In den letzten Monaten haben sich europäische Automarken mit allerlei Ideen für den chinesischen Markt geschmückt.

So kommt es, dass die Lobby der EU-Autohersteller lieber keinen Protektionismus für den EU-Markt will, wenn damit zu befürchten ist, dass China ihnen im eigenen Heimatmarkt Probleme bereitet. Das Hemd ist eben näher als der Rock. Die wirtschaftliche Lage der EU-Zulieferer ist ihnen da relativ egal.

Die EU-Kommission wurde vom Verband der Europäischen Radhersteller (EUWA) intensiv lobbyiert. EUWA beschwerte sich über angebliche Dumping-Preise der Chinesen. Ziel der Radhersteller: Die EU solle handeln, bevor China den Markt mit billigen Felgen überschwemme.

Unter anderem geht es um Räder für BMW und Renault. In der EUWA lassen sich sechs europäische Hersteller vertreten, die insgesamt mit einem Anteil von 80 Prozent an der EU-Räderproduktion beteiligt sind, wie der Branchendienst Reifenwelt berichtet.

Unter den Herstellern sind offenbar AEZ (Deutschland), Speedline (Italien) und Ronal (Schweiz). Auf der Gegenseite stehen chinesische Firmen wie Baoding Lizhong Wheels und YHI Manufacturing (Marken: OZ, Enkei, Advanti, Breyton, Konig).

Die Kommission kündigte im August 2009 eine Untersuchung an und informierte rund 60 chinesische Hersteller über das Verfahren. China bestritt die Vorwürfe, aber Brüssel legte sich im Mai in einer Verordnung auf einen 20,6-Prozent-Strafzoll für Radimporte fest, zunächst für ein halbes Jahr mit der Option, ihn auf fünf Jahre zu verlängern.

Im Bericht der Kommission heißt es, die Importe seien zwischen 2006 und 2009 um 66 Prozent gestiegen, in dieser Zeit habe China seinen Marktanteil auf über 12 Prozent verdoppelt. Zwar seien die Rezession, türkische Importe und der harte Wettbewerb der Hersteller ebenso Schuld an der üblen Situation der EU-Unternehmen, doch die Dumping-Importe aus China hätten ihr "signifikante Produktions- und Absatzverluste, Marktanteilsverluste und Preisverfall" beschert. Dass Europas Autokäufer (und auch jene Verbraucher, die mal ein Rad ersetzen müssen) große Preisaufschläge durch den Strafzoll befürchten müssten, glaubt die Kommission hingegen nicht.

Die Verteidigung des neuen Strafzolls - Attacke auf deutsche Auto-Verbände

Deutschland spielt eine zentrale Rolle bei der im Herbst anstehenden Entscheidung, ob der Strafzoll nun verlängert wird oder nicht. Von "enormem Druck chinesischer Handelslobbyisten auf die Bundesregierung" ist nun die Rede, die EUWA teilt über die als Projekt-Lobbyisten angeheuerte Brüsseler Anwaltskanzlei Covington & Burling eine Pressemitteilung mit:
"Wir appellieren an die Kommission und die Mitgliedstaaten, insbesondere auch die Bundesregierung, dem offenkundig enormen Druck der chinesischen Handelslobby und ihren augenscheinlichen Drohungen mit Vergeltungsmaßnahmen beim Import europäischer Automobile in China bei der im November 2010 anstehenden Entscheidung über einen dauerhaften Anti-Dumpingzoll zu widerstehen".
Das ist nun nicht so überraschend. Bemerkenswert ist allerdings die heftige Kritik der EUWA am europäischen Automobilverband ACEA und am deutschen Verband der Autohersteller VDA, die "in offenkundiger Sorge über die Stellung ihrer Mitgliedsfirmen auf dem bedeutsamen chinesischen Markt sich - wie die chinesische Handelslobby - für die Abschaffung des Anti-Dumpingzolls stark machen", kritisiert EUWA. "Sollten Deutschland und die EU in diesem prominenten Fall den Drohungen Chinas nachgeben, würde ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen, der China ermutigen würde, in Zukunft in noch verstärktem Maße die EU und die Mitgliedstaaten durch Drohungen mit Vergeltungsmaßnahmen zu erpressen".

Die EUWA mag sich dem Wettbewerb ohne EU-Schutz nicht stellen, weil sie meint, dass der chinesische Staat massiv und ständig in die Preisfestsetzung von Aluminium und Preisbildungsmechanismen an der Shanghaier Börse eingreife. Der chinesische Staat sei sowohl Käufer als auch Verkäufer sowie Aufseher des Rohstoffhandels; zudem seien ausländische Hersteller vom chinesischen Aluminiummarkt faktisch ausgeschlossen, da sie - anders als die chinesischen Hersteller - 17 Prozent Ausfuhrumsatzsteuer und 15 Prozent Exportzoll zahlen müssten. Nur die Chinesen kaufen ihren Rohstoff in Shanghai, während der Rest der Welt an der London Metal Exchange einkauft. Theoretisch sollte es egal sein, an welcher Börse man kauft, aber aus Sicht der EUWA macht es einen Riesenunterschied in der Praxis -- und die Auswirkungen auf die Preise seien viel größer als etwa Chinas Lohnkostenvorteile.

"Der Fall ist ein klassisches Bespiel, für Chinas Politik, Zugang zu Rohstoffen zu beschränken, um seine Exportindustrie zu unterstützen. Wenn die Kommission und Deutschland in einem solchen Fall von Maßnahmen absehen, schwächen sie ihre Rohstoffpolitik, was gravierende Folgen für weite Bereiche der deutschen Industrie haben kann, die auf offene Rohstoffmärkte angewiesen sind", betont die EUWA.

Aus EUWA-Perspektive sind die Anti-Dumping-Zölle kein Handelshemmnis, sie glichen nur die Unebenheiten auf dem jetzigen Spielfeld aus. Das sieht man in Peking logischerweise anders. Das chinesische Handelsministerium meint, das EU-Verfahren könnte die heimischen Produzenten fast 400 Millionen Dollar kosten, heißt es im Branchendienst Tire Review. Dieser kritisiert - wie die Chinesen - auch mangelnde Transparenz auf Seiten der EUWA, die nicht einmal genau ausführen wollte, welche Mitgliedsfirmen denn nun genau wie betroffen sind. Der Verband habe keinerlei Interesse daran gezeigt, die Sache öffentlich zu debattieren, und den Weg über die Zollbeamten der Kommission eingeschlagen.

Nun sieht es allerdings so aus, als starte die EUWA eine laute Kommunikations-Offensive, um den auf leisen Wegen errungenen Strafzoll zu verteidigen. Hinter dem Festungswall brüllt es sich bekanntlich leichter als davor.

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