Der Spiegel bewertete das neue Engagement Müllers nicht so positiv wie dieses Blog (Public Affairs Manager am 11. Mai). Man mag darüber streiten, ob die beiden Aufgaben zueinander passen, sicher. Aber eigentlich passt es besonders gut. Frau Müller, Honorarprofessorin an der Verwaltungshochschule Speyer, hat schließlich reichlich Erfahrung und ein einschlägiges Profil, das der Lehre in den neuen Studiengängen an der Quadriga nur nutzen kann.
Damit halten sich die Autoren Markus Brauck und Markus Grill nicht lang auf. Ihr Ziel ist offenbar ein ganz anderes. Sie knöpfen sich den von Rudolf Hetzel gegründeten Helios-Verlag in ähnlich spöttisch-aufdeckerischem Tonfall vor wie zuvor in der Süddeutschen Tom Schimmeck ("Promis in der Suppenküche") und suggerieren, da gehe es nicht sehr transparent zu. Zu viel Nähe zwischen Journalisten - insbesondere Chefredakteuren und Medienmanagern - und PR beklagen die Autoren, wie schon diverse andere Medien, seit der frühere ARD-Vorsitzende Peter Voß die Quadriga-Präsidentschaft übernahm (NDR: "PR-Schule - Journalisten als Aushängeschilder", Spiegel: "Ex-Intendant Voß soll PR-Schmiede leiten").
Unter anderem ziehen Brauck und Grill die Helios-Netzwerke, Helios-Medien, Helios-Veranstaltungen, von Helios mandatsgeführte Berufsverbände und den Helios-Journalistenpreis "Goldener Promotheus" durch den Kakao: "Auch etliche Spiegel-Journalisten wurden dabei ausgezeichnet, aber mancher Preisträger fühlte sich veralbert und für PR missbraucht." Meint Ko-Autor Grill sich selbst? Grill -- er ist einer der führenden investigativen Journalisten (Stories: Ratiopharm-Bestechungsskandal 2005, Bayers Aspirin-Kartell 2007, Lidl-Affären 2008 und 2009) -- erhielt 2009 den Prometheus als "Bester Magazinjournalist". Darum beworben hat er sich dem Vernehmen nach allerdings nicht.
Auch das ist eigentlich nur Garnitur. Dreh- und Angelpunkt der Spiegel-Geschichte ist dagegen die Agentur PRGS und ihre Arbeit für die Energiewirtschaft. Die Verbindung zur Quadriga-Hochschule ergibt sich dadurch, dass Edda Müllers Kollege in der Leitung des Politikfachbereichs PRGS-Chef Thorsten Hofmann ist. E.ON hatte die Agentur angefragt, für das Geschäftsfeld Atomenergie "neue Botschaften und Argumente zu entwickeln". Allerdings sagt eine Sprecherin des Unternehmens, PRGS sei "weit darüber hinausgegangen". Ergebnis war ein 109-seitiges "Kommunikationskonzept Kernkraft - Strategie, Argumente und Maßnahmen" vom 19. November 2008, das knapp ein Jahr später in die Hände von Greenpeace und den Medien gelangte. Greenpeace veröffentlichte das komplette Papier im Blog "Am Reaktor" im September 2009, kurz vor der Bundestagswahl.
Der Spiegel berichtete bereits im September 2009 ausführlich ("Atomlobby plante Wahlkampf minutiös"). Dabei wurde nicht ganz klar, ob PRGS "im Auftrag" arbeitete oder mit dem großen Konzept erst einen Auftrag erlangen wollte. Der PRGS-Schriftsatz sei "eine Art Bewerbungspapier", mit dem die Agentur einen E.on-Auftrag an Land ziehen wollte, berichtete der Spiegel damals mit Berufung auf einen Konzernsprecher. "Zu einer Zusammenarbeit ist es aber nicht gekommen." Es habe keinen Auftrag von E.ON an PRGS zum Verfassen des Strategiepapiers gegeben. Das habe auch PRGS so bestätigt.
Der Spiegel findet im aktuellen Heft, das Strategiepapier lese sich "wie ein Brevier für die Manipulation der öffentlichen Meinung". Das wirkt etwas überzogen, Kommunikationsstrategie ist ja nun nicht per se Manipulation, auch wenn investigative Journalisten stets solche wittern. PRGS empfiehlt E.ON, keine lauten Pro-Atomkraft-Kampagnen zu fahren ("unglaubwürdig"), sondern auf politische Fachgespräche und "leise" PR zu setzen, sich insgesamt der virulenten Themen Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Erneuerbare Energien anzunehmen. Das macht der Konzern sowieso, nicht nur aus Imagegründen, sondern aus wirtschaftlichem Kalkül.
Wer das Papier liest, wird viele altbekannte Analysen und einige Empfehlungen finden, die für sich genommen niemanden erschüttern können. Parlamentarische Abende? Betriebsbesuche? Argumente aufbereiten? Meinungsumfragen? Blogs? Alles schon gehabt. Innovativ sind höchstens die Vorschläge zur Grassroots-Mobilisierung der Kernkraft-Freunde. Auch dass Politiker und Journalisten im Rahmen einer Stakeholder-Analyse nach Freund-Feind-Schema eingeordnet werden, ist gerade für die polarisierende Atomsparte der Energiewirtschaft nicht völlig unplausibel.
Mit der Transparenz allerdings könnte es etwas problematisch sein, schließlich hat die Agentur das Papier auf der Basis von Informationen geschrieben, die sie durch Recherchegespräche in Politik, Wirtschaft und Medien erhalten hat, bei denen weder Auftrag noch Auftraggeber genannt wurden. Selbst Quadriga-Präsident Voß wird nun zitiert, das PRGS-Papier sei ein "Musterbeispiel dafür, wie man es gerade nicht machen darf, wenn man das Transparenzgebot ernst nimmt".
Nun ja. Der Wirbel darum schien sich im letzten dreiviertel Jahr gelegt zu haben. Nun aber meldet der Spiegel, dass der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) - das gemeinsame Gremium der GPRA, DPRG, BdP und degepol für berufspolitische Ethik- und Verhaltensfragen - gegen die Agentur PRGS "ein Verfahren eröffnet" habe und Hintergründe untersuchen wolle. Allerdings hat das Blatt Vorbehalte: Die Untersuchung übernommen habe Günter Bentele, PR-Professor an der Universität Leipzig, der allerdings auch an der Quadriga unterrichtet; sein früherer Lehrstuhlmitarbeiter René Seidenglanz ist Quadriga-Vizepräsident. Und der Pressesprecher-Verband BdP, der den Rat neben den anderen drei PR-Verbänden trägt, lässt seine Geschäfte von der Helios-Gruppe abwickeln. "Es bleibt alles in der Familie", witzelt der Spiegel.
In der Tat dürfte es beim PRGS-Vorgehen Konflikte mit den (freiwilligen) Verhaltenskodizes der Branche geben:
- Die DRPR-Richtlinien für den Umgang mit Journalisten und zur Kontaktpflege im politischen Raum formulieren recht klar, "Public Affairs-Berater und Lobbyisten haben ihren politischen Gesprächspartnern ihre Auftraggeber sowie ihre und deren Interessen jeweils offen zu legen", und sie "dürfen nicht durch eine vorgeblich neutrale Position ihre tatsächliche Funktion verschleiern".
- Der degepol-Verhaltenskodex sagt, degepol-Mitglieder "achten auf Transparenz und vermeiden Irreführung durch Verwendung falscher Angaben. Bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit geben sie den Namen ihres Auftraggebers bekannt, wenn sie für ihn tätig werden."
Die zunehmende Internationalisierung und der stetige gesellschaftliche Wandel stellen die Unternehmensberatung vor neue Herausforderungen. Für eine verlässliche Beratung sind deshalb Professionalisierung und Transparenz geboten.Insofern liegt es nahe, dass der DRPR sich der Sache annimmt, in Sorgfalt und Umsicht hoffentlich und nicht gedrängt von Spiegel, Greenpeace & Co.
PRGS verpflichtet sich daher auf die Einhaltung des Verhaltenskodex der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung und des Code de Lisbonne des Deutschen Rats für Public Relations.
Formal gesehen ist das übrigens eine Grauzone. Wenn PRGS tatsächlich nicht im direkten Auftrag von E.ON gehandelt hat, als sie das Konzept schrieb, sondern auf eigene Rechnung und Verantwortung, kann man der Agentur auch nicht vorwerfen, dass sie den Auftraggeber verschleiert hat. War es tatsächlich nur eine Ideenskizze für die Auftragsakquise? Merkwürdig ist nur, dass auf Seite 9 doch von einem "Auftrag" die Rede ist. Und dass PRGS zum Zeitpunkt der Erarbeitung des Konzepts für E.ON mit PR-Arbeiten tätig war, steht außerdem außer Frage. Das macht die DRPR-Untersuchung vermutlich nicht einfach.
Das Blog von LobbyControl seziert im September 2009 einige Passagen des Papiers und diskutiert die "Debatte um den Status des Papiers":
Auf der einen Seite gibt es das durchaus, dass Lobby- und PR-Agenturen auf eigene Faust möglichen Kunden Vorschläge machen, um an Aufträge zu kommen. Auf der anderen Seite werden Strategiepapiere gerne als Vorstufen oder Fingerübungen bezeichnet, wenn sie unerwünscht öffentlich werden. Es gibt in diesem Fall einige Aspekte, die Version einer reinen Ideenskizze zumindest in Frage stellen (...) Auch der Umfang des Papiers und die in dem Methodik-Kapitel beschriebene aufwendige Vorbereitung sprechen nicht für ein Akquisepapier ohne konkreten Anlass. Fest steht auf jeden Fall, dass das Papier für E.ON erstellt wurde und dass PRGS 2008 auch für E.ON tätig war und damit nahe dran am Strategieprozess des Energiekonzerns.Die DRPR-Untersuchung ist allerdings Angelegenheit der Agentur PRGS, nicht der Quadriga. Da sollte man klar trennen. PRGS-Chef Hofmann ist kein angestellter Professor und untersteht mit seinem Brotberuf nicht der Hochschulleitung. Wenn jede Hochschule in Deutschland dafür einstehen müsste, was ihre Lehrbeauftragten hauptberuflich tun, wäre das kaum praktikabel.
Die Auftraggeber von Lobbyagenturen müssen transparent sein – für die Öffentlichkeit, aber auch für Politik und Medien. Lobbyisten behaupten gerne, dass sie immer ihre Auftraggeber nennen, wenn sie sich an die Politik wenden. Das Papier zeigt, das dem nicht so ist und bestätigt damit auch LobbyControl-Informationen aus der Berliner Lobby-Szene.
Dass Agenturen versuchen, Politiker, Medien- und Wirtschaftsvertreter in vertraulichen Gesprächen abzuschöpfen, ohne den Auftraggeber zu nennen, ist inakzeptabel.
Wahr ist aber nun, dass Kollege Hofmann - der sich seit langem für die Aus- und Weiterbildung engagiert, u.a. früher am Politik- und Krisenmanagement-Institut der Steinbeis-Hochschule und am Deutschen Institut für Public Affairs (DIPA) - als Ko-Leiter der Quadriga-Studiengänge eine besondere Verantwortung trägt.
Es bleibt abzuwarten, wie Agentur und Hochschule weiter mit dem Thema öffentlich umgehen wollen. Da die Quadriga erst im Mai ihren Pionier-Jahrgang gestartet hat, wäre ihr und ihren Studenten zu wünschen, dass der DRPR mit Augenmaß vorgeht. Wenigstens eins ist schon mal sicher: Im laufenden Studium ist das eine delikate Fallstudie für das Fach Reputations- und Issues Management.
Alle diese Themen sind zweifelsohne eine Diskussion wert. Am Kopf kratzen muss man sich allerdings schon, warum der Spiegel diese Geschichte mit ihren aufgewärmten, eher News-armen Elementen so und zu diesem Zeitpunkt präsentiert -- und ob es ein Zufall ist, dass im selben Heft nicht nur drei Seiten zu Quadriga/Helios/PRGS/PR-Rat, sondern auch drei Seiten zum Fall des PR-Beraters Norbert Essing (S.74-76) zu finden sind.
Sieht so aus, als müssten sich Deutschlands Kommunikationsmanager trotz Sommerhitze warm anziehen. Da kommt bestimmt noch was hinterher.
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