Zu ganz erstaunlichen Ergebnissen kommt der Mannheimer Ökonom Mike Felgenhauer:
- Ein Fachpolitiker mit Expertenwissen zieht weniger Lobbyisten an, die hochwertigeInformationen liefern, und das kann zu schlechteren Entscheidungen führen...
- ...während der Politiker, der anfangs schlecht informiert ist, die Lobbyisten vorrangig zur Informationsgewinnung nutzt, am Ende einen besseren Informationsstand hat und darüber zu ausgewogeneren, besser informierten Entscheidungen kommt.
Das ist das Fazit von Felgenhauers Paper "Informational and monetary lobbying: expert politicians, good decisions?" (August 2010). Felgenhauer arbeitet an seiner Habilitation am Lehrstuhl für mikroökonomische Theorie. Sein Paper ist formaltheoretisch, basiert also nicht auf einer empirischen Untersuchung, eröffnet aber interessante strategische Einsichten.
Normalerweise geht man davon aus, dass ein Politiker mit Sachverstand besser beurteilen und entscheiden kann. Auch weil er unabhängiger von Lobbyisten als Zuträger von Informationen ist.
Nun zeigt die Erfahrung allerdings, dass ausgewiesene Fachpolitiker selten an die Spitze der Machtpyramide aufsteigen. Sie können sehr einflussreich sein, aber Fraktionschef, Minister oder gar Regierungschef werden sie eher selten. So sind sie eben, die Auswahlmechanismen der Parteien. Das wird im Allgemeinen bedauert. Es wäre besser um die Qualität der Politik bestellt, gäbe es mehr Fachleute an der Spitze.
Felgenhauer aber bürstet gegen den Strich: Politiker mit viel Fachwissen sind für Interessengruppen viel schwieriger zu "knacken". Der Politiker verlässt sich stärker auf die eigene Expertise. Interessengruppen kommen mit ihrer Expertise nicht so häufig durch. Der Politiker hat bereits eine vorgefasste Meinung und lässt sich davon auch nicht so leicht von Lobbyisten abbringen. Einige Interessengruppen werden von ihm von vornherein benachteiligt, andere bevorzugt. Die Qualität der Entscheidung aber hängt von der Qualität der Kompetenz des Politikers ab. Ist diese weniger gut, als er selbst glaubt, bedeutet der Verzicht auf Lobby-Informationen schlechtere Entscheidungen. Die Lobbies selbst geben sich auch nicht gerade große Mühe, diese Konstellation zu ändern.
Der Wissenschaftler argumentiert, dass konkurrierende Interessengruppen strategisch auf die vorgefasste Einstellung des Politikers reagieren. Sind sie bereits im Vorteil, bemühen sie sich gar nicht erst darum, immer bessere, überzeugendere Infos beizubringen. Sind sie im Nachteil, reiben sie sich auch nicht dafür auf. Es fehlen schlicht die Anreize, in einen Wettbewerb qualitativ hochwertiger Info-Lieferung einzusteigen. Im Ergebnis fehlen den Entscheidungsträgern wirklich gute Entscheidungsgrundlagen.
Umgekehrt kann es - meint Felgenhauer - von Vorteil sein, wenn ein Politiker einen geringen Informationsstand hat und ihm zunächst einmal egal ist, welche Richtung er einschlägt.
Er will sich informieren und überzeugen lassen. Der Anreiz für konkurrierende Interessen ist groß, sich auch mit großem Aufwand um die Aufmerksamkeit und das Vertrauen des Politikers zu bemühen. Sie strengen sich richtig an, bringen Experten, präzise Zahlen, Daten, Fakten bei, arbeiten komplexe Infos schlüssig auf, wollen mit der Qualität ihrer Argumente punkten.
Das alles kostet Zeit, Geld, Personal und Energie. Aber: es könnte sich lohnen. Gibt es bereits eine gefestigte öffentliche Meinung zum Thema oder sind die Parteien konkret festgelegt, kann das besonders schwierig werden. Trotzdem bieten die Interessengruppen alles auf, was sie an Argumenten beschaffen können -- sowohl im direkten Lobbying der Entscheidungsträger als auch indirekt, indem sie Agenda und Debatte in der (Fach-) Öffentlickeit beeinflussen. Dabei spielt auch eine Rolle, was die gegnerische Seite tut. Je mehr der Gegner in bessere Informationen investiert, desto stärker wird der Anreiz, es ihm gleich zu tun. In diesem Rüstungswettlauf um die besseren Argumente und Expertisen gewinnt der Politiker -- und das Gemeinwohl.
Die Kompetenz des Generalisten - zum Beispiel eines Ministers, der aus politischen Gründen in ein neues, "fachfremdes" Ressort wechselt (wie z.B. bei der Kabinettsumbildung nach der Bundestagswahl 2009) - besteht vor allem darin, politisch-strategisch zu denken, allseits Argumenten zuzuhören und sie korrekt zu interpretieren. Wer Erfahrung und Expertenwissen mitbringt, sollte man meinen, tut sich dabei leichter. Felgenhauer sieht es anders: Zu viel Fach-Erfahrung und Bindung an eine Fach-Community können dabei eher schaden.
Merke: Felgenhauer sagt explizit nicht, dass kundige Politiker ("high quality agents") grundsätzlich schlechtere Entscheidungen fällen.
Er sagt aber, dass in der Praxis Politiker, die grundsätzlich offen nach allen Richtungen sind und keine besondere Expertise mitbringen, eine recht ordentliche politische Performance zeigen. Solange sie in der Lage sind, die Konkurrenz der Lobbyisten richtig zu nutzen.
Man mag nun darüber nachsinnen, ob es in einer Demokratie wirklich gut ist, wenn nur Fach-Dilettanten regieren und den Spitzenpolitikern die Programmatik wurscht ist. Man kann das ja auch bedingungslosen Opportunismus nennen. Da fällt einem beispielsweise das Wort von Peter Struck ein, der über die "Schönwetterfliegerin" Merkel in seinem neuen Buch "So läuft das" bitter feststellt: "Frau Merkel ist eine gute Pilotin, der man sich bedenkenlos anvertrauen kann, wenn einem gleich ist, wo die Reise hingeht."
Einen wertegebundenen Orientierungsrahmen sollten Politiker schon haben, denn die Qualität der Experteninformationen, die Lobbyisten liefern, macht eine politische Entscheidung ja allein nicht aus. Und die politische Maschine funktioniert ohnehin nicht, wenn nicht auch viele Fachleute in Ausschüssen und Expertengremien werkeln, mit intensiven Arbeitsbeziehungen zu ausgewählten (von ihnen bevorzugten) Interessengruppen und Wissenschaftlern.
Andererseits: Felgenhauer liefert in schönster Ökonomenmanier einen theoretischen Beweis dafür, weshalb der verbreitete Glauben an die Überlegenheit einer "Fachleute-Regierung" möglicherweise irrational ist. Er zeigt eine Rationalität auf, die - mit Rückgriff auf die Spieltheorie - vor allem von strategischem Verhalten und Anreizsystemen geprägt ist, auf der Seite der Politiker und der der Lobbies. Auch das ist politische Wirklichkeit.
Nebenbei bemerkt, zeigt Felgenhauers Paper auch den Glauben an die Überlegenheit der Marktkonkurrenz, um die Wohlfahrt zu maximieren. Typisch Ökonom. Auch hier werden politische Praktiker skeptische Fragen haben. Aber diskutierenswert sind Felgenhauers Thesen allemal.
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