Montag, 13. September 2010

Ihr Volkswirte, stoppt die Lobbyisten!

Der Verein für Socialpolitik ist ein honoriger Ökonomenklub, in dem man sich normalerweise zur Exzellenz der deutschen VWL selbst gratuliert und ansonsten Regressionskurven und formale Modelle diskutiert. Mit praktischer Social- und Wirtschaftspolitik hat das eher selten etwas zu tun -- schlimm genug, wetterte der Festredner bei der Jahrestagung 2010. Vor allem aber beschimpfte er die Kollegen, ihre Praxisferne überlasse den Lobbyisten von Unternehmen das Feld, die der Allgemeinheit schadeten.

Der Redner: Professor Martin Hellwig (Uni Bonn), ein Superprominenter der VWL-Theorie, MPI-Forscher und Ex-Vorsitzender der Monopolkommission, heute Vorsitzender des Lenkungsrats des Wirtschaftsfonds Deutschland beim Bundeswirtschaftsministerium. Ein klassischer Ordnungspolitiker, aber Pragmatiker, kein Ideologe, pro-Wettbewerb, aber auch pro-Regulierung. Zuletzt aufgefallen durch sein "Nein" zu den Opel-Staatshilfen. Früher durch sein "Nein" zu Hilfen für Arcandor/Karstadt, zur EON-Ruhrgas-Übernahme und andere mehr.

Hellwig hat beim Wirtschaftsfonds wohl noch einmal intensiv erlebt, wie groß der politische Druck werden kann, wenn es um Rettungsanträge auf großzügige Subventionen geht. Nun beißt er zurück.

Hellwig hält der VWL vor, für wichtige gesellschaftliche Themen generell blind zu sein – und partiell unfähig zum Dialog mit der Öffentlichkeit, notiert das Handelsblatt. Die Debatte über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen werde ignoriert.

Konsequenz: Ungehindert von wirtschaftswissenschaftlicher Intervention erlangten Interessenvertreter der Wirtschaft staatliche Privilegien oder Schutz vor Wettbewerb. Sie argumentierten, sie kämen ihrer sozialen Verantwortung nach. Dabei schadeten sie der Allgemeinheit. Die Öffentlichkeit durchschaue, so Hellwig, die Doppelzüngigkeit nicht. Und die VWL sehe zu und tue – nichts.

Die öffentliche Debatte über die Verantwortung der Wirtschaft führten andere, so Hellwig in seinem Vortrag „Zwischen Privatautonomie und öffentlichem Interesse - zum Begriff der ,Verantwortung’ von Unternehmen“ (Thünen-Vorlesung):
„Wenn Sie den typischen Leser der ,Süddeutschen Zeitung’ oder der ,Zeit’ zu dem Thema befragen, werden Sie als Antwort bekommen: ,Die Manager sind ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in den letzten zehn Jahren nicht mehr nachgekommen, weil sie Leute entlassen und sich so auf Kosten ihrer Beschäftigten bereichert haben.’“
Professionelle Volkswirte reagierten darauf nur mit Schulterzucken.

Die „gesellschaftliche Verantwortung von Managern“ sei ein Aspekt, der in ihren Denkmodellen überhaupt nicht vorkomme.
Sie verließen sich auf den Markt, seine Akteure seien der Allgemeinheit nicht zur Rechenschaft verpflichtet.

„Das Bewusstsein für öffentliche Interessen ist verloren gegangen“, doziert er. Ökonomen dürften aber nicht ignorieren, dass es neben Staats- auch Marktversagen gebe. „Das macht Regulierung notwendig.“ Dieser Erkenntnis sollten sich Volkswirte stellen. „Wenn wir das nicht tun, müssen wir mit einer Gegenreaktion rechnen, die die Marktwirtschaft an sich infrage stellen kann.“

„In unserer Wissenschaft klafft eine große Lücke zwischen der Modelltheorie und dem Umgang mit praktischen Fragen der wirtschaftspolitischen Realität“, zitiert das Blatt Hellwig. Dieser Frage müsse das Fach in Zukunft wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmen. Und: „In den Fachzeitschriften fehlt der Platz für etwas, was außerhalb von Modellen und Regressionen liegt.“

Umgekehrt vermisst Hellwig in öffentlichen Debatten ökonomischen Sachverstand. Die Diskussion über Staatshilfen für Opel oder Arcandor sei „auf dem gleichen Niveau geführt worden wie die bei der Frage, ob es fair gewesen ist von Jogi Löw, Torsten Frings nicht mit zur Weltmeisterschaft nach Südafrika zu nehmen“.

Mit Hellwigs Kritik setzt sich die Sinnkrise der VWL fort, die sich in der Finanz- und Wirtschaftskrise rat- und orientierungslos sah. Vertrauen auf Märkte, rationales Verhalten, transparente Marktinformation -- passé. Und auch für die Fixierung auf mathematische Modelle finden immer mehr Volkswirte nur noch böse Worte.

Besonders hart aber trifft die Ökonomen, die sich stets so viel auf ihre kompetente Politikberatung einbildeten, die Erkenntnis des eigenen Versagens als Ratgeber. Wie Kenneth Rogoff (Harvard) unlängst in Cambridge sagte: "Im Grunde sind wir Ökonomen derzeit in der Situation, dass wir überhaupt keine Ahnung haben, welches Instrument wie funktioniert."

Inzwischen erfreut sich dagegen die Wirtschaftsgeschichte wachsender Aufmerksamkeit -- eine sehr erfreuliche Tendenz. Die Ökonomen waren die allwissenden, eitlen Gurus der globalisierten Wirtschaft, die Historiker belächelte man als Geschichtenerzähler und Pseudo-Wissenschaftler
, wie Gideon Rachman in der FT unterstreicht. Aber in der Krise boten sie immerhin Orientierungswissen und waren sich stets klar darüber, dass es nie endgültige Antworten gibt, dass man Lektionen aus der Geschichte lernen kann (auch wenn sie sich nicht einfach wiederholt), und dass jede Generation ihre eigenen Antworten finden muss.

Der Aufruf Hellwigs hat eine unsichere Zukunft. Bekennende Ahnungslosigkeit und zweifelnde Ratgeber sind jedenfalls keine überzeugende Speerspitze gegen Lobbies, die wissen, was sie wollen.

So gilt wohl vorerst das Dichterwort von George Bernard Shaw: "
He who can, does. He who cannot, teaches."

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