Sonntag, 12. September 2010

Schutzgeld und Landschaftspflege

Zwei Vokabeln aus den zahlreichen Nachrufen auf Eberhard von Brauchitsch sollte man sich gut merken: "Schutzgeld" und "Landschaftspflege". Damit begründete der Flick-Konzernmanager die rund 26 Millionen Mark, die als Parteispenden flossen und einen der größten westdeutschen Polit-Skandale auslösten.

Die Spenden seien, so beharrte er stets, nie dafür gedacht gewesen, konkrete Gegenleistungen der Politiker einzufordern. Vor Gericht kam Brauchitsch damit durch, er wurde für Steuerhinterziehung, nicht aber für Bestechung bestraft.

Zwar war der Auslöser das Ansinnen, für Flick eine Steuerbefreiung für ein bestimmtes Konzernmanöver zu erreichen -- per Genehmigung des Bundeswirtschaftsministeriums für "volkswirtschaftlich förderungswürdige Reinvestitionen". Aber das geriet offenbar schnell in den Hintergrund, stattdessen steuerte Brauchitsch auf ein umfassendes System zu, mit dem er sich offenbar Wohlwollen erkaufte.

"Schutzgelder" seien es gewesen, um sich gegen eine wirtschaftsfeindliche Politik abzusichern. Brauchitsch sah das für die "besondere Pflege der Bonner Landschaft" als notwendig an. Und er betonte: Was Flick tat, war kein Einzelfall -- sondern die Regel.

Brauchitsch fügte hinzu, die Wirtschaft wollte sich "nicht das Wohlverhalten der Parteien" erkaufen. Umgekehrt sei es gewesen: "das Wohlverhalten der Politiker gegenüber der Wirtschaft war davon abhängig, dass die Wirtschaft ihren Obolus entrichtete".

Die "so genannte Parteispendenaffäre" sei in "Wirklichkeit eine Schutzgeldaffäre" gewesen. Nachzulesen in seinem Buch "Der Preis des Schweigens".

Die gärtnerische Pflege funktionierte offenbar gut, denn seine Kunden kamen immer wieder: Wann immer ein Politiker etwas Geld für ein Projekt benötigte, wann immer ein Partei-Schatzmeister mit einer Bitte kam, Brauchitsch öffnete die Kasse. Dass es ausgerechnet Helmut Kohl war, der in den 70ern zu den ersten gehörten, die immer wieder anriefen, wirft ein bezeichnendes Licht auf Kohls spätere Rolle im Unions-Spendenskandal der 90er. Aber mitgemacht haben viele, in der Union wie in FDP und SPD.

In der Tat "pflegte" Brauchitsch nicht nur einzelne Entscheider und Projekte, sondern nahm sich systematisch aller drei Bonner Bundestagsparteien, zahlreicher Spitzen-, aber auch Jungpolitiker an, bezog die Parteistiftungen ein.

Die Breite der Zahlungen verblüffte die Öffentlichkeit. Wie ein billiger Krimi kam einem das vor, als herauskam, dass Spitzenpolitiker regelmäßig ein paar Zehntausend Mark zugesteckt wurden, einfach so, in bar! Das war sogar schockierender als die viel komplizierteren internationalen Zahlungssysteme über Nummernkonten und Scheinfirmen, die große Summen transferierten.

Die heute leider gängige Vorstellung, dass Lobbyisten Geldkoffer bei Politikern abgeben, hat ihre Quelle im Flick-Skandal der 80er.

Brauchitsch war nicht irgendwer. Flick war einer der größten deutschen Konzerne, eng verkoppelt mit anderen und mit den großen Verbänden, Stiftungen und Institutionen der Wirtschaft. Als Konzernvertreter war Brauchitsch Teil der "Deutschland AG", in der die meisten Großunternehmen miteinander verflochten waren. Brauchitsch fand seinen Weg in die Aufsichtsräte oder Beirats- und Beraterpositionen zahlreicher Industriefirmen, gehörte zum BDA-Präsidium. Die Weichen für das Präsidentenamt des BDI waren gestellt. Hätte er das Amt erreicht, hätte er die Flick-Praxis womöglich an der Spitze der Wirtschaftsorganisation noch effektiver koordinieren können. Ein Glück für den BDI, dass der Skandal vorher aufflog.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrem Nachruf:
Vertreter des Unternehmens statteten Politiker mit Barem aus, sie ölten mit Geld die Parteiapparate und kümmerten sich sogar um die parteinahen Stiftungen.

Die ganze Republik wurde inventarisiert, um dem Flick-Konzern zusätzlich Steuergelder in die Kassen zu spülen. Der Chefmanager und seine Helfer versuchten, Politiker durch Geschenke oder Betreuung auf Auslandsreisen für ihre Zwecke gewogen zu machen, den Einfluss der Linken in den Parteien zu neutralisieren und Flick-genehme Nachwuchspolitiker zu fördern.

Nebenbei steuerte "v.B". das Lobby-Büro des Konzerns in Bonn, dessen Mitarbeiter Geld in Briefen, Kuverts und Umschlägen verteilten. Das Geld stammte entweder aus der "Sonderkasse" oder der "Schwarzen Kasse", auch gab es "inoffizielle Zahlungen". Minister wurden gelegentlich daran erinnert, dass sie den Gebern gegenüber "im Obligo" seien. Zeigten solche Hinweise keine Wirkung, wurden Emissäre in der Hoffnung in Bewegung gesetzt, auf dass dem jeweiligen Ministerium Beine gemacht werden.

SZ-Reporter Hans Leyendecker wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass es neben dem konkreten Flick-Skandal, der Minister das Amt kostete, noch einen zweiten Skandal gab, vielleicht sogar den größeren: Es waren die Parteien selbst, die in Liechtenstein und der Schweiz Geldwaschanlagen unterhielten -- anonyme Spenden an dubiose Vereinigungen und Institute flossen im Umfang dreistelliger Millionenbeträge und landeten am Ende in den Parteikassen:

Hunderte von Firmen und zahlreiche Politiker waren in den Skandal verwickelt. Als die Parteien aufflogen, planten sie eine Amnestie: eine Art Staatsstreich von oben, der aber durch die Presse verhindert werden konnte. Rund 1860 Verfahren wurden wegen Verdachts der Steuerhinterziehung eingeleitet. Obwohl die hinterzogenen Summen teils zweistellige Millionenhöhe erreichten, musste kein Wirtschaftsführer ins Gefängnis. Nur in acht Fällen wurden Anklagen erhoben, keiner der Beschuldigten wurde ernsthaft belangt.
Über die Sache ist viel Gras gewachsen, für die meisten beteiligten Unternehmen gab es wenig Konsequenzen. Der Flick-Skandal blieb allein an Flick und Brauchitsch sowie einigen Spitzenpolitikern kleben. Man muss heute daran erinnern, dass es eben nicht allein um ein einzelnes Unternehmen und einen übereifrigen Manager ging. In vielen Brauchitsch-Nachrufen wird der Manager als der Drahtzieher schlechthin bezeichnet. Das war er sicher, aber wohl nur ein Großer unter vielen.

Auch wer keinen Verschwörungstheorien anhängen mag, muss feststellen: Brauchitsch hatte wohl Recht damit, dass das Verhalten des Flick-Konzerns eben kein völlig abstruser Sonderfall war, und dass "Landschaftspflege" und "Schutzgeldzahlungen" Teil des Systems der westdeutschen Politik und Wirtschaft waren, zu jener Zeit. Ein Charakterzug der "Deutschland AG", der man auch deshalb keine Träne nachweinen muss.

Allein Brauchitschs Vokabel "Schutzgeld" ist vielsagend: Damit wird gemeinhin eine Praxis der organisierten Kriminalität verstanden. Wo Schutzgeld gezahlt wird, ist auch ein Schutzgelderpresser.

Die organisierte Kriminalität verortete Brauchitsch offenbar bei der Politik, von ihr sei der Druck ausgegangen, die Wirtschaft spielte das miese Spiel nur mit. Diskret, versteht sich. Was im Übrigen in vielen Teilen der Welt absolut üblich ist, und deutsche Exporteure und Investoren bauen ihr Geschäft im Ausland oft nur deshalb erfolgreich auf, weil sie das Spiel beherrschen (müssen).

Aus dem Skandal, der sich jahrelang hinzog, entstanden die Reform der Parteienfinanzierung und schärfere Regeln für die Transparenz von Politiker-Nebeneinkünften; auch die Rechte von Untersuchungsausschüssen im Parlament wurden später gestärkt. Es gibt in der deutschen Politik vieles, was seinen Ursprung in der Flick-Affäre hat. Unter anderem half sie den (von Flick nicht bedachten) Grünen, sich erfolgreich als Anti-Establishment-Partei zu etablieren -- und den Bürgern, ihre Politiker und Wirtschaftsführer misstrauischer zu beäugen.

Das hat die Republik verändert, und die Wirtschaftswelt ebenso. Nicht zuletzt unsere Vorstellung davon, wie Lobbyarbeit und politische Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft sind -- oder sein können. Wie so häufig im Verlauf der Professionalisierung eines Berufs brachte auch hier eine Erschütterung der moralischen Grundfesten erst die informellen und formellen Regeln hervor, die die Interessenvertretung braucht.

1 Kommentar:

  1. Die Wege haben sich geändert, die Finanzierung von Parteien und Politikern durch Wirtschaft und Lobby nicht.

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