Samstag, 13. November 2010

Managerhaftung für Menschenrechtsverstöße -- und für Lobby-Fehler?

Mit der Managerhaftung für Finanzspekulationen, Firmenpleiten und Jobverluste im Inland hat es bisher nicht so richtig geklappt, aber die Grünen setzen eins drauf: Wer im Ausland Menschenrechte verletzt, soll nach inländischem BGB- und Wirtschaftsrecht haftbar gemacht werden, am besten auch nach EU-Recht. So der Leitantrag von Volker Beck MdB für den Parteitag in Freiburg. Mit juristischen Mitteln will er der unverbindlichen CSR-Politik der Konzerne Beine machen - also Zivilklagen und Strafverfolgung ermöglichen.

Der Kernbegriff: Pflicht zur "angemessenen Sorgfalt", auch bekannt als "due diligence", in Kopplung mit dem treuhänderischen Verantwortungsprinzip ("fiduciary") und Pflicht zur Risikobewertung.

Eine weit hergeholte Gutmenschen-Idee, eine Traumtänzelei berufsbetroffener Empörungskritiker der Globalisierung? Keineswegs.

Bei aller Skepsis über die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung: Da steckt eine Menge drin -- und wird in den USA schon länger diskutiert. Übrigens auch mit Bezug auf einwandfreies Verhalten der Lobbyisten, Politikberater und Beauftragten eines Unternehmens, im In- wie Ausland.

Im Antrag wird sachlich und ohne Schaum vorm Mund begründet:
Entscheidungsträgerinnen und -trägern in Unternehmen sollten klare Sorgfaltspflichten auferlegt werden. Entscheidungen der Unternehmensleitung dürfen nicht nur von den wirtschaftlichen Eigeninteressen des Unternehmens geleitet sein, sondern müssen auch die öffentlichen Interessen an Schutz von Umwelt und Menschenrechten berücksichtigen, sofern diese vom Unternehmen betroffen sind. Das Handels- und Gesellschaftsrecht muss so geändert werden, dass Managerinnen und Manager verpflichtet sind, nach menschenrechtlichen Kriterien zu entscheiden und nicht nur nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

Die Managerinnen und Manager von Unternehmen sind verpflichtet, deren Vermögensinteressen treuhänderisch wahrzunehmen und für einen reibungslosen, effizienten und gewinnorientierten Betriebsablauf Sorge zu tragen. Hierbei haben sie die Sorgfalt einer ordentlichen Geschäftsperson anzuwenden, die nach Wirtschaftlichkeitskriterien entscheiden muss. Menschenrechtliche Auswirkungen der Unternehmensaktivität lassen sich nicht immer wirtschaftlich darstellen. Demnach müssen Managerinnen und Manager im Rahmen ihrer Sorgfaltspflichten weder die menschenrechtlichen Auswirkungen in ihre Entscheidungen mit einbeziehen noch darüber Rechenschaft ablegen. Im Gegenteil, es kann sogar sein, dass eine menschenrechtlich motivierte Entscheidung, die Kosten verursacht, eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellt. Daher müssen Entscheidungsträgerinnen und -träger in Unternehmen explizit ermächtigt und verpflichtet werden, die rechtlichen und nicht nur wirtschaftlichen Interessen, in denen Dritte durch die Unternehmensaktivitäten negativ betroffen werden könnten, durch geeignete Maßnahmen zu schützen.

Der letzte Satz ist wichtig, insbesondere die Ermächtigung, nicht nur Verpflichtung der Manager. Die Idee, dass bei Unternehmen das Haftungsrecht und die Pflicht der Manager zur „angemessenen Sorgfalt“ auf Politik und Gesellschaft ausgedehnt wird, hat eben zwei Seiten:
  • Zum einen die persönliche Haftung der Vorstände für einwandfreies Verhalten ihrer "Agenten". Das ist die Sanktionsfrage.
  • Zum anderen aber die Herstellung eines Freiraums für Manager, die politisch-gesellschaftlich unerwünschten Risiken und Sanktionen durch ihre Entscheidungen zu vermeiden.
Wie bitte?, mag sich mancher fragen. Manager sind doch immer frei in ihrer Entscheidung, das Gemeinwohl zu berücksichtigen. Dass sie es nicht tun, liegt doch nur an ihrer Gier?

Falsch. Das ist ein grundlegendes Missverständnis -- jedenfalls, was transnationale Unternehmen mit US-Hintergrund angeht. Nach US-Recht sind die Manager einer Kapitalgesellschaft als Treuhänder der Eigentümer strikt daran gebunden, das Wohlergehen der Eigentümer über alles zu stellen. Also die Optimierung der Rendite und Effizienz, um den Anteilseignern einen maximalen Gewinn zu ermöglichen -- und zwar in der Tendenz eher kurz- als langfristig, weil die Anteilseigner weit mehr als in Europa vom Aktienmarkt kommen und sich schnell für andere Geldanlagen entscheiden können sollen.

Das ist das oft kritisierte Shareholder-Value-Prinzip. Vorstände, die eigenmächtig gegen das Prinzip verstoßen, weil sie andere gute Dinge mit dem ihnen anvertrauten Geld anstellen, können sich schnell Schadenersatzklagen gegenüber sehen.
Merke: US-Unternehmen kümmern sich natürlich sehr wohl um vielerlei Stakeholder und um das Gemeinwohl aus wohlverstandenem Eigeninteresse (der moderne Managementansatz stammt ja auch aus den USA, ebenso wie das CSR-Konzept mit dem Fokus Nachhaltigkeit sowie ganzheitliche Ansätze wie die Balanced Scorecard). Shareholder Value aber ist immer noch das fast uneingeschränkte rechtliche Leitprinzip mit Haftungsrelevanz. Und bekanntermaßen haben Boni, Aktienoptionen und andere Vergütungssysteme für Manager die kurzfristige Renditesteigerung und zügellose Risikobereitschaft das Shareholder-Value-Prinzip so übersteigert, dass es zu Exzessen und schließlich zur Krise kam.
In Europa sieht das allerdings etwas anders aus. Das Shareholder-Value-Prinzip gilt hier nicht uneingeschränkt als rechtlich verbindlich, auch wenn die dazugehörige Kultur sich in den Managementetagen teilweise weit ausgebreitet und ebenso zu Exzessen geführt hat.

Europas Wirtschaft basiert historisch auf einem Stakeholder-Value-Prinzip, in der das Management auch andere als die kurzfristigen Renditen berücksichtigen darf. Ermöglicht wird das durch eine ganz andere Finanzierungsstruktur europäischer AGs im Vergleich zu den USA - hier haben institutionelle Anleger häufiger langfristige Interessen.

Sozialpartnerschaft und Soziale Marktwirtschaft, so wie wir sie kennen, wären ohne diese Basis gar nicht möglich. Schließlich gilt in Deutschland Art. 14 (2) GG - und ähnlich in anderen EU-Staaten - zusätzlich ein gemeinwohlorientiertes Treuhänderprinzip: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."

Also haben wir politisch, rechtlich und wirtschaftskulturell eine völlig andere Ausgangslage für Manager als in Amerika. Darum spielen Instrumente der Unternehmenskontrolle wie die Due Diligence, Haftung und Klagemöglichkeiten hier eine viel geringere Rolle als jenseits des Atlantiks.

Dennoch: Ein förmliches Sorgfaltsprinzip und Bewertungsrecht und -pflicht für politische und gesellschaftliche Risiken könnten auch in Europa einiges ändern, um das Management an seine gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu erinnern. Möglicherweise ist nach der Krise die Zeit reif dafür.

Förmliche Due Diligence für Politik und Gesellschaft - ein neue Perspektive

Das amerikanische Sarbanes-Oxley-Gesetz (2002) greift längst auch bei uns. Der deutsche Corporate Governance Kodex, der Maßnahmenkatalog zur Stärkung der Unternehmensintegrität (2003), die europäische Finanzmarktintegration brachten ebenfalls eine Vielzahl neuer Anforderungen an Transparenz, Haftung und Corporate Governance. Nicht zuletzt die Initiativen im Dachverband der Kritischen Aktionäre, hinter denen Belegschaftsaktionäre und NGOs stehen, mahnen zudem immer wieder mit Bezug darauf die Berücksichtigung von Arbeitsplatzsicherung, Umweltschutz und sozialen Rechten an. 2007 gab es die erste gerichtliche Klage von Kleinaktionären, um Verstöße gegen den Governance-Kodex zu ahnden. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat Governance-Fragen wieder ganz nach oben gebracht -- und die Haftungsthematik ebenso.

Zivilklagen sind dabei das eine - Strafverfolgung das andere. "Das Risiko, als Manager oder Mitar­beiter eines Unter­neh­mens von der Staats­an­walt­schaft behel­ligt zu werden, ist in den vergan­genen Jahren enorm gestiegen", stellt Finanzen Markt & Meinungen fest und erinnert daran, dass die Staatsanwaltschaft Bonn im September gegen Telekom-CEO René Obermann ein Ermittlungsverfahren wegen angeblichen Bestechungsversuches eingeleitet hat. Der Anfangsverdacht genügt. Neben Korruptionsdelikten und Steuerhinterziehung seien Verstöße gegen Umweltauflagen, Produkthaftung und Verletzungen des Außenwirtschafts- oder Wettbewerbsrechts typische Auslöser. Im Zuge der Finanzkrise habe sich zudem gezeigt, dass im Insolvenzfall auch immer häufiger strafrechtliche Vorwürfe gegen das Management im Raum stehen. „Unternehmen sollten sich deshalb dringend mit dem Thema Strafrechtschutz auseinander setzen" - und Strafrechtschutz-Versicherungspolicen mit Deckungssummen in Millionenhöhe abschließen.

Risiko-Früherkennungssysteme sind also notwendig, nicht nur für Finanz- und Umweltrisiken. International verbindliche Standards gibt es allerdings nicht. Das Verständnis ist stark von der länderspezifischen Wirtschaftskultur geprägt. Das berührt nicht zuletzt die Frage, inwieweit die Interessen aller Stakeholder einer Firma in der Unternehmensführung berücksichtigt werden. Je näher das Sorgfaltsgebot und das Haftungsrisiko sich auf kulturelle und politische Strukturen und Verhaltensweisen beziehen, desto weiter geht das Verständnis von Corporate Governance und Due Diligence auseinander.

Können Firmenvorstände für politische Aktivitäten haftbar gemacht werden?

Von der Haftung für Umwelt- und Menschenrechte ist es nicht weit zur Haftung für das politische Verhalten eines Unternehmens.

2006 erregte in der amerikanischen Public-Affairs-Szene eine Studie der Yale-Universität Aufsehen, die sich den Systemen unternehmensinterner Überwachung (oversight) von politischen und Lobbyingaktivitäten widmete.

Yale-Studienautor Robert Repetto ging dabei davon aus,
  • dass politische Aktivitäten (einschließlich Lobbying) einer Firma wichtig für die Markt-, Wettbewerbs- und Auftragssituation sind,
  • dass sie eng mit der Unternehmensstrategie abgestimmt sind
  • und daher unter die Sorgfaltspflicht des Vorstands (Board of Directors) fallen.
Die Mitglieder müssen die Aufsicht darüber wie bei anderen Unternehmensbereichen ausüben, die z.B. Rechtsstreitigkeiten oder neue Regulierung auslösen oder die Reputation der Firma beeinträchtigen können. Das bedeutet aber auch, dass sie genauestens über die operative Seite informiert sein müssen.

Dies bedeutet zum Beispiel, dass sich ein Vorstand davon überzeugen und auch dokumentieren muss, dass seine Interessenvertreter nicht mit Vorschriften in Konflikt geraten, die z.B. in Behörden und Parlamenten gelten, um Bestechlichkeit und Interessenkonflikte zu unterbinden, oder die für Transparenz und Integrität des politischen Prozesses sorgen sollen.
  • Die Yale-Studie argumentiert, dass Politik- und Lobby-Strategien genauso fehlerhaft und falsch sein können wie andere strategische Entscheidungen des Vorstands.
  • Schlimmer noch, die meisten Manager wüssten sehr viel weniger über Politik, Public Affairs und politische Ökonomie als über ihre eigenen Branchen.
  • Im Zweifel seien strategische Entscheidungen hier wohl eher fehlerhaft als in Bereichen, mit denen sich das Management deutlich besser auskennt.
  • Warum, so wird zu Recht gefragt, sollten die politischen Aktivitäten dann weniger einer Compliance-Überwachung unterliegen als die Finanzen?
Als Beispiel wurde z.B. angeführt, dass die US-Autoindustrie sich politisch massiv gegen bessere Effizienz- und Klimaschutz-Standards gestemmt habe, während japanische und europäische Autohersteller mit Hybrid-Motoren und CO2-effizienten Modellen auf den Markt drängten. Die Politik-Strategie habe nicht nur das Image ramponiert, sondern vor allem Wettbewerbsnachteile nach sich gezogen.

Zugleich werde die Zusammensetzung der Anteilseigner immer vielfältiger und die Interessen der Shareholder und Stakeholder überschnitten sich – in den USA haben rund die Hälfte aller Haushalte Aktien und Fondsanteile. Ergebnis: Was im Interesse eines Mitarbeiters ist, muss noch lange nicht im Interesse derselben Person als Aktionär sein.

Große institutionelle Anleger und Publikumsfonds mit großem Portfolio haben eine Interesse nicht nur am Wohlergehen eines Unternehmens oder einer Branche, sondern an der Gesamtheit ihres Investitionsbereichs und seines gesellschaftlich-politisch-rechtlichen Umfelds. Je universeller die Firmenbeteiligungen, desto weniger fokussiert auch die Lobbystrategie – oder anders gesagt, desto geringer das Interesse, dass Unternehmensrepräsentanten bei der Politik etwas durchsetzen, das zu Lasten einer anderen Branchen und deren Stakeholdergruppen geht. Besonders augenfällig wird das bei Pensionsfonds, Fonds der öffentlichen Hände, Staatsbanken, öffentlicher Körperschaften und Genossenschaften oder Gewerkschaften. Auch die Arbeitsgemeinschaften von Belegschaftsaktionären gehören dazu.

Diesen gaben z.B. Hawley und Williams (2000) den Tipp, sich im Sinne des eigenen Risikomanagements das Lobbying von Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, kontinuierlich einem Monitoring zu unterwerfen – und gegebenenfalls deren Management zu beeinflussen und unter Druck zu setzen; um das Lobbying auf eine Linie mit den weiter gehenden Interessen der Anteilseigner zu bringen.

Von “shareholder activism” ist in den USA schon länger die Rede. Auch in Deutschland ist nicht unbekannt, dass sich einzelne Gruppen durch Erwerb von Aktien bei Hauptversammlungen in Szene setzen. Inzwischen machen es Medien und Internet leichter, Anteilseigner auf bestimmte Themen zu stoßen.

Die Zeiten sind vorbei, als mit etwas Scheckbuch-Philanthropie der Druck auf ein Unternehmen schwand, sich für gesellschaftliche Belange einzusetzen. Besonders der Klimaschutz und andere Umwelthemen kamen ganz oben auf der Agenda: In den Hauptversammlungen wurden viele Resolutionen der Anteilseigner eingebracht.

In der Studie „Activists in the boardroom“ zeigte die US-Unternehmensvereinigung Public Affairs Council (PAC) auf, wie sehr sich selbst NGO- und Gewerkschafts-Kampagnen wandeln können. Deren traditionelles Lobbying beeinflusst die Politik, um das Verhalten von Unternehmen zu regulieren. Neue Strategien zielen darauf, Unternehmen unter Druck zu setzen, damit sie sich dafür einsetzen, Gesetze und Regulierung zu ändern.

Dabei konkurrieren unterschiedliche Gruppen im Kreis der Stakeholder und Shareholder untereinander, sie koalieren miteinander, nutzen gezielt Verbände als Arena und ebenso die Medien.

Dabei kann die Drohung mit Compliance-Beschwerden vor und auf den Hauptversammlungen oder gegenüber Analysten der Bankhäuser und Finanzmedien zu einem wichtigen Hebel werden.

Dabei geht es eben nicht nur darum, dass Manager für die Handlungen einer Politikabteilung vom Strafrecht verfolgt werden können (Beispiel: das Verfahren wegen Vorteilsgewährung gegen EnBW-Chef Utz Claassen in der WM-Ticketaffäre, die Anklage wegen Untreue und Begünstigung von VW-Vorstand Peter Hartz oder die Ermittlungen im Schmiergeldskandal bei Siemens). Vielmehr geht es um eine Haftung für von Anteilseignern erlittene finanzielle Schäden.

Wenn also der Börsenkurs fällt, weil eine Firma in einen Lobbyskandal verwickelt ist, den der Vorstand nach bestem Wissen hätte abwenden können, dann kann der Anteilseigner dies geltend machen oder die Behörden können empfindliche Strafen und Sanktionen verhängen.

Ein Risiko werden politische Anstrengungen von Unternehmen vor allem deshalb, weil auch in Europa Politiker, Medien und NGOs diese immer stärker beobachten. Watchdog-Gruppen wie Corporate Europe Observatory oder Lobbycontrol thematisieren Praktiken in der Grauzone, etwa die Abgeordneten-Nebeneinnahmen oder die Entsendung von Konzern-Leihpersonal in Ministerien. In Berichten von NGOs wird Lobbying immer stärker als Geschäftsrisiko beschrieben und sehr deutlich den imagefördernden Aktivitäten der Unternehmen im Bereich „gesellschaftliche Verantwortung“ (CSR, Corporate Citizenship) gegenüber gestellt.

Unternehmen, so fordern NGOs, sollen über ihr Lobbying nicht nur berichten müssen, sondern wie bei operativen Geschäftstätigkeiten auch begründen, wie sich im Einzelnen das Lobbying mit der gesellschaftlichen Verantwortung der Firma verträgt.

Der Lifeworth World Review "Tipping Frames" (2006) schlug ebenso in diese Kerbe wie die internationale Vergleichsstudie von WWF und SustainAbility.

So steigt in den USA der Druck zur Offenlegung politischer Aktivitäten und Ausgaben – von Parteispenden bis zu Mitgliedsbeiträgen zu Verbänden. deren politische Kompatibilität mit Firmeninteressen geprüft wird. Transparenz soll allen Aktionären und Kapitalanlegern erlauben zu bewerten, wie das Management die Ressourcen eines Unternehmens verwendet.

Seit 2003 gibt es sogar eine Kampagne, die vorrangig dieses Thema vorantreibt: Das Center for Political Accountability hat eine strategische Allianz mit 26 institutionellen Investoren und anderen Gruppen aufgebaut, die Unternehmen dazu bringen, eine Modellrichtlinie für „political disclosure and accountability“ zu akzeptieren und eine förmliche Überwachung durch den Vorstand zu installieren. Vor allem geht es bei dieser Initiative um Geldströme in die Politik und die Offenlegung, wer an den Entscheidungen über diese jeweils beteiligt ist. Die Liste der Unternehmen, die sich dem Modell anschließen, ist lang und beeindruckend.

Während die Selbstverpflichtungen noch neu und sicher nicht so hart sind, wie sich Kritiker es wünschen, so zeigt es doch die wachsende Akzeptanz der Idee, dass der Vorstand den Anteilseignern und dem erweiterten Kreis der Stakeholder Rechenschaft für alle politischen Aktivitäten schuldet. Implizit wird damit das Haftungsrisiko angenommen.

Delphi-Studie "Politische Kommunikation 2030" zur Haftungsfrage

In der Delphi-Studie "Politische Kommunikation 2030: Wie Politikexperten unter 45 die Zukunft an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Medien sehen" (2007) fragten wir jüngere Bundestags- und Landtagsabgeordnete sowie Ministerialbeamte in Bund und Ländern konkret nach ihren Einschätzungen zu folgender These:
Bei Unternehmen werden Haftungsrecht und Pflicht der Manager zur „angemessenen Sorgfalt“ (due diligence) auf Politik und Gesellschaft ausgedehnt: Vorstände haften persönlich für einwandfreies Verhalten der Lobbyisten, Politikberater und Beauftragten ihres Unternehmens.
Die Teilnehmer zeigten bei dieser These (im Vergleich zu vielen anderen Thesen der Befragung) recht hohe Unsicherheit:
  • 53 Prozent nannten ihre Antwortfähigkeit unsicher, 46 Prozent waren sich sicher.
  • 80 Prozent der Teilnehmer hielten die Wahrscheinlichkeit, dass diese These zutrifft für sehr oder eher gering.
  • 20 Prozent schlugen sich auf die andere Seite, gar nur ein einziger Teilnehmer sah eine sehr große Wahrscheinlichkeit.
  • Immerhin konnten sich 60 Prozent vorstellen, dass es irgendwann dazu kommt. Aber ein Fünftel sah dies nach 2030 geschehen, rund ein Drittel meinte, eine solche Haftung werde niemals umgesetzt.
Die Studie fragte nach Auswirkungen der These in drei Bereichen: Regierung, Parteienwettbewerb und Lobbying der Wirtschaft. Diese wurden höchst unterschiedlich beurteilt.
  • Am wenigsten betroffen scheint danach der Parteienwettbewerb. Dreiviertel der Befragten hielten die Auswirkungen für gering.
  • Der Anteil schrumpft auf 60 Prozent, wenn es um das Regieren geht, 40 Prozent sahen eher oder sogar sehr große Auswirkungen, sollte die Interessenvertretung und Politikberatung in die strengen Corporate-Governance-Vorschriften einbezogen werden.
  • Das Lobbying würde es stark treffen. Sehr große Auswirkungen sahen 54 Prozent der Teilnehmer voraus, 27 Prozent eher große. Zusammen sind dies 81 Prozent.
Bei der Frage nach der subjektiven Bewertung, wie erstrebenswert die Entwicklung sei, fiel das Ergebnis ebenfalls höchst differenziert aus.
  • In den Bereichen Regieren und Parteienwettbewerb hielt nur ein Sechstel der Teilnehmer die Entwicklung für nicht erstrebenswert. Im Bereich Regieren erklärten 39 Prozent ihre Neutralität, für den Parteienwettbewerb sogar noch mehr mit 47 Prozent. Ein recht großer Anteil, mit 46 Prozent (Regieren) bzw. 37 Prozent (Parteienwettbewerb) nannte die Entwicklung, an die man nicht glaubt, dennoch für erstrebenswert.
  • Beim Lobbying für die Wirtschaft sank der Anteil der Neutralen auf kaum ein Viertel. Der Rest teilte sich in zwei etwa gleich große Lager: Die eine Hälfte (39 Prozent) nannte die Entwicklung erstrebenswert, aber die andere (38 Prozent) hielt sie für nicht erstrebenswert.
Wir fragten nach den Gründen für das Zutreffen oder Nichtzutreffen der These. Die Teilnehmer bejahten bis auf eine Ausnahme mit jeweils deutlich über 50 Prozent die von uns genannten fördernden und hemmenden Faktoren.
  • Die höchste Zustimmung bei den Pro-Gründen fand die Aussage, dass Skandale und Affären den öffentlichen Druck erhöhen (79 Prozent).
  • 71 Prozent stimmten zu, dass Haftung und Sorgfaltspflichten ständig steigen.
  • Dass die Finanzmärkte sensibel auf Politik und gesellschaftliche Reputation der Unternehmen reagieren, hielten 68 Prozent für richtig.
  • Nur 61 Prozent bejahten, dass Gerichtsurteile neue Regeln erzwingen.
  • Auf der Seite der Contra-Faktoren fand die regulierungshemmende Aussage „Die Grauzone ist zu groß“ mit 77 Prozent die größte Zustimmung; hier waren sich die Teilnehmer offenbar der Schwierigkeit bewusst, die Verantwortung der Manager adäquat materiell zu regeln.
  • Entscheidend für Kapitalanleger sind nur die Markt- und Gewinnchancen, das meinten 58 Prozent.
  • Fast so viele, nämlich 54 Prozent, sahen als Hemmschuh, dass die Regelung die Verbände der Unternehmen nicht erfassen könne.
  • Bemerkenswert gering war dann die Zustimmung zu der Aussage, dass freiwillige Verhaltensregeln gesetzliche Regelungen überflüssig machten. Mit 30 Prozent Zustimmung war das Vertrauen in die Selbstregelung der Märkte an diesem Punkt denkbar gering.
Eine Delphi-Studie befragt die Teilnehmer nicht nur einmal, sondern zweimal -- und legt ihnen in der zweiten Runde die Ergebnisse der ersten vor. Überrascht war von dem Befragungsergebnis der ersten Runde gut ein Fünftel. 86 Prozent hielten es für repräsentativ für Entscheidungsträger in der Politik. Für strategisch relevant mochte es aber kaum die Hälfte (46 Prozent) halten, etwas mehr sagte dazu nein. Schließlich signalisierten nur 18 Prozent der Teilnehmer, sie würden das Ergebnis mit Kollegen oder Mitarbeitern diskutieren. 82 Prozent würden sie eher zu den Akten legen.

In den wörtlichen Kommentaren teilt sich das Bild. Einige zuckten mit den Schultern:
  • Kein Thema in der deutschen Debatte“, meinte ein Mitarbeiter eines Bundesministeriums.
  • Funktioniert schon in der Wirtschaft nicht“, so ein Kollege aus einem anderen Bundesministerium.
  • Da fehlt sicher das Interesse der Unternehmen“, so ein Landtagsabgeordneter.
  • Verantwortlich für die Demokratie bleiben die Politiker“, schloss ein Mitarbeiter eines Landesministeriums.
Dem widersprachen andere:
  • Siemens sollte doch Mahnung für alle sein“, bemerkte ein Landtagsabgeordneter.
  • Ein Mitarbeiter eines Bundesministeriums wunderte sich über den hohen Anteil der Befragten, die in der ersten Runde den Eintritt der These im Lobbying der Wirtschaft für „nicht erstrebenswert“ gehalten hatten. Das „widerspricht Branchenkodizes und ähnlichem“, konstatierte der Teilnehmer.
  • Er „halte eine freiwillige Vereinbarung für wahrscheinlich“, schrieb ein Mitarbeiter eines Bundesministeriums.
  • Das halte ich für plausibel, dass die Entwicklung nach weiteren Korruptionsfällen dorthin geht,“ bemerkte ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages.
Wieder andere beschäftigten sich mit den Hemmnissen einer solchen Regelung:
  • Diese sei „schwer regelbar und wird gerade von [der] Wirtschaft mit deren Machtmitteln bekämpft“, so ein Landtagsabgeordneter.
  • Ein anderes MdL fragte: „[Ein s]ehr hierarchisches System [ist]nötig, vielleicht nicht wirklich umsetzbar?
Wie die hohe Unsicherheitsquote oben zeigt, fühlten sich recht viele Teilnehmer nicht kompetent: „Das Konzept ist zu unbekannt, als dass wir es korrekt beurteilen könnten“, meinte ein Mitarbeiter eines Landesministeriums, und ähnliche Bemerkungen – die bei den anderen Fragen der Delphi-Studie sonst nicht aufgetaucht waren – waren häufig.

Fazit: Die in den USA gegenwärtig recht intensive und aktuelle Debatte wurde 2007 von den deutschen Entscheidungsträgern praktisch nicht registriert. Sie sahen das Thema als ein äußerst weit entferntes an und beurteilten die Durchsetzbarkeit und Handhabbarkeit extrem skeptisch. Das Thema spielte für sie so gut wie keine Rolle und wurde auch als wenig zukunftsträchtig angesehen. Der Kenntnisstand scheint besonders gering zu sein, die Teilnehmer waren bei der Prognose sehr unsicher.

Jedoch zeigte die zweite Befragungsrunde eine hohe Stabilität. Auch wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit äußerst skeptisch beurteilt wird, so wurden doch die möglichen Auswirkungen auf das Lobbying der Wirtschaft von einer besonders großen Mehrheit als sehr groß oder eher groß angesehen. Bei der Beurteilung als wünschenswertes Ziel zeigte sich eine hohe Polarisierung, was das Lobbying der Wirtschaft angeht; aus der Binnenperspektive der Regierenden und der Parteien können nur wenige etwas Schlechtes an einer solchen Entwicklung finden. Die Zustimmung zu den allgemein fördernden Faktoren war im Schnitt höher als zu den hemmenden.

Die These wurde gestellt, weil Corporate-Governance-Themen und Transparenz-Themen für europäische Unternehmen innerhalb weniger Jahre eine hohe Bedeutung erlangt haben und vielfach politisch gefärbt in den Medien diskutiert werden. Skandale tun ihr Übriges dazu (was auch die Befragten teilen). Allgemeiner Regulierungsdruck, Compliance-Trends, internationale NGO-Aktivitäten und der Trend zu mehr Transparenz sprachen 2007 eigentlich dafür, dass das Thema auch in Europa in absehbarer Zeit einen rechtlichen Niederschlag findet.

Es überraschte, dass die Teilnehmer dies überhaupt nicht so sahen, nicht einmal mittelfristig.

Eine mögliche Erklärung dafür mag darin liegen, dass es sich hier um ein fachlich geprägtes Wirtschafts- und Rechts-Thema handelt, das sich dem Durchschnittsteilnehmer im Alltag wenig erschließen mag. Die Distanz dazu schien groß, das Thema als theoretisch gewertet zu werden. Gleichwohl zeigte das Ergebnis auch, dass die jungen politischen Entscheider ihm weitgehend neutral bis positiv gegenüber stehen und zugleich von der persönlichen Haftung von Firmenvorständen eine erhebliche Auswirkung auf das Lobbying erwarten, käme es denn so.

Mit dem aktuellen Vorstoß der Grünen zur Haftung für Menschenrechtsverstöße durch transnationale kehrt das Thema zurück -- natürlich auf einer etwas anderen Ebene, aber inhaltlich verwandt und mit derselben Begründung. Und natürlich auch unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise, die das Vertrauen in die Unternehmensvorstände massiv erschüttert hat.

Literatur

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