Metro will sich positiv abheben in einer Branche, die in puncto Öffentlichkeit und positiver Positionierung in der Politik nicht eben als vorbildlich gilt. Eine Branche, die von Verbraucherschützern, Umweltgruppen und Gewerkschaften massiv kritisiert wird, die selbst (und gerade) in der Krise die öffentliche Nichtkommunikation pflegt, die mit dem Kartellamt und anderen Behörden öfters im Clinch liegt, die intern oft zerstritten ist und auf die Politik lokal, regional wie national und international – dank ihrer hohen Bedeutung für Arbeitsplätze und Konsum – doch erheblichen Einfluss hinter verschlossenen Türen ausübt.
Der Wille zur Veränderung der verschlossenen Branchenkultur hat sich auch gezeigt, als Metro im Januar eine eigene Hauptstadtrepräsentanz eröffnete. Mit Wirtschaftsminister Rainer Brüderle an seiner Seite, erklärte Vorstandschef Eckhard Cordes: "Transparente permanente Zusammenarbeit und das Gespräch ohne Scheuklappen sind für ein Unternehmen heute wichtiger denn je."
Viele Herausforderungen wie die Folgen der andauernden Wirtschafts- und Finanzkrise, aber auch Fragen wie Jugendarbeitslosigkeit, Umweltschutz oder der Kampf gegen den Hunger, brauchten "eine neue Verantwortungspartnerschaft von Politik und Wirtschaft." Konkret hätte er auch den Streit um die Lebensmittelkennzeichnung ("Ampel"), die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel, Mindestlohn oder Klimawandel nennen können, LKW-Maut, grüne Gentechnik, Ladenöffungszeiten, Leiharbeit, regionale Probleme bei Bauvorhaben und Raumplanung oder Datenschutz.
Eine Fehde zwischen Metro und HDE
Bei der Gelegenheit macht sich Cordes allerdings "keine Freunde damit, den Aufbau eines eigenen Büros wiederholt mit mangelnder Professionalitätder Branchenverbände zu begründen", bemerkte die Lebensmittelzeitung Anfang Dezember. Gemeint war unter anderem der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE), dessen größtes Einzelmitglied Metro ist, und die Ende 2009 aufgelöste Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels (BAG).
Das Branchenblatt schrieb 2009, Metro lasse "kaum ein gutes Haar" am HDE, der Verband habe eine "amateurhafte Außenwirkung". Die Eröffnung eines eigenen Büros sei als "Affront gegen den HDE verstanden werden und nicht als konzertierte Aktion, um gemeinsam Brancheninteressen zu vertreten."
Das Problem ist latent - und augenscheinlich. Ob es die leidigen Diskussionen um den Milchpreis oder die jüngsten Vorwürfe des Markenverbandes sind, der Handel nutze seine Marktmacht über Gebühr: Während die Lobbyisten von Herstellern und Milchbauern in der Öffentlichkeit breite Zustimmung finden, steht der Handel mit dem Rücken an der Wand und muss sich rechtfertigen. Die Branche zu inszenieren fehlt dem HDE offenbar das passende Konzept.
Auch die Fusion mit der BAG [Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels] wird nicht den gewünschten Effekt haben. Die öffentlichkeitswirksame Geburt eines einheitlichen Handelsverbandes, die HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth zu seiner Chefsache erklärt hat, kommt nicht zustande, weil die BAG Auflösungserscheinungen erkennen ließ und die eigene Liquidierung beschließt - ein halbes Jahr vor der geplanten Verbandsfusion. Den politischen Flurschaden stufen Handelsmanager als immens ein.
Nicht einmal zu einem Konjunktur-Gipfel hat es für den Verband gereicht. Zwei Tage vor dem Termin wurde die mit viel medialem Aufwand angekündigte Tagung abgeblasen. Zu wenig Teilnehmer. Und das, obwohl die Wirtschaftskrise wie kaum ein anderes Thema auch den Handel beschäftigt. (...)
Seit Jahren ärgern sich die Metro-Oberen, dass Metro zwar der größte Beitragszahler im HDE ist, in den Regionen und in den Gremien aber der Mittelstand das Sagen hat - und die Branche durch seine Brille spiegelt. Eine Perspektive, die mit dem internationalen Anspruch der Metro kaum zusammenpasst.
Deutschlands größter Einzelhändler macht schon seit Jahren keinen Hehl daraus, dass er den Chefposten beim HDE lieber mit eigenen Managern besetzt hätte. Doch die Kandidatur von Metro-Aufsichtsrat Erich Greipl scheiterte 2006 am Votum der HDE-Basis.
Inzwischen übt man sich in Harmonie. "Kooperative und glaubwürdige Interessenvertretung im Verbund" soll die Repräsentanz leisten, heißt es in einer Präsentation des Leiters, Michael Wedell, vor der IHK Berlin im Mai 2010. "Eigene" und "kooperierende Lobbyarbeit" halten sich dort die Waage, und die Metro-Gruppe sieht sich in einem größeren Verbändenetzwerk integriert, einem "starken Netzwerk".
Immer wieder mittwochs
Die neue Zusammenarbeit zwischen Metro und HDE hat seit einiger Zeit ein öffentliches Symbol. Das Salon-Veranstaltungsformat "Berliner Mittwochsgesellschaft des Handels" wird von den Metro und HDE gemeinsam getragen. Beide wollen bevorzugte Gastgeber für ein populäres Format sein, da streitet man sich nicht öffentlich vor den Gästen.
Politische Salons mit historischen Vorbildern sind in Berlin seit rund einem Jahrzehnt etabliert, aber für den Handel ist die Idee neu, und sowohl die Einbeziehng von NGOs und von Web 2.0-Begleitkommunikation scheint interessant zu sein.
„Wir sind hier angetreten, um das Gegenteil von Hinterzimmer-Lobbyismus zu betreiben“, zitiert die LZ Metro-Kommunikationschef Michael Inacker. Mit Hilfe von namhaften Referenten sollen offene Diskussionen „ohne Scheuklappen“ entstehen, wobei die eigenen Interessen nicht versteckt werden sollen („Man kann sich nicht immer gegenseitig überzeugen“). Der Austausch mit politischen Entscheidungsträgern solle kontinuierlicher werden, damit auch wirkungsvoller. „Man
kann nicht immer erst dann ankommen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, zitiert das Blatt einen anderen Handelslobbyisten.
"Responsible Lobbying"
Organisiert wird die Mittwochs-Veranstaltung von Kai Falk (HDE) und Michael Wedell, dem Leiter der Berliner Metro-Repräsentanz. Wedell erläutert das Konzept seiner Repräsentanz in einem Artikel "Die Verantwortung des Wachstums: Interessenvertretung als Kerndisziplin nachhaltiger Wirtschaft" (überarbeitete Version für den BBE Newsletter 19/2010 eines Beitrags zum jüngst erschienenen Buch "Public Affairs – Strategien und Instrumente der Interessenvertretung für Wissenschaft, Wirtschaft und Institutionen").
Inhaltlicher Dreh- und Angelpunkt sind Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility (CSR):
Wedell versteht das aus dem Umfeld des UN Global Compact und AccountAbility stammende Konzept "Responsible Lobbying" als "Kernkompetenz unternehmerischer Nachhaltigkeit". Das bedeute, durch Mitsprache bei der Gestaltung der Rahmenordnung die „Spielregeln“ so zu verändern, dass eine gesamte Branche, ein Sektor oder die Wirtschaft insgesamt auf der Grundlage gemeinsamer Regeln nachhaltiger werden. "Dass eine verantwortliche Interessenvertretung transparent und fair ausgeübt wird, ist dabei selbstverständlich.""Die METRO GROUP strebt an, ein Impulsgeber des nachhaltigen Wirtschaftens zu sein. Dabei soll der Rolle der politischen Kommunikation und der verantwortlichen Interessenvertretung („Responsible Lobbying“) bei der Umsetzung nachhaltigen Wirtschaftens zukünftig noch mehr Beachtung geschenkt werden. Die METRO GROUP baut kontinuierlich Kompetenzen auf, um in diesem komplexen Umfeld strategie- und dialogfähiger zu werden. Denn: Wer diese Disziplinen beherrscht, verfügt zweifellos über einen enormen Wettbewerbsvorteil."
Repräsentanz als "strategischer Raum"
"Um Ordnungsverantwortung wahrzunehmen, müssen Unternehmen zwei Disziplinen besser als heute beherrschen: Dialogfähigkeit und Strategiefähigkeit", meint Wedell. Handelsunternehmen müssten immer schneller und besser darin werden, die Bedürfnisse ihrer Stakeholder – Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten, Politik, Verwaltung, NGOs u. a. - besser zu verstehen, oder wie es sein CEO Cordes, formulierte: „Wir müssen von einem Leistungsriesen zu einem Wahrnehmungsriesen werden.“
Das sei nun die Aufgabe einer Repräsentanz. Sie stelle einen "strategischen Raum zur Verfügung, der sich als Netzwerkknoten, Dialogplattform und Think Tank versteht."
"Lobbying war gestern", spitzt Wedell sogar zu. Man müsse "politische Kommunikation neu erfinden". Anstatt kurzfristig nur eigene wirtschaftliche Interessen zu verfolgen, könnten Unternehmen
ihren Einfluss im wohlverstandenen Eigeninteresse zum Zwecke gesellschaftlicher Belange einsetzen. „Responsible Lobbying“ unterscheide sich von der klassischen Form des Lobbyismus vor allem dadurch, wie mit politischen Entscheidungsträgern kooperiert wird (Prozess) und was Inhalte der Lobbyarbeit sind (Inhalte).
- Prozesse: Die politische Kommunikation eines Unternehmens muss transparent und konsistent sein. Die Ziele, die ein Unternehmen mit der Lobbyarbeit verfolgt, und die genutzten Werkzeuge müssen klar erkennbar sein. Allen Gesprächspartnern gegenüber muss die gleiche Botschaft kommuniziert werden.
(Abbildung aus Wedell, BBE Newsletter 2010, S. 5)
- Inhalte: Die Ziele der Lobbyarbeit müssen mit gesamtgesellschaftlichen Zielen vereinbar sein und dürfen nicht dem Erwerb von Privilegien dienen. Sie müssen mit der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens im Einklang stehen.
Die Repräsentanz werde stärker den Dialog mit Journalisten und Vertretern von Parteien, Ministerien, Verbänden und NGOs im politischen Berlin suchen und Themen mit konzerneigenen CSR-Maßnahmen verbinden – beispielsweise bei der Diskussion um die zukünftige Lebensmittelkennzeichnung, "in der es letztlich um Fragen geht, die bisher außerhalb des Kerngeschäfts lagen: Wie viel Mündigkeit wird dem Verbraucher zugetraut, wie viele Informationen
will er eigentlich, und welche Art von Kennzeichnung (insbes. der Nährwerte) führt letztlich zu einer gesünderen Ernährung? Und es geht um Fragen wie: Was sind die Lebensmittel wirklich wert, die wir kaufen und essen? Was ist der reale Wert unserer Kleidung?"
Ein erstes handfestes Ergebnis: Ein Kochbuch "Das Gute essen", bei dem ein Euro aus dem Verkaufserlös zur Spende für Die Tafeln verwendet wird. Da geht es nicht nur um Rezepte, sondern auch um die Rohprodukte und Nachhaltigkeit im Handel.
Vom Salon zur Web 2.0-Community
Wedell will die Aktivitäten der Repräsentanz und der CSR auch im Kontext von Social-Media-Projekten verankert wissen, wie man an der Internetplattform der "Mittwochsgeselschaft" sieht.
Wer sich auf der Website registriert, bekommt zu den Veranstaltungen jeweils ein Thesenpapier der Referenten und kann online darüber mit anderen diskutieren. Und hinterher reflektieren. Das soll die – gut besuchten – Veranstaltungen nachhaltiger machen als andere politische Events in Berlin.
"Diese Diskussionsrunde wird durch Verwendung von Web 2.0-Formaten intensiver, qualitativ hochwertiger und ermöglicht einen schnellen und produktiven Wissensaustausch, der die Transparenz und somit die Glaubwürdigkeit einer verantwortungsvollen Interessenvertretung unterstützt", schreibt Wedell in einem Beitrag zum im Dezember erschienenen Buch "Digital Public Affairs (Hg. Bender/Werner).Hintergrund: Seit 2010 hat die Metro Group eine Social Media Steering Group, die fach- und konzernübergreifend die Web 2.0-Aktivitäten steuert. Bisher war Metro vor allem mit einem Personal-Recruiting-Blog "Meeting Metro" unterwegs. Für CSR, Produktverantwortung, Marketing, Konzernkommunikation, IT sollen Online-Kommunikationsmittel von (Projekt-) Blogs über Facebook bis Twitter und YouTube entwickelt werden. Stakeholder sollen über diese Kanäle informiert und integriert werden, der Dialog online verstärkt werden.
"Die Integration IT-gestützter Verfahren erweist sich als Beteiligungsinstrument zum Wissensaustausch als besonders relevant. Die Internetplattform der Berliner Konzernrepräsentanz wird bereits von vielen Beteiligten als Diskussionsforum genutzt und unterstützt so ideal den Offline-Diskurs, indem sie auch vor und nach Veranstaltungen durch ein gemeinsames Forum vernetzt und so kollektiven Wissensaustausch erst möglich macht. Die Plattform stellt zudem Referenten im Stile gängiger Web 2.0-Formate vor und integriert offline Vorträge per Videosequenz („Youtubes“)."
Grassroots und Kampagnenfähigkeit
Wedell denkt aber schon weiter, konkret an Grassroots-Kampagnen und Grassroots-Lobbying mit Hilfe von Mitarbeitern, von Kunden und sonstigen Freunden ("Follower") seiner Unternehmensgruppe:
"Unternehmen können Graswurzel-Konzepte für sich nutzen; sie können Nachfragemacht für nachhaltige Märkte schaffen und sie können in diesem Sinne Einfluss auf die Politik nehmen. Wenn einem Unternehmen das dafür notwendige Vertrauen entgegengebracht wird, muss es nur die technische Plattform schaffen, um Politik und Medien zu erreichen." (...)
Unternehmen, denen es gelingt, in Social Media-Angeboten einen offenen Dialog zu entwickeln und Nutzer als überzeugte „Follower“ zu gewinnen, verfügen über die Chance, diese Online-Community auch offline in eine verantwortliche Interessenvertretung einzubinden. Ebenso wie Kunden, die von einem Produkt überzeugt sind, durch Mundpropaganda als glaubwürdige (weil freiwillige) Multiplikatoren fungieren, können Stakeholder – egal ob Kunden, Wissenschaftler, Politiker o. a. – in Maßnahmen einer verantwortlichen Interessenvertretung eingebunden werden.
Dies setzt neben den bereits genannten Kompetenzen in Sachen Kommunikation zukünftig regelrecht eine Kampagnenfähigkeit voraus, beispielsweise durch das Organisieren von politischen Flashmobs oder vorpolitischer Willensbildung." (Buchbeitrag zu "Digital Public Affairs")Starke Worte, erstaunlich sogar. Passt das wirklich zur Kultur des deutschen Einzelhandels, zur Wirklichkeit an der Kasse bei Real, Kaufhof und MediaMarkt? Zumindest passt es zur Vorgeschichte Wedells. Der studierte Theologe und Politologe Wedell ist kein Kind des Einzelhandels, sondern Ex-Politikmanager der Grünen und im Lobby- und CSR-Kommunikationsbereich in anderen Branchen erfahren (Vodafone, Dresdner Bank), zudem freiberuflicher Supervisor und Coach. Die Besonderheiten psychologischer und sozialer Prozesse hat er sicherlich verinnerlicht. Wer sein Denken verstehen will, dem sei sein Artikel "Ethik in prekären Zeiten - Versuch über eine politische Kultur des Versprechens" (2009) empfohlen.
Falls jemand im Konzern zu mutig werden sollte, aggressive Kampagnen zu starten, hier ist Wedells Mahnung: Auch wenn Unternehmen in diesem Rahmen Wortführerschaft übernehmen könnten, sei der "Dialog auf Augenhöhe" zentrale Voraussetzung. Kunden dürften nicht bevormundet werden. "Ihr Engagement in der politischen Kommunikation – beispielsweise für nachhaltigen Konsum (Stichwort: Carrot Mob) – muss sich ein Unternehmen durch die glaubwürdige Übernahme von Verantwortung immer wieder neu verdienen."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen