Donnerstag, 30. Dezember 2010

Handelsblatt: Lobbyisten des Jahres

"Diskrete Lenker: Die Lobbyisten des Jahres" überschreibt das Handelsblatt einen Jahresrücklick eigener Art. Die Nummer 1: RWE-Chef Jürgen Großmann. Es folgen Josef Ackermann (Deutsche Bank), Investor August von Finck (Mövenpick-Hotels), Ex-SAP-Chef Henning Kagermann ("Mister Elektroauto") und der frühere Journalist Fritz Pleitgen (Vorsitzender Ruhr 2010 GmbH).

Die Laudatio auf Großmann lässt das Handelsblatt Jürgen Trittin halten. "Er hat das letzte Jahrhundert ins neue hinübergerettet. Ein dicker, fossil-nuklearer Brocken liegt seit dem Herbst 2010 dampfend und strahlend quer auf den Gleisen in die erneuerbare Zukunft", schreibt Trittin:
In einer staunenswerten Leistung aus jovialer Hinterzimmer-Diplomatie und trickreicher Information der Öffentlichkeit hat Jürgen Großmann die Energiewende zugunsten von RWE, Eon und Co. ausgebremst - zumindest vorläufig. (...) Großmann zeigt Premium-Lobbyismus aus dem Bilderbuch. In seinem nahenden Ruhestand sollte er sich einen Stiftungs-Lehrstuhl für effektive Durchsetzung von Privatinteressen gegen das Gemeinwohl und die demokratische Öffentlichkeit gönnen - vielleicht in seiner Lieblingsstadt Osnabrück.

Zwei kommunikative taktische Meisterstücke für das Lobby-Lehrbuch seien hier erwähnt. Nur mit einer erdrückenden Medien- und Anzeigenmacht kann man Jahr für Jahr mit seinen Monopolkollegen Strom der Jahresleistung von sieben Großkraftwerken netto exportieren, damit Milliarden verdienen, dann das Märchen namens "Stromlücke" in die Welt setzen und dafür nicht ausgelacht werden. Jürgen Großmann gelang dies zum Schaden der deutschen Stromkunden in Haushalten und Unternehmen, die unter der oligopolistischen Situation auf dem deutschen Strommarkt leiden und dafür kräftig bezahlen.

Doch das zweite Beispiel ist fast noch gelungener. Nachdem er mit dem Bluff der Stromlücke Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Vize Guido Westerwelle gezeigt hatte, wer die energiepolitische Richtlinienkompetenz in Deutschland hat, nachdem der Atomputsch seinem Konzern rund 25 Milliarden Euro Zusatzgewinne verschafft hatte, erklärte er in einem Interview, das sei das Äußerste dessen, "was wir gegenüber unseren Aktionären überhaupt noch vertreten können". Jürgen Großmann kann Dividendenausschüttung zur Gesundheitsgefährdung erklären und wird dafür nicht einmal ausgelacht. Meisterlich. (...)

Lobbyist des Jahres wird man aber heute nicht mehr ohne menschliches Antlitz. So beschloss der Großmeister, ein paar Windräder an die Schornsteine zu montieren. Mit dem Windrad im Knopfloch macht selbst Jürgen Großmann eine bessere Figur - besonders, wenn diese Turbinen möglichst weit weg in Schottland oder Irland stehen.
Über Josef Ackermann sagt das Handelsblatt, er habe 2008 den deutschen Bankenrettungsschirm mitgeformt und 2010 die neuen internationalen Eigenkapitalvorschriften für die Banken geprägt. "Dass das Regelwerk "Basel III" mit sehr langen Übergangsfristen versehen wurde, ist wesentlich auf die Arbeit des Großbanken-Lobbyverbandes Institute of International Finance (IIF) zurückzuführen, dem Josef Ackermann vorsitzt. Beharrlich warnte der 62-Jährige vor wirtschaftlichen Schäden durch eine zu strenge Bankenregulierung. Und er fand damit Gehör bei den Staatschefs der G20, allen voran bei Bundeskanzlerin Angela Merkel."

August von Finck zählt die Zeitung zu den Lobbyisten des Jahres wegen der "ungewöhnlich hohen Spende" an die FDP und der prompten Senkung der Besteuerung für Hotels. Davon profitiert auch Finck durch die Beteiligung an der Mövenpick-Kette.

"Angela Merkels obersten Technologieberater" nennt das Handelsblatt Henning Kagemann. Der langjährige SAP-Chef ist Präsident der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften Acatech und Vorsitzender des "Innovationsdialogs" der Bundeskanzlerin. An der Spitze der Plattform Elektromobilität sorgte "Mister Elektroauto" für einen "gewissen Druck, scheiterte aber bislang mit dem Vorhaben, der Regierung zusätzliche Fördermilliarden für das Mega-Zukunftsprojekt abzuringen."

Fritz Pleitgen schließlich ist als Vorsitzender der Ruhr 2010 GmbH dabei, mit der "Kulturhauptstadt" einen Imagewandel für das Ruhrgebiet anzuleiten. Trotz Love-Parade-Katastrophe sei er erfolgreich gewesen, die Ruhr in den Medienmittelpunkt zu rücken. Bemerkenswert findet das Blatt, dass die sonst oft zerstrittenen Kommunen an der Ruhr, im Dezember trotz leerer Kassen ihren Anteil am Kulturhauptstadtjahr von 2,4 Millionen Euro weiter für Projekte bereitstellten – das Bundesland NRW schieße die gleiche Summe zu.

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