Mittwoch, 8. Dezember 2010

Gift, Geld und Glücksritter in der Solar-Lobby zwischen Brüssel und Berlin

Die merkwürdige Story der Initiative "Non-Toxic Solar Alliance"

Die Solarindustrie hat durch die vielen Subventionen ihren moralischen Nimbus eingebüßt, inzwischen sind auch Umweltschützer kritisch geworden. Solarzellen werden von einigen Firmen mit giftigen Stoffen produziert – trotzdem haben Rat und Europäisches Parlament dafür jüngst eine Ausnahme von der Novelle der EU-Schadstoffrichtlinie (Restriction of Hazardous Substances Directive, RoHS - 2002/95/EG zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten ) beschlossen.

Wären die Ausnahmen nicht beschlossen worden, hätten sich einige der Marktführer mit einem Verkaufsverbot ihrer Solarpaneele in Europa auseinander setzen müssen. Zum Beispiel Q-Cells oder First Solar, eine milliardenschwere US-Firma, die u.a. in Brandenburg (Frankfurt/Oder) produziert.
Gegenüber der Kadmium-Fraktion stehen die Silizium-Freunde von SolarWorld, REC, Wacker Chemie, Bosch Solar und Photovoltech. Sie hätten sehr davon profitiert, wären die viel billigeren Kadmium-haltigen Solarzellen vom Markt genommen worden.

Daraus wurde nun nichts. "Hier hat eine Lobby erfolgreich die eigenen Interessen durchgesetzt", wird der FDP-Abgeordnete Holger Krahmer bei Spiegel Online zitiert. Über die Lobbyschlacht um die Richtlinie berichtete Die Welt ("Gift auf dem Dach") schon im Mai: "Das Lobbying beim Thema RoHS ist extrem, wirklich gewaltig", sagt ein Abgeordneter. Im Büro der Grünen-Politikerin Jill Evans,
Berichterstatterin für das Thema, hätten "die Nerven bereits komplett blank" gelegen.

Warum die harte Gangart? "Die" Solar-Lobby gibt es bei diesem Thema nicht mehr. Im Gegenteil, harte Interessengegensätze prägen das Bild. Bei der Umweltregulierung wird um Marktanteile und Wettbewerbschancen gerungen. Dieser Konkurrenzkampf wird umso heftiger, je stärker europäische und globale Märkte der Sättigung entgegen gehen, der Preisdruck steigt und die (direkten oder indirekten) staatlichen Subventionen sinken (siehe auch den Blogbeitrag "Das Lobbying der Solarindustrie, ihre Allianzen, Strategien und Parteispenden").
  • Erstens wird gestritten, unter welchen Umständen der Stoff überhaupt giftig ist.
  • Zweitens wollen einige Solarzellen-Hersteller den Stoff verbieten – allerdings nicht unbedingt, weil sie sich Sorgen um die öffentliche Gesundheit machen, sondern weil der ungiftige Alternativstoff Silizium teurer ist und die Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil hat, solange Kadmium in den Paneelen erlaubt ist.
Überraschungsgast auf der Lobby-Bühne

Zur Lobby-Schlachtaufstellung gehörte 2010 auch ein neuer Akteur: die
Non Toxic Solar Alliance e.V. (NTSA) nebst Schwesterorganisation NTSA Research Group.

Wie der Name schon sagt, positioniert sich die in Berlin beheimatete Koalition as Anhänger ungiftiger Photovoltaik. Prominentes Aushängerschild: mehr als ein Dutzend angesehene Wissenschaftler aus aller Welt.

Die Watchdog-Organisation LobbyControl hat hinter die Kulissen geschaut und - leider recht spät, als der politische Beschluss so gut wie feststand - ein 17-seitiges Dossier über die NTSA publiziert (Kurzversion im Blog).

Wesentliche Aussage des Papiers: Treibende Kraft der im Dezember 2009 gegründeten NTSA ist Bohnen Kallmorgen & Partner Public Affairs, "Berater für Wirtschaft, Politik und Bürgergesellschaft". BKP ist Mitglied im Beraternetzerk FIPRA, Finsbury International Policy & Regulatory Advisers.

Viele Verbände und Koalitionen bedienen sich eines Dienstleisters für die Mandatsgeschäftsführung, das Sekretariat und die Öffentlichkeitsarbeit. Dass das nicht immer so klar kommuniziert wird, ist unklug. Das allein ist aber nicht der springende Punkt.

Nach Lesart von LobbyControl ist die NTSA eine in jeglicher Hinsicht "fragwürdige" Organisation, die nicht einmal belegen kann, dass die Silizium-Solarindustrie hinter ihr steht.
Sie besorgte offenbar deren politisches Geschäft, ohne dass die "üblichen Verdächtigen" der Industrie sie finanzieren.

"Wer die wahren Auftraggeber sind, ist bis heute unklar", meint die Financial Times Deutschland in einem Bericht. Offenbar hat die Agentur BKP vor allem selbst investiert. Kallmorgen zur FTD: ""Es war unsere Hoffnung, uns dadurch im Solarmarkt einen Namen zu machen."

LobbyControl will nicht ganz glauben, dass die aufwändigen NTSA-Aktivitäten nur eine Marketingmaßnahme der Agentur waren. Das Dossier ist äußerst kritisch gegenüber einer "unsauberen Form der Lobbyarbeit", die die Autoren Nina Katzemich und Ulrich Müller zu enthüllen glauben. Sie bezeichnen die NTSA als "dubiose Lobbyorganisation". Der Fall verdeutliche das Scheitern des freiwilligen EU-Lobbyregisters.

LobbyControl werde den Fall sowohl der EU-Kommission als auch dem Deutschen Rat für Public Relations zur Beschwerde vorlegen.

Wer ist die NTSA?

Die NTSA sagt über sich selbst, ihre Gründer und Unterstützer seien "Wissenschaftler, Forscher, Berater, Mitglieder der Bürgergesellschaft und Vertreter der Solarindustrie".
Das Anliegen: Nachhaltigkeit und die Vermeidung externer Kosten, konkret die Einhaltung hoher Umweltstandards durch Verbot giftiger Substanzen in Solarmodulen. Nur so sei die Glaubwürdigkeit der Branche zu erhalten:
NTSA’s goal is to work with the industry, policymakers and NGOs to make PV production in Europe compliant with highest environmental standards in order to abandon the use of toxic materials in solar modules. The use of hazardous and harmful materials in a green industry such as PV damages the whole renewable energy sector, distorts competition and slows down the emergence of innovative growth.

(...) NTSA e.V., as a registered non-profit organization, aims to educate the public and policy makers about the harm toxic substances in PV technology may cause to consumers, society and the environment. The NTSA Research Group was built by leading scientists engaging in the academic discussion of toxic materials and their replacement in photovoltaic modules.
Das Bündnis von Non-Profit und For-Profit lässt allein schon im Sprachduktus schon die Vermutung aufkeimen, dass das eine Industrie-Initiative mit Wissenschaftlerbeteiligung ist und nicht umgekehrt. Als solche ist das weder unüblich noch grundsätzlich problematisch. Das hängt nun von der Transparenz ab. Wie aber sah es damit aus?
  • Auf der NTSA-Website befand sich laut Google Cache vom 23. November noch eine Liste von Mitgliedern der Initiative, von 23 Mitgliedern waren danach 17 deutsche oder internationale Wissenschaftler. Der Kartenreiter "Members" auf der Website wurde jedoch entfernt und ist zurzeit nicht sichtbar. In der Mitgliederliste wurde auch "Jan Kallmorgen, Partner, Bohnen Kallmorgen & Partner" aufgeführt. Unter den FAQs stand zur Finanzierung der Initiative: "Most expenses have been covered by our communication consultants who regard this as a good long-term investment in the right cause and for their positioning in the solar sector." Wer diese Berater sind, erfuhr man allerdings nicht (Stand 23. November, Google Cache). Inzwischen steht hinter "consultants" in Klammern "Bohnen Kallmorgen & Partner". Offenbar eine Reaktion auf das LobbyControl-Dossier, das am 23. November veröffentlicht wurde.

  • Die NTSA hat sich ins EU-Register der Interessenvertreter eingetragen. Erstanmeldung und letzte Änderung wurden am 26. Mai vorgenommen. Der – freiwillige – Eintrag ist begrüßenswert. Allerdings stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt. Die NTSA gründete sich bereits im Dezember 2009, die politische Debatte war in Brüssel längst am Laufen. Es ist nun anzunehmen, dass die NTSA schon vor Ende Mai 2010 lobbyistisch aktiv war – wie kam es nun zur späten Eintragung? Typischer reagieren Initiativen auf Druck von außen. Möglicherweise war der Auslöser ein kritischer Artikel des Solarmagazins Photon "Neuer Spieler oder Tarnorganisation?" (5/2010, S.19) über die NTSA.

  • Unter der Registriernummer 27720203679-61 wird als rechtlich verantwortliche Person der Organisation Jan Kallmorgen benannt, "Funktion: Chairman". Die Adresse: Karlplatz 7, 10117 Berlin. Das ist das Büro von Bohnen Kallmorgen & Partner, allerdings steht das dort nicht; dass hinter dem Vorsitzenden Kallmorgen eine PA-Agentur steht, ist nicht erkennbar. NTSA hat sich in der Rubrik "NRO und Denkfabriken" eingetragen, nicht als Wirtschaftslobby. Die Mitgliederzahl (natürliche Personen) wird mit 12 angegeben, das Budget 2010 mit 48.000 Euro -- allein aus "Mitgliedsbeiträgen".

  • Auf der Website der Agentur findet sich heute unter "Referenzen" der Link zur NTSA und die Aussage "BKP unterstützt die Initiative in der politischen Kommunikation in Berlin und Brüssel". Im EU-Register sind weder die Agentur noch Kallmorgen persönlich - außer in seiner Vorsitzenden-Funktion bei der NTSA - eingetragen.
Ist das nun transparent genug gewesen oder nicht? Auf den ersten Blick: schwer zu sagen. Der Eindruck: die üblichen Stolperfehler in transparenter Kommunikation und nachlässige Einträge. Optimierbar.

Die Recherchen von LobbyControl

LobbyControl begründet seine massive Kritik so:
Link
Obwohl [die NTSA] in ihrer Lobbyarbeit unklar darüber blieb, welche Interessen oder Klienten sie vertritt - und damit dem Verhaltenskodex der Europäischen Kommission für Lobbyisten zuwiderhandelte - gelang es ihr, die Debatte im Parlament über die Photovoltaik im Europäischen Parlament erst richtig zum Kochen zu bringen.

Es mag inhaltlich durchaus richtig sein, sich dafür einzusetzen, dass auch im Bereich der erneuerbaren Energien nicht unnötig mit toxischen Materialien gearbeitet wird. Die NTSA allerdings hat ihre Lobbyarbeit auf intransparente und irreführende Weise betrieben - bis heute ist auch unklar, wie die Initiative sich finanziert.
Auffällig sei auch, so LobbyControl, dass die NTSA in ihrer Arbeit sehr stark auf die Cadmiumtellurid-Module ziele, aber nicht auf andere Giftstoffe wie z.B. Blei. Es bleibe aber unklar, inwiefern es "hinter dem Deckmantel eines ökologischen Anliegens um einen ökonomischen Angriff auf First Solar geht." Das Blog kommentiert weiter:
Lange konnte die NTSA in Brüssel Lobbyarbeit betreiben, ohne klar ihren Auftraggeber und ihre Finanzierung zu benennen. Die NTSA hat sich nach ersten kritischen Anfragen zwar in das freiwillige EU-Lobbyregister eingetragen, aber mit fragwürdigen Angaben, aus denen die Verbindung zu BKP nicht hervorging. BKP selbst hat sich nicht registriert, so dass deren Auftraggeber verborgen bleiben. BKP hat die Freiwilligkeit des Registers für diesen Trick der teilweisen Registrierung genutzt. (...)

Auch mithilfe unkritischer Medienberichterstattung ist es der NTSA damit gelungen, ein Bild von sich in der Öffentlichkeit wiederzugeben, das nicht der Realität entspricht. Dass die NTSA eine Schöpfung einer Lobbyagentur ist, blieb unterbelichtet.
Nun lohnt der Blick in die Einzelheiten des aufwändig recherchierten Dossiers. Erst in der Summe rechtfertigen sie die Einschätzung "dubios".

Viele, viele Merkwürdigkeiten

Merkwürdigkeit 1: Industrielobby statt Umweltinitiative

Nicht überraschend ist der Vorwurf, die NTSA sei keine "Non-Profit-Organisation". Formal liegt LobbyControl damit falsch, denn der NTSA e.V. ist kein Unternehmen, sondern dient einem politischen Zweck und ist selbst nicht gewinnorientiert. Allerdings sind die Selbstdarstellung und der Eintrag im EU-Register unter der Rubrik "NRO und Denkfabriken" mit Fragen behaftet.

LobbyControl hat sich beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg das Gründungsprotokoll des Vereins vom 14.12.2009 besorgt und dort gelesen, dass die Gründungsversammlung im BKP-Büro stattfand. Vorsitzender wurde BKP-Inhaber Kallmorgen. Mehr noch: Alle Gründungsmitglieder der NTSA seien laut Protokoll Mitarbeiter von BKP gewesen. Von Wissenschafts-, Industrie- oder sonstigen Repräsentanten keine Spur. In der (inzwischen verschwundenen) Mitgliederliste der NTSA-Website wurden die sechs anderen Agentur-Mitarbeiter aus der Gründungsversammlung auch nicht aufgeführt. Kallmorgen begründete das Vorgehen gegenüber LobbyControl so:
„Um den Verein NTSA e.V. rasch und unkompliziert eintragen zu können, haben
sich auch Mitarbeiter von BKP bereit erklärt, formell als Gründungsmitglieder zu
fungieren. Auf dieser Grundlage wurden dann weitere Mitglieder und Unterstützer
gewonnen, die auf der NTSA-Website aufgeführt sind. Hier ging es also nicht
um Irreführung der Öffentlichkeit, sondern um ein pragmatisches Vorgehen, um NTSA e.V. zeitnah in einem adäquaten Rechtsrahmen handlungsfähig zu machen.“
Kallmorgen habe LobbyControl aber auch keine weiteren Treffen nennen können, bei denen andere als BPK-Mitarbeiter anwesend gewesen seien. Im Gründungsprotokoll sei zudem keine Rede davon, Verbraucher und Umwelt zu schützen, so LobbyControl. Gegründet werden sollte vielmehr „ein Verein zur Interessenvertretung der Hersteller von schwermetallfreien Solarzellen."
"Ziel der Allianz soll sein, auf die Neufassung der EG-Richtlinie 2002/95/EG zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (RoHS) Einfluss zu nehmen und zu verhindern, dass eine Ausnahmegenehmigung für CdTe-Panels aufgenommen wird. Der Verein soll die Interessen und Argumente der beteiligten Akteure bündeln und sie im Rahmen des formalen Beratungsprozesses der EU zwischen Rat und Europäischem Parlament effektiv kommunizieren.“
LobbyControl will auch ein internes BKP-Papier vom 3. Dezember 2009 vorliegen haben, mit dem Titel „Durchführung einer Lobbykampagne RoHS/CdTe“. Das gebe die im Vereinsgründungsprotokoll genannten politischen Ziele vor.

Merkwürdigkeit 2: Die Rolle der Wissenschaftler – Feigenblatt und Front Group?

Die NTSA gibt öffentlich eine Arbeitsteilung zwischen NTSA e.V. (als politische Interessengruppe) und NTSA Research Group an. Beide seien finanziell unabhängig voneinander.

Laut LobbyControl wurden die Wissenschaftler jedoch nur in der Öffentlichkeitsarbeit herausgestellt. Eigene systematische Aktivitäten, Mitwirkung in Lobby und Verein seien jedoch nicht feststellbar. LobbyControl hat diverse Mitglieder dieser Wissenschaftlergruppe befragt. Sie haben sich die von der NTSA in der Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit genutzten wissenschaftlichen Studien angesehen und festgestellt, dass die Studien nicht von den Mitgliedern der NTSA Research Group kamen. Die Rechercheure folgern:
Die NTSA beruft sich zwar öffentlich auf sie – sie selbst sind in der Arbeit der Initiative bisher aber überhaupt nicht in Erscheinung getreten. (...) Die Wissenschaftler scheinen in den Lobbyalltag der NTSA e.V. nicht eingebunden. Die Research Group hat zur von der NTSA bei der Lobbyarbeit genutzten Expertise offensichtlich bisher keinen Beitrag geleistet. (...)

Keines der wissenschaftlichen Mitglieder zahlt Mitgliedsbeiträge, wie Professor Werner [Vorsitzender der NTSA Research Group] schriftlich versicherte. So bleibt sowohl unklar, welchem Zweck sie in der NTSA eigentlich dienen und welchen Einblick sie in Ziele, Hintergrund und Finanzierung der NTSA wirklich haben. Bei der Gründungsversammlung war keiner der Wissenschaftler anwesend – so ist also nicht einmal klar, wer von ihnen eigentlich die nach außen nicht kommunizierte Ausrichtung der Initiative, eine Interessenvertretung für
Solarunternehmen sein zu wollen, kennt.
Haben sich wohlmeinende Wissenschaftler wirklich naiv und unkritisch vor den Karren einer unbekannten Agentur-Initiative spannen lassen? Es wäre nicht das erste Mal, dass Wissenschaftler ohne große Nachfragen ehrenhalber in einen Beirat, ein Kuratorium oder ähnliches gehen und sich damit zufrieden geben, dass ihr Name irgendwo auftaucht. Nominelle Mitgliedschaft ohne tatsächliche Aktivitäten sind in der Wissenschaft häufig. In diesem Fall wären die Forscher nur ein Feigenblatt, substanziell ein Phantom, politisch eine "Front Group", die die Absichten des tatsächlichen Sponsors verschleiert.

Merkwürdigkeit 3: Unklare Finanzierung

Normalerweise arbeiten Berater wie BKP nur gegen anständige Honorare; es sei denn, man verspricht sich etwas durch Referenzen-Marketing oder bietet Pro-Bono-Projekte (meist für echte gemeinnützige Kunden) an. In der Lobbyarbeit sind die Verhältnisse meistens klar. Hier nicht. "Wer die Initiative letztlich finanziert, bleibt im Dunkeln", meint LobbyControl.
Nach außen stellt sich die NTSA so dar, als würde sie entweder durch Spenden (Antwort auf erste Anfrage von LobbyControl) oder durch Mitgliedsbeiträge finanziert (Eintrag ins EU-Lobbyregister). Dabei sind schon Spenden und Mitgliedsbeiträge zwei verschiedene Dinge.
In der Tat sind die 48.000 Euro Budget im EU-Register der Rubrik "Mitgliedsbeiträge" zugewiesen und nicht "Zuwendungen".
Auf Nachhaken kann die NTSA nicht klar sagen, von wem die Spenden oder Mitgliedsbeiträge kommen sollen. Sie zieht sich dann auf die Position zurück, dass die Kosten der Kampagne von der Lobbyagentur BKP selbst getragen werden. (...)

Ein Mitarbeiter des Europäischen Parlaments, der sich weigerte, ohne weitere Informationen mit der Gruppe zu sprechen, bekam schließlich die Antwort, es handele sich um ein „Business Development Scheme“.
Das wäre dann eine eindeutig kommerzielle Aktivität – in dieser Formulierung der Agentur selbst. Dazu passt das Zitat Kallmorgens in der Financial Times Deutschland: "Es war unsere Hoffnung, uns dadurch im Solarmarkt einen Namen zu machen."

Aus Parlaments- und Pressekreisen will LobbyControl gehört haben, sowohl ein Mitglied der NTSA Research Group als auch eine Brüsseler Lobbyistin der NTSA hätten im Gespräch behauptet, die Solarfirmen Solarworld, Inventux und Dyesol unterstützten die NTSA. Das sei aber später als ein Missverständnis zurückgenommen worden.

LobbyControl fragte bei Unternehmen nach (wie SolarWorld, Inventux und diversen Solarfirmen), ob die NTSA finanzielle Unterstützung von ihnen erhalte. Nein, lautete jeweils die schriftliche Antwort. Von Seiten der Industrie habe sich nur die australische Dyesol zu einer 5000-Euro-Spende bereit erklärt, jedoch seien diese bislang nicht gezahlt worden (so stellt es Kallmorgen gegenüber LobbyControl dar).

"Wenn es tatsächlich das Ziel der NTSA war, sich als Lobby der cadmiumfrei produzierenden Solarunternehmen zu positionieren, ist dies offenbar misslungen", folgert LobbyControl.

Stattdessen hätten mehrere führende Solar-Unternehmen (SolarWorld, REC, Bosch Solar, Wacker und Photovoltech) zwar auf der politischen Linie der NTSA in Brüssel lobbyiert, jedoch völlig separat, unter anderem durch die PA-Agentur „The Brussels Office“.

Merkwürdigkeit 4: Gibt es einen unbekannten Auftraggeber?

Wenn die bekennenden Unternehmen der Anti-Kadmium-Fraktion die NTSA nicht finanzieren, wer tut es dann?


Im bereits zitierte NTSA-Vereinsgründungsprotokoll wird als Vereinsziel "Interessenvertretung der Hersteller von schwermetallfreien Solarzellen" formuliert. Klingt plausibel. Doch die Hersteller sind gar nicht an Bord. Wessen Interessenvertretung ist die NTSA dann?

LobbyControl schreibt, es bleibe "unserer Einschätzung nach offen, ob nicht möglicherweise auch diese Variante letztlich eine Tarnung ist für einen unbekannten Auftraggeber von Bohnen Kallmorgen und Partner" sei.

Hier wird das LobbyControl-Dossier hochgradig spekulativ, greift es doch mangels handfester Informationen nur auf zwei "Gerüchte" zurück. Dazu muss man wissen: LobbyControl ist zwar oft einseitig und neigt zu antikapitalistischen Verschwörungstheorien, aber die Verbreitung von Gerüchten gehört normalerweise nicht zur soliden Arbeit der Gruppe um Ulrich Müller. Auffällig sei aber, so die Begründung, dass sich bestimmte Gerüchte hartnäckig in der Branche hielten, zudem habe das Solarmagazin Photon auch schon darauf hingewiesen.
  • Gerücht 1:
    Hinter NTSA stehe SolarWorld-Chef Frank Asbeck mit Geld aus seinem Privatvermögen.
    Die Pressestelle der SolarWorld widerspreche dem klar, so LobbyControl. Das Gerücht wird also nur dadurch genährt, dass sich Asbeck persönlich oft in die Debatte um die Kadmium-Verwendung eingeschaltet hat. Dass SolarWorld im Clinch mit FirstSolar ist, steht außer Frage. Vielleicht, so kann gemutmaßt werden, steckt der Konkurrent hinter dem Gerücht, denn LobbyControl meint beobachtet zu haben, dass die US-Firma versucht habe, die NTSA in die Nähe von SolarWorld zu rücken. Dazu passt das Zitat von First-Solar-Deutschlandchef Stephan Hansen in der Financial Times Deutschland über Asbeck: "Er versucht, sich einen Wettbewerber vom Hals zu schaffen, der kostengünstiger ist." Dass Asbeck beim Solarbranchenverband BSW öffentlich über die kadmiumhaltigen Konkurrenzprodukte als "Sondermüll" lästerte, führte im Frühjahr gar zu einer Beschwerde der Konkurrenten Q-Cells und First Solar beim BSW-Präsidium über eine "ungerechtfertigte und inakzeptable Hetzrede", so Die Welt.
  • Gerücht 2:
    Hinter NTSA steht ein Hedgefonds, der an den Finanzmärkten mit hohen Summen auf den Aktienverfall von First Solar wette, wenn die EU dessen Produkte verbiete oder den Vertrieb erschwere. Dieses Gerücht habe Clemens Betzel, NTSA-Lobbyist, im Gespräch mit dem Solarmagazin Photon (5/2010, S.19) selbst genannt (und verneint). Für die NTSA bestreitet das Kallmorgen eindeutig: „Die NTSA e.V. hat und wird keine finanzielle Unterstützung von Hedge Fonds erhalten, weder direkt noch indirekt“, habe er LobbyControl schriftlich mitgeteilt.
    Spricht dennoch etwas dafür? LobbyControl weist darauf hin, dass Kallmorgen keinen umweltpolitischen Hintergrund habe, wohl aber als Ex-Investmentmanager bei Goldman Sachs gute Beziehungen zur Finanzbranche habe. In der Tat ist Kallmorgen auch Geschäftsführer der Europäischen Investorenschutzvereinigung (Egip), die sich um die Interessen institutioneller Investoren kümmert. Büroadresse der Egip in Berlin: die der BKP. In den Referenzen der Agentur werden Egip und andere Investorengruppen benannt, für die BKP politisch tätig war.
Belegt und bewiesen wird hier gar nichts. "Guilty by association", müsste das forensische Fazit lauten. Je undurchsichtiger das Konstrukt, desto wilder brodelt die Gerüchteküche. Wo es keine überzeugenden Antworten gibt, bastelt sich jeder die passenden Antworten selbst.

Glücksritter-Marketing: Eine Agentur auf dem Weg nach Westen?

LobbyControl hat in der Kurzstudie mehr Fragen aufgeworfen, als die Recherche beantworten konnten. Das ist nicht die Schuld der Autoren.

Die Recherche gibt zumindest Aufschluss darüber, in welche Widersprüche sich eine (inhaltlich völlig legitime) Lobby verwickeln kann. Für Profikommunikatoren wie die der Agentur BKP gelten sicher besonders hohe Ansprüche an die stringente und verlässliche Information. Erfüllt hat sie sie nicht.

So kommt es zu den Spekulationen über die Absichten der NTSA. Ihr haftet etwas Mysteriöses an. Steckt dahinter böse Absicht?

Gehen wir davon aus, dass entgegen der Gerüchte kein großer Unbekannter und keine Hedgefonds-Weltverschwörung dahinter steckt, ist die Antwort auf die ungeklärten Fragen vielleicht sehr schlicht:

Ein Projekt wie das der NTSA kann sich, so zeigt die Praxiserfahrung von Public-Affairs-Beratern, durchaus sprunghaft und unvorhergesehen entwickeln. Koalitions-, Vereins- bzw. Verbandsgründungen sind gerade im Brüsseler Umfeld gern genutzte Instrumente. Sie werden häufig von Beratern vorgeschlagen, auch zu Marketingzwecken, aber manchmal bleiben sie, obwohl schon angelaufen, im Interessendickicht der potenziellen Unterstützer hängen.

So ist vorstellbar, dass SolarWorld & Co. die BKP-Idee anfangs für interessant hielten und die Agentur ermutigten oder zumindest nicht abwiesen. Dass die eigentlichen Profiteure dann auf Abstand blieben, ließ die Initiative nicht mehr von den Gleisen springen.

Das ist erst einmal ein internes Problem. Logisch sind politische Projekte nicht immer, sie entwickeln ein Eigenleben. Zufälle und eine gewisse Pfadabhängigkeit einmal angelaufener Kampagnen-Maschinen sind der Erfahrung nach möglich. Das Hin und Her später erklären zu müssen, ist unangenehm.

Mag sein, dass die NTSA Ende 2009 ganz anders geplant war, als sie dann tatsächlich agierte. Mag sein, dass BKP trotz unsicherer Basis die Initiative einfach auf eigene Faust gründete, um bei einem interessanten Spiel in Brüssel dabei zu sein. Sozusagen als Demoversion. Mit dem Ziel, sich durch die waghalsige Expedition einer wohlhabenden, jedoch zunehmend mit politischen Risiken behafteten Branche als kraftvolle Lobby-Söldner zu empfehlen.

Solches Glücksrittertum kommt vor. Auf der Jagd nach lukrativen Aufträgen in neuen Branchen wagen Agenturen Abenteuer hinterm Horizont. Selbst wenn sie fachlich nichts dafür qualifiziert oder prädestiniert.

Unabhängige, unternehmerische Berater sind so, manchmal zumindest: Keine übervorsichtige Bürokraten, Taktierer und Bedenkenträger wie in vielen Verbänden, sondern Cowboys und Kopfgeldjäger, die gern mit langen Revolvern spielen und als geheimnisvolle Fremde in die Stadt reiten. Selbst wenn sie sich dabei ein paar Schrammen holen. Kunden-Akquise ist schwierig dieser Tage, die Konkurrenz der Berater ist groß. Wer sich in einer fremden Branche einen Namen machen will, muss etwas riskieren.

Ob es so war, oder ob doch ein großer Unbekannter dahinter steckt: Das kann nur Kallmorgen selbst beantworten.

Lücken in der Lobby-Landschaft

Der Erfolg müsste ihm eigentlich Recht geben. Alles in allem scheint die NTSA eine erstaunliche Aktivität entfaltet und Wahrnehmung erreicht zu haben, die weit über ihre substanzielle Basis hinaus ging. "Gewonnen" hat die NTSA in dieser Schlacht nicht. Doch NTSA kam aus dem Nichts, erwirkte mit eindrucksvollen Wissenschaftlernamen hochrangige Lobby-Termine und Medienaufmerksamkeit. Und das alles nur mit der schlichten Behauptung, für die Industrie oder die Umwelt oder die Forschung zu sprechen. Die NTSA hat das Solar-Thema in der EU-Schadstoffrichtlinie offenbar mitprägen können. Das spricht für den strategischen Riecher und das taktische Geschick der Agentur, eine Lücke in der Interessenvertretungslandschaft gefüllt zu haben.

Dass die Solarindustrie bei dem Thema tief gespalten ist, sagt einiges aus über die innerverbandlichen Probleme des Bundesverbands der Solarwirtschaft (BSW) und seiner europäischen Pendants wie der European Photovoltaic Industry Association (EPIA) – eine Ad-hoc-Lobbykoalition wie NTSA kommt nur dann zum Zuge, wenn etablierte Banchenverbände aufgrund der internen Spaltung ausfallen oder deutlich andere Positionen vertreten, oder einfach "anders" vertreten, als die "Etablierten". Denn die Politik will in der Regel auch "die andere Seite" hören. (BSW und EPIA distanzierten sich schon im ersten Quartal von der NTSA).

Die einzelnen Unternehmen intensivieren bei verbandlichen Konflikten zwar ihre individuelle Lobbyarbeit (so hat First Solar hier nicht nur mit dem eigenen Brüsseler Büro lobbyiert, sondern sich auch der Dienste der Brüsseler Anwaltskanzlei Kuhbier und der PR-Agentur Burson-Marsteller versichert).

Aber auf der Suche nach firmenübergreifenden Positionen schenken politische Entscheider dann auch einer NTSA Gehör. Denn die Politik will nach wie vor gebündelte und gefilterte Informationen, nicht nur Einzelstimmen. Kommt dann noch die wissenschaftliche Seite hinzu, mit Studien und Daten, erhöht das ebenfalls den Einfluss per Expertenstatus. Die NTSA hat in dieser handwerklichen Hinsicht ihre Hausaufgaben gemacht.

NTSA/BKP konnte auf die Offenheit und auch auf die Ignoranz von Politik und Medien hoffen. Interessant ist die Tatsache, dass während der politischen Debatte in Brüssel in der Qualitäts- und Fachpresse nur wenig Hintergründiges über die NTSA zu lesen war. LobbyControl weist völlig zu Recht auf dieses journalistische Defizit hin. In Pressedatenbanken finden sich diverse Artikel, die die NTSA vorrangig mit "hochkarätigen internationalen Wissenschaftlern" in Verbindung bringen, die VDI Nachrichten porträtierten sie als "einer vor allem von Forschern getragenen Initiative", andere Medien titelten gar "Umweltschützer warnen...". Die NTSA wurde als Organisation kaum hinterfragt.

Allerdings: Da die wichtigsten Ansprechpartner Umwelt- und Energiepolitiker sind, insbesondere solche bei Grünen und Sozialdemokraten, überrascht es nicht, dass der offensive Auftritt der Initiative in der Umweltszene schnell zu kritischen Nachfragen und Diskussionen über den neuen Mitspieler geführt hat – und zur Aktivierung von Watchdogs.

LobbyControl konnte hier offenbar gut Informationen über die Lobbyarbeit von NTSA/BKP abfischen. Ebenso bei Solarunternehmen und NGOs, die laut LobbyControl früh im Kontakt zur Initiative standen – und offenbar LobbyControl interne Vorbereitungsdokumente überließen. Bei dem großen Kreis, den NTSA/BKP ansprachen, war das Risiko hoch, dass Informationen über Interna weitergereicht würden. Nun stehen sie im LobbyControl-Dossier, und die Agentur BKP steht am Pranger.

Lektionen für das EU-Lobbyregister

Wie zu erwarten war, will LobbyControl seine Untersuchung als Beleg für ein fehler- und lückenhaftes Lobbyregister verstanden wissen: "Wer im Dunkeln arbeiten will, kann dies trotz Lobbyregister weiterhin ungestört tun."


Die NTSA habe getrickst und von ungenauen Anforderungen für die offen zu legenden Daten sowie fehlenden Kontrollen verschwiegen. "Intransparente Vorgehensweisen" angeblicher "Not-for-Profit-Initiativen“ seien vielfach zu beobachten. Der Fall NTSA zeige "vor allem das problematische Agieren von Lobbyagenturen wie Bohnen Kallmorgen und Partner, die selbst als politische Unternehmer aktiv werden und deren Hintergründe, Auftraggeber und Motive dabei oft schwer zu erkennen sind."

Das Argument ist nicht durchgehend stichhaltig, was die NTSA angeht. Das Dossier stützt sich vielfach auf Indizien und interpretiert diese automatisch negativ, vom Grundsatz "in dubio pro reo" spürt man bei LobbyControl nichts. Das eingebaute Misstrauen gegen alles und jeden, der für die Wirtschaft lobbyiert, ist die Kehrseite des Selbstverständnisses einer Watchdog-Organisation.

Wahr ist, dass Beraterfirmen als "politische Unternehmer" tätig werden können und offenbar nicht unbedingt darauf warten, dass ein Klient auf sie zukommt. Wer meint, sie seien nur die verlängerte Werkbank von Konzernen und Verbänden, täuscht sich.

Umso wichtiger ist in der Tat, dass gerade die bei Beratern, Agenturen und Anwaltsfirmen mögliche Intransparenz durch klare Regulierung und Offenlegungspflichten beschränkt wird.

LobbyControl liegt noch in einer weiteren Schlussfolgerung richtig: Auch ein rechtlich und technisch ausgefeiltes Register reicht nur so weit wie die "Kultur der Aufmerksamkeit der Angesprochenen in Politik und Verwaltung". Die Legitimität einer Interessengruppe muss nicht nur überprüfbar sein, sie muss auch überprüft werden. Trau, schau, wem.

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