Aber politisch war 2010 ein Desaster. Auf die Vulkanaschewolken vom April/Mai folgte eine bilanzstörende Luftraumsperrung, und dann kam - angeblich als Vorgriff auf den Start des ebenfalls erfolglos bekämpften EU-Emissionshandelssystems für die Flieger - die Luftverkehrsabgabe. Und der Radau um Flugrouten und Nachtflugverbote wie in Frankfurt und Berlin/BBI kam noch dazu.
Die Ticket-Steuer war nicht nur deshalb ärgerlich, weil die Bundesregierung da eine nur plump mit Öko-Etiketten kaschierte Extrasteuer durchsetzte. Sondern weil im Lobby-Hickhack äußerst klar wurde, dass die betroffene Branche nicht in der Lage war, mit einer Stimme für den "Luftverkehrsstandort" zu sprechen. Nicht einmal Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) stellte sich dem Finanzminister in den Weg; wahrscheinlich, weil ihn die Airlines wegen seiner überschnellen Luftraumsperrung massiv kritisiert hatten.
Ein "Lobby-GAU", resümierte das Handelsblatt im August. Einige Wochen später zitierte die Zeitung einen hochrangigen Lufthansa-Manager: "Wir sind stinksauer und enttäuscht. Während die Atomkonzerne ihre Laufzeitverlängerung bekommen haben, müssen wir die Luftverkehrsabgabe berappen", sagte der. "Unsere Lobbyarbeit hat versagt." Die Schockwellen seien gewaltig gewesen, dennoch zogen die Spitzenmanager nicht an einem Strang. "Sie laufen den Politikern in den folgenden Wochen zwar die Türen ein, aber jeder mit eigenen Wünschen und eigenen Interessen." Allgemein lautete in den Chefetagen der Airlines das Urteil über die eigene Lobbyarbeit: "Völlig vermurkst."
So kommt es nun zum 1. Januar zu einer Neuformation mit dem Namen Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL).
Über die Pläne murmelte die Branche schon seit ein paar Jahren. Dem Vernehmen nach wollte vor allem die Lufthansa einen übergreifenden Verband, aber vor allem der Flughafenverband ADV zierte sich lange.
Kein Wunder: Flughäfen befinden sich weit überwiegend in öffentlicher Hand oder sind trotz Privatisierung unter staatlicher oder kommunaler Dominanz. Der ADV rechnet sich überwiegend dem öffentlichen Sektor zu, während die Airlines und Dienstleister viel stärker privat geprägt sind und daher auch ein anderes Lobby-Verständnis haben. Natürlich hat man schon oft kooperiert, beispielsweise bei der Initiative "Luftverkehr für Deutschland", aber wiederum nicht bei der Kampagne "Die Fracht braucht die Nacht".
Wenn's ums Geld geht, herrschen raue Sitten zwischen den Komplementären der Branche.
- So haben sich die Flughäfen und die Fluggesellschaften zwischen 2007 und 2009 wahrlich nichts geschenkt, als es in Brüssel beim "Flughafenpaket" um die Airport Charges Directive (2009/12/EG) in Europa ging – die Richtlinie zu Flughafenentgelten sollte die Praxis der Flughäfen beschneiden, mit intransparenten, gleichwohl ständig steigenden Lande- und Abfertigungsgebühren ihre Kosten für Modernisierung und Erweiterung auf die Airlines abzuwälzen. Heraus kam Anfang 2009 ein klassischer EU-Kompromiss. Aber die Statements und Pressemitteilungen der streitenden Allianzen waren von so hoher Aggressivität, wie sie bis dahin nicht für möglich gehalten wurden.
- Für weiteren Ärger sorgte über die Jahre, dass die Flughafen-Gemeinde dann auch noch gern Rabatte für Billigflieger einräumt,
- die hohen Subventionen für defizitäre Provinz-Flughäfen deckt und zudem
- Nicht-EU-Airlines (z.B. aus arabischen und asiatischen Ländern) in den Heimatmarkt der inländischen Flieger lockt.
Am Donnerstag fanden sich auf der Gründungsversammlung in Berlin zwei altbekannte Verbände sowie Unternehmen ein, denn beide dürfen Mitglieder sein:
Mit an Bord auf Seiten der Verbände sind die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADF) und der Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften (BDF). Unter den Unternehmen finden sich die Lufthansa, Air Berlin, Condor, Cirrus, Augsburg Airways und TUIfly, weiterhin der Flughafenbetreiber Fraport und die Deutsche Flugsicherung (DFS). Von der teilprivatisierten, bundeseigenen DFS, die wohl zwischen den beiden misstrauischen Hauptfraktionen moderieren soll, stammt auch der Gründungspräsident Dieter Kaden (66), dienstältester Flugsicherungschef der Welt und international hochgeachtet. Kaden, der bis 2012 der DFS vorstehen wird, soll allerdings im nächsten Halbjahr einem hauptamtlichen (!) Präsidenten Platz machen.
Wer da ganz offensichtlich fehlt, sind die Hersteller. Offenbar war der Bundesverband der Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) nicht bereit, den BDL mitzgründen. Warum eigentlich? Sind Airbus/EADS, Rolls-Royce, MTU & Co. nicht auch für den Luftverkehrsstandort Deutschland? Unter der Rubrik "Mitgliedergruppe Luftfahrtindustrie" teilt der Verband nur mit: "Gespräche mit potentiellen Mitgliedern laufen", ebenso in der "Mitgliedergruppe sonstige Dienstleister im zivilen Luftverkehr".
"Übergreifend, einstimmig und durchsetzungsstark" soll die Interessenvertretung sein, eine "schlagkräftige Organisation" haben, "das Sprachrohr für die zentralen Themen der Luftverkehrsbranche sein". Ums angeschlagene Image der Branche wird es wohl auch gehen, in der reputationssteigernden Kommunikation war sie zuletzt nicht gerade ein Vorbild.
Man wird sehen, was Gründungspräsident Kden daraus macht. Die Financial Times Deutschland kommentiert, "Da ist noch Luft nach oben".
Es kann keiner behaupten, Dieter Kaden wüsste nicht, auf was er sich da einlässt. Allein die jüngsten Diskussionen: Die Lufthansa streitet sich mit dem Betreiber des Frankfurter Flughafens wegen des jüngsten Schneechaos. Air Berlin (Hannover: AB1000 - Nachrichten) wiederum ist empört, weil der neue Berliner Riesenairport BBI vermeintlich zu hohe Start- und Landeentgelte verlangt. Und der BBI-Chef zankt seinerseits mit Kadens Unternehmen, der Deutschen Flugsicherung (DFS), über die geplanten neuen Flugrouten über der Hauptstadt. (...)Eine "Mammutaufgabe" sei der Verbandsaufbau für Kaden. "Die Gründung des BDL ist ein Schnellschuss, um endlich Fakten zu schaffen."
Kenner bescheinigen ihm zumindest gute Chancen, dass ihm der schwierige Start gelingen könnte. Kaden ist angesehen. Von allen Beteiligten bietet er am wenigsten Angriffsfläche, da die DFS als eine Art neutrale öffentliche Stelle gilt. Zudem hat er einen direkten Zugang zur Politik.
Die WirtschaftsWoche kommentiert, das sei "noch kein großer Wurf", "eher eine Absichtserklärung". Immerhin sei die Verbandsgründung
ein richtiger Schritt – und sei es nur, dass die Interessenkonflikte, die es naturgemäß zwischen Geschäftspartnern gibt, die wie Flughäfen und Fluglinien gegenläufige Interesse bei vielen Dingen wie Gebühren haben. Diese für uns Journalisten hoch interessanten bis unterhaltsamen Grabenkämpfe können nun besser hinter verschlossenen Türen ausgefochten werden.Schon wahr. Trotz ihrer wachsenden Bedeutung und durchaus belastbaren politischen Kontakte hat die Luftfahrtbranche noch längst nicht aufgeschlossen zu anderen Transportsektoren.
Doch ein richtig schneller Erfolg wird der Verband wahrscheinlich nicht. Für die nötige Durchschlagskraft braucht der Verband einen prominenten und eloquenten Präsidenten. Und den hat man trotz einer monatelangen Suche offenbar noch nicht gefunden. Die großen Köpfe wie Wolfgang Mayrhuber, der zum Jahresende seinen Job als Lufthansachef aufgibt, haben offenbar alle abgewinkt.
Bei aller fachlichen Wertschätzung für den Gründungspräsidenten Dieter Kaden, Chef Deutsche Flugsicherung: Als Cheflobbyist, der mit markigen Worten und flexibler Diplomatie größere Schicksalsschläge von der Branche fernhält, ist er sicher nicht die erste Wahl.
Doch vielleicht ist eine Notlösung für den Verband auch erstmal ganz gut. Denn um wirklich erfolgreich zu sein, muss der der Verband auch eine kompetente Geschäftsstelle aufbauen, die es an Sachkenntnis mit den Mitgliedern – allen voran dem Flughafenverband – nicht nur aufnehmen kann, sondern diese möglichst noch übertrifft. Das wird nicht leicht, denn die Mitglieder werden ihre besten Leute nur ungern in den Verband schicken, so lange nicht klar ist, dass sie dort ihrer Sache mehr bringen als in ihrer heutigen Funktion. Nur wenn der Verband mit denen der Autoindustrie oder noch besser der Pharmabranche aufnehmen kann, schafft die Branche die Herausforderungen.
Vielleicht hat sie sich in den vergangenen Jahren auch zu sehr als internationale Branche gefühlt, die sich zwischen Montreal (Sitz der ICAO), Brüssel und Genf positionierte, aber nicht mehr ausreichend in nationalen Hauptstädten wie Berlin. Dass man auch den nationalen Wirtschaftsstandort verteidigen und dafür lobbyieren muss, dass auch nationale Politik und sogar regionale entscheidend für die Rahmenbedingungen des Geschäfts sein kann, daran haben die hochfliegenden Vorstände wohl lange nicht gedacht. Nun, das Jahr 2010 war die letzte nachdrückliche Quittung dafür.
Dem BDL ist zu wünschen, dass er nach dem Take-off seinen Zielen gerecht wird. In den Mitgliedergruppen Fluggesellschaften, Flughäfen, Flugsicherung, Hersteller und Sonstige Dienstleister sollen sich die Akteure zusammenfinden. Solange die BDL-Strukturen noch im Aufbau sind, sprechen allerdings für BDL-Themen erst einmal die Verbände ADV und BDF und die DFS. Im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wird der BDL auch Mitglied sein. Allgemein verspricht der BDL:
Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft wird für Parlamente, Parteien, Regierungen und Ministerien, Medien, gesellschaftliche Institutionen und Organisationen sowie die Öffentlichkeit zentraler Ansprechpartner in Fragen des Luftverkehrs sein.Merke: Er "festigt oder etabliert den Dialog des Luftverkehrs auch mit kritischen Gesprächspartnern". Das dürfte insbesondere auf die Umwelt- und Verkehrspolitiker, die Klimaschützer und Bürgerinitiativen zugeschrieben worden sein, die die Reputation des Luftverkehrs in den letzten Jahren auch reichlich beschädigt haben. Der neue BDL-Präsident wird auch hier einiges aufbieten müssen. Wer wird's?
Der Verband tritt jederzeit sachlich und dialogorientiert auf. Er bezieht alle gesellschaftlichen und politischen Akteure in die Arbeit ein und festigt oder etabliert den Dialog des Luftverkehrs auch mit kritischen Gesprächspartnern. Der Verband kooperiert eng mit anderen Verbänden und Interessengruppen.
Nachtrag 2011
Der BDL überraschte alle: Hauptamtlicher Präsident ist seit Juni 2011 der bekannte ZDF-Journalist Klaus-Peter Siegloch, der zuletzt das ZDF-Büro in New York leitete.Seit Juli 2011 ist der frühere Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer beim BDL. Zuvor war er seit 2009 Bevollmächtigter des Vorstands bei Air Berlin, verantwortlich für Political Affairs, Internationale Verkehrsrechte sowie Nachhaltigkeit/Corporate Social Responsibility.
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