So ist nicht überraschend, dass auch militärische High-Tech-Unternehmen ihre Forschung und Entwicklung daran Interesse haben. Da die EU die europaweite Zusammenarbeit bei der Rüstung forciert (siehe Blogbeitrag vom 11. November, "Schwere Zeiten für die Rüstungslobby"), liegt das nahe.
Die Nichtregierungsorganisation IPS berichtet, dass EU-Beamte und Rüstungsunternehmen "hinter verschlossenen Türen" darüber beraten, ob das Forschungsrahmenprogramm auch militärische Projekte einschließen kann. IPS zitiert den heutigen Politikberater und ehemaligen Leiter der strategischen Unternehmensentwicklung der Rheinmetall AG (Defence), Burkhard Theile, mit der Aussage, er wünsche sich die Einbeziehung von Projekten wie Aufklärungs- und Kampfdrohnen (Unmanned Air Vehicles, UAV). Solche Drohnen hätten sowohl zivilen wie auch militärischen Nutzen und sollten durch die EU finanziert werden, so Theile zu IPS. Sie könnten für Grenzkontrollen oder für militärische Missionen wie in Afghanistan Verwendung finden.
Nachtrag vom 9.5.12: Dr. Burkhard Theile bestreitet diese IPS-Darstellung. Er habe diese Aussage nicht nicht gemacht. Er erläutert: "Dem IPS Journalisten, der mich telefonisch befragt hatte, habe ich gesagt, dass es gar keine Gemeinsamkeiten zwischen militärischer und ziviler Forschung geben kann und habe diese meine nach wie vor gültige Überzeugung auch begründet. Als einziges Gebiet, in dem es zu einer Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Stellen kommen muss, habe ich die Regelung der Teilnahme von unbemannten Fluggeräten am Luftverkehr genannt. Über Anwendungsbereiche wie Grenzkontrollen habe ich gar nichts gesagt. IPS hat dann eine Pressemitteilung mit völlig entstelltem und in der Tat erfundenen Aussagen von mir veröffentlicht. Ich hatte IPS aufgefordert, diese Veröffentlichung zurückzuziehen. Eine Antwort habe ich von IPS nie bekommen. Ich habe die Sache auch nicht weiter verfolgt, da meine Erfahrung ist, dass unsolide Agenturen als solche allgemein bekannt sind und nicht von denen Ernst genommen werden, deren Meinung zählt."(Hervorhebungen von mir. Aussagen lt. Email Dr. Theile vom 8.5.12)
Militärische Forschung war bisher nur in Randbereichen möglich, nämlich dort, wo zivile und militärische Nutzungsmöglichkeiten vorliegen ("dual use"). Ein Grund dafür liegt darin, dass Regierungen der Mitgliedstaaten der EU-Kommission, die die Forschungsgelder verwaltet, keinen zu großen Einfluss in militärischen Angelegenheiten gestatten will. Außen- und Sicherheitspolitik ist bisher weitgehend Sache des Rates der EU gewesen. Zwar hat die EU jetzt mit Catherine Ashton eine "Außenministerin", die neben dem Amt einer Vizepräsidentin der Kommission auch Chefin der Europäischen Verteidigungsagentur EDA ist, die den europäischen Militärbeschaffungsmarkt koordinieren soll. Allzu weitgehende Befugnisse wollen die Staaten Brüssel aber nicht einräumen. Die Erfahrung zeigt, dass Brüssel schnell auch in den Politikbereichen Einfluss gewinnt, für die rechtliche Befugnisse gar nicht vorgesehen sind, wenn die EU ihre Finanzmittel ausspielt.
"Sicherheitsforschung" (Security Research) ist gleichwohl ein Teil des 7. Forschungsrahmenprogramms (Beschreibung auf der Website des BMBF). 2006 war dies erstmals ein prioritärer Themenschwerpunkt mit Querschnittscharakter, der andere Politikbereiche wie Transport, Gesundheit, Energieversorgung und Umweltschutz berührt. Für die Sicherheitsforschung wurden 1,3 Mrd. € zur Verfügung gestellt. Allerdings lagen die Schwerpunkte bei Bedrohungen wie Terrorismus, Grenzsicherheit, organisierter Kriminalität, Naturkatastrophen sowie Industrieunfällen.
Der Fokus auf zivile und innere Sicherheit schloss bisher klassische Waffenforschung mit militärischem Charakter aus. Nun ist die Not in der wehrtechnischen Industrie aber groß, denn die meisten EU-Staaten haben große Schwierigkeiten mit der Finanzierung notwendiger Modernisierungen ihrer Streitkräfte. Für Großprojekte fehlt den Regierungen sowohl das Geld als auch der politische Wille. Umso verlockender ist Brüssel als Geldquelle.
IPS weist auf die zentrale Rolle des EU-Projektnetzwerks SANDERA (Security and Defence policies in the European Research Area) hin. Sandera wird eigentlich aus dem EU-Fördertopf für Sozialwissenschaften finanziert; nun sei es die Plattform, auf der auch über die Einbeziehung militärische Projekte gesprochen werde.
Nach einer im Oktober veröffentlichten Studie des Europäischen Parlaments (“Review of security measures in the Research Framework Programme”, Politikbereich Bürgerrechte und Verfassungsfragen) erhält die wehrtechnische Industrie bereits heute erhebliche Subventionen aus dem EU-Haushalt unter dem Etikett der Sicherheitsforschung.
Die Studie weist darauf hin, dass Unternehmen wie BAE Systems, Diehl, EADS, Ericsson, Finnemecanica, Sagem, Siemens und Thales schon bei der Vorbereitung des Themenschwerpunkts Sicherheitsforschung beteiligt waren (so über den Beirat European Security Research Advisory Board 2005-2006). Sie hätten die Empfehlungen für den Zuschnitt des Bereichs Sicherheitsforschung beeinflussen können, und sie profitierten auch von ersten Pilotprojekten und ab 2006 von der Bereitstellung der regulären Fördergelder.
In der Auswertung der Projektfinanzierungen aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm stellt die Studie fest, dass Unternehmen und Organisationen aus nur fünf EU-Staaten (Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden und Israel, das seit den 1990ern an der EU-Forschungspolitik beteiligt ist) den Großteil der Fördermittel vereinnahmten. Transnationale Unternehmen der Sicherheitswirtschaft, Institute der angewandten Forschung (wie z.B. die deutsche Fraunhofer-Gruppe) sowie Regierungseinrichtungen hätten den weitaus größten Anteil, während Universitäten und NGOs nur marginale Finanzierung erhielten.
Klassische sozialwissenschaftliche Fragestellugen zu rechtlichen, politischen, sozialen und ethischen Problematiken der Sicherheitsforschung erhielten daher geringe Aufmerksamkeit, während die Technologieentwicklung klar im Vordergrund stehe. Sozialwissenschaftliche und Technikprojekte würden im Regelfall auch nicht zusammengeführt.Die Studie kritisiert weiterhin, dass bei der EU-Kommission oftmals nicht die Generaldirektion Forschung, sondern die Generaldirektion Unternehmen der zentrale Motor für die geförderten Projekte darstelle.
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