Dienstag, 4. Januar 2011

Interessenkonflikte in der Wissenschaft: "Zeigt her eure Konten"

Wissenschaftler sind oft als externe Gutachter, Sachverständige, Wirtschafts- und Politikberater tätig. Dabei ist die Unabhängigkeit als Wissenschaftler das, was sie glaubwürdig macht. Allerdings kann man gar nicht so einfach feststellen, ob der Experte so unabhängig ist, wie er vorgibt.

Politiker sind da misstrauisch, und in Sachverständigengremien wird bei der Besetzung oft nach dem Muster "mein Experte, dein Experte" (bzw. "SPD-Experte, CDU-Experte") verfahren.

Transparenz in der Politikberatung wird vor allem von Lobbyisten und Interessenorganisationen gefordert. Allmählich formiert sich jedoch auch die Forderung nach mehr Transparenz bei Wissenschaftlern – zumal diese häufig für Lobbies, Verbände, Unternehmen und andere Interessengruppen im Auftrag arbeiten oder mit diesen verbunden sind.

So hat die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) "Leitlinien für die wissenschaftliche Politikberatung" erstellt. Den Leitlinien sind drei kluge, differenzierende Aufsätze vorangestellt. Die Leitlinien sind nur drei Seiten lang, dafür werden sie wiederum ergänzt durch mehrere Seiten Kommentar, wie die Leitlinien zu interpretieren sind.

Leicht gemacht haben es sich die Autoren nicht. Die Autoren der BBAW-Leitlinien sind herausragende Köpfe, die sich in der Politikberatung auskennen und 2004-07 in einer Arbeitsgruppe zur Wissenschaftlichen Politikberatung  zusammenarbeiteten: Mitchell Ash, Reinhard Hüttl, Peter Graf Kielmansegg, Reinhard Kurth, Renate Mayntz, Herfried Münkler, Friedhelm Neidhardt, Klaus Pinkau, Ortwin Renn, Eberhard Schmidt-Aßmann, Peter Weingart.

Mit dem Bedeutungszuwachs wissenschaftlicher Politikberatung, so die Autoren in der Präambel, spitze sich der Konflikt zwischen den unterschiedlichen Systemlogiken von demokratischer Politik (Mehrung und Sicherung von Legitimation) und Wissenschaft (Mehrung und Sicherung systematischen Wissens) zu. "Überdies besteht die Gefahr, dass es zu einem Wildwuchs der wissenschaftlichen Politikberatung, zum fahrlässigen Umgang mit wissenschaftlicher Beratung seitens der Politik wie umgekehrt zu Qualitätsmängeln seitens der Anbieter von Beratung kommt." Die Leitlinien richteten sich daher nicht nur an die Wissenschaft, sondern auch an die Politik.

Um Unabhängigkeit von Einflussnahme geht es in den Leitlinien, um Rechtsgrundlagen für dauerhaft eingerichtete Beratungsgremien, um präzise Aufgaben- und Mandatsbeschreibungen und Abgrenzung von Zuständigkeiten; um Arbeitsweise, Sicherung der Beratungsqualität und auch um die transparente Auswahl und die Stellung der beratenden Wissenschaftler und die Offenlegung von finanzielle Interessen, institutionelle Abhängigkeiten und Mitgliedschaften.

Die Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften geht nach diesen Leitlinien vor.

Auch die Akademie für Technikwissenschaften (Acatech) hat "Sieben Leitlinien für die Politik- und Gesellschaftsberatung" formuliert (Oktober 2010).

Das Manifest ist deutlich kürzer und kompakter als das der BBAW. Doch ebenso klar formuliert die Acatech: "Alle an einem Beratungsprojekt Beteiligten werden aufgefordert, ihre Interessen und Abhängigkeiten offen zu legen, die Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit wecken könnten."
Die Berliner Journalistin Mandy Kunstmann hat im DUZ-Magazin das Thema des Transparenzgebots jüngst aufgegriffen. Unter dem provokanten Titel "Zeigt her eure Konten" berichtet sie nicht nur über die Leitlinien der drei Akademien, sondern auch über eine aus den USA stammende Initiative "No Free Lunch Pledge". Diese richtet sich vor allem an Medizin- und Gesundheitswissenschaftler. Kein Wunder: Dort sind Interessenverflechtungen besonders häufig anzutreffen.


Der Regensburger Medizinprofessor David Klemperer hat sich ihr angeschlossen. Auf seiner privaten Webseite ist ein Dokument "Interessenregister" enthalten. Da führt er nicht nur sämtliche Gremien-Mitgliedschaften, Sitzungen, Tagungen und Aufträge auf, sondern haarklein auch den "materiellen Gewinn/Erstattung" (einschließlich Sitzungsgelder und Fahrtkosten), sondern auch den zeitlichen Aufwand, den "Imagegewinn" und die "gefühlte Beeinflussung".

Laut DUZ fordert Klemperer öffentlich zugängliche Register im Gesundheitswesen, in denen Personen und Organisationen über ihre (Neben-)Einnahmen Auskunft geben. „Wissenschaftler und Mediziner, die forschen oder beraten, sollten alle Sachverhalte, die einen Interessenkonflikt ausmachen, veröffentlichen“. Das Magazin schreibt weiter:
Doch viele lassen sich ungern in die Karten schauen. Wer verrät schon freiwillig, dass er sich zum Beispiel von der Industrie finanzieren lässt? „Es gilt als unschicklich in Deutschland, den Experten allzu offen aufs Bankkonto zu schauen“, sagt Prof. Dr. Ortwin Renn, Sozialwissenschaftler an der Uni Stuttgart. (...) 
In den USA sind Sachverständige verpflichtet, klar offenzulegen, für wen sie arbeiten oder gearbeitet haben – zumindest, wenn sie für die Öffentlichkeit wichtige Expertisen erstellen. „Das regelt das Verwaltungsverfahrensgesetz“, erläutert Ortwin Renn. Auch für Deutschland hält er eine solche gesetzliche Grundlage – oder zumindest ein freiwilliges Abkommen – für wünschenswert. 
Ersteres wird hierzulande aber kaum Chancen haben, glaubt Prof. Dr. Max-Emanuel Geis, Rechtswissenschaftler an der Uni Erlangen-Nürnberg: „Eine gesetzliche Grundlage wäre mit großer Wahrscheinlichkeit unverhältnismäßig. Bei einem demokratisch legitimierten Organ wie einem Gemeinderat könnte man die Offenlegung wohl verlangen.“ Sachverständige seien jedoch keine Organträger. Und ohnehin würden sie ja auch keine eigenen Entscheidungen übernehmen, sondern nur Empfehlungen aussprechen. 
Ob freiwillige Offenheit eine erfolgreiche Strategie ist, bleibt offen. Es könne immerhin einen guten Grund geben, nämlich den besserer Arbeit in den Beratungsgremien:
Wenn die Sachverständigen in einem Gremium wissen, mit wem sie es zu tun haben und welche Erfahrungen der- oder diejenige mitbringt, herrscht Offenheit, und jedweder Spekulation wird Grund und Boden entzogen“, sagt Renn. 
Die drei Akademien sprechen sich für eine unabhängige Beratung aus. Doch wie kann eine unabhängige Beratung stattfinden, wenn die Experten Aufträge für Wirtschaftskonzerne übernehmen oder für Organisationen wie Greenpeace arbeiten? „Die Kenntnisse können die Diskussion in einer Arbeitsgruppe befruchten“, erklärt Leopoldina-Chef Hacker die Vorteile der beruflichen Verflechtungen der Sachverständigen. Die Einblicke und Erfahrungen müssten auch nicht zwingend zur Ablehnung eines Experten führen. Wissenschaftlichen Pluralismus nennt es Max-Emanuel Geis, wenn mehrere Fachkundige in einem Gremium zusammentreffen. „Dieser Pluralismus ist gut“, erklärt er. Er schaffe eine größere Möglichkeit, dass ein Ergebnis objektiv ausfällt.

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