Montag, 15. August 2011

Einfluss: Das Periodensystem der PR-Spielzüge

Jeder erinnert sich an den Chemieraum in der Schule: Da hing stets eine Tafel mit dem Periodensystem der Elemente, geordnet nach Atomkernladung und Eigenschaften. Das inspirierte den Marketing- und Kommunikationsberater Alan Kelly zu seiner „Standardtafel“ der 25 Einfluss-Strategien: Hübsche Optik und clevere Etiketten für seine „Plays“ (Spielzüge) machen sein Rahmenkonzept attraktiv. Es ist durchdacht und nützlich für alle, die Manöver im Wettbewerb in Politik, Wirtschaft und Medien analysieren oder Strategien entwickeln.

Bildausschnitt: Standardtafel, "Standard Table of Influence Strategies".
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Natürlich ist der Versuch, solche Strategien zu kategorisieren und zu systematisieren, ist nicht ganz neu. Zum einen ist das das Feld der formalen Spieltheorie, die in Wirtschafts- und Politiktheorie Regeln und Spielzüge mit mathematischer Präzision erfassen will, allerdings um den Preis schwer verständlicher Abstraktion. Zum anderen gibt es die narrative Variante mit weniger Abstraktion und mehr historischen Anekdoten: Der bekannteste Beststeller dieser Art ist – neben Machiavelli – sicher Robert Greenes „Power: Die 48 Gesetze der Macht“ (Buch, Website, Greene-Blog).

Kellys Ansatz ist eher ein Consultant-typischer Werkzeugkasten: Seine Firma Playmaker Systems präsentiert online die Grundlagen, alle „Spielzüge“ werden knapp beschrieben (Glossar/Übersicht). Instruktiv sind die Fallstudien („Strategy Map Library“), beispielsweise über den Ölkonzern Exxon, der versuchte, sich gegen öffentliche Kritik an Firmenpolitik und Umweltproblemen zu wehren. Eine Rubrik „Play of the Day“ nimmt sich aktueller Beispiele an . Wer mag, kann Kelly auf Facebook folgen.

Buchumschlag: The Elements of Influence
Weit ausführlicher führt Kellys Buch „The Elements of Influence: The New Essential System for Managing Competition, Reputation, Brand, and Buzz“ (Penguin, 2007) in das Konzept ein.

Sein Periodensystem enthält 25 „Plays“, also Spielzüge, in drei Kategorien und acht Unterkategorien. Damit will Kelly das gesamte Spektrum abdecken.

Die drei Hauptkategorien Assess, Condition, Engage reichen von der eher passiven Positionierung (Assess) über moderate Interventionen (Condition) bis zum aktiven, aggressiven Schlagabtausch (Engage).

Jeder Spielzug wird in einer Flash-Animation auf kleinen Kärtchen erklärt – mit Hinweisen, wie man den jeweiligen Spielzug erkennt, kontert, unterstützt, was dafür und dagegen spricht. Die „Plays“ sind eingängig und plausibel, allerdings muss man sich etwas mit den Einzelheiten beschäftigen, um ihre Wirkung und Bedeutung nachvollziehen zu können.

Beispiele veranschaulichen die Praxis. So zeigte der Sportausrüster Nike den Spielzug „Disco“, als er den Kritikern seiner Billigfabriken in Asien Konzessionen machte, um die Kontrolle über die Agenda wiederzugewinnen. McDonald’s verfolgte eine Umarmungsstrategie („Bear hug“), als der Film „Super Size Me“ die Gemüter erregte und die Fast-Food-Kette seine Menüs in Übergröße aus dem Angebot nahm. Die Versicherungsgruppe AIG versuchte es mit einer Finte („Red Herring“), als sie der Kritik an Manager-Bonuszahlungen entgegnete, externe Anwälte hätten diese erstens als legal und zweitens als rechtlich bindend dargestellt.

Übersicht der Spielzüge im "Periodensystem"

Assess: Spielzüge in dieser Kategorie sind eher subtil und passiv. Der Spielmacher beobachtet andere und positioniert sich danach.
  • Die beiden Unterkategorien sind „Absetzen“ (Detach) und „Testen“ (Test) mit jeweils zwei Spielzügen. 
  • In der ersten Rubrik bieten sich die Spielzüge „Rückzug“ oder „Pause“ an, in der zweiten „Ping“ (Hinweis geben und verschwinden) und „Versuchsballon“.

Condition: Diese Spielzüge zielen darauf, mit begrenzten, oft indirekten Interventionen die strategische Lage zu verbessern. Bestimmte Trends oder Handlungen anderer Akteure sollen gefördert oder gebremst werden. Die drei Unterkategorien sind „Ablenken“ (Divert), „Rahmen“ (Frame) und „Einfrieren“ (Freeze).
  • Ablenkungsmanöver werden umgesetzt durch die Spielzüge „Zurückweisen“ (Deflect, Angriffe ins Leere laufen lassen), „Leck“ (Leak, vertrauliche Informationen durchsickern lassen) und „Finte“ (Red Herring, falsche Spur legen). 
  • Das Rahmen (Framing) zielt darauf, bestimmte Deutungsmuster durchzusetzen:Filter“ verbreitet selektive Informationen, „Umformen“ (Recast) interpretiert bekannte Aussagen neu. „Label“ soll durch Zuspitzung komplexere Aussagen auf kurze Phrasen oder Soundbites reduzieren, ihnen ein Etikett aufkleben. „Abschirmen“ (Screen) schützt die eigene Stellung durch symbolische Verbindung mit Personen, Marken, Ideen und Konzepten, die Sympathie genießen. 
  • Die Unterkategorie „Einfrieren“ (Freeze) bündelt gleich fünf Spielzüge: „Spiegeln“ (Mirror) wirft Fakten und Informationen auf den Gegner zurück, die dessen Aussagen genau widersprechen. So soll die Wahrheit enthüllt werden. „Störfunk“ (Jam) soll die Kommunikation und Organisation des Gegners durcheinander bringen. Eine „Umarmung“ (Bear Hug) bringt den Gegner durch demonstrative Zustimmung aus dem Konzept, indem man sich seine Aussagen öffentlich zu eigen macht. „Laterne“ (Lantern) wirft das Licht direkt auf die eigenen Probleme, bevor es der Gegner tut: Man thematisiert freiwillig die eigenen Fehler und Defizite. (nach der amerikanischen Redewendung "hang a lantern on your problem"). „Disco“ heißt: Ein Schritt rückwärts, ein Schritt vorwärts. Zugeben und weitermachen. Ein Problem wird eingeräumt, eine Konzession gemacht oder ein kleines Opfer gebracht, dann geht man zur Tagesordnung über.
Engage: Dies sind die aktivsten Strategien, um den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen und die Rahmenbedingungen zu destabilisieren. Die drei Unterkategorien sind „Locken“ (Lure), „Druck machen“ (Press) und „Angriff“ (Attack). 
  • Wer den Lockruf ertönen lässt, kann entweder „Herausfordern“ (Challenge), also einen öffentlichen Appell, eine Forderung oder einen Vorschlag platzieren, um Signalwirkung zu erreichen; oder „Ködern“ (Bait), was auf eine Provokation hinausläuft – man wedelt mit dem roten Tuch vor dem schnaubenden Stier herum. 
  • Druck machen lässt sich mit drei Spielzügen: „Fiat“ heißt, einseitige Erklärungen und Behauptungen abzugeben. Beim „Gruppendruck“ (Crowd) schließt man sich Trendsettern an, übernimmt Positionen von Konkurrenten und erzeugt so Druck auf die, die nicht zur Gruppe gehören. Der „Pfau“ (Peacock) setzt auf Show und Parademarsch, große Gesten und Inszenierung. Aufmerksamkeit ist alles. 
  • In der Unterkategorie „Angriff“ sind die aggressiven Spielzüge zu finden. „Kampfansage“ (Callout) fordert quasi zum Duell. Öffentlich äußert man große Sorge über die Position eines Gegners, macht explizite Zweifel deutlich oder wagt sogar Beleidigung und Anklage. „Präemptivschlag“ (Preempt) kommt durch Handlungen oder Kommunikation dem Gegner zuvor, überholt ihn, dreht den Spieß um, tauscht die Rollen zwischen Angreifer und Verteidiger. „Windschatten“ (Draft) nutzt die Energie anderer, die als Windbrecher vorn fahren, lässt sich vom Sog der Pioniere und Innovatoren mitziehen – um dann rechtzeitig über die Flanken auszubrechen und zu überholen. Der „Verrückte Iwan“ (Crazy Ivan) ist ein Spielzug, bei dem man überraschend kehrt macht und zum Angriff einlädt, auch wenn man (scheinbar) unterlegen ist.
Die Spielfaktoren
Welche Spielzüge wann und wie sinnvoll sind, hängt von zahlreichen Faktoren ab: Variablen, die die Möglichkeiten und Grenzen eines Spiels bestimmen, Chancen und Risiken erhöhen oder absenken. Einige dieser Faktoren hat man selbst unter Kontrolle, andere nicht. Kennen sollte man alle.
Kelly erläutert diese Spielfaktoren in einer separaten Aufstellung.

Bildausschnitt zu "Factors at Play".
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Dazu gehören tangible Faktoren, also leicht messbare Fakten und Zahlen; intangible Faktoren (Reputation, Glaubwürdigkeit, Goodwill, Kultur, Beziehungen, Fähigkeiten, Wissen); Kommunikationsfakktoren (Breite, Tiefe, Klarheit, Konsistenz, Frequenz, Tempo, Ton, Lautstärke…); politische Faktoren ("Policies" wie Zugang, Ethik, Richtlinien, Rechtsrahmen…), Stakeholder-Gruppen und „X-Faktoren“ (Unfall, Täuschung, Geschenke, Glück und Pech…).

Fazit
Insgesamt bietet Kellys „Periodensystem“ eine gute Grundlage, um das eigene Denken über Strategie zu verbessern. Es ist nicht perfekt, keine Patentlösung, eher ein Analyseraster und eine Denkschule.

Zweifellos ist es auch ein Beispiel, wie eine Consulting-Firma zu Marketingzwecken geschickt alten Wein in neue Schläuche füllt.

Aber dennoch: Strategie wird in der Praxis oft aus dem Bauch heraus gemacht, selbst wenn ihr viel profunde Analyse vorausgeht. Das Kelly-System konstruiert eine Brücke von Analyse zur Strategieentwicklung. Manchmal hilft es einfach, wenn man für bestimmte Techniken oder Beobachtungen eine gemeinsame Sprache hat, und Kelly liefert hilfreiche Begriffe und Definitionen – damit alle Beteiligten wissen, was konkret gemeint ist, und einen gemeinsamen Bezugsrahmen haben. Dahinter steckt natürlich eine Theorie, mit der man sich auseinandersetzen kann oder vielleicht auch muss. Möglicherweise ist Kellys Ansatz auch ein Instrument für das Kommunikations-Controlling.

Auch für die Hochschullehre kann das ein wertvolles Hilfsmittel sein. Kelly hat an der Graduate School of Political Management (GSPM) der George Washington University (Washington DC) im Frühjahr 2011 einen Kurs angeboten, in dem sein Konzept im Mittelpunkt stand. Der Kursplan (Syllabus, PMGT 6265.18, The Elements of Influence) ist öffentlich zugänglich und zeigt beispielhaft, wie sich die „Elemente“ in einer Semesterveranstaltung mit praxisnaher Lehre und Gruppenarbeit, aber auch mit Theorie und Reflexion verbinden lassen. Eine gute Anregung für Lehrveranstaltungen in Politikmanagement und Politikberatung, Kommunikation und Marketing sowie Unternehmensstrategien in BWL.

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