Der Fall wirft aber auch neue Fragen auf: Antikorruptionsregeln werden nun weltweit durchgesetzt, aber vielleicht trifft es die Falschen. In manchen Ländern ist ein Geschäft offenbar nur möglich, wenn man sich an die örtlichen Spielregeln hält. Diese nötigen die Unternehmen zum Bakschisch und verwehren den Rechtsweg gegen unfaire Regierungs- und Verwaltungsentscheidungen. Eine Zwickmühle, eine "unmögliche Lage", in der den Unternehmen praktisch keine legitime Option mehr bleibt, wie ein thailändisches Blog meint.
Vor kurzem verhängte die U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) gegen den britischen Getränkehersteller Diageo eine Geldstrafe in Höhe von 16 Mio. Dollar. Diageo stimmte dieser Strafe zu, um das gegen den britischen Konzern laufende SEC-Verfahren vorzeitig zu beenden, gelobte Besserung bei der Compliance und kündigte mehreren Mitarbeitern. Diageo verstieß gegen Antikorruptionsvorschriften im Geschäft mit dem Ausland (Foreign Corrupt Practices Act, FCPA).
Hintergrund: Der Foreign Corrupt Practices Act von 1977 (15 U.S.C. §§ 78dd-1, ff.) ist ein Bundesgesetz der USA, das Zahlungen und Wertgeschenke an ausländische staatliche Amtsträger verbietet, die den Zweck haben, den Zuschlag für ein Geschäft zu bekommen oder eine Geschäftsbeziehung aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus verpflichtet das Gesetz alle in den USA börsennotierten Unternehmen dazu, eine Buchführung nach 15 U.S.C. § 78m vorzunehmen, die auf die Antikorruptionsregeln des FCPA abgestimmt ist. Der Grund dafür, dass sich FCPA mit der Buchführung der Börsenunternehmen befasst, liegt darin, dass Schmiergeldzahlungen jeweils entweder gar nicht in den Büchern der Unternehmen verzeichnet oder dort falsch ausgewiesen waren. Deshalb stellt der FCPA nicht allein das Zahlen von Bestechungsgeldern unter Strafe, sondern auch das Anlegen falscher oder irreführender Einträge in die Unternehmensunterlagen. (Wikipedia, PermLink)
In Indien, Thailand und Südkorea wurden laut SEC mehr als 2,7 Mio. Dollar Bestechungsgelder an Beamte gezahlt, um den Umsatz der Diageo-Marken zu erhöhen sowie Zoll- und Steuerabgaben zu umgehen. Die Tochtergesellschaften des Konzerns wurden von der Zentrale offenbar nicht ausreichend beaufsichtigt. Sie manipulierten die Bücher, um die Zahlungen zu kaschieren.
Diageo ist der weltgrößte Spirituosenhersteller. Das Hauptquartier sitzt in London. Von dort aus werden in 180 Ländern Marken gesteuert wie Smirnoff-Wodka, Johnnie Walker Whisky, Captain Morgan Rum, José Cuervo Tequila, Baileys Likör, Guinness-Bier u.a. Am Champagner- und Cognac-Markt verdient Diageo auch dank seines Drittelanteils an Moët Hennessy.So soll Diageo allein in Indien von 2003 bis 2009 1,7 Mio. Dollar an Hunderte indischer Beamte gezahlt haben, die für Aufsicht und Lizenzierung von Getränkeverkaufsstellen zuständig sind, unter anderem bei staatseigenen Alkoholläden, bei den Streitkräftekantinen, bei der Etikettenkontrolle und beim Zoll. Das führte zu rund 11 Mio. Dollar zusätzlichen Verkaufserlösen.
Toll trieben es auch die Kollegen in Südkorea: Zoll- und Steuerbeamte erhielten Schmiergelder, Reisen und „Unterhaltung“ als Belohnung dafür, dass die Regierung Diageo erhebliche Steuernachlässe gewährte. Hunderte von Geschenken verteilte die Landesgesellschaft zudem beim Militär, damit die Soldaten ihren Johnnie Walker genießen konnten.
In Thailand schließlich zahlte Diageo von 2004 bis 2008 rund 600.000 Dollar für die „Beratung“ durch einen Mann, der in der früheren Regierungspartei Thai Rak Thai und beim damaligen Premierminister Thaksin Shinawatra (2001-06) offenbar ein hohes Tier war. Er lobbyierte andere thailändische Regierungsmitglieder, und abermals ging es um Steuer- und Zollnachlässen in Millionen-Dollar-Höhe.
Die thailändische Presse und die dortige Blogosphäre füllen sich mit Spekulationen, wer denn der Berater und seine Polit-Consulting-Firma gewesen sein mag. Hinweise gibt es offenbar genug: Der Mann war offenbar offiziell schon stellvertretender Sekretär des Premierministers, Berater des Vize-Premiers, Berater des Landwirtschaftsministers sowie diverser Staatsbetriebe, und er war Mitglied eines Gremiums der damaligen Regierungspartei Thai Rak Thai (TRT). Außerdem der Bruder eines ranghohen Managers von Diageo Thailand. Der Berater war bei verschiedenen Gesprächen zwischen der Regierung (einschließlich des Premierministers) und den Konzernvertretern (nicht nur den örtlichen, sondern auch der Muttergesellschaft) anwesend. Der Berater trat in Kontakt mit mehreren Finanzbehörden und mit Abgeordneten des thailändischen Parlaments. Das alles weiß man, aber immer noch nicht, wer es tatsächlich war.
Neben der aufregenden Personalie stellen sich zwei Fragen: Warum waren Steuer- und Zollressorts so sehr im Fokus, und was trieb die Diageo-Landesgesellschaften in diese Praktiken, die den Mutterkonzern in solche Schwierigkeiten brachten?
Das Blog Thai Law and Policy geht den Fragen nach und kommt zu dem Schluss, dass ein Unternehmen wie Diageo möglicherweise nicht nur Täter, sondern auch Opfer ist: Opfer eines undurchsichtigen, nicht verlässlichen Rechtssystems und zunehmender Widersprüche zwischen der Antikorruptionsbekämpfung der entwickelten Staaten einerseits und dem Zwang, sich mit Bestechungsgeldern überhaupt die Eintrittskarte für ausländische Märkte kaufen zu müssen.
Korruption ist in Asien und auch in Thailand natürlich weit verbreitet, aber offenbar bei manchen Behörden mehr als bei anderen. Bestechung sei in Thailand bei bestimmten Regierungsapparaten konzentriert, nämlich überall dort, wo diese für große Finanztransaktionen zuständig sind: bei der Land- und Liegenschaftsverwaltung, bei Steuer- und Zollbehörden, beim Verkehrs- und beim Polizeiressort. So stellt es der Bericht des Business Anti-Corruption Portal für Thailand fest.
Die Zollverwaltung sichert sich offenbar Platz eins bei den Korruptions- und Transparenzproblemen. Das scheint aber auch etwas mit dem Anreizsystem zu tun zu haben, das die Korruptionsbekämpfung etabliert hat: Beamte, die einen Tipp geben, werden gut belohnt – sie erhielten lange Zeit ohne Deckelung 25 Prozent des Werts der illegalen Transaktionen, die zur Anzeige gebracht werden, und zwar in bar. Das heißt, es gibt einen hohen Anreiz, Fehler und Vergehen zu melden.
Der Blogger weist zudem auf die Bedeutung eines WTO-Schiedsspruchs gegen den Tabakkonzern Philipp Morris hin (Dabei ging es um die steuerliche Bewertung von Importzigaretten). Die Genfer Welthandelsorganisation befand, dass Thailand gegen die Veröffentlichungsvorschriften der WTO verstößt, weil die Bewertungskriterien schlicht nicht publiziert wurden. Welche Steuern auf die Zigarettenimporte erhoben werden, stand nirgendwo zu lesen. Das öffnet Tür und Tor für willkürliche Entscheidungen von Beamten in Steuer- und Zollfragen.
Die Philippinen beschwerten sich zudem über geduldete Interessenkonflikte in Thailand, weil eigentlich neutrale Beamte, die über die Importsteuern entscheiden sollen, zugleich im Vorstand des staatseigenen Zigarettenherstellers TTM sitzen. Unabhängige Gutachter und Review-Verfahren, um die Entscheidungen der Beamten zu überprüfen: Fehlanzeige. So entscheiden in Thailand also Beamte, die mehreren Interessenkonflikten unterliegen. Eine Grundsatzfrage für den thailändischen Rechtsstaat.
Aber dazu kommt nun auch der Zusammenstoß mit der zunehmenden Durchsetzung ausländischer Antikorruptionsvorschriften wie den amerikanischen FCPA. Gerichte in den Vereinigten Staaten verstehen unter Bestechung auch explizit Zahlungen, um Zölle und Steuern zu senken und sich so einen unfairen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Das Blog fragt:
„Aber was ist, wenn [diese Zahlungen] einfach notwendig sind, um überhaupt in einem bestimmten Land in den Markt eintreten zu können? Dieser Aspekt des FCPA und anderer ausländischer Antikorruptions-Gesetze bringt Unternehmen, insbesondere ausländische Unternehmen, in eine sehr schwierige Lage, wenn sie es mit wenig transparenten Regierungsstellen zu tun haben. Wenn sie in solchen Ländern geschäftlich aktiv sind, haben diese Unternehmen nur wenige oder gar keine legitimen Optionen. Und das gilt nicht nur für den thailändischen Zoll.
Was in den USA als Zahlung angesehen werden mag, die einen unfairen Wettbewerbsvorteil schaffen soll, wird oftmals als notwendige Zahlung gesehen, um überhaupt ins Geschäft eintreten zu dürfen. Sie verschafft dem Unternehmen keinen unfairen geschäftlichen Vorteil. Es wird schlicht als (eher unappetitliche) Bedingung angesehen, um in einigen Ländern überhaupt tätig sein zu können.“Es sei zwar positiv, wenn entwickelte Länder ihre Antikorruptionsvorschriften verschärften und durchsetzten. Aber dazu fehle das Gegenstück bei der Gesetzeslage in Ländern wie Thailand. „Solange die örtlichen Interessen solche Gesetze dafür nutzen können, um die Spielregeln zu ihrem Vorteil zu verbiegen, werden sie es tun.“
Ausländische Unternehmen aus entwickelten Ländern mit strengeren Antikorruptionsvorschriften würden in eine „unmögliche Lage“ gebracht. Das werde vermutlich dazu führen, dass dieselben Unternehmen noch stärker die Durchsetzung internationaler Abkommen und Pflichten fordern werden, meint das Blog. Dazu gehörten die Regeln der WTO, der UN-Konvention gegen Korruption, des New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche und anderer Abkommen.
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