Im amerikanischen Grassroots-Lobbying haben Briefkampagnen jahrzehntelange Tradition. Nur ist die Aufmerksamkeit umso mehr gesunken, je mehr Gruppen sich der Mailings bedienen. Bekanntlich sind die Email-Konten von Abgeordneten ebenso voll wie die konventionellen Posteingänge. Das amerikanische Blog BISNOW stellt einige Interessengruppen vor, die die Poststellen im US-Kongress mit kreativen Paketen beliefert haben (Bilder dort).
2000 Arztkittel und eine Botschaft
Dass Ärzte im weißen Kittel demonstrieren gehen, ist nicht neu. Für eine Aktion zur Gesundheitsreform trennten sich US-Ärzte aber vom guten Stück. 2000 Arztkittel orderte der Ärzteverband American Medical Association (AMA) für seine Jahrestagung in Chicago 2010. Ein Höhepunkt der Tagung war die „White Coat Rally“: Die Mitglieder schrieben auf jeden Kittel mit dicken Stiften politische Mitteilungen an ihre Wahlkreisabgeordneten. Die Kleidungsstücke wurden dann vom Verband in die jeweiligen Kongressbüros geliefert. Die Aktion begründet der Verband mit der Symbolik des weißen Arztkittels und der Medienwirkung.
Ein alter Hut
Auch die Agrarlobby schickte Berufsmode nach Washington. Was dem deutschen Bauern seine Feldmütze, ist dem US-Farmer sein Basecap. Normalerweise findet sich dort das Logo von John Deere oder anderer Agrarausrüster, doch die American Farm Bureau Federation (AFBF) ließ Aufkleber zur Kampagne "Don't Cap Our Future“ drucken. Das kleine Wortspiel: Cap = Mütze, aber auch Cap = Obergrenze wie in Cap-and-Trade – jenem Klimaschutz-Ansatz zur Reduktion von CO2-Emissionen, nach der Emmissionsrechte über ein bestimmtes Limit hinaus gekauft werden müssen (und gehandelt werden können). Die Bauern sorgten sich um die Kosten von Kraftstoff, Dünger und Energie in ihren Betrieben. Die „Don’t Cap Our Future“-Aufkleber pappten die Bauern auf ihre Mützen und schickten diese an ihre Wahlkreisabgeordneten. Bei der AFBF waren auch bestickte Varianten zu haben.
Säckeweise Sauger
Ein anzügliches Wortspiel war auch der Frauenrechtsorganisation National Organization for Women (NOW) nur recht. Per Kurier erhielt der Finanzpolitiker Alan Simpson mit hübschen lila Schleifchen verzierte Säcke voller Babyfläschen-Sauger, rund 1500 an der Zahl. Medienwirksam betitelte NOW, die den Rücktritt Simpsons forderte, ihre Aktion mit „Tits for an Ass.“ Wobei „ass“ im Englischen so viel wie Esel, aber natürlich auch Arsch bedeuten kann. „Tits“ steht, klar, für Titten, deutsch Zitzen, Brustwarzen oder Mamillen. Hintergrund: Simpson hatte in einer Email an die Geschäftsführerin der Rentnerinnen-Vereinigung Older Women's League geschrieben, die Rentenversicherung sei wie eine „Milchkuh mit 320 Millionen Brustwarzen“ ("a milk cow with 320 million tits.").
Bausteine für eine Mauer zu Mexiko
Der schwer bewachte Grenzzaun zu Mexiko reichte ihnen nicht aus: Als 2006 die Einwanderungsdebatte anschwoll, forderten die Befürworter einer verstärkten Grenzsicherung vom Kongress, eine Mauer zu bauen. Den ersten Bausatz lieferten sie gleich dazu: 10.000 Ziegelsteine. Die „Send-a-Brick“-Aktion wurde in einem Online-Forum geboren. Interessierte konnten entweder selbst einen Stein schicken oder auf einer Website 12 Dollar für ein Fertigpaket spenden, das dann in ihrem Namen an den Wahlkreisabgeordneten versandt wurde.
„Konstruktive Kritik“, witzelte die New York Times damals. Sie zitierte eine der Koordinatorinnen, Emails seien ja heutzutage so verbreitet, da sei es zu einfach für die Politikerbüros, diese einfach zu löschen und zu ignorieren. Die Logistik scheiterte aber zunächst an den Anti-Terror-Schutzmaßnahmen und den Personalverantwortlichen in den Kongress-Poststellen. Als auf einmal 2000 Ziegelsteine im Capitol eintrafen, weigerte sich die Senatspoststelle, diese auszuliefern. Die Kampagnenorganisatoren sollten Extraporto für die Beförderung bezahlen. Während der zähen Verhandlungen stapelten sich die Steine im Postlagerraum – am Ende erhielten die Abgeordneten aber doch die schweren Sendungen. Ein Sprecher meinte, angesichts der Beliebtheit des Kongresses in der Bevölkerung könne man ja froh sein, dass die Steine mit der Post kommen und nicht durch die Fenster in die Büros fliegen. Am Ende sammelte ein Team der Parlamentsverwaltung die Steine bei den Abgeordnetenbüros wieder ein und spendete sie der NGO Habitat for Humanity, die Häuser für Bedürftige baut.
In Deutschland gab es das vor Jahren mal: Aufruf Gerhard Schröder das "letzte Hemd" ins Kanzleramt zu schicken. War ziemlich erfolgreich in den Medien.
AntwortenLöschenJa, stimmt. 2002 war das. Allerdings war das eher eine spontane Idee eines einzelnen Initiators und keine gezielte Maßnahme organisierter Interessen, um auf ihre Lobbyanliegen aufmerksam zu machen. Wobei es schon sein kann, dass sich Organisationen daran beteiligt haben, nachdem die Aufrufe im Netz kursierten.
AntwortenLöschenSammlung für Schröder: Aktion letztes Hemd (Spiegel online, 25.11.2002)
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,224335,00.html
Aktion letztes Hemd II: Schröder lässt die Hemden-Spenden weiter senden (Spiegel online, 26.11.2002)
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,224448,00.html