Mit der EU allerdings hat das Land erhebliche Probleme. Denn Teersand wird mit großem Energieaufwand und erheblicher Umweltbelastung abgebaut. Darum ist der Abbau EU-Klimaschützern ein Dorn im Auge, sie arbeiten auf ein Teersand-Importverbot hin.
Sollte die EU überdies Teersand wegen hoher CO2-Emissionswerte offiziell als im Vergleich zu konventionellem Rohöl "schlechtere" Ölsorte einstufen, könnte dies die USA dazu verleiten nachzuziehen -- und das besorgt die Kanadier, inzwischen Amerikas Energielieferant Nr. 1, noch mehr als ein geschlossenes Tor zum EU-Energiemarkt. Kein Wunder also, dass Kanada eine intensive Lobby- und PR-Kampagne in Europa für Teersand fährt -- und unverhohlen mit einer harten Gangart bei den laufenden europäisch-kanadischen Freihandelsgesprächen (CETA-Abkommen) droht sowie, sollte es zu einem Importverbot kommen, einer Klage vor der WTO.
Für Wirbel sorgt derzeit ein 28-seitiges Dossier der Umweltschutzorganisation Friends of the Earth Europe (FOEE, die deutsche Sektion ist der BUND). Das mit 141 Fußnoten bewehrte, von Andy Rowell akribisch recherchierte "Tagebuch der schmutzigen Teersand-Lobby" (Canada’s dirty tar sands lobby diary, Studie / Pressemitteilung) hat es tatsächlich in sich: Es belegt, dass die Regierungen von Kanada und Alberta, teilweise in Allianz mit Shell und BP, seit gut anderthalb Jahren eine systematische Kampagne führen, um Brüssel und die EU-Mitgliedstaaten von einer "Diskriminierung" ihrer Ölsorte und Gesetzgebungsinitiativen abzuhalten. Kanada hintertreibt offenbar eine kritische Bewertung des Teersands nach der EU-Treibstoffqualitätsrichtlinie (Fuel Quality Directive, FQD).
Der britische Guardian griff das Dossier diese Woche auf, inzwischen macht es seine Runde in der Blogosphäre. Auch beim Forum Umwelt und Entwicklung/Power Shift gibt es dazu einen Hintergrundreport.
FOEE hat die kanadischen Aktivitäten seit September 2009 dokumentiert. Basis waren neben Presse- und Internet-Recherchen sowie Experteninterviews diverse Auskunftsersuchen nach den Informationsfreiheitsrechten (FOI) bei mehreren EU-Generaldirektionen, bei EP-Ausschüssen und bei britischen Ministerien. Offenbar auf Druck der kanadischen Regierung wurde der FOEE zwar die Einsicht in viele Dokumente verwehrt, andere Behörden kooperierten jedoch. Die NGO beruft sich weiterhin auf vertrauliche Gespräche mit Diplomaten und Abgeordneten, von denen einige von einem "inakzeptablen" Lobbying durch die kanadischen Interessenvertreter sprechen.
FOEE spricht von bewusster Irreführung der politischen Entscheidungsträger, Untergraben unabhängiger wissenschaftlicher Erkenntnisse und Verzögerungstaktik. Die Kampagne erinnere an die Versuche der Tabakindustrie, gesundheitspolitische Initiativen gegen das Rauchen aufzuhalten.
Wie wichtig das Thema für Kanada ist, lässt sich u.a. an einer Rede „The EU at a crossroads: what it means for Canada“ vom 30. September 2010 ablesen, die Kanadas EU-Botschafter Ross Hornby hielt. Er warf den Kritikern vor, von „emotionalen Appellen und mächtigen Bildern getrieben“, aber schlecht informiert zu sein. Kanada nehme die Regulierung der Ölförderung, das Umweltmanagement und die CO2-Emissionsreduktion sehr ernst -- und werde deshalb unfair behandelt.
„Wir haben ähnliche Kampagnen in Europa gesehen – wie die gegen die Robbenjagd – und wir haben gesehen, wie populäre Kampagnen Fakten verdrehen und dann in EU-Politiken umgesetzt werden, die reale Auswirkungen auf kanadische Interessen haben.
Wir an Kanadas Vertretung bei der EU arbeiten sehr hart daran sicherzustellen, dass die politische Debatte auf Fakten beruht. Wir sind keine Apologeten für Teersande, und wir stellen uns den Herausforderungen dieser Förderung, aber wir wollen sicherstellen, dass alle Tatsachen auf den Tisch kommen. Wir sind besonders aktiv bei der EU-Treibstoffqualitätsrichtlinie (…).
Wir fokussieren unsere Bemühungen darauf, unsere Bedenken gegenüber unseren EU-Partnern zu kommunizieren und so viel technische Unterstützung wie möglich bereitzustellen. Die Natur der EU-Institutionen bringt es mit sich, dass wir einen strategischen Ansatz benötigen, um Kontakt zu EU-Offiziellen, Mitgliedstaaten und Abgeordneten herzustellen. Wir arbeiten ebenso mit unseren Vertretungen in ganz Europa um abzusichern, dass wir unsere Aktivitäten koordinieren und Informationen über die jüngsten Entwicklungen teilen, während sich die Debatte in Europa intensiviert. Wir erwarten, das dieses Thema für uns weiter eine Herausforderung in den kommenden Jahren sein wird."
Was der Botschafter hier referiert, belegt bereits, wie intensiv und gut geplant die Kommunikationsstrategie Kanadas war und ist.
Kanadas "Pan-European Oil Sands Advocacy Plan"
Laut der Studie hat das kanadische Außen- und Handelsministerium, in Gemeinschaft mit dem Energie- und Rohstoffministerium (Natural Resources Canada) und der Provinzregierung von Alberta, seit anderthalb Jahren eine konzertierte Kommunikationsstrategie umgesetzt. FOEE verweist konkret auf einen vom Mai 2010 datierten "Pan-European Oil Sands Advocacy Plan" des Außenministeriums.
Die wichtigsten Ziele des Plans, die FOEE zitiert:
- „Kanadische Interessen in Bezug auf Teersande … zu schützen und zu fördern“,
- „Kanadas Image als verantwortungsvoller Energieproduzent und Treuhänder der Umwelt einschließlich der Klimawandel-Thematik zu verteidigen“, und
- „diskriminierungsfreien Marktzugang für Teersand-basierte Produkte zu sichern.“
- dass „kanadische Teersande weiter eine Schlüsselrolle in der globalen Energiesicherheit spielen“ und
- dass Teersande „eine sichere, verlässliche und ergiebige Energiequelle“ sind.
Verbündete fand Kanada laut FOEE bei Shell und BP, die in Teersandproduktion investieren, sowie bei der European Petroleum Industry Association (EUROPIA) und der International Association of Oil and Gas Producers (OGP), die beide in Brüssel ihren Sitz haben.
- FOEE zählte 110 Veranstaltungen und Meetings zur Teersand-Thematik in den vergangenen 18 Monaten, vermutet allerdings eine tatsächlich höhere Zahl - in Brüssel, Straßburg, London, und anderen EU-Hauptstädten. In Deutschland waren Interessenvertreter in Berlin, München und Düsseldorf unterwegs.
- Länder-Targeting: Als prioritäre Zielländer galten Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Dänemark, die Niederlande, Schweden und Österreich.
- Für den kanadischen EU-Botschafter Ross Hornby hatten die Teersande offenbar Top-Priorität, wie aus Reden, Briefen, Gesprächsterminen, Publikationen u.a. hervorgeht.
- Kanadische Botschaften quer durch Europa schickten ihre Diplomaten zu Teersand-Fortbildungen beim Team in London, um dann hochrangige Veranstaltungen in den Botschaften ihrer Hauptstädte zu organisieren (so auch in Berlin).
- Reisen/Besuche: Prominente Politiker aus Kanada reisten häufig nach Europa, Regierungsvertreter wie auch Parlamentarier. Nicht nur die Bundesregierung in Ottawa war aktiv. Allein vier Minister der Regierung Albertas machten sich binnen eines Jahres zu mehrtägigen Visiten in mehreren EU-Kapitalen auf. Die Regierung von Alberta schaltete sogar Anzeigen in Brüsseler Polit-Blättern.
- Ranghohe Gespräche: Teersande waren beim EU-Kanada-Gipfel (Premier Harper/EU-Kommissionspräsident Barroso) ebenso Thema wie bei den Handelsgesprächen zum CETA-Abkommen wie bei den Treffen der europäisch-kanadischen Parlamentariervereinigung und der offiziellen EU-Delegation für die Beziehungen zu Kanada.
- Fokus EP: Kanada bemühte sich intensiv um Kontakte zu wirtschaftsfreundlichen EP-Abgeordneten wie den Ausschussvorsitzenden Herbert Reul (CDU) und Philip Bradbourn (Konservative, GB), die FOEE als Verbündete Kanadas ansieht. Das EP steht stark unter Einfluss von Umwelt- und Klimalobbygruppen, Kanada versuchte die Wirtschafts- und Handelspolitiker dagegen in Stellung zu bringen.
- Reisen nach Kanada ins Fördergebiet: Mehrfach wurden EP-Abgeordnete, Kommissionsbeamte sowie nationale Politiker (auch aus Deutschland) nach Alberta eingeladen -- wo ihnen, wie FOEE meint, aber eine sehr einseitige Sicht präsentiert wurde; kritische Studien wurden ihnen vorenthalten, Begegnungen mit kritischen Umweltwissenschaftlern oder den vom Abbau betroffenen Indianerstämmen seien kaum vorgekommen.
- Auch zu einigen NGOs nahmen die Kanadier Kontakt auf.
- Konventionelle Medienarbeit, aber auch Facebook und Twitter wurden einbezogen.Mit Letzterem sind offenbar vorrangig die PR-Website der Provinzregierung von Alberta, "Alberta's Oil Sands" nebst Social-Media-Verknüpfungen und die Tweets auf "Alberta Tellit" gemeint.
Wie so oft im Lobbying geht es zunächst einmal nicht um politische Grundsatzfragen, sondern um scheinbar nur technische Fragen, um Daten und Tabellen, um standardisierte Bewertungskennziffern und andere Details. Diese haben aber erheblichen Einfluss darauf, ob und wie kanadischer Teersand auf die Energiemärkte kommt und welcher Regulierung er unterliegt.
Auslöser der kanadischen Aktivitäten ist nach Ansicht der FOEE die novellierte Treibstoffqualitäts-Richtlinie (FQD, 2008). Die Richtlinie sieht eine deutliche Absenkung der Emissionen vor. Um die Hersteller darauf festlegen zu können, sind jedoch bestimmte Maßstäbe erforderlich. Dazu sammelte die Kommission im Sommer 2009 in einer Konsultation Stakeholder-Einschätzungen zu konkreten Vorschlägen, wie unterschiedliche Kraftstoffe nach ihrem CO2-„Fußabdruck“ bewertet werden sollen – und der Maßstab sollte nicht allein der Auspuff-Ausstoß am Fahrzeug sein, sondern der gesamte Lebenszyklus des Kraftsstoffs, angefangen bei der Förderung an der Quelle („well-to-wheels“-Ansatz). Teersand-Öl ist kein „normales“ Öl, daher schwer vergleichbar.
So ging es den Lobbyisten um die Methodik der Bewertung. Die Kommission hatte auf Basis wissenschaftlicher Studien eine separate Bewertung für Teersand-basierte Kraftstoffe vorgeschlagen, deren CO2-Emission pro Energieeinheit deutlich höher lag als die konventioneller Öl-Kraftstoffe. Nicht Kanada protestierte gegen die Abgrenzung von normalen Rohöl, und zwar aus Prinzip; inzwischen schlägt das Land vor, ALLE unkonventionellen Rohölarten separat zu bewerten. Kanada will sich damit gegen andere Herkunftsländer mit neuen Lagerstätten unkonventionellen Öls positionieren (Venezuela,Madagaskar, Kongo, Russland, Jordanien, Nigeria, Angola). Kanada insistiert aber in jedem Fall, dass mehr Studien notwendig seien, um die Bewertung zu prüfen – und konnte erfolgreich die Frist für die abschließende Bewertung (Januar 2011) aufschieben.
Um an den von der EU-Kommission genutzten wissenschaftlichen Studien Zweifel zu nähren und die Ergebnisse zu relativieen, präsentierte Kanada neue, anders lautende Studien. FOEE bemängelt, diese stammten u.a. von Cambridge Energy Research Associates (IHS CERA), einem Forschungsinstitut, das vorrangig für Auftraggeber aus der Ölindustrie arbeite.
Politisierung: Grundsatzfragen und Druck auf die Handelsdiplomatie
Offenbar beließ es Kanada nicht bei den hochtechnischen Expertendiskussionen, sondern suchte Unterstützung bei Politikern, deren Zuständigkeit nicht im Politikfeld Umwelt und Klima liegt. Immer deutlicher wurde im Verlauf der Zeit, dass die Kanadier mit Wirtschafts- und Handelspolitik, Energiewirtschaft und Energiesicherheit argumentierten.
So verdeutlichten die Kanadier den Europäern, dass Europa zwar kaum Teersand importiere, Teersand für die europäische Energiesicherheit jedoch eine strategische Rolle spiele. Als wichtigster Energielieferant für die USA sei Kanada in einer kritischen Position. Eine Benachteiligung von Teersand könne zu einem verschärften Wettbewerb der USA und der EU um andere Öllieferungen mit sich bringen.
Die Diskriminierung und Stigmatisierung von Teersand sei unfair – politisch schädlich für die Beziehungen zwischen Kanada und der EU, rechtlich äußerst problematisch. Die Treibstoffqualitäts-Richtlinie müssen kompatibel zum internationalen Handelsrecht, also den WTO-Vorschriften sein. Eine Benachteiligung Kanadas im Wettbewerb mit anderen Ölnationen – von Südamerika über Afrika bis zum Nahen Osten – sei nicht statthaft und auch nach den Emissionen nicht zu rechtfertigen.
In der Provinz Alberta war stets sehr von Interesse, wie die Regierung in den EU-Angelegenheiten vorankommt, auch im Provinzparlament. Als sich Minister in Parlament und Presse im Frühjahr 2010 dahingehend äußersten, dass man jetzt optimistisch sei, in Brüssel allmählich durchzudringen und insbesondere bei der Kommission Resonanz zu finden, sickerte das schnell nach Brüssel durch – ebenso wie Dokumente, die offenbar der kanadischen Seite bei den technischen Details entgegenkamen. Das verursachte Wirbel bei Europaabgeordneten, die nun verstärkt Fragen stellten, ob die Kommission nun einknicke, womöglich aufgrund des handelspolitischen Drucks. Die Kommissare dementierten.
Währenddessen wurde das Lobbying mit immer neuen Besuchen, Gesprächen und Veranstaltungen 2010 hochgefahren. So wurden auch gemeinsame Politik-Veranstaltungen mit Ölkonzernen, Energieverbänden und binationalen Handelskammern sowie außenpolitischen ThinkTanks genutzt, um die Teersand-Thematik positiv zu beleuchten.
Kanada nutzte auch die Aufmerksamkeit für die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, um die Ölausbeutung auf dem Festland als unter Umweltaspekten sicherer und ethisch verantwortbarer darzustellen.
Im Februar stritten sich in der EU-Kommission Klimaschutz-Kommissarin Connie Hedegaard und Handelskommissar Karel de Gucht offen über die Teersand-Linie. Hedegaard zielte auf ein Importverbot, de Gucht fürchtete eine WTO-Klage Kanadas und einen Abbruch der Handelsgespräche zum CETA-Abkommen.
Die Presse nahm den Faden auf, und bald berichtete die Nachrichtenagentur Reuters über die Drohung Kanadas, das Handelsabkommen auf Eis zu legen. Nach den Reuters-Quellen spreche Kanada die Teersand-Frage nicht nur einfach an, sondern spreche direkte Drohungen aus, und die EU-Kommission bereite sich schon auf einen Rechtsstreit vor. In Ottawa dementierte die Regierung umgehend, dass es einen Zusammenhang gebe.
Was Kanada in der EU tat, blieb den zahlreichen kanadischen Umweltorganisationen nicht verborgen. Sie schrieben Botschafter Hornby und anderen kanadischen Politikern sogar einen offenen Brief, in dem sie sie aufforderten, „das gesamte Lobbying des Europäischen Parlaments zu beenden, das im Namen der kanadischen Regierung auf die Schwächung der europäischen Treibstoffqualitätsrichtlinie zielt. (…) Dieses Muster, die EU zu lobbyieren, um die Klimapolitik zu schwächen, ist nicht akzeptabel“, zitiert FOEE.
Im Sommer 2011 sind die Kanadier immer noch am Ball. FOEE verweist auf diverse Veranstaltungen und Besuchsprogramme. Zuletzt holten die Kanadier laut FOEE Wissenschaftler aus Deutschland, einen Politiker aus Belgien, Diplomaten aus Großbritannien, Frankreich, Schweden, Polen und Beamte aus Großbritannien, Belgien und Italien sowie einen Berater des World Energy Council nach Kanada.
Kommentar
Das FOEE-Dossier ist zweifellos als parteiische Anklage im Sinne der Umweltorganisationen gedacht, es polarisiert und es würdigt sicher nicht sachgerecht die Anstrengungen, die Kanada bei der Begrenzung der Umweltbelastungen beim Teersandabbau erreicht hat. Genauso wenig ist es ein energiestrategisches Papier. Darum geht es hier ja auch nicht.
Dass Dossier liefert hochinteressante Einblicke in die paneuropäische Kommunikationsstrategie eines in Europa oftmals vernachlässigten Landes, das sich seiner Rolle und seiner Interessen bewusst ist.
Kanada nimmt die EU offenbar ernster als die EU Kanada. Kanada denkt und handelt global. Was in der EU Gesetz wird, kann und wird für Kanada kritische Konsequenzen auf den Weltmärkten haben, nicht zuletzt in den Beziehungen zu den USA und in der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Energielieferanten auf allen Kontinenten. Wohlstand und Jobs in Kanada werden in Brüssel gesichert oder auch nicht. Sogar die Regierung von Alberta agiert am anderen Ende der Welt, sich der Bedeutung der EU-Politik für die eigene Wirtschaft wohl bewusst. Das sollte uns zeigen, dass Europa mächtiger ist, als wir oftmals annehmen.
Kanada nimmt auch Europas Stakeholder und Öffentlichkeiten sehr ernst, einschließlich der NGOs -- als Gegner wie auch als Gesprächspartner. Das ist nicht überraschend, denn im eigenen Land spielen NGOs eine wichtige Rolle in der Politik -- die europäischen Friends of the Earth dürften bei ihrer Recherche nicht zuletzt von den kanadischen Freunden profitiert haben, die ihre Politiker genau beobachten. Was einen Einblick in die internationale Zusammenarbeit von NGOs gibt.
Das Dossier zeigt, dass sich Kanada nicht auf punktuelle Einwirkung auf eine Handvoll Beamte in der EU-Kommission verlässt. Die Strategie bezieht zahlreiche Entscheidungsträger mit ein; offenbar haben die Kanadier das komplexe Institutionengeflecht Europas studiert und verstanden. Und so ist Kanada ein professioneller Player in Europa, mit dem man eben rechnen muss.
Aus dem gesamten FOEE-Dossier kann man nicht herauslesen, dass sich Kanada intransparenter Lobbymethoden oder eindeutig fragwürdiger PR-Praktiken bedient hätte. Sicher, die FOEE-Aktivisten sehen ihre umweltpolitischen Ziele bedroht und halten Kanadas Vorgehen schon aus diesem Grund für ethisch bedenklich.
Dennoch hat Kanada das Recht, seine Sicht und seine Interessen systematisch und koordiniert in Europa vorzustellen, solange sich das Land an die Spielregeln hält. Was jetzt teilweise in den Blogs und Medien zu lesen ist, Kanada werde "des Lobbyings beschuldigt", ist natürlich albern.
Dass Kanada sich Verbündete sucht, seine Experten und Studien in Stellung bringt, dass es taktiert und Verfahren verzögert, dass es seinen technischen Informationsvorsprung nutzt, ist politisch nicht illegitim, sondern - gerade in der EU - völlig üblich.
Etwas problematischer ist es, Umwelt- und Handelsfragen zu verbinden; aber
- erstens ist die Ölfrage für Kanada - im Gegensatz zu Europa - ganz klar eine Handelsfrage. Warum sollte Kanada die Handelsfrage Öl nicht mit dem CETA-Handelsabkommen in Verbindung bringen? Logisch gibt es keinen Grund dagegen, auch wenn sich die Umweltschützer empören.
- zweitens ist diplomatischer Druck ein natürliches Mittel für einen Staat. Wenn ein Staat lobbyiert, hat er andere Möglichkeiten als ein Unternehmen. Die EU will etwas von Kanada, kann Kanada aber nicht dazu zwingen. Dass in der Endphase hart gepokert wird, gehört zum Spiel.
- drittens riskiert Kanada eine Menge, wenn es die Situation eskalieren lässt. Ein Scheitern des CETA-Handelsabkommens träfe die kanadische Wirtschaft ebenso wie die EU, und ein harter Backlash aus Europa (lies: scharfe Rechtsetzung mit internationalen Folgen) sowie ein Reputationsverlust Kanadas könnten die Folgen sein.
- viertens folgen Kanadas Politiker, wie unsere auch, der politischen Logik daheim. Kanadas Umwelt- und Klimaschutzpolitik ist nicht widerspruchsfrei. Wenn Kanada seine Kyoto-Ziele nicht erreicht, muss es das den eigenen Bürgern erklären. In jedem Fall verläuft die Debatte dort anders als bei uns. Was das Bewusstsein für Exportabhängigkeit der eigenen Wirtschaft und Arbeitsplätze angeht, stehen z.B. Deutschland und Frankreich Kanada nicht nach, und so sieht ja auch unsere eigenen Diplomatie und Interessenvertretung im Ausland aus.
- fünftens nutzt Kanada die Interessenkonflikte, die in Europa bestehen. Kanada legt sie nur offen. Das fängt bei den Ausbeutungsinteressen europäischer Konzerne (wie Shell und BP) an und hört bei der ungeklärten Frage nach Europas Energieversorgungssicherheit nicht auf. Gerade weil auf Experten- und Diplomatenebene nicht alles entschieden werden kann, geht Kanada den Weg über die politische Kommunikation mit Parlamentariern, Verbänden, Kammern, sogar NGOs und Social Media sowie klassischer Medienarbeit. Das sind ziemlich viele Baustellen und Ansatzpunkte, wenn man eine paneuropäische Strategie aufstellt. Der Aufwand ist beträchtlich. Diese Kommunikation ging aber dem handelspolitischen Druck voraus -- was zeigt, dass Kanada erst einmal den weicheren Ansatz wählte, statt mit dem großen Knüppel zu kommen. Eigentlich ist das positiv.
Kritik, auch harte, unter Freunden ist in Ordnung, aber Kooperation mag ebenso notwendig sein, um die ökologischen Probleme des Rohstoffabbaus zu entschärfen. Die Umweltorganisationen hätten gern, dass der Teersandabbau in Kanada beendet wird. Eine realistische Forderung ist das genauso wenig wie eine an Saudi-Arabien, die konventionelle Ölförderung zu beenden (selbst wenn wir ihnen die Panzer schenken).
Klar ist, dass Europa den Teersand-Tagebau in Kanada nicht stoppen kann. Sinnvoll ist daher, dass Europa seine Umwelt-, Klima- und Nachhaltigkeitsziele auch in Kanada vertritt, um den Abbau umweltverträglicher zu machen. Die EU-Gesetzgebung kann dazu, richtig verstanden, einen Beitrag leisten. Leider hält sich das handfeste Interesse an einer Verbesserung der Situation in Kanada in Grenzen. Und dann wäre da noch die Frage: Wie professionell und strategisch ist eigentlich das europäische Lobbying in Ottawa?
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